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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Kopffüßer. Zweikiemer. Zehnfüßer.

Bei mehreren, in Gestalt und Lebensweise sich ebenfalls an die eigentlichen Calmars anschließen-
den Gattungen, welche man Haken-Calmars nennen kann, sind die Arme außer den Saug-
näpfen auch noch mit hornigen Haken bewaffnet. Am artenreichsten ist Onychoteuthis, deren
Greifarme allein Haken tragen. Von den zwei im Mittelmeer lebenden Arten hat O. Lichtensteinii
auf jedem Fangarme zwei Reihen von 12 nach allen Seiten beweglichen Haken, deren Stiel von
einer häutigen Scheide umgeben ist. Die Flossen mit dem Körperende haben die Gestalt einer
scharfen Pfeilspitze. Das Vorkommen dieses Thieres zeigt, wie dasjenige so mancher anderen
Arten, daß wir über die eigentlichen Gründe der Ausbreitung noch völlig im Dunkeln sind. Es
scheint sich von dem Sparus boops, einem Brassen, zu nähren und den Zügen desselben zu folgen.
Allein, obgleich dieser Brassen bei Genua sehr häufig ist, wird die Onychoteuthis Lichtensteinii
dort nie gefangen. Jn Nizza hingegen, wo man den Sp. boops vom Februar bis Mai in Netzen
fängt, die man des Nachts in der Nähe der Küste aufstellt, erhält man darin auch die Cephalopode,
welche übrigens nicht genießbar ist.

Diejenigen Haken-Calmars, welche auf den Greifarmen nur Saugnäpfe, auf den anderen
acht Armen aber außerdem Haken besitzen, werden unter der Gattung Enoplotenthis begriffen.

Für das Verständniß einiger vorweltlicher Formen ist das Posthörnchen, Spirula, wichtig.

[Abbildung] Schale des Posthörnchens.
Diese Decapode, welche von den übrigen jetzt lebenden vielfach abweicht,
ist auch durch den Besitz einer zierlichen Schale ausgezeichnet. Diese ist
spiralig in einer Ebene gewunden und besteht aus einer Reihe hinter einander
gelegener Kammern. Durch alle hindurch erstreckt sich an der Bauchseite eine
Röhre, der Sipho, über den wir unten bei den Vierkiemern weiter zu
sprechen haben. Dieses weißliche perlmutterglänzende Gehäus liegt zum
Theil hinten im Mantel versteckt, zum Theil tritt es durch einen Schlitz
desselben hervor.

Man kennt nur drei Arten, darunter eine aus dem atlantischen Ocean.



Wir haben im Vorhergehenden einen höchst wichtigen und merkwürdigen Punkt der Natur-
geschichte der zweikiemigen Armfüßer mit Stillschweigen übergangen, nämlich den Geschlechts-
unterschied. Bei den meisten Cephalopoden ist, wenn man sie nicht sehr genau ansieht, ein wesent-
licher Unterschied zwischen Männchen und Weibchen nicht wahrzunehmen. Daß z. B. das Männchen
der Sepia sich durch die weiße Linie auf den Flossen erkennen läßt, daß die Weibchen der Loliginen
einen längeren Körper haben: solche und ähnliche Dinge waren allerdings immer allgemein bekannt,
allein, daß bei den Männchen immer einer der Arme abweichend von den übrigen gebaut ist
und als Begattungsorgan gebraucht wird, ist auffallender Weise erst eine Entdeckung der Neuzeit.
Nur der große geniale Beobachter Aristoteles, im 4. Jahrhundert vor Christus, hat schon davon
Kunde gehabt (siehe unten); seine kurzen Angaben wurden aber nicht verstanden. Am weitesten
geht die Umwandlung des betreffenden Armes bei Argonauta und einigen octopusartigen Thieren
(Octopus carena und Tremoctopus violaccus); bei dem ersteren ist es der dritte linke, bei den
beiden letzteren der dritte rechte Arm, der nicht in gewöhnlicher Weise wächst, sondern in einer
birnförmigen Blase entsteht, zwar im Allgemeinen den übrigen Armen ähnlich ist, auch Saug-
näpfe trägt, theils aber durch abweichende Stellung derselben, Länge, fadenförmigen Anhang
und besonders durch seinen inneren Bau abweicht. Er füllt sich nämlich mit dem Samen, kommt
durch Platzen der Blase zur Zeit der Reife zum Vorschein, reißt bei der Begattung ab und bleibt,
in die Mantelhöhle des Weibchens gerathend, dort noch längere Zeit in voller Frische und
Beweglichkeit, bis durch ihn erst die eigentliche Begattung und Befruchtung vollzogen ist. Die
scheinbare Selbstständigkeit und Jndividualität dieses Armes ist so täuschend, daß ihn einige der berühm-
testen Naturforscher, darunter Cuvier, für einen Schmarotzerwurm hielten, der den Namen

Kopffüßer. Zweikiemer. Zehnfüßer.

Bei mehreren, in Geſtalt und Lebensweiſe ſich ebenfalls an die eigentlichen Calmars anſchließen-
den Gattungen, welche man Haken-Calmars nennen kann, ſind die Arme außer den Saug-
näpfen auch noch mit hornigen Haken bewaffnet. Am artenreichſten iſt Onychoteuthis, deren
Greifarme allein Haken tragen. Von den zwei im Mittelmeer lebenden Arten hat O. Lichtensteinii
auf jedem Fangarme zwei Reihen von 12 nach allen Seiten beweglichen Haken, deren Stiel von
einer häutigen Scheide umgeben iſt. Die Floſſen mit dem Körperende haben die Geſtalt einer
ſcharfen Pfeilſpitze. Das Vorkommen dieſes Thieres zeigt, wie dasjenige ſo mancher anderen
Arten, daß wir über die eigentlichen Gründe der Ausbreitung noch völlig im Dunkeln ſind. Es
ſcheint ſich von dem Sparus boops, einem Braſſen, zu nähren und den Zügen deſſelben zu folgen.
Allein, obgleich dieſer Braſſen bei Genua ſehr häufig iſt, wird die Onychoteuthis Lichtensteinii
dort nie gefangen. Jn Nizza hingegen, wo man den Sp. boops vom Februar bis Mai in Netzen
fängt, die man des Nachts in der Nähe der Küſte aufſtellt, erhält man darin auch die Cephalopode,
welche übrigens nicht genießbar iſt.

Diejenigen Haken-Calmars, welche auf den Greifarmen nur Saugnäpfe, auf den anderen
acht Armen aber außerdem Haken beſitzen, werden unter der Gattung Enoplotenthis begriffen.

Für das Verſtändniß einiger vorweltlicher Formen iſt das Poſthörnchen, Spirula, wichtig.

[Abbildung] Schale des Poſthörnchens.
Dieſe Decapode, welche von den übrigen jetzt lebenden vielfach abweicht,
iſt auch durch den Beſitz einer zierlichen Schale ausgezeichnet. Dieſe iſt
ſpiralig in einer Ebene gewunden und beſteht aus einer Reihe hinter einander
gelegener Kammern. Durch alle hindurch erſtreckt ſich an der Bauchſeite eine
Röhre, der Sipho, über den wir unten bei den Vierkiemern weiter zu
ſprechen haben. Dieſes weißliche perlmutterglänzende Gehäus liegt zum
Theil hinten im Mantel verſteckt, zum Theil tritt es durch einen Schlitz
deſſelben hervor.

Man kennt nur drei Arten, darunter eine aus dem atlantiſchen Ocean.



Wir haben im Vorhergehenden einen höchſt wichtigen und merkwürdigen Punkt der Natur-
geſchichte der zweikiemigen Armfüßer mit Stillſchweigen übergangen, nämlich den Geſchlechts-
unterſchied. Bei den meiſten Cephalopoden iſt, wenn man ſie nicht ſehr genau anſieht, ein weſent-
licher Unterſchied zwiſchen Männchen und Weibchen nicht wahrzunehmen. Daß z. B. das Männchen
der Sepia ſich durch die weiße Linie auf den Floſſen erkennen läßt, daß die Weibchen der Loliginen
einen längeren Körper haben: ſolche und ähnliche Dinge waren allerdings immer allgemein bekannt,
allein, daß bei den Männchen immer einer der Arme abweichend von den übrigen gebaut iſt
und als Begattungsorgan gebraucht wird, iſt auffallender Weiſe erſt eine Entdeckung der Neuzeit.
Nur der große geniale Beobachter Ariſtoteles, im 4. Jahrhundert vor Chriſtus, hat ſchon davon
Kunde gehabt (ſiehe unten); ſeine kurzen Angaben wurden aber nicht verſtanden. Am weiteſten
geht die Umwandlung des betreffenden Armes bei Argonauta und einigen octopusartigen Thieren
(Octopus carena und Tremoctopus violaccus); bei dem erſteren iſt es der dritte linke, bei den
beiden letzteren der dritte rechte Arm, der nicht in gewöhnlicher Weiſe wächſt, ſondern in einer
birnförmigen Blaſe entſteht, zwar im Allgemeinen den übrigen Armen ähnlich iſt, auch Saug-
näpfe trägt, theils aber durch abweichende Stellung derſelben, Länge, fadenförmigen Anhang
und beſonders durch ſeinen inneren Bau abweicht. Er füllt ſich nämlich mit dem Samen, kommt
durch Platzen der Blaſe zur Zeit der Reife zum Vorſchein, reißt bei der Begattung ab und bleibt,
in die Mantelhöhle des Weibchens gerathend, dort noch längere Zeit in voller Friſche und
Beweglichkeit, bis durch ihn erſt die eigentliche Begattung und Befruchtung vollzogen iſt. Die
ſcheinbare Selbſtſtändigkeit und Jndividualität dieſes Armes iſt ſo täuſchend, daß ihn einige der berühm-
teſten Naturforſcher, darunter Cuvier, für einen Schmarotzerwurm hielten, der den Namen

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[778/0824] Kopffüßer. Zweikiemer. Zehnfüßer. Bei mehreren, in Geſtalt und Lebensweiſe ſich ebenfalls an die eigentlichen Calmars anſchließen- den Gattungen, welche man Haken-Calmars nennen kann, ſind die Arme außer den Saug- näpfen auch noch mit hornigen Haken bewaffnet. Am artenreichſten iſt Onychoteuthis, deren Greifarme allein Haken tragen. Von den zwei im Mittelmeer lebenden Arten hat O. Lichtensteinii auf jedem Fangarme zwei Reihen von 12 nach allen Seiten beweglichen Haken, deren Stiel von einer häutigen Scheide umgeben iſt. Die Floſſen mit dem Körperende haben die Geſtalt einer ſcharfen Pfeilſpitze. Das Vorkommen dieſes Thieres zeigt, wie dasjenige ſo mancher anderen Arten, daß wir über die eigentlichen Gründe der Ausbreitung noch völlig im Dunkeln ſind. Es ſcheint ſich von dem Sparus boops, einem Braſſen, zu nähren und den Zügen deſſelben zu folgen. Allein, obgleich dieſer Braſſen bei Genua ſehr häufig iſt, wird die Onychoteuthis Lichtensteinii dort nie gefangen. Jn Nizza hingegen, wo man den Sp. boops vom Februar bis Mai in Netzen fängt, die man des Nachts in der Nähe der Küſte aufſtellt, erhält man darin auch die Cephalopode, welche übrigens nicht genießbar iſt. Diejenigen Haken-Calmars, welche auf den Greifarmen nur Saugnäpfe, auf den anderen acht Armen aber außerdem Haken beſitzen, werden unter der Gattung Enoplotenthis begriffen. Für das Verſtändniß einiger vorweltlicher Formen iſt das Poſthörnchen, Spirula, wichtig. [Abbildung Schale des Poſthörnchens.] Dieſe Decapode, welche von den übrigen jetzt lebenden vielfach abweicht, iſt auch durch den Beſitz einer zierlichen Schale ausgezeichnet. Dieſe iſt ſpiralig in einer Ebene gewunden und beſteht aus einer Reihe hinter einander gelegener Kammern. Durch alle hindurch erſtreckt ſich an der Bauchſeite eine Röhre, der Sipho, über den wir unten bei den Vierkiemern weiter zu ſprechen haben. Dieſes weißliche perlmutterglänzende Gehäus liegt zum Theil hinten im Mantel verſteckt, zum Theil tritt es durch einen Schlitz deſſelben hervor. Man kennt nur drei Arten, darunter eine aus dem atlantiſchen Ocean. Wir haben im Vorhergehenden einen höchſt wichtigen und merkwürdigen Punkt der Natur- geſchichte der zweikiemigen Armfüßer mit Stillſchweigen übergangen, nämlich den Geſchlechts- unterſchied. Bei den meiſten Cephalopoden iſt, wenn man ſie nicht ſehr genau anſieht, ein weſent- licher Unterſchied zwiſchen Männchen und Weibchen nicht wahrzunehmen. Daß z. B. das Männchen der Sepia ſich durch die weiße Linie auf den Floſſen erkennen läßt, daß die Weibchen der Loliginen einen längeren Körper haben: ſolche und ähnliche Dinge waren allerdings immer allgemein bekannt, allein, daß bei den Männchen immer einer der Arme abweichend von den übrigen gebaut iſt und als Begattungsorgan gebraucht wird, iſt auffallender Weiſe erſt eine Entdeckung der Neuzeit. Nur der große geniale Beobachter Ariſtoteles, im 4. Jahrhundert vor Chriſtus, hat ſchon davon Kunde gehabt (ſiehe unten); ſeine kurzen Angaben wurden aber nicht verſtanden. Am weiteſten geht die Umwandlung des betreffenden Armes bei Argonauta und einigen octopusartigen Thieren (Octopus carena und Tremoctopus violaccus); bei dem erſteren iſt es der dritte linke, bei den beiden letzteren der dritte rechte Arm, der nicht in gewöhnlicher Weiſe wächſt, ſondern in einer birnförmigen Blaſe entſteht, zwar im Allgemeinen den übrigen Armen ähnlich iſt, auch Saug- näpfe trägt, theils aber durch abweichende Stellung derſelben, Länge, fadenförmigen Anhang und beſonders durch ſeinen inneren Bau abweicht. Er füllt ſich nämlich mit dem Samen, kommt durch Platzen der Blaſe zur Zeit der Reife zum Vorſchein, reißt bei der Begattung ab und bleibt, in die Mantelhöhle des Weibchens gerathend, dort noch längere Zeit in voller Friſche und Beweglichkeit, bis durch ihn erſt die eigentliche Begattung und Befruchtung vollzogen iſt. Die ſcheinbare Selbſtſtändigkeit und Jndividualität dieſes Armes iſt ſo täuſchend, daß ihn einige der berühm- teſten Naturforſcher, darunter Cuvier, für einen Schmarotzerwurm hielten, der den Namen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 778. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/824>, abgerufen am 23.11.2024.