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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Europäische Perlenmuschel.
welche beim Austreten aus dem Eierstock in die Kiemen etwa Linie im Durchmesser haben,
sind in so unzähligen Mengen vorhanden, daß sie die äußeren Kiemen zu mehrere Linien dicken
Wulsten anschwellen. Nach der Furchung bedeckt sich das Ei an mehreren Stellen mit äußerst
kurzen und zarten Wimpern, durch welche die nunmehr sich bildende Frucht in ihrer Eihaut und
in der sie umgebenden Flüssigkeit in fortwährende drehende Bewegung versetzt wird. Diese frappante
Erscheinung wurde, wohl als die erste ihrer Art, vor fast 160 Jahren von Leeuwenhoeck
beobachtet. "Einige dieser Muscheln", schreibt er, "öffnete ich in Gegenwart des Kupferstechers,
damit er die Jungen, sobald ich sie aus ihren Behältern genommen hätte, sogleich zeichne; denn
wenn sie auch nur einige Stunden hätten stehen müssen, so würden sie ihre wahre Gestalt schon
eingebüßt haben. Die noch ungeborenen Muscheln wurden nun in eine Glasröhre unter das
Mikroskop gebracht, und ich sah mit Erstaunen ein gar schönes Schauspiel. Denn jede derselben,
in ihrer besonderen Haut oder Hülle eingeschlossen, zeigte eine langsame Umdrehung, und zwar
nicht blos für eine kurze Zeit, sondern diese radförmigen Drehungen konnten drei Stunden lang
nach einander beobachtet werden und waren um so merkwürdiger, als die jungen Muscheln
während der ganzen Bewegung beständig in der Mitte ihrer Eihaut blieben, wie eine um ihre
Are sich drehende Kugel. Dieß ungewöhnlich schöne Schauspiel erfreute nicht allein mich selbst,
sondern auch meine Tochter und den Zeichner ganze drei Stunden lang, und wir hielten es für
eines der ergreifendsten, die es geben kann."

Der Holländer begnügte sich mit der einfachen Erzählung dessen, was seine unvollkommenen
Jnstrumente ihm zeigten, während noch in diesem Jahrhundert ein berühmter Naturforscher eine
nicht näher definirbare zauberische Kraft zur Erklärung der Umdrehung der Muschel- und Schnecken-
embryonen im Ei zu Hülfe rief. Diese Drehungen dauern noch längere Zeit fort, nachdem schon
die Bildung der Schale begonnen hat. Von dieser Stufe ist auf unserer Abbildung Figur 1.
A ist das nach meinen Beobachtungen bei der Drehung vorangehende Hinterende, also B das
Vorderende, C die beiden, den Körper noch sehr unvollständig bedeckenden Schalenhälften. Das
einzige innere Organ, welches sich aus der Dottermasse (b) abgeschieden, ist der einfache Schließ-
muskel (m). Die Schalen umwachsen nun bald den Dotter, so daß sie ihn wenigstens an der
Seite ganz bedecken (2), wobei sie eine dreiseitige Gestalt angenommen haben. Auch ist jetzt im
Jnnern eine Höhlung (a) aufgetreten, die an eine ähnliche Bildung einer embryonalen Central-
höhle bei anderen Weichthieren erinnert. Eine zweite Stufe zeigen 3 und 4. Die Schale ist
mehr muschelförmig geworden, jede Hälfte hat aber am Bauchrande einen auffallenden dreieckigen
Aufsatz (d) bekommen, mit seitlichen häutigen Ansätzen, wie Fenstermarkisen. Noch auffälliger
sind die inneren Veränderungen. Der Dotter ist förmlich in zwei halbkreisförmig gelagerte Wulste
gespalten (b, f), auf welchen sich nahe am Vorderende ein Paar Spitzen, wie Lanzenspitzen, von
ganz unbekannter Bedeutung erheben. Jn dem Raume oberhalb des Schließmuskels und zwischen
den Dotterwulsten ist ein langer, durchsichtiger, zusammengewirrter Faden (n, h), das sogenannte
Byssusorgan, mit welchem sich die Thierchen, nachdem sie ausgekrochen, aneinander und an fremde
Gegenstände heften können. Alle diese Vorgänge finden nämlich noch innerhalb der Eihaut statt.
Wenn man aber bei der Beobachtung die sehr leicht verletzliche Eihaut sprengt, und der Embryo
mit Wasser in Berührung kommt, klappt die Schale mit einem Rucke auf, wie sich kaum zweifeln
läßt, in Folge des Uebergewichtes der Spannung des schon vorhandenen Ligamentes über den
Schalenmuskel. Das arme Ding macht dann und wann vergebliche Anstrengungen, durch die
Muskelkraft die Schalen wieder einander zu nähern. Weiter geht jedoch in den Kiemen die Ent-
wicklung der Najaden nicht und die Embryonen werden zu freien Larven, nachdem sie sich in
dieser Stufe noch etwas gekräftigt. Daß wir diesen Zustand eine Larve nennen, wird keinen
Widerspruch finden. Denn einmal ist noch keines der Organe der ausgewachsenen Muschel fertig;
nicht einmal die Schale hat ihre definitive Gestalt und dann müssen, was das wichtigste Merkmal
für die Larvenperiode und die Verwandlung, eine ganze Reihe von Organen verschwinden, die

Europäiſche Perlenmuſchel.
welche beim Austreten aus dem Eierſtock in die Kiemen etwa ⅒ Linie im Durchmeſſer haben,
ſind in ſo unzähligen Mengen vorhanden, daß ſie die äußeren Kiemen zu mehrere Linien dicken
Wulſten anſchwellen. Nach der Furchung bedeckt ſich das Ei an mehreren Stellen mit äußerſt
kurzen und zarten Wimpern, durch welche die nunmehr ſich bildende Frucht in ihrer Eihaut und
in der ſie umgebenden Flüſſigkeit in fortwährende drehende Bewegung verſetzt wird. Dieſe frappante
Erſcheinung wurde, wohl als die erſte ihrer Art, vor faſt 160 Jahren von Leeuwenhoeck
beobachtet. „Einige dieſer Muſcheln“, ſchreibt er, „öffnete ich in Gegenwart des Kupferſtechers,
damit er die Jungen, ſobald ich ſie aus ihren Behältern genommen hätte, ſogleich zeichne; denn
wenn ſie auch nur einige Stunden hätten ſtehen müſſen, ſo würden ſie ihre wahre Geſtalt ſchon
eingebüßt haben. Die noch ungeborenen Muſcheln wurden nun in eine Glasröhre unter das
Mikroſkop gebracht, und ich ſah mit Erſtaunen ein gar ſchönes Schauſpiel. Denn jede derſelben,
in ihrer beſonderen Haut oder Hülle eingeſchloſſen, zeigte eine langſame Umdrehung, und zwar
nicht blos für eine kurze Zeit, ſondern dieſe radförmigen Drehungen konnten drei Stunden lang
nach einander beobachtet werden und waren um ſo merkwürdiger, als die jungen Muſcheln
während der ganzen Bewegung beſtändig in der Mitte ihrer Eihaut blieben, wie eine um ihre
Are ſich drehende Kugel. Dieß ungewöhnlich ſchöne Schauſpiel erfreute nicht allein mich ſelbſt,
ſondern auch meine Tochter und den Zeichner ganze drei Stunden lang, und wir hielten es für
eines der ergreifendſten, die es geben kann.“

Der Holländer begnügte ſich mit der einfachen Erzählung deſſen, was ſeine unvollkommenen
Jnſtrumente ihm zeigten, während noch in dieſem Jahrhundert ein berühmter Naturforſcher eine
nicht näher definirbare zauberiſche Kraft zur Erklärung der Umdrehung der Muſchel- und Schnecken-
embryonen im Ei zu Hülfe rief. Dieſe Drehungen dauern noch längere Zeit fort, nachdem ſchon
die Bildung der Schale begonnen hat. Von dieſer Stufe iſt auf unſerer Abbildung Figur 1.
A iſt das nach meinen Beobachtungen bei der Drehung vorangehende Hinterende, alſo B das
Vorderende, C die beiden, den Körper noch ſehr unvollſtändig bedeckenden Schalenhälften. Das
einzige innere Organ, welches ſich aus der Dottermaſſe (b) abgeſchieden, iſt der einfache Schließ-
muskel (m). Die Schalen umwachſen nun bald den Dotter, ſo daß ſie ihn wenigſtens an der
Seite ganz bedecken (2), wobei ſie eine dreiſeitige Geſtalt angenommen haben. Auch iſt jetzt im
Jnnern eine Höhlung (a) aufgetreten, die an eine ähnliche Bildung einer embryonalen Central-
höhle bei anderen Weichthieren erinnert. Eine zweite Stufe zeigen 3 und 4. Die Schale iſt
mehr muſchelförmig geworden, jede Hälfte hat aber am Bauchrande einen auffallenden dreieckigen
Aufſatz (d) bekommen, mit ſeitlichen häutigen Anſätzen, wie Fenſtermarkiſen. Noch auffälliger
ſind die inneren Veränderungen. Der Dotter iſt förmlich in zwei halbkreisförmig gelagerte Wulſte
geſpalten (b, f), auf welchen ſich nahe am Vorderende ein Paar Spitzen, wie Lanzenſpitzen, von
ganz unbekannter Bedeutung erheben. Jn dem Raume oberhalb des Schließmuskels und zwiſchen
den Dotterwulſten iſt ein langer, durchſichtiger, zuſammengewirrter Faden (n, h), das ſogenannte
Byſſusorgan, mit welchem ſich die Thierchen, nachdem ſie ausgekrochen, aneinander und an fremde
Gegenſtände heften können. Alle dieſe Vorgänge finden nämlich noch innerhalb der Eihaut ſtatt.
Wenn man aber bei der Beobachtung die ſehr leicht verletzliche Eihaut ſprengt, und der Embryo
mit Waſſer in Berührung kommt, klappt die Schale mit einem Rucke auf, wie ſich kaum zweifeln
läßt, in Folge des Uebergewichtes der Spannung des ſchon vorhandenen Ligamentes über den
Schalenmuskel. Das arme Ding macht dann und wann vergebliche Anſtrengungen, durch die
Muskelkraft die Schalen wieder einander zu nähern. Weiter geht jedoch in den Kiemen die Ent-
wicklung der Najaden nicht und die Embryonen werden zu freien Larven, nachdem ſie ſich in
dieſer Stufe noch etwas gekräftigt. Daß wir dieſen Zuſtand eine Larve nennen, wird keinen
Widerſpruch finden. Denn einmal iſt noch keines der Organe der ausgewachſenen Muſchel fertig;
nicht einmal die Schale hat ihre definitive Geſtalt und dann müſſen, was das wichtigſte Merkmal
für die Larvenperiode und die Verwandlung, eine ganze Reihe von Organen verſchwinden, die

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[903/0951] Europäiſche Perlenmuſchel. welche beim Austreten aus dem Eierſtock in die Kiemen etwa ⅒ Linie im Durchmeſſer haben, ſind in ſo unzähligen Mengen vorhanden, daß ſie die äußeren Kiemen zu mehrere Linien dicken Wulſten anſchwellen. Nach der Furchung bedeckt ſich das Ei an mehreren Stellen mit äußerſt kurzen und zarten Wimpern, durch welche die nunmehr ſich bildende Frucht in ihrer Eihaut und in der ſie umgebenden Flüſſigkeit in fortwährende drehende Bewegung verſetzt wird. Dieſe frappante Erſcheinung wurde, wohl als die erſte ihrer Art, vor faſt 160 Jahren von Leeuwenhoeck beobachtet. „Einige dieſer Muſcheln“, ſchreibt er, „öffnete ich in Gegenwart des Kupferſtechers, damit er die Jungen, ſobald ich ſie aus ihren Behältern genommen hätte, ſogleich zeichne; denn wenn ſie auch nur einige Stunden hätten ſtehen müſſen, ſo würden ſie ihre wahre Geſtalt ſchon eingebüßt haben. Die noch ungeborenen Muſcheln wurden nun in eine Glasröhre unter das Mikroſkop gebracht, und ich ſah mit Erſtaunen ein gar ſchönes Schauſpiel. Denn jede derſelben, in ihrer beſonderen Haut oder Hülle eingeſchloſſen, zeigte eine langſame Umdrehung, und zwar nicht blos für eine kurze Zeit, ſondern dieſe radförmigen Drehungen konnten drei Stunden lang nach einander beobachtet werden und waren um ſo merkwürdiger, als die jungen Muſcheln während der ganzen Bewegung beſtändig in der Mitte ihrer Eihaut blieben, wie eine um ihre Are ſich drehende Kugel. Dieß ungewöhnlich ſchöne Schauſpiel erfreute nicht allein mich ſelbſt, ſondern auch meine Tochter und den Zeichner ganze drei Stunden lang, und wir hielten es für eines der ergreifendſten, die es geben kann.“ Der Holländer begnügte ſich mit der einfachen Erzählung deſſen, was ſeine unvollkommenen Jnſtrumente ihm zeigten, während noch in dieſem Jahrhundert ein berühmter Naturforſcher eine nicht näher definirbare zauberiſche Kraft zur Erklärung der Umdrehung der Muſchel- und Schnecken- embryonen im Ei zu Hülfe rief. Dieſe Drehungen dauern noch längere Zeit fort, nachdem ſchon die Bildung der Schale begonnen hat. Von dieſer Stufe iſt auf unſerer Abbildung Figur 1. A iſt das nach meinen Beobachtungen bei der Drehung vorangehende Hinterende, alſo B das Vorderende, C die beiden, den Körper noch ſehr unvollſtändig bedeckenden Schalenhälften. Das einzige innere Organ, welches ſich aus der Dottermaſſe (b) abgeſchieden, iſt der einfache Schließ- muskel (m). Die Schalen umwachſen nun bald den Dotter, ſo daß ſie ihn wenigſtens an der Seite ganz bedecken (2), wobei ſie eine dreiſeitige Geſtalt angenommen haben. Auch iſt jetzt im Jnnern eine Höhlung (a) aufgetreten, die an eine ähnliche Bildung einer embryonalen Central- höhle bei anderen Weichthieren erinnert. Eine zweite Stufe zeigen 3 und 4. Die Schale iſt mehr muſchelförmig geworden, jede Hälfte hat aber am Bauchrande einen auffallenden dreieckigen Aufſatz (d) bekommen, mit ſeitlichen häutigen Anſätzen, wie Fenſtermarkiſen. Noch auffälliger ſind die inneren Veränderungen. Der Dotter iſt förmlich in zwei halbkreisförmig gelagerte Wulſte geſpalten (b, f), auf welchen ſich nahe am Vorderende ein Paar Spitzen, wie Lanzenſpitzen, von ganz unbekannter Bedeutung erheben. Jn dem Raume oberhalb des Schließmuskels und zwiſchen den Dotterwulſten iſt ein langer, durchſichtiger, zuſammengewirrter Faden (n, h), das ſogenannte Byſſusorgan, mit welchem ſich die Thierchen, nachdem ſie ausgekrochen, aneinander und an fremde Gegenſtände heften können. Alle dieſe Vorgänge finden nämlich noch innerhalb der Eihaut ſtatt. Wenn man aber bei der Beobachtung die ſehr leicht verletzliche Eihaut ſprengt, und der Embryo mit Waſſer in Berührung kommt, klappt die Schale mit einem Rucke auf, wie ſich kaum zweifeln läßt, in Folge des Uebergewichtes der Spannung des ſchon vorhandenen Ligamentes über den Schalenmuskel. Das arme Ding macht dann und wann vergebliche Anſtrengungen, durch die Muskelkraft die Schalen wieder einander zu nähern. Weiter geht jedoch in den Kiemen die Ent- wicklung der Najaden nicht und die Embryonen werden zu freien Larven, nachdem ſie ſich in dieſer Stufe noch etwas gekräftigt. Daß wir dieſen Zuſtand eine Larve nennen, wird keinen Widerſpruch finden. Denn einmal iſt noch keines der Organe der ausgewachſenen Muſchel fertig; nicht einmal die Schale hat ihre definitive Geſtalt und dann müſſen, was das wichtigſte Merkmal für die Larvenperiode und die Verwandlung, eine ganze Reihe von Organen verſchwinden, die

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 903. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/951>, abgerufen am 23.11.2024.