Dagegen ist die Vorstellung sehr plausibel, wie eine gelegentlich auf Fischen sich aufhaltende Egel- art zu einem vollkommenen Parasiten werden kann. Man denke sich diesen Egel, der bisher in fischarmen Gewässern lebte und genöthigt war, da und dort auf Brot auszugehn, theilweise in ein höchst fischreiches Gewässer versetzt. Es wird sich eine Varietät bilden, welche so an das faule Leben auf den Fischen sich gewöhnt, daß in ihrem Ernährungs- und Bewegungsorganismus erhebliche und vollkommen erklärbare und vorauszusehende Veränderungen vor sich gehn. Dauert die Jsolirung der Varietät unter den gleichen günstigen Bedingungen fort, während möglicher Weise die Stammart in den fischarmen Gewässern sich mehr und mehr das Schmarotzen hat abgewöhnen müssen, so kann im Laufe der Jahrtausende die anfangs wenig unterschiedene Abart zu einer durch Lebensweise und Bau wohl gekennzeichneten neuen Art, und zwar zunächst zu einem Außenschmarotzer (Eckoparasit) geworden sein. Wer diese einfachen Schlußfolgerungen zugibt -- und etwas Stichhaltiges läßt sich in der That nicht einwerfen -- muß mit unerbitt- licher Konsequenz sämmtliche parasitische Würmer von ursprünglich freien Formen ableiten. Für die systematische Anordnung ergibt sich daraus die bedeutsame Folgerung, daß die frei lebenden Würmer vor den parasitischen zu stehen haben, in dem Sinne nämlich, daß diese von jenen historisch ableitbar sind. Alle Schmarotzer verlieren in Folge ihrer Lebensweise gewisse äußere und innere Vollkommenheiten ihrer frei lebenden Verwandten; ihre Farben werden bleicher oder schwinden ganz, die Bewegungs- oder Sinneswerkzeuge schrumpfen ein oder vergehen, das Nerven- system büßt seine Feinheit ein, der Ernährungsapparat wird einfacher, kurz unter den monotoneren für das Begetiren bequemeren Verhältnissen wird das Leben selbst und der Organismus einfacher, und die niedrigen Organismen sind in diesem Falle nicht die Vorfahren, sondern bilden spätere, abgezweigte Sippen.
Es folgt daraus, daß wir an die Spitze unserer Klasse der Plattwürmer die frei lebenden Strudelwürmer zu stellen haben, welche zwar eines Theils zu den Jnfusorien zurückgreifen, andererseits aber die höchste Entfaltung innerhalb der Klasse zeigen. Auf sie folgen jene "Saug- würmer" genannten Eingeweidewürmer, auf welche außer den Strudelwürmern auch die Gruppe der egelartigen Gliederwürmer leitet. Die Lebensweise vieler ist wenigstens eine halb freie, auch im ausgebildeten Zustande, während bei der dritten Ordnung, den Bandwürmern, der höchste Grad der Rückbildung, Umbildung und Verkümmerung sich geltend macht.
Erste Ordnung. Strudelwürmer (Turbellarii).
Wenn wir die oben an der lappenköpfigen Planarie begonnenen Beobachtungen weiter fort- setzen, sie z. B. frei im Wasser schwimmen lassen, so fällt das regelmäßige stetige Fortgleiten ohne sichtbare Ruderbewegungen auf; nur wenn das Thier Kopf oder Schwanz biegt, vollführt der Körper, wie einem Ruder entsprechend, die Drehung. Das Mikroskop zeigt nun, daß die Planarie über und über mit feinsten Härchen bedeckt ist, deren unausgesetzte schwingende Bewegung den Körper ruhig durch das Wasser gleiten läßt. Jn welcher Weise das Einstellen dieser Fort- bewegung, gleichsam das vor Anker Legen des Schiffes geschieht, ist nicht ganz klar. Jedenfalls erscheint der von Ehrenberg gewählte Name glücklich, welcher an den von dem Thier erregten und dasselbe fortwährend umkreisenden Wasserstrudel erinnert. Daß bei dieser zarten Organisation die Strudelwürmer vorzugsweise im Wasser leben, versteht sich von selbst. Jn stehenden und fließenden Gewässern trifft man sie an. Reichlich im süßen Wasser wohnend kommen sie doch in
Allgemeines.
Dagegen iſt die Vorſtellung ſehr plauſibel, wie eine gelegentlich auf Fiſchen ſich aufhaltende Egel- art zu einem vollkommenen Paraſiten werden kann. Man denke ſich dieſen Egel, der bisher in fiſcharmen Gewäſſern lebte und genöthigt war, da und dort auf Brot auszugehn, theilweiſe in ein höchſt fiſchreiches Gewäſſer verſetzt. Es wird ſich eine Varietät bilden, welche ſo an das faule Leben auf den Fiſchen ſich gewöhnt, daß in ihrem Ernährungs- und Bewegungsorganismus erhebliche und vollkommen erklärbare und vorauszuſehende Veränderungen vor ſich gehn. Dauert die Jſolirung der Varietät unter den gleichen günſtigen Bedingungen fort, während möglicher Weiſe die Stammart in den fiſcharmen Gewäſſern ſich mehr und mehr das Schmarotzen hat abgewöhnen müſſen, ſo kann im Laufe der Jahrtauſende die anfangs wenig unterſchiedene Abart zu einer durch Lebensweiſe und Bau wohl gekennzeichneten neuen Art, und zwar zunächſt zu einem Außenſchmarotzer (Eckoparaſit) geworden ſein. Wer dieſe einfachen Schlußfolgerungen zugibt — und etwas Stichhaltiges läßt ſich in der That nicht einwerfen — muß mit unerbitt- licher Konſequenz ſämmtliche paraſitiſche Würmer von urſprünglich freien Formen ableiten. Für die ſyſtematiſche Anordnung ergibt ſich daraus die bedeutſame Folgerung, daß die frei lebenden Würmer vor den paraſitiſchen zu ſtehen haben, in dem Sinne nämlich, daß dieſe von jenen hiſtoriſch ableitbar ſind. Alle Schmarotzer verlieren in Folge ihrer Lebensweiſe gewiſſe äußere und innere Vollkommenheiten ihrer frei lebenden Verwandten; ihre Farben werden bleicher oder ſchwinden ganz, die Bewegungs- oder Sinneswerkzeuge ſchrumpfen ein oder vergehen, das Nerven- ſyſtem büßt ſeine Feinheit ein, der Ernährungsapparat wird einfacher, kurz unter den monotoneren für das Begetiren bequemeren Verhältniſſen wird das Leben ſelbſt und der Organismus einfacher, und die niedrigen Organismen ſind in dieſem Falle nicht die Vorfahren, ſondern bilden ſpätere, abgezweigte Sippen.
Es folgt daraus, daß wir an die Spitze unſerer Klaſſe der Plattwürmer die frei lebenden Strudelwürmer zu ſtellen haben, welche zwar eines Theils zu den Jnfuſorien zurückgreifen, andererſeits aber die höchſte Entfaltung innerhalb der Klaſſe zeigen. Auf ſie folgen jene „Saug- würmer“ genannten Eingeweidewürmer, auf welche außer den Strudelwürmern auch die Gruppe der egelartigen Gliederwürmer leitet. Die Lebensweiſe vieler iſt wenigſtens eine halb freie, auch im ausgebildeten Zuſtande, während bei der dritten Ordnung, den Bandwürmern, der höchſte Grad der Rückbildung, Umbildung und Verkümmerung ſich geltend macht.
Erſte Ordnung. Strudelwürmer (Turbellarii).
Wenn wir die oben an der lappenköpfigen Planarie begonnenen Beobachtungen weiter fort- ſetzen, ſie z. B. frei im Waſſer ſchwimmen laſſen, ſo fällt das regelmäßige ſtetige Fortgleiten ohne ſichtbare Ruderbewegungen auf; nur wenn das Thier Kopf oder Schwanz biegt, vollführt der Körper, wie einem Ruder entſprechend, die Drehung. Das Mikroſkop zeigt nun, daß die Planarie über und über mit feinſten Härchen bedeckt iſt, deren unausgeſetzte ſchwingende Bewegung den Körper ruhig durch das Waſſer gleiten läßt. Jn welcher Weiſe das Einſtellen dieſer Fort- bewegung, gleichſam das vor Anker Legen des Schiffes geſchieht, iſt nicht ganz klar. Jedenfalls erſcheint der von Ehrenberg gewählte Name glücklich, welcher an den von dem Thier erregten und daſſelbe fortwährend umkreiſenden Waſſerſtrudel erinnert. Daß bei dieſer zarten Organiſation die Strudelwürmer vorzugsweiſe im Waſſer leben, verſteht ſich von ſelbſt. Jn ſtehenden und fließenden Gewäſſern trifft man ſie an. Reichlich im ſüßen Waſſer wohnend kommen ſie doch in
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Allgemeines.
Dagegen iſt die Vorſtellung ſehr plauſibel, wie eine gelegentlich auf Fiſchen ſich aufhaltende Egel-
art zu einem vollkommenen Paraſiten werden kann. Man denke ſich dieſen Egel, der bisher in
fiſcharmen Gewäſſern lebte und genöthigt war, da und dort auf Brot auszugehn, theilweiſe in
ein höchſt fiſchreiches Gewäſſer verſetzt. Es wird ſich eine Varietät bilden, welche ſo an das faule
Leben auf den Fiſchen ſich gewöhnt, daß in ihrem Ernährungs- und Bewegungsorganismus
erhebliche und vollkommen erklärbare und vorauszuſehende Veränderungen vor ſich gehn. Dauert
die Jſolirung der Varietät unter den gleichen günſtigen Bedingungen fort, während möglicher
Weiſe die Stammart in den fiſcharmen Gewäſſern ſich mehr und mehr das Schmarotzen hat
abgewöhnen müſſen, ſo kann im Laufe der Jahrtauſende die anfangs wenig unterſchiedene Abart
zu einer durch Lebensweiſe und Bau wohl gekennzeichneten neuen Art, und zwar zunächſt zu
einem Außenſchmarotzer (Eckoparaſit) geworden ſein. Wer dieſe einfachen Schlußfolgerungen
zugibt — und etwas Stichhaltiges läßt ſich in der That nicht einwerfen — muß mit unerbitt-
licher Konſequenz ſämmtliche paraſitiſche Würmer von urſprünglich freien Formen ableiten. Für
die ſyſtematiſche Anordnung ergibt ſich daraus die bedeutſame Folgerung, daß die frei lebenden
Würmer vor den paraſitiſchen zu ſtehen haben, in dem Sinne nämlich, daß dieſe von jenen
hiſtoriſch ableitbar ſind. Alle Schmarotzer verlieren in Folge ihrer Lebensweiſe gewiſſe äußere
und innere Vollkommenheiten ihrer frei lebenden Verwandten; ihre Farben werden bleicher oder
ſchwinden ganz, die Bewegungs- oder Sinneswerkzeuge ſchrumpfen ein oder vergehen, das Nerven-
ſyſtem büßt ſeine Feinheit ein, der Ernährungsapparat wird einfacher, kurz unter den monotoneren
für das Begetiren bequemeren Verhältniſſen wird das Leben ſelbſt und der Organismus einfacher,
und die niedrigen Organismen ſind in dieſem Falle nicht die Vorfahren, ſondern bilden ſpätere,
abgezweigte Sippen.
Es folgt daraus, daß wir an die Spitze unſerer Klaſſe der Plattwürmer die frei lebenden
Strudelwürmer zu ſtellen haben, welche zwar eines Theils zu den Jnfuſorien zurückgreifen,
andererſeits aber die höchſte Entfaltung innerhalb der Klaſſe zeigen. Auf ſie folgen jene „Saug-
würmer“ genannten Eingeweidewürmer, auf welche außer den Strudelwürmern auch die Gruppe
der egelartigen Gliederwürmer leitet. Die Lebensweiſe vieler iſt wenigſtens eine halb freie, auch
im ausgebildeten Zuſtande, während bei der dritten Ordnung, den Bandwürmern, der höchſte Grad
der Rückbildung, Umbildung und Verkümmerung ſich geltend macht.
Erſte Ordnung.
Strudelwürmer (Turbellarii).
Wenn wir die oben an der lappenköpfigen Planarie begonnenen Beobachtungen weiter fort-
ſetzen, ſie z. B. frei im Waſſer ſchwimmen laſſen, ſo fällt das regelmäßige ſtetige Fortgleiten
ohne ſichtbare Ruderbewegungen auf; nur wenn das Thier Kopf oder Schwanz biegt, vollführt
der Körper, wie einem Ruder entſprechend, die Drehung. Das Mikroſkop zeigt nun, daß die
Planarie über und über mit feinſten Härchen bedeckt iſt, deren unausgeſetzte ſchwingende Bewegung
den Körper ruhig durch das Waſſer gleiten läßt. Jn welcher Weiſe das Einſtellen dieſer Fort-
bewegung, gleichſam das vor Anker Legen des Schiffes geſchieht, iſt nicht ganz klar. Jedenfalls
erſcheint der von Ehrenberg gewählte Name glücklich, welcher an den von dem Thier erregten
und daſſelbe fortwährend umkreiſenden Waſſerſtrudel erinnert. Daß bei dieſer zarten Organiſation
die Strudelwürmer vorzugsweiſe im Waſſer leben, verſteht ſich von ſelbſt. Jn ſtehenden und
fließenden Gewäſſern trifft man ſie an. Reichlich im ſüßen Waſſer wohnend kommen ſie doch in
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 729. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/773>, abgerufen am 20.12.2024.
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