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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Geographische Verbreitung.
von den canarischen Jnseln und der Madeira-Gruppe getrennt war, als die Umprägung und
Umwandlung früherer gemeinsamer Arten in die heutige Schneckenfauna begann, wie es uns
natürlich unzweifelhaft ist, nicht als Glaubensartikel, sondern nach den Erscheinungen der Ent-
wicklungsgeschichte und der Varietätenbildung, daß solche Stammformen existirten. Die Verbreitung
der heutigen Lungenschnecken unter der Voraussetzung der Stabilität der Jnselwelt und der Fest-
länder ist völlig unbegreiflich. Das sieht natürlich jeder Naturforscher ein, mag er übrigens
irgend welcher Hypothese über die Entstehung huldigen. Höchstens die Anhänger der Lehren von
Agassiz haben so viele Schöpfungsakte, als man wünscht, bei der Hand, und wenn die Weinbergs-
schnecke diesseits und jenseits des Canals vorkommt, so bedarf es des längst geführten Beweises vom
einstmaligen Zusammenhange Britanniens mit dem Festlande gar nicht, sondern die Umstände,
welche das erste Erscheinen des Thieres hier verursachten, werden auch drüben gewirkt haben.

Die Verbreitung der heutigen Thierwelt gewinnt aber ein ganz anderes Aussehen, wenn man
die jüngeren geologischen Umgestaltungen der Erdoberfläche berücksichtigt. Dieß ist in der neuesten
Zeit mit großem Erfolge geschehen, wenn auch dieser Erfolg vorläufig in der Hauptsache nur
darin besteht, daß die alte Weise des Aufzählens der Verbreitungsbezirke als das Wesentliche der
Thiergeographie, allenfalls mit Hinzunahme jener Schöpfungshypothesen als völlig ungenügend
angesehen wird, und daß man auf die thatsächlichen Gründe dieser Verbreitung dadurch zu
kommen sich bemüht, daß man an der Hand der Geologie die frühere Gestaltung der Erdober-
fläche reproducirt und aus derselben und den später erfolgten Umänderungen und Trennungen die
Art und Weise der jetzigen Verbreitung erklärt.

Um einen Begriff zu geben, wie die an sich scheinbar unfruchtbaren Untersuchungen und
Beschreibungen der Schnecken und Schneckengehäuse umgekehrt zu den interessantesten geologischen
Schlüssen führen, wollen wir uns noch mit den Untersuchungen von Bourguignat über
die geographische Verbreitung der Land- und Flußschnecken in Algier und den benachbarten Regionen
bekannt machen. Man wird es uns nicht verübeln, wenn wir hie und da über das eigentliche
Leben der Thiere hinausgehen und die Folgerungen daraus für andere Gebiete der Wissenschaft in
unsere Darstellung ziehen. Der französische Schriftsteller spricht zwar von den Land- und Süß-
wasserweichthieren im Allgemeinen, also auch von den Muscheln, die Bedeutung der nicht zu den
Lungenschnecken gehörigen Arten für die zu beantwortenden Fragen ist aber sehr untergeordnet.

Was von der gegenwärtigen Vertheilung dieser Thiere für Algier gilt, kann ohne Weiteres
auf Marokko und Tunis ausgedehnt werden. Wenn man nun die algierische Weichthierfauna im
Großen überblickt, so erkennt man, indem man die Thiere nach ihren Standorten zusammenfaßt,
daß da, wo sich im Centrum der Regentschaft Algier die Region der Hochebenen hinzieht, sich
ganze Reihen von Mollusken mit schwerer, dicker Schale befinden, mit eigenthümlich beschaffener
Mündung; daß zu beiden Seiten, parallel mit den Hochebenen, sich zwei Zonen von Weichthieren
mit knotigem oder durchscheinendem Gehäus, wiederum von charakterstischer Form, hinzieht; und
daß endlich nicht nur am Rande des Mittelmeeres, sondern auch am Saume der großen Wüste im
Süden der zweiten Kette des Atlas sich noch eine Reihe von Gestade-Schnecken findet, die
nämlichen Arten, deren Gehäus man auch an den Ufern der ehemaligen Salzseen der Hoch-
plateaus sammeln kann, die also dort lebten, als jene Seen noch mit Wasser erfüllt waren. Die
Wüste selbst ist durch die fast gänzliche Abwesenheit jetzigen und einstigen Lebens charakterisirt.
Man durchwandert also vom Mittelmeere an eine Zone der Küsten-Fauna, dann eine Berg- und
eine Hochplateau-Zone, und im Hinabsteigen zur Wüste wiederum die Berg- und endlich die
Küsten-Zone. Wie oben gesagt, zeichnet sich die Mehrzahl der Schnecken der Hochebenen durch
ihre dicken, starken Schalen, sowie durch einen starken Mundsaum und einige Höcker oder Zähne
in der Mündung aus, und merkwürdiger Weise sind die fossilen Schnecken, die an denselben
Lokalitäten schon zur Tertiärzeit lebten, von derselben charakteristischen Beschaffenheit. Es geht

Geographiſche Verbreitung.
von den canariſchen Jnſeln und der Madeira-Gruppe getrennt war, als die Umprägung und
Umwandlung früherer gemeinſamer Arten in die heutige Schneckenfauna begann, wie es uns
natürlich unzweifelhaft iſt, nicht als Glaubensartikel, ſondern nach den Erſcheinungen der Ent-
wicklungsgeſchichte und der Varietätenbildung, daß ſolche Stammformen exiſtirten. Die Verbreitung
der heutigen Lungenſchnecken unter der Vorausſetzung der Stabilität der Jnſelwelt und der Feſt-
länder iſt völlig unbegreiflich. Das ſieht natürlich jeder Naturforſcher ein, mag er übrigens
irgend welcher Hypotheſe über die Entſtehung huldigen. Höchſtens die Anhänger der Lehren von
Agaſſiz haben ſo viele Schöpfungsakte, als man wünſcht, bei der Hand, und wenn die Weinbergs-
ſchnecke dieſſeits und jenſeits des Canals vorkommt, ſo bedarf es des längſt geführten Beweiſes vom
einſtmaligen Zuſammenhange Britanniens mit dem Feſtlande gar nicht, ſondern die Umſtände,
welche das erſte Erſcheinen des Thieres hier verurſachten, werden auch drüben gewirkt haben.

Die Verbreitung der heutigen Thierwelt gewinnt aber ein ganz anderes Ausſehen, wenn man
die jüngeren geologiſchen Umgeſtaltungen der Erdoberfläche berückſichtigt. Dieß iſt in der neueſten
Zeit mit großem Erfolge geſchehen, wenn auch dieſer Erfolg vorläufig in der Hauptſache nur
darin beſteht, daß die alte Weiſe des Aufzählens der Verbreitungsbezirke als das Weſentliche der
Thiergeographie, allenfalls mit Hinzunahme jener Schöpfungshypotheſen als völlig ungenügend
angeſehen wird, und daß man auf die thatſächlichen Gründe dieſer Verbreitung dadurch zu
kommen ſich bemüht, daß man an der Hand der Geologie die frühere Geſtaltung der Erdober-
fläche reproducirt und aus derſelben und den ſpäter erfolgten Umänderungen und Trennungen die
Art und Weiſe der jetzigen Verbreitung erklärt.

Um einen Begriff zu geben, wie die an ſich ſcheinbar unfruchtbaren Unterſuchungen und
Beſchreibungen der Schnecken und Schneckengehäuſe umgekehrt zu den intereſſanteſten geologiſchen
Schlüſſen führen, wollen wir uns noch mit den Unterſuchungen von Bourguignat über
die geographiſche Verbreitung der Land- und Flußſchnecken in Algier und den benachbarten Regionen
bekannt machen. Man wird es uns nicht verübeln, wenn wir hie und da über das eigentliche
Leben der Thiere hinausgehen und die Folgerungen daraus für andere Gebiete der Wiſſenſchaft in
unſere Darſtellung ziehen. Der franzöſiſche Schriftſteller ſpricht zwar von den Land- und Süß-
waſſerweichthieren im Allgemeinen, alſo auch von den Muſcheln, die Bedeutung der nicht zu den
Lungenſchnecken gehörigen Arten für die zu beantwortenden Fragen iſt aber ſehr untergeordnet.

Was von der gegenwärtigen Vertheilung dieſer Thiere für Algier gilt, kann ohne Weiteres
auf Marokko und Tunis ausgedehnt werden. Wenn man nun die algieriſche Weichthierfauna im
Großen überblickt, ſo erkennt man, indem man die Thiere nach ihren Standorten zuſammenfaßt,
daß da, wo ſich im Centrum der Regentſchaft Algier die Region der Hochebenen hinzieht, ſich
ganze Reihen von Mollusken mit ſchwerer, dicker Schale befinden, mit eigenthümlich beſchaffener
Mündung; daß zu beiden Seiten, parallel mit den Hochebenen, ſich zwei Zonen von Weichthieren
mit knotigem oder durchſcheinendem Gehäus, wiederum von charakterſtiſcher Form, hinzieht; und
daß endlich nicht nur am Rande des Mittelmeeres, ſondern auch am Saume der großen Wüſte im
Süden der zweiten Kette des Atlas ſich noch eine Reihe von Geſtade-Schnecken findet, die
nämlichen Arten, deren Gehäus man auch an den Ufern der ehemaligen Salzſeen der Hoch-
plateaus ſammeln kann, die alſo dort lebten, als jene Seen noch mit Waſſer erfüllt waren. Die
Wüſte ſelbſt iſt durch die faſt gänzliche Abweſenheit jetzigen und einſtigen Lebens charakteriſirt.
Man durchwandert alſo vom Mittelmeere an eine Zone der Küſten-Fauna, dann eine Berg- und
eine Hochplateau-Zone, und im Hinabſteigen zur Wüſte wiederum die Berg- und endlich die
Küſten-Zone. Wie oben geſagt, zeichnet ſich die Mehrzahl der Schnecken der Hochebenen durch
ihre dicken, ſtarken Schalen, ſowie durch einen ſtarken Mundſaum und einige Höcker oder Zähne
in der Mündung aus, und merkwürdiger Weiſe ſind die foſſilen Schnecken, die an denſelben
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[809/0857] Geographiſche Verbreitung. von den canariſchen Jnſeln und der Madeira-Gruppe getrennt war, als die Umprägung und Umwandlung früherer gemeinſamer Arten in die heutige Schneckenfauna begann, wie es uns natürlich unzweifelhaft iſt, nicht als Glaubensartikel, ſondern nach den Erſcheinungen der Ent- wicklungsgeſchichte und der Varietätenbildung, daß ſolche Stammformen exiſtirten. Die Verbreitung der heutigen Lungenſchnecken unter der Vorausſetzung der Stabilität der Jnſelwelt und der Feſt- länder iſt völlig unbegreiflich. Das ſieht natürlich jeder Naturforſcher ein, mag er übrigens irgend welcher Hypotheſe über die Entſtehung huldigen. Höchſtens die Anhänger der Lehren von Agaſſiz haben ſo viele Schöpfungsakte, als man wünſcht, bei der Hand, und wenn die Weinbergs- ſchnecke dieſſeits und jenſeits des Canals vorkommt, ſo bedarf es des längſt geführten Beweiſes vom einſtmaligen Zuſammenhange Britanniens mit dem Feſtlande gar nicht, ſondern die Umſtände, welche das erſte Erſcheinen des Thieres hier verurſachten, werden auch drüben gewirkt haben. Die Verbreitung der heutigen Thierwelt gewinnt aber ein ganz anderes Ausſehen, wenn man die jüngeren geologiſchen Umgeſtaltungen der Erdoberfläche berückſichtigt. Dieß iſt in der neueſten Zeit mit großem Erfolge geſchehen, wenn auch dieſer Erfolg vorläufig in der Hauptſache nur darin beſteht, daß die alte Weiſe des Aufzählens der Verbreitungsbezirke als das Weſentliche der Thiergeographie, allenfalls mit Hinzunahme jener Schöpfungshypotheſen als völlig ungenügend angeſehen wird, und daß man auf die thatſächlichen Gründe dieſer Verbreitung dadurch zu kommen ſich bemüht, daß man an der Hand der Geologie die frühere Geſtaltung der Erdober- fläche reproducirt und aus derſelben und den ſpäter erfolgten Umänderungen und Trennungen die Art und Weiſe der jetzigen Verbreitung erklärt. Um einen Begriff zu geben, wie die an ſich ſcheinbar unfruchtbaren Unterſuchungen und Beſchreibungen der Schnecken und Schneckengehäuſe umgekehrt zu den intereſſanteſten geologiſchen Schlüſſen führen, wollen wir uns noch mit den Unterſuchungen von Bourguignat über die geographiſche Verbreitung der Land- und Flußſchnecken in Algier und den benachbarten Regionen bekannt machen. Man wird es uns nicht verübeln, wenn wir hie und da über das eigentliche Leben der Thiere hinausgehen und die Folgerungen daraus für andere Gebiete der Wiſſenſchaft in unſere Darſtellung ziehen. Der franzöſiſche Schriftſteller ſpricht zwar von den Land- und Süß- waſſerweichthieren im Allgemeinen, alſo auch von den Muſcheln, die Bedeutung der nicht zu den Lungenſchnecken gehörigen Arten für die zu beantwortenden Fragen iſt aber ſehr untergeordnet. Was von der gegenwärtigen Vertheilung dieſer Thiere für Algier gilt, kann ohne Weiteres auf Marokko und Tunis ausgedehnt werden. Wenn man nun die algieriſche Weichthierfauna im Großen überblickt, ſo erkennt man, indem man die Thiere nach ihren Standorten zuſammenfaßt, daß da, wo ſich im Centrum der Regentſchaft Algier die Region der Hochebenen hinzieht, ſich ganze Reihen von Mollusken mit ſchwerer, dicker Schale befinden, mit eigenthümlich beſchaffener Mündung; daß zu beiden Seiten, parallel mit den Hochebenen, ſich zwei Zonen von Weichthieren mit knotigem oder durchſcheinendem Gehäus, wiederum von charakterſtiſcher Form, hinzieht; und daß endlich nicht nur am Rande des Mittelmeeres, ſondern auch am Saume der großen Wüſte im Süden der zweiten Kette des Atlas ſich noch eine Reihe von Geſtade-Schnecken findet, die nämlichen Arten, deren Gehäus man auch an den Ufern der ehemaligen Salzſeen der Hoch- plateaus ſammeln kann, die alſo dort lebten, als jene Seen noch mit Waſſer erfüllt waren. Die Wüſte ſelbſt iſt durch die faſt gänzliche Abweſenheit jetzigen und einſtigen Lebens charakteriſirt. Man durchwandert alſo vom Mittelmeere an eine Zone der Küſten-Fauna, dann eine Berg- und eine Hochplateau-Zone, und im Hinabſteigen zur Wüſte wiederum die Berg- und endlich die Küſten-Zone. Wie oben geſagt, zeichnet ſich die Mehrzahl der Schnecken der Hochebenen durch ihre dicken, ſtarken Schalen, ſowie durch einen ſtarken Mundſaum und einige Höcker oder Zähne in der Mündung aus, und merkwürdiger Weiſe ſind die foſſilen Schnecken, die an denſelben Lokalitäten ſchon zur Tertiärzeit lebten, von derſelben charakteriſtiſchen Beſchaffenheit. Es geht

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/857>, abgerufen am 24.11.2024.