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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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stoffen sagt. Er nennt die Stoffe ein flüssiges Anilinroth und Anilinviolet von hohem Koncen-
trationsgrade und dieser Anilinfarbstoff sei für die Thiere eine zweifache Vertheidigungswasse,
insofern sie durch das Ausspritzen desselben das Wasser trüben und dadurch sich vor ihren Feinden
zu verbergen im Stande sind; dann aber, weil diese Farbe die giftigen Eigenschaften des Anilins
besitzt und einen dem Mollusk eigenthümlichen, widrigen Geruch entwickelt. Der berühmte fran-
zösische Conchyliologe Ferrussac hat schon 1828 darauf aufmerksam gemacht, wie rasch sich der
gedachte Farbstoff zersetzt, sobald er von dem Thiere ausgespritzt worden ist, und er bemerkte, daß
sich diese Zersetzung verzögern und selbst gänzlich verhindern läßt, wenn man der Flüssigkeit etwas
Schwefelsäure zusetzt. Da der Seehase an den portugiesischen Küsten in solchen Mengen vorkommt,
daß, wenn die Thiere durch einen Sturm an das Gestade geworfen werden, durch ihre Fäulniß
die Luft so verpestet wird, daß die Umwohner die Entstehung epidemischer Krankheiten befürchten,
so würde es, meint der genannte Chemiker, leicht sein, den Farbstoff im großen Maßstabe zu
gewinnen; denn es giebt Exemplare der Seehasen, welche bis zu 2 Gramm reiner, trockener
Farbe geben. Die chemischen Reaktionen der Abscheidung der Seehasen ließen die Annahme
als berechtigt erscheinen, daß diese thierischen Farben wirkliche Anilinfarbstoffe seien, gleich denen
welche man künstlich aus Benzoe erzeugt. Von Aplysia depilans, dem großen, einen halben Fuß
lang werdenden Seehasen der europäischen südlichen Küsten, habe ich viele Exemplare in Händen
gehabt, niemals aber ein Brennen an den mit ihm in Berührung gekommenen Hautstellen, noch
den excessiven ekelerregenden Geruch gespürt, der dem Seehasen zum Vorwurf gemacht wird. Er
ist offenbar besser als sein Ruf und verdient sicherlich nicht seinen Namen depilans, der "haar-
scheerende", indem sogar die Haupthaare des ihn Berührenden ausfallen sollen. Einige tropische
Arten scheinen allerdings zu nesseln.

Nicht bloß die äußere Gestalt und die Nahrung der Aplysien verlockt zum Vergleich mit
pflanzenfressenden Säugethieren, auch ihr aus mehreren Abtheilungen bestehender Magen erinnert
lebhaft daran. Die Speiseröhre öffnet sich in einen weiten häutigen Pansen, aus welchem die
Nahrung in den zweiten Magen gelangt. Hier wird die Verdanung unterstützt durch eine weitere
Zerkleinerung des Gefressenen, indem die muskulösen Wandungen mit vielen kleinen knorpeligen,
pyramidalischen Körperchen bewaffnet sind, welche offenbar als Magenzähne, wie die ähnlichen
Organe bei den Krebsen, wirken. Auch in der dritten kleineren Abtheilung wirkt in ähnlicher
Weise ein Hakenbesatz der Wände. Der vierte Magen endlich hat die Gestalt eines Blinddarmes.
Bei dem Bedürfniß nach massenhafter, meist aus gröberen Tangen bestehender Nahrung, findet
man den Seehasen auch fast unausgesetzt auf der Weide. Unsere Aplysia depilans hält sich oft
so hoch am Strande auf, daß sie bei der Ebbe in kleinen, sie kaum benetzenden Pfützen zurück-
bleibt; sie steigt aber auch in mehrere Faden Tiefe.

Aplysia bildet den Kern einer Familie, welche vorzugsweise die heißen Meere bewohnt. Eine
ihr nahestehende Gattung jener Zonen ist Dolabella, darunter die 8 bis 10 Zoll lange Dolabella
Rumphii,
welche sich durch die Lage des Schildes auf dem abgerundeten Hinterende und die
darin enthaltene ganz kalkige Schale unterscheidet.



Als Unterscheidungszeichen der Pleurobrancheen, zu denen wir nun kommen, von den
Aplysiaceen kann man kurz angeben, daß bei der neuen Familie die Kiemen nicht von einem
besonderen Schilde bedeckt sind, sondern frei unter dem einfachen Mantelrande in der von diesem
und dem Fuße gebildeten Furche sitzen. Durch eine meisterhafte Monographie ist uns von den
wenigen, diese Familie bildenden Gattungen Pleurobranchus am besten bekannt. Sie behandelt
vor allem den im Mittelmeere lebenden Pleurobranchus aurantiacus, wir haben jedoch leider nicht
von dieser Art uns eine Abbildung verschaffen können, sondern müssen unsere Beschreibung an die
Abbildung einer Art aus der Südsee anknüpfen, Pleurobranchus Peronii, mit deren Zer-

Schnecken. Hinterkiemer. Deckkiemer.
ſtoffen ſagt. Er nennt die Stoffe ein flüſſiges Anilinroth und Anilinviolet von hohem Koncen-
trationsgrade und dieſer Anilinfarbſtoff ſei für die Thiere eine zweifache Vertheidigungswaſſe,
inſofern ſie durch das Ausſpritzen deſſelben das Waſſer trüben und dadurch ſich vor ihren Feinden
zu verbergen im Stande ſind; dann aber, weil dieſe Farbe die giftigen Eigenſchaften des Anilins
beſitzt und einen dem Mollusk eigenthümlichen, widrigen Geruch entwickelt. Der berühmte fran-
zöſiſche Conchyliologe Férruſſac hat ſchon 1828 darauf aufmerkſam gemacht, wie raſch ſich der
gedachte Farbſtoff zerſetzt, ſobald er von dem Thiere ausgeſpritzt worden iſt, und er bemerkte, daß
ſich dieſe Zerſetzung verzögern und ſelbſt gänzlich verhindern läßt, wenn man der Flüſſigkeit etwas
Schwefelſäure zuſetzt. Da der Seehaſe an den portugieſiſchen Küſten in ſolchen Mengen vorkommt,
daß, wenn die Thiere durch einen Sturm an das Geſtade geworfen werden, durch ihre Fäulniß
die Luft ſo verpeſtet wird, daß die Umwohner die Entſtehung epidemiſcher Krankheiten befürchten,
ſo würde es, meint der genannte Chemiker, leicht ſein, den Farbſtoff im großen Maßſtabe zu
gewinnen; denn es giebt Exemplare der Seehaſen, welche bis zu 2 Gramm reiner, trockener
Farbe geben. Die chemiſchen Reaktionen der Abſcheidung der Seehaſen ließen die Annahme
als berechtigt erſcheinen, daß dieſe thieriſchen Farben wirkliche Anilinfarbſtoffe ſeien, gleich denen
welche man künſtlich aus Benzoe erzeugt. Von Aplysia depilans, dem großen, einen halben Fuß
lang werdenden Seehaſen der europäiſchen ſüdlichen Küſten, habe ich viele Exemplare in Händen
gehabt, niemals aber ein Brennen an den mit ihm in Berührung gekommenen Hautſtellen, noch
den exceſſiven ekelerregenden Geruch geſpürt, der dem Seehaſen zum Vorwurf gemacht wird. Er
iſt offenbar beſſer als ſein Ruf und verdient ſicherlich nicht ſeinen Namen depilans, der „haar-
ſcheerende“, indem ſogar die Haupthaare des ihn Berührenden ausfallen ſollen. Einige tropiſche
Arten ſcheinen allerdings zu neſſeln.

Nicht bloß die äußere Geſtalt und die Nahrung der Aplyſien verlockt zum Vergleich mit
pflanzenfreſſenden Säugethieren, auch ihr aus mehreren Abtheilungen beſtehender Magen erinnert
lebhaft daran. Die Speiſeröhre öffnet ſich in einen weiten häutigen Panſen, aus welchem die
Nahrung in den zweiten Magen gelangt. Hier wird die Verdanung unterſtützt durch eine weitere
Zerkleinerung des Gefreſſenen, indem die muskulöſen Wandungen mit vielen kleinen knorpeligen,
pyramidaliſchen Körperchen bewaffnet ſind, welche offenbar als Magenzähne, wie die ähnlichen
Organe bei den Krebſen, wirken. Auch in der dritten kleineren Abtheilung wirkt in ähnlicher
Weiſe ein Hakenbeſatz der Wände. Der vierte Magen endlich hat die Geſtalt eines Blinddarmes.
Bei dem Bedürfniß nach maſſenhafter, meiſt aus gröberen Tangen beſtehender Nahrung, findet
man den Seehaſen auch faſt unausgeſetzt auf der Weide. Unſere Aplysia depilans hält ſich oft
ſo hoch am Strande auf, daß ſie bei der Ebbe in kleinen, ſie kaum benetzenden Pfützen zurück-
bleibt; ſie ſteigt aber auch in mehrere Faden Tiefe.

Aplysia bildet den Kern einer Familie, welche vorzugsweiſe die heißen Meere bewohnt. Eine
ihr naheſtehende Gattung jener Zonen iſt Dolabella, darunter die 8 bis 10 Zoll lange Dolabella
Rumphii,
welche ſich durch die Lage des Schildes auf dem abgerundeten Hinterende und die
darin enthaltene ganz kalkige Schale unterſcheidet.



Als Unterſcheidungszeichen der Pleurobrancheen, zu denen wir nun kommen, von den
Aplyſiaceen kann man kurz angeben, daß bei der neuen Familie die Kiemen nicht von einem
beſonderen Schilde bedeckt ſind, ſondern frei unter dem einfachen Mantelrande in der von dieſem
und dem Fuße gebildeten Furche ſitzen. Durch eine meiſterhafte Monographie iſt uns von den
wenigen, dieſe Familie bildenden Gattungen Pleurobranchus am beſten bekannt. Sie behandelt
vor allem den im Mittelmeere lebenden Pleurobranchus aurantiacus, wir haben jedoch leider nicht
von dieſer Art uns eine Abbildung verſchaffen können, ſondern müſſen unſere Beſchreibung an die
Abbildung einer Art aus der Südſee anknüpfen, Pleurobranchus Peronii, mit deren Zer-

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[864/0912] Schnecken. Hinterkiemer. Deckkiemer. ſtoffen ſagt. Er nennt die Stoffe ein flüſſiges Anilinroth und Anilinviolet von hohem Koncen- trationsgrade und dieſer Anilinfarbſtoff ſei für die Thiere eine zweifache Vertheidigungswaſſe, inſofern ſie durch das Ausſpritzen deſſelben das Waſſer trüben und dadurch ſich vor ihren Feinden zu verbergen im Stande ſind; dann aber, weil dieſe Farbe die giftigen Eigenſchaften des Anilins beſitzt und einen dem Mollusk eigenthümlichen, widrigen Geruch entwickelt. Der berühmte fran- zöſiſche Conchyliologe Férruſſac hat ſchon 1828 darauf aufmerkſam gemacht, wie raſch ſich der gedachte Farbſtoff zerſetzt, ſobald er von dem Thiere ausgeſpritzt worden iſt, und er bemerkte, daß ſich dieſe Zerſetzung verzögern und ſelbſt gänzlich verhindern läßt, wenn man der Flüſſigkeit etwas Schwefelſäure zuſetzt. Da der Seehaſe an den portugieſiſchen Küſten in ſolchen Mengen vorkommt, daß, wenn die Thiere durch einen Sturm an das Geſtade geworfen werden, durch ihre Fäulniß die Luft ſo verpeſtet wird, daß die Umwohner die Entſtehung epidemiſcher Krankheiten befürchten, ſo würde es, meint der genannte Chemiker, leicht ſein, den Farbſtoff im großen Maßſtabe zu gewinnen; denn es giebt Exemplare der Seehaſen, welche bis zu 2 Gramm reiner, trockener Farbe geben. Die chemiſchen Reaktionen der Abſcheidung der Seehaſen ließen die Annahme als berechtigt erſcheinen, daß dieſe thieriſchen Farben wirkliche Anilinfarbſtoffe ſeien, gleich denen welche man künſtlich aus Benzoe erzeugt. Von Aplysia depilans, dem großen, einen halben Fuß lang werdenden Seehaſen der europäiſchen ſüdlichen Küſten, habe ich viele Exemplare in Händen gehabt, niemals aber ein Brennen an den mit ihm in Berührung gekommenen Hautſtellen, noch den exceſſiven ekelerregenden Geruch geſpürt, der dem Seehaſen zum Vorwurf gemacht wird. Er iſt offenbar beſſer als ſein Ruf und verdient ſicherlich nicht ſeinen Namen depilans, der „haar- ſcheerende“, indem ſogar die Haupthaare des ihn Berührenden ausfallen ſollen. Einige tropiſche Arten ſcheinen allerdings zu neſſeln. Nicht bloß die äußere Geſtalt und die Nahrung der Aplyſien verlockt zum Vergleich mit pflanzenfreſſenden Säugethieren, auch ihr aus mehreren Abtheilungen beſtehender Magen erinnert lebhaft daran. Die Speiſeröhre öffnet ſich in einen weiten häutigen Panſen, aus welchem die Nahrung in den zweiten Magen gelangt. Hier wird die Verdanung unterſtützt durch eine weitere Zerkleinerung des Gefreſſenen, indem die muskulöſen Wandungen mit vielen kleinen knorpeligen, pyramidaliſchen Körperchen bewaffnet ſind, welche offenbar als Magenzähne, wie die ähnlichen Organe bei den Krebſen, wirken. Auch in der dritten kleineren Abtheilung wirkt in ähnlicher Weiſe ein Hakenbeſatz der Wände. Der vierte Magen endlich hat die Geſtalt eines Blinddarmes. Bei dem Bedürfniß nach maſſenhafter, meiſt aus gröberen Tangen beſtehender Nahrung, findet man den Seehaſen auch faſt unausgeſetzt auf der Weide. Unſere Aplysia depilans hält ſich oft ſo hoch am Strande auf, daß ſie bei der Ebbe in kleinen, ſie kaum benetzenden Pfützen zurück- bleibt; ſie ſteigt aber auch in mehrere Faden Tiefe. Aplysia bildet den Kern einer Familie, welche vorzugsweiſe die heißen Meere bewohnt. Eine ihr naheſtehende Gattung jener Zonen iſt Dolabella, darunter die 8 bis 10 Zoll lange Dolabella Rumphii, welche ſich durch die Lage des Schildes auf dem abgerundeten Hinterende und die darin enthaltene ganz kalkige Schale unterſcheidet. Als Unterſcheidungszeichen der Pleurobrancheen, zu denen wir nun kommen, von den Aplyſiaceen kann man kurz angeben, daß bei der neuen Familie die Kiemen nicht von einem beſonderen Schilde bedeckt ſind, ſondern frei unter dem einfachen Mantelrande in der von dieſem und dem Fuße gebildeten Furche ſitzen. Durch eine meiſterhafte Monographie iſt uns von den wenigen, dieſe Familie bildenden Gattungen Pleurobranchus am beſten bekannt. Sie behandelt vor allem den im Mittelmeere lebenden Pleurobranchus aurantiacus, wir haben jedoch leider nicht von dieſer Art uns eine Abbildung verſchaffen können, ſondern müſſen unſere Beſchreibung an die Abbildung einer Art aus der Südſee anknüpfen, Pleurobranchus Peronii, mit deren Zer-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 864. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/912>, abgerufen am 23.11.2024.