Bei dieser Friedfertigkeit und Bescheidenheit lauert tausendfacher Tod auf die armen Regen- würmer. Unterdrückten kann man sie vergleichen, denen man selbst ihre nächtlichen, geräuschlosen Zusammenkünfte nicht gönnt. "Der Regenwurm", sagt sein Biograph, "gehört zu den Thieren, die den meisten Verfolgungen ausgesetzt sind. Der Mensch vertilgt sie, weil er sie beschuldigt, die jungen Pflanzen unter die Erde zu ziehen. Unter den Vierfüßern sind besonders die Maulwürfe, Spitzmäuse und Jgel auf sie angewiesen. Zahllos ist das Heer von Vögeln, das auf ihre Ver- tilgung bedacht ist, da nicht blos Raub-, Sumpf- und Schwimmvögel, sondern selbst Körner- fresser sie für raren, leckern Fraß halten. Die Kröten, Salamander und Tritonen lauern ihnen des Nachts auf, und die Fische stellen den Flußufer- und Seeschlammbewohnern nach. Noch größer ist die Zahl der niederen Thiere, die auf sie angewiesen sind. Die größeren Laufkäfer findet man beständig des Nachts mit der Vertilgung dieser wehrlosen Thiere beschäftigt, die ihnen und noch mehr ihren Larven eine leichte Beute werden. Jhre erbittertsten Feinde scheinen aber die größeren Arten der Tausendfüßer zu sein. Diesen zu entgehen, sieht man sie oft am hellen Tage aus ihren Löchern entfliehen, von ihrem Feinde gefolgt."
Die Familie der Lumbricinen zerfällt nach der Beschaffenheit des Kopflappens und der Stellung der Borsten in eine Reihe von Gattungen, unter denen Lumbricus allein über zwanzig Arten zählt. Jedoch nur 2 bis 3 Arten, wie Lumbricus anatomicus und agricola sind in Deutschland allgemein verbreitet. L. foetidus, die am schönsten gefärbte Art, mit gelb und roth bandirtem Leibe, liebt die Sandgegenden und findet sich besonders häufig in der Mark unter Lauberde. Der braunrothe, heller bandirte L. puter bewegt sich sehr geschwind unter und im morschen und faulen Holze, der grünliche chloroticus ist bis jetzt nur am Harze im Grunde stehender Gewässer auf thonigen Angern und an den sandigen Ufern von Bächen und Flüssen gesehen worden.
Den höchst schlanken Phreoryctes Menkeanus, einen der seltneren der deutschen Regenwürmer, haben wir erst vor wenigen Jahren durch Leydig genauer kennen gelernt. Er hält sich am liebsten in Brunnen auf, vorzugsweise in Süddeutschland. Jn der Winterzeit scheinen sie sich gleich den in der Erde lebenden Lumbricinen zurückzuziehen, am häufigsten sind sie im Mai und Juni zu haben. "Jm Aquarium, dessen Schlammboden mit Steinen bedeckt ist, hielten sie sich
[Abbildung]
Phreoryctos Monkoanus. (Nat. Größe.)
längere Zeit gut. Meist hatten sie sich unter die Steine zurückgezogen und zwar gerne gesell- schaftlich und in einander gewirrt. Bei kühler Witterung sowie bei Regenwetter blieben sie unter ihren Steinen verborgen, hingegen bei recht warmen Tagen, sowie bei Gewitterluft, krochen sie regelmäßig hervor und unruhig hin und her." Den ganzen Herbst und Winter blieben sie unsichtbar und erst in den wärmeren Märztagen erschienen sie wieder. Da die im Aquarium gehaltenen Valisnerien nach und nach ihrer Wurzeln beraubt wurden, ohne daß ein anderes Thier der Thäter hätte sein können, darf man auf die pflanzliche Nahrung des Phreoryctes schließen. Wegen der dicken Haut und der dünnen Hautmuskelschicht fallen die schlangenförmigen Bewegungen des Thieres etwas steif und ungelenk aus. Die Bemerkung Leydig's, daß das Thier keineswegs blos in Brunnen lebe, sondern auch in seichteren Wassergräben, kann ich damit bestätigen, daß ich es in ziemlicher Anzahl in einem Bassin des botanischen Gartens in Krakau ganz oberflächlich zwischen den Wasserfäden gefunden.
Borſtenwürmer. Regenwurm. Röhrenwürmchen. Naiden.
Bei dieſer Friedfertigkeit und Beſcheidenheit lauert tauſendfacher Tod auf die armen Regen- würmer. Unterdrückten kann man ſie vergleichen, denen man ſelbſt ihre nächtlichen, geräuſchloſen Zuſammenkünfte nicht gönnt. „Der Regenwurm“, ſagt ſein Biograph, „gehört zu den Thieren, die den meiſten Verfolgungen ausgeſetzt ſind. Der Menſch vertilgt ſie, weil er ſie beſchuldigt, die jungen Pflanzen unter die Erde zu ziehen. Unter den Vierfüßern ſind beſonders die Maulwürfe, Spitzmäuſe und Jgel auf ſie angewieſen. Zahllos iſt das Heer von Vögeln, das auf ihre Ver- tilgung bedacht iſt, da nicht blos Raub-, Sumpf- und Schwimmvögel, ſondern ſelbſt Körner- freſſer ſie für raren, leckern Fraß halten. Die Kröten, Salamander und Tritonen lauern ihnen des Nachts auf, und die Fiſche ſtellen den Flußufer- und Seeſchlammbewohnern nach. Noch größer iſt die Zahl der niederen Thiere, die auf ſie angewieſen ſind. Die größeren Laufkäfer findet man beſtändig des Nachts mit der Vertilgung dieſer wehrloſen Thiere beſchäftigt, die ihnen und noch mehr ihren Larven eine leichte Beute werden. Jhre erbittertſten Feinde ſcheinen aber die größeren Arten der Tauſendfüßer zu ſein. Dieſen zu entgehen, ſieht man ſie oft am hellen Tage aus ihren Löchern entfliehen, von ihrem Feinde gefolgt.“
Die Familie der Lumbricinen zerfällt nach der Beſchaffenheit des Kopflappens und der Stellung der Borſten in eine Reihe von Gattungen, unter denen Lumbricus allein über zwanzig Arten zählt. Jedoch nur 2 bis 3 Arten, wie Lumbricus anatomicus und agricola ſind in Deutſchland allgemein verbreitet. L. foetidus, die am ſchönſten gefärbte Art, mit gelb und roth bandirtem Leibe, liebt die Sandgegenden und findet ſich beſonders häufig in der Mark unter Lauberde. Der braunrothe, heller bandirte L. puter bewegt ſich ſehr geſchwind unter und im morſchen und faulen Holze, der grünliche chloroticus iſt bis jetzt nur am Harze im Grunde ſtehender Gewäſſer auf thonigen Angern und an den ſandigen Ufern von Bächen und Flüſſen geſehen worden.
Den höchſt ſchlanken Phreoryctes Menkeanus, einen der ſeltneren der deutſchen Regenwürmer, haben wir erſt vor wenigen Jahren durch Leydig genauer kennen gelernt. Er hält ſich am liebſten in Brunnen auf, vorzugsweiſe in Süddeutſchland. Jn der Winterzeit ſcheinen ſie ſich gleich den in der Erde lebenden Lumbricinen zurückzuziehen, am häufigſten ſind ſie im Mai und Juni zu haben. „Jm Aquarium, deſſen Schlammboden mit Steinen bedeckt iſt, hielten ſie ſich
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Phreoryctos Monkoanus. (Nat. Größe.)
längere Zeit gut. Meiſt hatten ſie ſich unter die Steine zurückgezogen und zwar gerne geſell- ſchaftlich und in einander gewirrt. Bei kühler Witterung ſowie bei Regenwetter blieben ſie unter ihren Steinen verborgen, hingegen bei recht warmen Tagen, ſowie bei Gewitterluft, krochen ſie regelmäßig hervor und unruhig hin und her.“ Den ganzen Herbſt und Winter blieben ſie unſichtbar und erſt in den wärmeren Märztagen erſchienen ſie wieder. Da die im Aquarium gehaltenen Valisnerien nach und nach ihrer Wurzeln beraubt wurden, ohne daß ein anderes Thier der Thäter hätte ſein können, darf man auf die pflanzliche Nahrung des Phreoryctes ſchließen. Wegen der dicken Haut und der dünnen Hautmuskelſchicht fallen die ſchlangenförmigen Bewegungen des Thieres etwas ſteif und ungelenk aus. Die Bemerkung Leydig’s, daß das Thier keineswegs blos in Brunnen lebe, ſondern auch in ſeichteren Waſſergräben, kann ich damit beſtätigen, daß ich es in ziemlicher Anzahl in einem Baſſin des botaniſchen Gartens in Krakau ganz oberflächlich zwiſchen den Waſſerfäden gefunden.
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Borſtenwürmer. Regenwurm. Röhrenwürmchen. Naiden.
Bei dieſer Friedfertigkeit und Beſcheidenheit lauert tauſendfacher Tod auf die armen Regen-
würmer. Unterdrückten kann man ſie vergleichen, denen man ſelbſt ihre nächtlichen, geräuſchloſen
Zuſammenkünfte nicht gönnt. „Der Regenwurm“, ſagt ſein Biograph, „gehört zu den Thieren, die
den meiſten Verfolgungen ausgeſetzt ſind. Der Menſch vertilgt ſie, weil er ſie beſchuldigt, die
jungen Pflanzen unter die Erde zu ziehen. Unter den Vierfüßern ſind beſonders die Maulwürfe,
Spitzmäuſe und Jgel auf ſie angewieſen. Zahllos iſt das Heer von Vögeln, das auf ihre Ver-
tilgung bedacht iſt, da nicht blos Raub-, Sumpf- und Schwimmvögel, ſondern ſelbſt Körner-
freſſer ſie für raren, leckern Fraß halten. Die Kröten, Salamander und Tritonen lauern ihnen
des Nachts auf, und die Fiſche ſtellen den Flußufer- und Seeſchlammbewohnern nach. Noch größer
iſt die Zahl der niederen Thiere, die auf ſie angewieſen ſind. Die größeren Laufkäfer findet man
beſtändig des Nachts mit der Vertilgung dieſer wehrloſen Thiere beſchäftigt, die ihnen und noch
mehr ihren Larven eine leichte Beute werden. Jhre erbittertſten Feinde ſcheinen aber die größeren
Arten der Tauſendfüßer zu ſein. Dieſen zu entgehen, ſieht man ſie oft am hellen Tage aus ihren
Löchern entfliehen, von ihrem Feinde gefolgt.“
Die Familie der Lumbricinen zerfällt nach der Beſchaffenheit des Kopflappens und der Stellung
der Borſten in eine Reihe von Gattungen, unter denen Lumbricus allein über zwanzig Arten
zählt. Jedoch nur 2 bis 3 Arten, wie Lumbricus anatomicus und agricola ſind in Deutſchland
allgemein verbreitet. L. foetidus, die am ſchönſten gefärbte Art, mit gelb und roth bandirtem
Leibe, liebt die Sandgegenden und findet ſich beſonders häufig in der Mark unter Lauberde. Der
braunrothe, heller bandirte L. puter bewegt ſich ſehr geſchwind unter und im morſchen und
faulen Holze, der grünliche chloroticus iſt bis jetzt nur am Harze im Grunde ſtehender Gewäſſer
auf thonigen Angern und an den ſandigen Ufern von Bächen und Flüſſen geſehen worden.
Den höchſt ſchlanken Phreoryctes Menkeanus, einen der ſeltneren der deutſchen Regenwürmer,
haben wir erſt vor wenigen Jahren durch Leydig genauer kennen gelernt. Er hält ſich am
liebſten in Brunnen auf, vorzugsweiſe in Süddeutſchland. Jn der Winterzeit ſcheinen ſie ſich
gleich den in der Erde lebenden Lumbricinen zurückzuziehen, am häufigſten ſind ſie im Mai und
Juni zu haben. „Jm Aquarium, deſſen Schlammboden mit Steinen bedeckt iſt, hielten ſie ſich
[Abbildung Phreoryctos Monkoanus. (Nat. Größe.)]
längere Zeit gut. Meiſt hatten ſie ſich unter die Steine zurückgezogen und zwar gerne geſell-
ſchaftlich und in einander gewirrt. Bei kühler Witterung ſowie bei Regenwetter blieben ſie unter
ihren Steinen verborgen, hingegen bei recht warmen Tagen, ſowie bei Gewitterluft, krochen ſie
regelmäßig hervor und unruhig hin und her.“ Den ganzen Herbſt und Winter blieben ſie
unſichtbar und erſt in den wärmeren Märztagen erſchienen ſie wieder. Da die im Aquarium
gehaltenen Valisnerien nach und nach ihrer Wurzeln beraubt wurden, ohne daß ein anderes Thier
der Thäter hätte ſein können, darf man auf die pflanzliche Nahrung des Phreoryctes ſchließen.
Wegen der dicken Haut und der dünnen Hautmuskelſchicht fallen die ſchlangenförmigen Bewegungen
des Thieres etwas ſteif und ungelenk aus. Die Bemerkung Leydig’s, daß das Thier keineswegs
blos in Brunnen lebe, ſondern auch in ſeichteren Waſſergräben, kann ich damit beſtätigen, daß ich
es in ziemlicher Anzahl in einem Baſſin des botaniſchen Gartens in Krakau ganz oberflächlich
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/740>, abgerufen am 24.11.2024.
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