hier etwa in demselben Abstande den straff angezogenen Faden; er wird als der äußerste und wichtigste verdoppelt und verdreifacht, und durch fortwährendes Hin- und Hergehen auf den Fäden entstehen dicht daneben bis nach dem Winkel hin gleichlaufende immer kürzer werdende, die alle in derselben Weise wie der erste an den beiden Wänden ihre Anheftungspunkte erhalten. Zu diesem "Zettel" fügt die Spinne durch Querfäden den "Einschlag" und das in der Mitte etwas eingesenkte Fangnetz ist fertig, aber der ganze Bau noch nicht vollendet. Für sich selbst webt sie nun noch hinten im Winkel ein beiderseits offenes Rohr, an welchem, wie an einem kurzen Stiele der zuerst angelegte dreieckige Zipfel sitzt. Da sie am liebsten solche Stellen wählt, wo Löcher und Risse in der Mauer vorkommen, so mündet das Rohr in eine solche Vertiefung, in welche sich die Spinne bei herannahender Gefahr zurückzieht. Vorn in dieser Röhre lauert sie auf die Beute, ergreift sofort die ins Netz gerathene Fliege oder Mücke, schleppt sie mit sich und verzehrt sie gemächlich in ihrem Hinterhalte.
Es wurde bereits oben bemerkt, daß jede Spinne mit ihrem Spinnstosse sparsam sein muß, weil seine Erzeugung von ihrer Ernährung abhängt und eine verhungerte weniger besitzt, als eine seiste, wohlgenährte; darum wird sie also auch nicht arbeiten, wenn Sturm und Regen ihre Arbeit sofort wieder zerstören könnten und unnütz erscheinen ließen. Hieraus folgt weiter, daß ihr die Natur ein feines Vorgefühl für das Wetter verliehen habe müsse. Daher hat man die Spinnen als Wetterpropheten bezeichnet und nach ihrer Thätigkeit oder Ruhe, ihrem Hervorkommen und Zurückziehen, und ihrer Stellung im Neste überhaupt, nach der größern oder geringeren Menge der Grundfäden bei Anlage desselben, nach dem Baue neuer oder der Vergrößerung schon fertiger Gewebe u. dergl. besondere Regeln für die muthmaßliche Witterung aufgestellt. Jedenfalls sind die Spinnen gegen Aenderung im Gleichgewicht der Luft, gegen Aenderungen in den Strömungen derselben empfindlich und zeigen diesen Wechsel, mit welchem sich sehr häufig auch das Wetter ändert, auf 6 bis 8 Stunden vor dem wirklichen Eintritte an. Vorzugsweise haben sich die angestellten Beobachtungen auf die Kreuzspinne und die eben besprochene Art bezogen. Zerreißt die Kreuzspinne die Grundfäden ihres Rades nach einer bestimmten Nichtung hin und verbirgt sich dann, kriechen die Hausspinnen oder Trichterspinnen etc. tief in ihre Röhre und drehen die Hinterleibsspitze nach einer bestimmten Seite: dann ist auf bald eintretenden heftigen Wind aus jener Gegend zu rechnen. Befestigt erstere aber die Fäden des Rahmens wieder und nimmt eine wartende Stellung ein, kommen letztere mit vorwärts gerichtetem Kopfende zum Eingange der Röhre und strecken die Beine, wie zum Fange gerüstet, daraus hervor: so kann man die Rückkehr des Ruhestandes in der Atmosphäre annehmen. Von mancher Seite war den Spinnen eine zu übertriebene Prophetengabe beigelegt worden, weshalb man sie ihnen von anderer Seite gänzlich absprach. Da geschah es im Jahre 1794, daß sich ihr alter Ruhm, der schon verloren zu gehen schien, durch folgenden Vorfall von Neuem befestigte. Der Führer der französischen Revolutions- armee, Pichegru, war der Ueberzeugung, daß gegen das unter Wasser gesetzte Holland nichts aus- zurichten sei, und bereits im Begriff, unverrichteter Sache umzukehren. Jn dieser bedenklichen Lage ließ ihm der von den Holländern gefangen gehaltene Generaladjutant Quatremere-d'Isjonval aus dem Gefängnisse zu Utrecht die Nachricht zukommen, daß die Spinnen ihm eine binnen zehn Tagen sicher eintretende Kälte prophezeiten. Pichegru harrte aus, die Kälte trat ein, und unaufhaltsam draug die Armee auf dem Eise nach Amsterdam vor. Der befreite Verkündiger der wichtigen Kundgebungen seitens der Spinnen aber wurde im Triumphe nach Paris geführt.
Entschieden war es eine Hausspinne oder eine ihr verwandte Art, welche der unglückliche Christian II. von Dänemark im Kerker zähmte, wie sie umgekehrt nicht wenig dazu beitrug, die Leidenschaften des Tyrannen zu zügeln. Sie kannte seine Stimme und kam stets herbei, wenn er sie lockte und etwas für sie hatte. Wer ist nun wohl verabschenungswürdiger, diese Spinne, welche einem Unglücklichen noch einiges Vergnügen bereiten kann, oder der Kerkermeister, von welchem berichtet wird, daß er sie getödtet habe, nachdem er ihre Freundschaft mit dem Gefangenen
Hausſpinne.
hier etwa in demſelben Abſtande den ſtraff angezogenen Faden; er wird als der äußerſte und wichtigſte verdoppelt und verdreifacht, und durch fortwährendes Hin- und Hergehen auf den Fäden entſtehen dicht daneben bis nach dem Winkel hin gleichlaufende immer kürzer werdende, die alle in derſelben Weiſe wie der erſte an den beiden Wänden ihre Anheftungspunkte erhalten. Zu dieſem „Zettel“ fügt die Spinne durch Querfäden den „Einſchlag“ und das in der Mitte etwas eingeſenkte Fangnetz iſt fertig, aber der ganze Bau noch nicht vollendet. Für ſich ſelbſt webt ſie nun noch hinten im Winkel ein beiderſeits offenes Rohr, an welchem, wie an einem kurzen Stiele der zuerſt angelegte dreieckige Zipfel ſitzt. Da ſie am liebſten ſolche Stellen wählt, wo Löcher und Riſſe in der Mauer vorkommen, ſo mündet das Rohr in eine ſolche Vertiefung, in welche ſich die Spinne bei herannahender Gefahr zurückzieht. Vorn in dieſer Röhre lauert ſie auf die Beute, ergreift ſofort die ins Netz gerathene Fliege oder Mücke, ſchleppt ſie mit ſich und verzehrt ſie gemächlich in ihrem Hinterhalte.
Es wurde bereits oben bemerkt, daß jede Spinne mit ihrem Spinnſtoſſe ſparſam ſein muß, weil ſeine Erzeugung von ihrer Ernährung abhängt und eine verhungerte weniger beſitzt, als eine ſeiſte, wohlgenährte; darum wird ſie alſo auch nicht arbeiten, wenn Sturm und Regen ihre Arbeit ſofort wieder zerſtören könnten und unnütz erſcheinen ließen. Hieraus folgt weiter, daß ihr die Natur ein feines Vorgefühl für das Wetter verliehen habe müſſe. Daher hat man die Spinnen als Wetterpropheten bezeichnet und nach ihrer Thätigkeit oder Ruhe, ihrem Hervorkommen und Zurückziehen, und ihrer Stellung im Neſte überhaupt, nach der größern oder geringeren Menge der Grundfäden bei Anlage deſſelben, nach dem Baue neuer oder der Vergrößerung ſchon fertiger Gewebe u. dergl. beſondere Regeln für die muthmaßliche Witterung aufgeſtellt. Jedenfalls ſind die Spinnen gegen Aenderung im Gleichgewicht der Luft, gegen Aenderungen in den Strömungen derſelben empfindlich und zeigen dieſen Wechſel, mit welchem ſich ſehr häufig auch das Wetter ändert, auf 6 bis 8 Stunden vor dem wirklichen Eintritte an. Vorzugsweiſe haben ſich die angeſtellten Beobachtungen auf die Kreuzſpinne und die eben beſprochene Art bezogen. Zerreißt die Kreuzſpinne die Grundfäden ihres Rades nach einer beſtimmten Nichtung hin und verbirgt ſich dann, kriechen die Hausſpinnen oder Trichterſpinnen ꝛc. tief in ihre Röhre und drehen die Hinterleibsſpitze nach einer beſtimmten Seite: dann iſt auf bald eintretenden heftigen Wind aus jener Gegend zu rechnen. Befeſtigt erſtere aber die Fäden des Rahmens wieder und nimmt eine wartende Stellung ein, kommen letztere mit vorwärts gerichtetem Kopfende zum Eingange der Röhre und ſtrecken die Beine, wie zum Fange gerüſtet, daraus hervor: ſo kann man die Rückkehr des Ruheſtandes in der Atmoſphäre annehmen. Von mancher Seite war den Spinnen eine zu übertriebene Prophetengabe beigelegt worden, weshalb man ſie ihnen von anderer Seite gänzlich abſprach. Da geſchah es im Jahre 1794, daß ſich ihr alter Ruhm, der ſchon verloren zu gehen ſchien, durch folgenden Vorfall von Neuem befeſtigte. Der Führer der franzöſiſchen Revolutions- armee, Pichegru, war der Ueberzeugung, daß gegen das unter Waſſer geſetzte Holland nichts aus- zurichten ſei, und bereits im Begriff, unverrichteter Sache umzukehren. Jn dieſer bedenklichen Lage ließ ihm der von den Holländern gefangen gehaltene Generaladjutant Quatremère-d’Isjonval aus dem Gefängniſſe zu Utrecht die Nachricht zukommen, daß die Spinnen ihm eine binnen zehn Tagen ſicher eintretende Kälte prophezeiten. Pichegru harrte aus, die Kälte trat ein, und unaufhaltſam draug die Armee auf dem Eiſe nach Amſterdam vor. Der befreite Verkündiger der wichtigen Kundgebungen ſeitens der Spinnen aber wurde im Triumphe nach Paris geführt.
Entſchieden war es eine Hausſpinne oder eine ihr verwandte Art, welche der unglückliche Chriſtian II. von Dänemark im Kerker zähmte, wie ſie umgekehrt nicht wenig dazu beitrug, die Leidenſchaften des Tyrannen zu zügeln. Sie kannte ſeine Stimme und kam ſtets herbei, wenn er ſie lockte und etwas für ſie hatte. Wer iſt nun wohl verabſchenungswürdiger, dieſe Spinne, welche einem Unglücklichen noch einiges Vergnügen bereiten kann, oder der Kerkermeiſter, von welchem berichtet wird, daß er ſie getödtet habe, nachdem er ihre Freundſchaft mit dem Gefangenen
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[585/0623]
Hausſpinne.
hier etwa in demſelben Abſtande den ſtraff angezogenen Faden; er wird als der äußerſte und
wichtigſte verdoppelt und verdreifacht, und durch fortwährendes Hin- und Hergehen auf den Fäden
entſtehen dicht daneben bis nach dem Winkel hin gleichlaufende immer kürzer werdende, die
alle in derſelben Weiſe wie der erſte an den beiden Wänden ihre Anheftungspunkte erhalten. Zu
dieſem „Zettel“ fügt die Spinne durch Querfäden den „Einſchlag“ und das in der Mitte etwas
eingeſenkte Fangnetz iſt fertig, aber der ganze Bau noch nicht vollendet. Für ſich ſelbſt webt ſie
nun noch hinten im Winkel ein beiderſeits offenes Rohr, an welchem, wie an einem kurzen Stiele
der zuerſt angelegte dreieckige Zipfel ſitzt. Da ſie am liebſten ſolche Stellen wählt, wo Löcher
und Riſſe in der Mauer vorkommen, ſo mündet das Rohr in eine ſolche Vertiefung, in welche
ſich die Spinne bei herannahender Gefahr zurückzieht. Vorn in dieſer Röhre lauert ſie auf die
Beute, ergreift ſofort die ins Netz gerathene Fliege oder Mücke, ſchleppt ſie mit ſich und verzehrt
ſie gemächlich in ihrem Hinterhalte.
Es wurde bereits oben bemerkt, daß jede Spinne mit ihrem Spinnſtoſſe ſparſam ſein muß,
weil ſeine Erzeugung von ihrer Ernährung abhängt und eine verhungerte weniger beſitzt, als eine
ſeiſte, wohlgenährte; darum wird ſie alſo auch nicht arbeiten, wenn Sturm und Regen ihre Arbeit
ſofort wieder zerſtören könnten und unnütz erſcheinen ließen. Hieraus folgt weiter, daß ihr die
Natur ein feines Vorgefühl für das Wetter verliehen habe müſſe. Daher hat man die Spinnen
als Wetterpropheten bezeichnet und nach ihrer Thätigkeit oder Ruhe, ihrem Hervorkommen und
Zurückziehen, und ihrer Stellung im Neſte überhaupt, nach der größern oder geringeren Menge
der Grundfäden bei Anlage deſſelben, nach dem Baue neuer oder der Vergrößerung ſchon fertiger
Gewebe u. dergl. beſondere Regeln für die muthmaßliche Witterung aufgeſtellt. Jedenfalls ſind
die Spinnen gegen Aenderung im Gleichgewicht der Luft, gegen Aenderungen in den Strömungen
derſelben empfindlich und zeigen dieſen Wechſel, mit welchem ſich ſehr häufig auch das Wetter
ändert, auf 6 bis 8 Stunden vor dem wirklichen Eintritte an. Vorzugsweiſe haben ſich die
angeſtellten Beobachtungen auf die Kreuzſpinne und die eben beſprochene Art bezogen. Zerreißt
die Kreuzſpinne die Grundfäden ihres Rades nach einer beſtimmten Nichtung hin und verbirgt
ſich dann, kriechen die Hausſpinnen oder Trichterſpinnen ꝛc. tief in ihre Röhre und drehen die
Hinterleibsſpitze nach einer beſtimmten Seite: dann iſt auf bald eintretenden heftigen Wind aus
jener Gegend zu rechnen. Befeſtigt erſtere aber die Fäden des Rahmens wieder und nimmt eine
wartende Stellung ein, kommen letztere mit vorwärts gerichtetem Kopfende zum Eingange der
Röhre und ſtrecken die Beine, wie zum Fange gerüſtet, daraus hervor: ſo kann man die Rückkehr
des Ruheſtandes in der Atmoſphäre annehmen. Von mancher Seite war den Spinnen eine zu
übertriebene Prophetengabe beigelegt worden, weshalb man ſie ihnen von anderer Seite gänzlich
abſprach. Da geſchah es im Jahre 1794, daß ſich ihr alter Ruhm, der ſchon verloren zu gehen
ſchien, durch folgenden Vorfall von Neuem befeſtigte. Der Führer der franzöſiſchen Revolutions-
armee, Pichegru, war der Ueberzeugung, daß gegen das unter Waſſer geſetzte Holland nichts aus-
zurichten ſei, und bereits im Begriff, unverrichteter Sache umzukehren. Jn dieſer bedenklichen
Lage ließ ihm der von den Holländern gefangen gehaltene Generaladjutant Quatremère-d’Isjonval
aus dem Gefängniſſe zu Utrecht die Nachricht zukommen, daß die Spinnen ihm eine binnen zehn
Tagen ſicher eintretende Kälte prophezeiten. Pichegru harrte aus, die Kälte trat ein, und
unaufhaltſam draug die Armee auf dem Eiſe nach Amſterdam vor. Der befreite Verkündiger
der wichtigen Kundgebungen ſeitens der Spinnen aber wurde im Triumphe nach Paris geführt.
Entſchieden war es eine Hausſpinne oder eine ihr verwandte Art, welche der unglückliche
Chriſtian II. von Dänemark im Kerker zähmte, wie ſie umgekehrt nicht wenig dazu beitrug, die
Leidenſchaften des Tyrannen zu zügeln. Sie kannte ſeine Stimme und kam ſtets herbei, wenn
er ſie lockte und etwas für ſie hatte. Wer iſt nun wohl verabſchenungswürdiger, dieſe Spinne,
welche einem Unglücklichen noch einiges Vergnügen bereiten kann, oder der Kerkermeiſter, von
welchem berichtet wird, daß er ſie getödtet habe, nachdem er ihre Freundſchaft mit dem Gefangenen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/623>, abgerufen am 24.11.2024.
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