gedrungen oder unter einem Stückchen Holz versteckt war, vertrug die allerstärkste Annäherung der Flamme, verschwand aber sogleich, sobald er den Kopf erhoben hatte. Versucht man bei Sonnenlicht die Mundtheile eines Wurms zu zeichnen und setzt ihn zu dem Ende in eine Schale mit Wasser, so wird man allzeit finden, daß er stets nach der dem Lichte abgekehrten Seite sich wendet."
Die meisten Regenwürmer füllen ihren weiten Darmkanal ähnlich wie die Sandwürmer, nehmen jedoch nur darum die großen Portionen humusreicher Erde zu sich, um die darin ent- haltenen, in der Zersetzung begriffenen, mineralischen und vegetabilischen Stoffe zu ihrer Nahrung zu verwenden. Von dem Lumbricus agricola, der größten und stärksten Art Deutschlands, welche in üppigem Boden, bei nicht zu starker Dehnung, nicht selten die Länge von einem Fuß bis fünf- zehn Zoll erreicht, sagt unser Gewährsmann: "Die humusreiche Erde genügt ihnen nicht allein; sie suchen nach vermoderten Vegetabilien, und wenn sie deren nicht finden, so präpariren sie sich ihren Fraß, indem sie, was ihnen vorkommt, in ihre Löcher hinunterziehen. Jederman weiß, daß die Strohhalme, Federn, Blätter, Papierstreifen, welche man des Morgens auf den Höfen und in den Gärten in der Erde stecken sieht, als wären sie von Kindern hingepflanzt, während der Nacht von Regenwürmern verschleppt werden. Wenige jedoch werden gesehen haben, wie mit so schwachen Werkzeugen ein Wurm im Stande ist, so große Gegenstände zu überwältigen. Wenn man jedoch den Widerstand erprobt hat, den der Wurm Dem entgegensetzt, der ihn aus dem Loche hervorzuziehen versucht, so wird man sich über die Muskelkraft eines nur aus Muskeln und Haut bestehenden Thieres nicht so sehr verwundern. Ein starker Strohhalm wird in der Mitte gefaßt und so scharf angezogen, daß er zusammenknickt, und so ins Loch hinabgezogen; eine breite Hühner- feder mit der Fahne war ohne Schwierigkeit in ein enges Loch gezerrt; ein an der Spitze gefaßtes grünes Blatt von einer Himbeerstaude wurde abgerissen."
Die Sinnesthätigkeiten des Regenwurmes haben uns veranlaßt, schon auf seine Lebensweise einzugehen. Wir kehren jedoch nochmals zu seinen anatomischen Eigenschaften zurück, welche vielleicht mancher Leser sich von einem befreundeten Arzt oder Naturforscher an einem frischen Thiere erpliciren läßt. Was wir oben über die Blutgefäße gesagt haben, erläutert sich an kleineren, weniger gutgenährten Jndividuen unserer Regenwürmer sehr gut. Mit bloßem Auge sieht man durch die Haut die oben auf dem Darmkanal verlaufende Hauptader und ihren röthlichen Jnhalt durchschimmern. Trotz seines rothen Blutes hat der Regenwurm fast zweitausend Jahre im System unter den "blutlosen" Thieren sigurirt, bis ihm Linne eine Stelle unter den Thieren "mit weißlichem kalten Blute und einem Herzen mit Kammer, aber ohne Vorkammer" einräumte. So will alle Erkenntniß, auch die scheinbar nächstliegende, gezeitigt sein. Jenem Rückengefäß korrespondirt am Bauche ein zweites Hauptgefäß, mit dem ersten durch eine Reihe von Quer- schlingen verbunden. Eine Menge kleiner Adern kann man an einem schnell in starkem Weingeist getödteten und geöffneten, großen Regenwurm aus den Stammgefäßen ihren Ursprung nehmen sehen, um in feinsten Vertheilungen den Körper zu durchtränken und zu ernähren. Die Athmungs- organe kennt man noch nicht mit Sicherheit. Die Regenwürmer und Verwandte sind Zwitter. Nicht alle Gattungen der Lumbricina besitzen den drüsigen Gürtel von weißlicher oder gelblicher Farbe, welcher etwa mit dem 25. bis 29. Ringe anfängt und sich 4 bis 10 Glieder weit erstreckt. Er dient zum gegenseitigen Festhalten während der Begattung.
Der gemeine Regenwurm verlebt den Winter, einzeln oder mit seines Gleichen zu langem Schlafe zusammengeballt, sechs bis acht Fuß unter der Erde. Die Frühlingswärme weckt auch ihn und leckt ihn wieder empor. Er ist des Tages Freund nicht, aber in der Früh- und Abend- dämmerung und bis tief in die Nacht hinein, besonders nach warmem, nicht heftigem Regen, verläßt er seinen Schlupfwinkel, theils um seiner Nahrung nachzugehen, theils um mit einem der Freunde und Nachbarn ein intimes Bündniß zu schließen.
Regenwurm.
gedrungen oder unter einem Stückchen Holz verſteckt war, vertrug die allerſtärkſte Annäherung der Flamme, verſchwand aber ſogleich, ſobald er den Kopf erhoben hatte. Verſucht man bei Sonnenlicht die Mundtheile eines Wurms zu zeichnen und ſetzt ihn zu dem Ende in eine Schale mit Waſſer, ſo wird man allzeit finden, daß er ſtets nach der dem Lichte abgekehrten Seite ſich wendet.“
Die meiſten Regenwürmer füllen ihren weiten Darmkanal ähnlich wie die Sandwürmer, nehmen jedoch nur darum die großen Portionen humusreicher Erde zu ſich, um die darin ent- haltenen, in der Zerſetzung begriffenen, mineraliſchen und vegetabiliſchen Stoffe zu ihrer Nahrung zu verwenden. Von dem Lumbricus agricola, der größten und ſtärkſten Art Deutſchlands, welche in üppigem Boden, bei nicht zu ſtarker Dehnung, nicht ſelten die Länge von einem Fuß bis fünf- zehn Zoll erreicht, ſagt unſer Gewährsmann: „Die humusreiche Erde genügt ihnen nicht allein; ſie ſuchen nach vermoderten Vegetabilien, und wenn ſie deren nicht finden, ſo präpariren ſie ſich ihren Fraß, indem ſie, was ihnen vorkommt, in ihre Löcher hinunterziehen. Jederman weiß, daß die Strohhalme, Federn, Blätter, Papierſtreifen, welche man des Morgens auf den Höfen und in den Gärten in der Erde ſtecken ſieht, als wären ſie von Kindern hingepflanzt, während der Nacht von Regenwürmern verſchleppt werden. Wenige jedoch werden geſehen haben, wie mit ſo ſchwachen Werkzeugen ein Wurm im Stande iſt, ſo große Gegenſtände zu überwältigen. Wenn man jedoch den Widerſtand erprobt hat, den der Wurm Dem entgegenſetzt, der ihn aus dem Loche hervorzuziehen verſucht, ſo wird man ſich über die Muskelkraft eines nur aus Muskeln und Haut beſtehenden Thieres nicht ſo ſehr verwundern. Ein ſtarker Strohhalm wird in der Mitte gefaßt und ſo ſcharf angezogen, daß er zuſammenknickt, und ſo ins Loch hinabgezogen; eine breite Hühner- feder mit der Fahne war ohne Schwierigkeit in ein enges Loch gezerrt; ein an der Spitze gefaßtes grünes Blatt von einer Himbeerſtaude wurde abgeriſſen.“
Die Sinnesthätigkeiten des Regenwurmes haben uns veranlaßt, ſchon auf ſeine Lebensweiſe einzugehen. Wir kehren jedoch nochmals zu ſeinen anatomiſchen Eigenſchaften zurück, welche vielleicht mancher Leſer ſich von einem befreundeten Arzt oder Naturforſcher an einem friſchen Thiere erpliciren läßt. Was wir oben über die Blutgefäße geſagt haben, erläutert ſich an kleineren, weniger gutgenährten Jndividuen unſerer Regenwürmer ſehr gut. Mit bloßem Auge ſieht man durch die Haut die oben auf dem Darmkanal verlaufende Hauptader und ihren röthlichen Jnhalt durchſchimmern. Trotz ſeines rothen Blutes hat der Regenwurm faſt zweitauſend Jahre im Syſtem unter den „blutloſen“ Thieren ſigurirt, bis ihm Linné eine Stelle unter den Thieren „mit weißlichem kalten Blute und einem Herzen mit Kammer, aber ohne Vorkammer“ einräumte. So will alle Erkenntniß, auch die ſcheinbar nächſtliegende, gezeitigt ſein. Jenem Rückengefäß korreſpondirt am Bauche ein zweites Hauptgefäß, mit dem erſten durch eine Reihe von Quer- ſchlingen verbunden. Eine Menge kleiner Adern kann man an einem ſchnell in ſtarkem Weingeiſt getödteten und geöffneten, großen Regenwurm aus den Stammgefäßen ihren Urſprung nehmen ſehen, um in feinſten Vertheilungen den Körper zu durchtränken und zu ernähren. Die Athmungs- organe kennt man noch nicht mit Sicherheit. Die Regenwürmer und Verwandte ſind Zwitter. Nicht alle Gattungen der Lumbricina beſitzen den drüſigen Gürtel von weißlicher oder gelblicher Farbe, welcher etwa mit dem 25. bis 29. Ringe anfängt und ſich 4 bis 10 Glieder weit erſtreckt. Er dient zum gegenſeitigen Feſthalten während der Begattung.
Der gemeine Regenwurm verlebt den Winter, einzeln oder mit ſeines Gleichen zu langem Schlafe zuſammengeballt, ſechs bis acht Fuß unter der Erde. Die Frühlingswärme weckt auch ihn und leckt ihn wieder empor. Er iſt des Tages Freund nicht, aber in der Früh- und Abend- dämmerung und bis tief in die Nacht hinein, beſonders nach warmem, nicht heftigem Regen, verläßt er ſeinen Schlupfwinkel, theils um ſeiner Nahrung nachzugehen, theils um mit einem der Freunde und Nachbarn ein intimes Bündniß zu ſchließen.
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Regenwurm.
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der Flamme, verſchwand aber ſogleich, ſobald er den Kopf erhoben hatte. Verſucht man bei
Sonnenlicht die Mundtheile eines Wurms zu zeichnen und ſetzt ihn zu dem Ende in eine Schale
mit Waſſer, ſo wird man allzeit finden, daß er ſtets nach der dem Lichte abgekehrten Seite
ſich wendet.“
Die meiſten Regenwürmer füllen ihren weiten Darmkanal ähnlich wie die Sandwürmer,
nehmen jedoch nur darum die großen Portionen humusreicher Erde zu ſich, um die darin ent-
haltenen, in der Zerſetzung begriffenen, mineraliſchen und vegetabiliſchen Stoffe zu ihrer Nahrung
zu verwenden. Von dem Lumbricus agricola, der größten und ſtärkſten Art Deutſchlands, welche
in üppigem Boden, bei nicht zu ſtarker Dehnung, nicht ſelten die Länge von einem Fuß bis fünf-
zehn Zoll erreicht, ſagt unſer Gewährsmann: „Die humusreiche Erde genügt ihnen nicht allein;
ſie ſuchen nach vermoderten Vegetabilien, und wenn ſie deren nicht finden, ſo präpariren ſie ſich
ihren Fraß, indem ſie, was ihnen vorkommt, in ihre Löcher hinunterziehen. Jederman weiß, daß
die Strohhalme, Federn, Blätter, Papierſtreifen, welche man des Morgens auf den Höfen und
in den Gärten in der Erde ſtecken ſieht, als wären ſie von Kindern hingepflanzt, während der
Nacht von Regenwürmern verſchleppt werden. Wenige jedoch werden geſehen haben, wie mit ſo
ſchwachen Werkzeugen ein Wurm im Stande iſt, ſo große Gegenſtände zu überwältigen. Wenn
man jedoch den Widerſtand erprobt hat, den der Wurm Dem entgegenſetzt, der ihn aus dem Loche
hervorzuziehen verſucht, ſo wird man ſich über die Muskelkraft eines nur aus Muskeln und Haut
beſtehenden Thieres nicht ſo ſehr verwundern. Ein ſtarker Strohhalm wird in der Mitte gefaßt
und ſo ſcharf angezogen, daß er zuſammenknickt, und ſo ins Loch hinabgezogen; eine breite Hühner-
feder mit der Fahne war ohne Schwierigkeit in ein enges Loch gezerrt; ein an der Spitze gefaßtes
grünes Blatt von einer Himbeerſtaude wurde abgeriſſen.“
Die Sinnesthätigkeiten des Regenwurmes haben uns veranlaßt, ſchon auf ſeine Lebensweiſe
einzugehen. Wir kehren jedoch nochmals zu ſeinen anatomiſchen Eigenſchaften zurück, welche
vielleicht mancher Leſer ſich von einem befreundeten Arzt oder Naturforſcher an einem friſchen
Thiere erpliciren läßt. Was wir oben über die Blutgefäße geſagt haben, erläutert ſich an kleineren,
weniger gutgenährten Jndividuen unſerer Regenwürmer ſehr gut. Mit bloßem Auge ſieht man
durch die Haut die oben auf dem Darmkanal verlaufende Hauptader und ihren röthlichen Jnhalt
durchſchimmern. Trotz ſeines rothen Blutes hat der Regenwurm faſt zweitauſend Jahre im Syſtem
unter den „blutloſen“ Thieren ſigurirt, bis ihm Linné eine Stelle unter den Thieren „mit
weißlichem kalten Blute und einem Herzen mit Kammer, aber ohne Vorkammer“ einräumte. So
will alle Erkenntniß, auch die ſcheinbar nächſtliegende, gezeitigt ſein. Jenem Rückengefäß
korreſpondirt am Bauche ein zweites Hauptgefäß, mit dem erſten durch eine Reihe von Quer-
ſchlingen verbunden. Eine Menge kleiner Adern kann man an einem ſchnell in ſtarkem Weingeiſt
getödteten und geöffneten, großen Regenwurm aus den Stammgefäßen ihren Urſprung nehmen
ſehen, um in feinſten Vertheilungen den Körper zu durchtränken und zu ernähren. Die Athmungs-
organe kennt man noch nicht mit Sicherheit. Die Regenwürmer und Verwandte ſind Zwitter.
Nicht alle Gattungen der Lumbricina beſitzen den drüſigen Gürtel von weißlicher oder gelblicher
Farbe, welcher etwa mit dem 25. bis 29. Ringe anfängt und ſich 4 bis 10 Glieder weit erſtreckt.
Er dient zum gegenſeitigen Feſthalten während der Begattung.
Der gemeine Regenwurm verlebt den Winter, einzeln oder mit ſeines Gleichen zu langem
Schlafe zuſammengeballt, ſechs bis acht Fuß unter der Erde. Die Frühlingswärme weckt auch
ihn und leckt ihn wieder empor. Er iſt des Tages Freund nicht, aber in der Früh- und Abend-
dämmerung und bis tief in die Nacht hinein, beſonders nach warmem, nicht heftigem Regen,
verläßt er ſeinen Schlupfwinkel, theils um ſeiner Nahrung nachzugehen, theils um mit einem der
Freunde und Nachbarn ein intimes Bündniß zu ſchließen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/739>, abgerufen am 24.11.2024.
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