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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Allgemeines über die Würmer.
eigentliche Entfaltung aber im Meere erhalten haben, so erscheint der unmittelbare Anschluß an
die Gliederthiere natürlich. Cuvier und Alle, welche ihm in diesem Punkte seiner Systematik
folgten, waren im Recht. Diese Gliederwürmer stehen aber in einem so unmittelbaren, untrenn-
baren Zusammenhange mit allen übrigen, nicht gegliederten, welche theilweise die Spuren einer
niederen Organisation an sich tragen, daß in jenem Falle auch diese letzteren konsequenter Weise
mit den Gliederwürmern und durch sie mit den höchsten Gliederthieren in eine Reihe zu bringen
sind. Zu diesem Schritte konnten sich die meisten Zoologen nicht entschließen. Sobald man sich
indeß die in allen größeren Abtheilungen des Thierreiches zu machende Wahrnehmung vorhält,
daß die Reihen von niedriger organisirten Wesen zu vollkommeneren aufsteigen, und ferner, daß die
neueren Grundsätze und Theorien in der Wissenschaft diese Ungleichheit verlangen und mit Erfolg
erklären, so ist die innere Einheit einer Thierreihe, welche mit völlig ungegliederten Wesen
beginnt, mit den gegliederten Würmern einen neuen Charakter annimmt und mit den höchst aus-
gebildeten Jnsekten diesen neuen Charakter und die ganze Erscheinung abschließt, eine Nothwendig-
keit, welche auch in der Systematik ihren Ausdruck finden soll. Es müßte eigentlich für die
Würmer und Gliederthiere in ihrer Zusammengehörigkeit ein neuer gemeinschaftlicher Name
erfunden werden.

Jst man nun dieser Einheit eingedenk, so ist es jedenfalls erlaubt und der Uebersichtlichkeit
halber zweckmäßig, neben den eigentlichen Gliederthieren einen Kreis oder Typus der Würmer
bestehen zu lassen und für denselben einige charakteristische Merkmale hervorzusuchen.

Mit dem Worte Wurm verbindet Jedermann die Vorstellung eines seitlich symmetrischen,
mehr oder weniger gestreckten Körpers, welcher bald walzenförmig ist, wie beim Regenwurm, bald
eine ausgeprägtere, plattere Bauchseite hat, wie beim Egel, bald völlig platt ist, wie wir an den
Bandwurmgliedern sehen. Jm Allgemeinen sind die Hautbedeckungen von weicher Beschaffen-
heit, und sehr allgemein sind wenigstens in einer gewissen Lebensperiode gewisse Stellen der Ober-
fläche mit Flimmerhärchen versehen. Der Mangel dieser mikroskopischen Organe bei allen Jnsekten,
Spinnen, Tausendsüßern und Krebsen gegenüber den so reichlich damit ausgestatteten Würmern ist
sehr bemerkenswerth. Unmittelbar mit der Haut pflegt ein zusammenhängender Schlauch sich der
Quere und Länge nach kreuzender Muskeln verbunden zu sein. Die Zusammenziehungen des
Körpers, die schlängelnden Schwimmbewegungen, die Bewegungen einzelner Körperabschnitte, z. B.
der Hautstummeln, auf denen die Borsten stehen, werden von diesem Hautmuskelschlauche und
seinen Theilen besorgt, und es beruht die Möglichkeit dieser Bewegungen darin, daß nicht, wie
bei den Gliederthieren, die Hautbedeckungen zu einem Skelet verhornen. Daß ein Wurm keine
Beine hat, mit diesem wichtigen Charakter ist auch der Laie befreundet. Jn Abwesenheit derselben
schlängelt eben der Körper, einige Würmer mit horizontalen Wellenbiegungen, gleich den Schlangen,
andere, z. B. die Egel mit vertikalen. Auch bedienen sich viele Würmer beim Kriechen stummel-
artiger Hervorragungen der Haut und des Hautmuskelschlauches, in welche einzelne Borsten oder
ganze Borstenbündel eingepflanzt sind. Endlich treten Saugnäpfe als Hülfsbewegungsorgane bei
parasitischen und freilebenden Würmern auf.

Wenn der Wurmkörper eine Gliederung zeigt, ist dieselbe von der der ächten Gliederthiere
dadurch wesentlich verschieden, daß diese Glieder gleichförmig (homonom) sind. Die anfänglich
bei den Gliederthieren als gleichförmig auftretenden Segmente sind im fertigen Thiere sehr ver-
schieden ausgebildet, nach dem Princip der Arbeitstheilung. Die niedrigere Stellung selbst des
gegliederten Wurmes offenbart sich in der nicht oder weniger durchgeführten Arbeitstheilung und
damit verbundenen Gleichförmigkeit der Körperglieder. Beim Jnsekt folgen hinter dem Kopf die
Brustsegmente, welche vorzugsweise die mächtigen Bein- und Flügelmuskeln beherbergen, und
dann kommen jene Leibesglieder, in welchen der größte Theil des Darmkanals und die Fort-
pflanzungsorgane ihren Platz finden. Zu dieser scharf ausgesprochenen Trennung in verschiedene

Allgemeines über die Würmer.
eigentliche Entfaltung aber im Meere erhalten haben, ſo erſcheint der unmittelbare Anſchluß an
die Gliederthiere natürlich. Cuvier und Alle, welche ihm in dieſem Punkte ſeiner Syſtematik
folgten, waren im Recht. Dieſe Gliederwürmer ſtehen aber in einem ſo unmittelbaren, untrenn-
baren Zuſammenhange mit allen übrigen, nicht gegliederten, welche theilweiſe die Spuren einer
niederen Organiſation an ſich tragen, daß in jenem Falle auch dieſe letzteren konſequenter Weiſe
mit den Gliederwürmern und durch ſie mit den höchſten Gliederthieren in eine Reihe zu bringen
ſind. Zu dieſem Schritte konnten ſich die meiſten Zoologen nicht entſchließen. Sobald man ſich
indeß die in allen größeren Abtheilungen des Thierreiches zu machende Wahrnehmung vorhält,
daß die Reihen von niedriger organiſirten Weſen zu vollkommeneren aufſteigen, und ferner, daß die
neueren Grundſätze und Theorien in der Wiſſenſchaft dieſe Ungleichheit verlangen und mit Erfolg
erklären, ſo iſt die innere Einheit einer Thierreihe, welche mit völlig ungegliederten Weſen
beginnt, mit den gegliederten Würmern einen neuen Charakter annimmt und mit den höchſt aus-
gebildeten Jnſekten dieſen neuen Charakter und die ganze Erſcheinung abſchließt, eine Nothwendig-
keit, welche auch in der Syſtematik ihren Ausdruck finden ſoll. Es müßte eigentlich für die
Würmer und Gliederthiere in ihrer Zuſammengehörigkeit ein neuer gemeinſchaftlicher Name
erfunden werden.

Jſt man nun dieſer Einheit eingedenk, ſo iſt es jedenfalls erlaubt und der Ueberſichtlichkeit
halber zweckmäßig, neben den eigentlichen Gliederthieren einen Kreis oder Typus der Würmer
beſtehen zu laſſen und für denſelben einige charakteriſtiſche Merkmale hervorzuſuchen.

Mit dem Worte Wurm verbindet Jedermann die Vorſtellung eines ſeitlich ſymmetriſchen,
mehr oder weniger geſtreckten Körpers, welcher bald walzenförmig iſt, wie beim Regenwurm, bald
eine ausgeprägtere, plattere Bauchſeite hat, wie beim Egel, bald völlig platt iſt, wie wir an den
Bandwurmgliedern ſehen. Jm Allgemeinen ſind die Hautbedeckungen von weicher Beſchaffen-
heit, und ſehr allgemein ſind wenigſtens in einer gewiſſen Lebensperiode gewiſſe Stellen der Ober-
fläche mit Flimmerhärchen verſehen. Der Mangel dieſer mikroſkopiſchen Organe bei allen Jnſekten,
Spinnen, Tauſendſüßern und Krebſen gegenüber den ſo reichlich damit ausgeſtatteten Würmern iſt
ſehr bemerkenswerth. Unmittelbar mit der Haut pflegt ein zuſammenhängender Schlauch ſich der
Quere und Länge nach kreuzender Muskeln verbunden zu ſein. Die Zuſammenziehungen des
Körpers, die ſchlängelnden Schwimmbewegungen, die Bewegungen einzelner Körperabſchnitte, z. B.
der Hautſtummeln, auf denen die Borſten ſtehen, werden von dieſem Hautmuskelſchlauche und
ſeinen Theilen beſorgt, und es beruht die Möglichkeit dieſer Bewegungen darin, daß nicht, wie
bei den Gliederthieren, die Hautbedeckungen zu einem Skelet verhornen. Daß ein Wurm keine
Beine hat, mit dieſem wichtigen Charakter iſt auch der Laie befreundet. Jn Abweſenheit derſelben
ſchlängelt eben der Körper, einige Würmer mit horizontalen Wellenbiegungen, gleich den Schlangen,
andere, z. B. die Egel mit vertikalen. Auch bedienen ſich viele Würmer beim Kriechen ſtummel-
artiger Hervorragungen der Haut und des Hautmuskelſchlauches, in welche einzelne Borſten oder
ganze Borſtenbündel eingepflanzt ſind. Endlich treten Saugnäpfe als Hülfsbewegungsorgane bei
paraſitiſchen und freilebenden Würmern auf.

Wenn der Wurmkörper eine Gliederung zeigt, iſt dieſelbe von der der ächten Gliederthiere
dadurch weſentlich verſchieden, daß dieſe Glieder gleichförmig (homonom) ſind. Die anfänglich
bei den Gliederthieren als gleichförmig auftretenden Segmente ſind im fertigen Thiere ſehr ver-
ſchieden ausgebildet, nach dem Princip der Arbeitstheilung. Die niedrigere Stellung ſelbſt des
gegliederten Wurmes offenbart ſich in der nicht oder weniger durchgeführten Arbeitstheilung und
damit verbundenen Gleichförmigkeit der Körperglieder. Beim Jnſekt folgen hinter dem Kopf die
Bruſtſegmente, welche vorzugsweiſe die mächtigen Bein- und Flügelmuskeln beherbergen, und
dann kommen jene Leibesglieder, in welchen der größte Theil des Darmkanals und die Fort-
pflanzungsorgane ihren Platz finden. Zu dieſer ſcharf ausgeſprochenen Trennung in verſchiedene

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[679/0723] Allgemeines über die Würmer. eigentliche Entfaltung aber im Meere erhalten haben, ſo erſcheint der unmittelbare Anſchluß an die Gliederthiere natürlich. Cuvier und Alle, welche ihm in dieſem Punkte ſeiner Syſtematik folgten, waren im Recht. Dieſe Gliederwürmer ſtehen aber in einem ſo unmittelbaren, untrenn- baren Zuſammenhange mit allen übrigen, nicht gegliederten, welche theilweiſe die Spuren einer niederen Organiſation an ſich tragen, daß in jenem Falle auch dieſe letzteren konſequenter Weiſe mit den Gliederwürmern und durch ſie mit den höchſten Gliederthieren in eine Reihe zu bringen ſind. Zu dieſem Schritte konnten ſich die meiſten Zoologen nicht entſchließen. Sobald man ſich indeß die in allen größeren Abtheilungen des Thierreiches zu machende Wahrnehmung vorhält, daß die Reihen von niedriger organiſirten Weſen zu vollkommeneren aufſteigen, und ferner, daß die neueren Grundſätze und Theorien in der Wiſſenſchaft dieſe Ungleichheit verlangen und mit Erfolg erklären, ſo iſt die innere Einheit einer Thierreihe, welche mit völlig ungegliederten Weſen beginnt, mit den gegliederten Würmern einen neuen Charakter annimmt und mit den höchſt aus- gebildeten Jnſekten dieſen neuen Charakter und die ganze Erſcheinung abſchließt, eine Nothwendig- keit, welche auch in der Syſtematik ihren Ausdruck finden ſoll. Es müßte eigentlich für die Würmer und Gliederthiere in ihrer Zuſammengehörigkeit ein neuer gemeinſchaftlicher Name erfunden werden. Jſt man nun dieſer Einheit eingedenk, ſo iſt es jedenfalls erlaubt und der Ueberſichtlichkeit halber zweckmäßig, neben den eigentlichen Gliederthieren einen Kreis oder Typus der Würmer beſtehen zu laſſen und für denſelben einige charakteriſtiſche Merkmale hervorzuſuchen. Mit dem Worte Wurm verbindet Jedermann die Vorſtellung eines ſeitlich ſymmetriſchen, mehr oder weniger geſtreckten Körpers, welcher bald walzenförmig iſt, wie beim Regenwurm, bald eine ausgeprägtere, plattere Bauchſeite hat, wie beim Egel, bald völlig platt iſt, wie wir an den Bandwurmgliedern ſehen. Jm Allgemeinen ſind die Hautbedeckungen von weicher Beſchaffen- heit, und ſehr allgemein ſind wenigſtens in einer gewiſſen Lebensperiode gewiſſe Stellen der Ober- fläche mit Flimmerhärchen verſehen. Der Mangel dieſer mikroſkopiſchen Organe bei allen Jnſekten, Spinnen, Tauſendſüßern und Krebſen gegenüber den ſo reichlich damit ausgeſtatteten Würmern iſt ſehr bemerkenswerth. Unmittelbar mit der Haut pflegt ein zuſammenhängender Schlauch ſich der Quere und Länge nach kreuzender Muskeln verbunden zu ſein. Die Zuſammenziehungen des Körpers, die ſchlängelnden Schwimmbewegungen, die Bewegungen einzelner Körperabſchnitte, z. B. der Hautſtummeln, auf denen die Borſten ſtehen, werden von dieſem Hautmuskelſchlauche und ſeinen Theilen beſorgt, und es beruht die Möglichkeit dieſer Bewegungen darin, daß nicht, wie bei den Gliederthieren, die Hautbedeckungen zu einem Skelet verhornen. Daß ein Wurm keine Beine hat, mit dieſem wichtigen Charakter iſt auch der Laie befreundet. Jn Abweſenheit derſelben ſchlängelt eben der Körper, einige Würmer mit horizontalen Wellenbiegungen, gleich den Schlangen, andere, z. B. die Egel mit vertikalen. Auch bedienen ſich viele Würmer beim Kriechen ſtummel- artiger Hervorragungen der Haut und des Hautmuskelſchlauches, in welche einzelne Borſten oder ganze Borſtenbündel eingepflanzt ſind. Endlich treten Saugnäpfe als Hülfsbewegungsorgane bei paraſitiſchen und freilebenden Würmern auf. Wenn der Wurmkörper eine Gliederung zeigt, iſt dieſelbe von der der ächten Gliederthiere dadurch weſentlich verſchieden, daß dieſe Glieder gleichförmig (homonom) ſind. Die anfänglich bei den Gliederthieren als gleichförmig auftretenden Segmente ſind im fertigen Thiere ſehr ver- ſchieden ausgebildet, nach dem Princip der Arbeitstheilung. Die niedrigere Stellung ſelbſt des gegliederten Wurmes offenbart ſich in der nicht oder weniger durchgeführten Arbeitstheilung und damit verbundenen Gleichförmigkeit der Körperglieder. Beim Jnſekt folgen hinter dem Kopf die Bruſtſegmente, welche vorzugsweiſe die mächtigen Bein- und Flügelmuskeln beherbergen, und dann kommen jene Leibesglieder, in welchen der größte Theil des Darmkanals und die Fort- pflanzungsorgane ihren Platz finden. Zu dieſer ſcharf ausgeſprochenen Trennung in verſchiedene

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/723>, abgerufen am 24.11.2024.