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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Spinnenthiere. Echte Spinnen. Radspinnen.
Weibchen plötzlich auf die Brust, wobei natürlich sein Rücken wieder nach oben kam, hielt seinen
Hinterleib hoch empor und griff mit den Tasterspitzen in die weibliche Scheide. Nachdem dies fast
eine halbe Minnte gedauert haben mochte, sprang es herunter und zog sich vollkommen zurück,
während das Weibchen sich laugsam wieder nach seiner Warte inmitten des Netzes begab. Eine
Viertelstunde später nahm es seine frühere Stellung wieder ein und sofort war auch das Männchen
wieder bei ihm. Das Betasten nahm seinen Anfang, wie vorher, auch that das Männchen aber-
mals einige Sprünge nach der Brust des Weibchens, prallte aber jedesmal wieder zurück. Nachdem
das Spiel wohl eine Stunde getrieben worden war, ging das Weibchen auf seinen frühern Stand-
punkt zurück und das Männchen in sein benachbartes Nest, wo es am Nachmittag und auch noch
den andern Morgen müssig hing. Ratzeburg nennt es ein "fremdes" Nest, weil er fälschlich
annimmt, daß das Männchen nicht baue, sondern sich "ledig umhertreibe". Menge's Bericht
über den gleichen Gegenstand weicht in Nebenumständen wieder etwas hiervon ab, so daß also auch
in dem Begattungsakte wie in dem übrigen Betragen keine feste Regel zu gelten scheint. Jm Spät-
herbst werden die gelben Eier mit ihrem festen Säckchen an einen geschützten Ort zur Ueberwinterung
aufgehängt, und der Hinterleib des Weibchens fällt darauf in dem Maße zusammen, daß man es
[Abbildung] Männchen der gestreckten Strickerspinne
(Totragnatha extensa), vergrößert.
Oben die Eigestaltung, von hinten her gesehen.
kaum wieder erkennt. Ehe der Winter kommt, ist es
hingewelkt. Die unter Baumrinde oder Moos fortlebenden
Jndividuen, die sich nur selten finden, gehören uner-
wachsenen Spätlingen an.

Von Epeira gibt es noch hübsche und ebenso große
Arten in Europa, andere, meist kleinere sind neuerdings
unter anderen Gattungen untergebracht, welche sich durch
wenig abweichende Stellung der Augen und andere Merk-
male unterscheiden.

Die gestreckte Strickerspinne (Tetragnatha
extensa
) zeichnet sich unter den Radspinnen durch manche
Eigenthümlichkeit aus, von denen der langgestreckte Hinter-
leib, die sehr langen Beine, deren beide vordersten Paare
in der Ruhe ebenso gerade nach vorn ausgestreckt und
neben einander gelegt werden, wie die beiden letzten nach
hinten, sowie die weit vorgestreckten Kieferfühler am
meisten auffallen. Die unter sich gleichen 8 Augen stehen
in zwei geraden Reihen zwei und zwei hinter einander
und in gleichen Abständen. Die im ausgewachsenen Zu-
stande 7 bis 9 Linien lange Spinne ist an den Beinen
und am Vorderleibe röthlichgelb, am Hinterleibe meist
gelblichweiß, an den Seiten silberweiß gefärbt und oben
mit einem rothbraunen, von dunkleren, eingekerbten
Rändern umschlossenen, blattartigen Rückenfelde verziert. Sie sertigt zwischen Rohrstengeln,
Binsen oder Gräsern, an Sümpfen, Lachen, überhaupt an feuchten Stellen ein senkrechtes Rad,
in dessen Mitte oder Nähe, an einen Binsenhalm platt angedrückt und in der hier abgebildeten
Stellung sie auf Beute lauert. Will man sie ergreifen, so läuft sie mit Blitzesschnelle davon und
versteckt sich unter Blättern. Gleiche Raschheit, gepaart mit Kühnheit zeigt sie beim Erfassen
der Beute, welche sie nie einspinnt. Jn der Mitte des Sommers sind die Strickerspinnen
erwachsen. Bei der Begattung befindet sich das kleinere Männchen mit abgewandter Hinterleibsspitze
unter dem Weibchen, welches die seinige etwas nach unten biegt; Brust gegen Brust gewendet
führt jenes seine gestreckten Tasterspitzen in die Bauchspalte, verräth aber keine Furcht vor dem
Weibchen, im Gegentheil eine gewisse Zudringlichkeit. Die Eier werden in ein halbkugeliges

Die Spinnenthiere. Echte Spinnen. Radſpinnen.
Weibchen plötzlich auf die Bruſt, wobei natürlich ſein Rücken wieder nach oben kam, hielt ſeinen
Hinterleib hoch empor und griff mit den Taſterſpitzen in die weibliche Scheide. Nachdem dies faſt
eine halbe Minnte gedauert haben mochte, ſprang es herunter und zog ſich vollkommen zurück,
während das Weibchen ſich laugſam wieder nach ſeiner Warte inmitten des Netzes begab. Eine
Viertelſtunde ſpäter nahm es ſeine frühere Stellung wieder ein und ſofort war auch das Männchen
wieder bei ihm. Das Betaſten nahm ſeinen Anfang, wie vorher, auch that das Männchen aber-
mals einige Sprünge nach der Bruſt des Weibchens, prallte aber jedesmal wieder zurück. Nachdem
das Spiel wohl eine Stunde getrieben worden war, ging das Weibchen auf ſeinen frühern Stand-
punkt zurück und das Männchen in ſein benachbartes Neſt, wo es am Nachmittag und auch noch
den andern Morgen müſſig hing. Ratzeburg nennt es ein „fremdes“ Neſt, weil er fälſchlich
annimmt, daß das Männchen nicht baue, ſondern ſich „ledig umhertreibe“. Menge’s Bericht
über den gleichen Gegenſtand weicht in Nebenumſtänden wieder etwas hiervon ab, ſo daß alſo auch
in dem Begattungsakte wie in dem übrigen Betragen keine feſte Regel zu gelten ſcheint. Jm Spät-
herbſt werden die gelben Eier mit ihrem feſten Säckchen an einen geſchützten Ort zur Ueberwinterung
aufgehängt, und der Hinterleib des Weibchens fällt darauf in dem Maße zuſammen, daß man es
[Abbildung] Männchen der geſtreckten Strickerſpinne
(Totragnatha extensa), vergrößert.
Oben die Eigeſtaltung, von hinten her geſehen.
kaum wieder erkennt. Ehe der Winter kommt, iſt es
hingewelkt. Die unter Baumrinde oder Moos fortlebenden
Jndividuen, die ſich nur ſelten finden, gehören uner-
wachſenen Spätlingen an.

Von Epeira gibt es noch hübſche und ebenſo große
Arten in Europa, andere, meiſt kleinere ſind neuerdings
unter anderen Gattungen untergebracht, welche ſich durch
wenig abweichende Stellung der Augen und andere Merk-
male unterſcheiden.

Die geſtreckte Strickerſpinne (Tetragnatha
extensa
) zeichnet ſich unter den Radſpinnen durch manche
Eigenthümlichkeit aus, von denen der langgeſtreckte Hinter-
leib, die ſehr langen Beine, deren beide vorderſten Paare
in der Ruhe ebenſo gerade nach vorn ausgeſtreckt und
neben einander gelegt werden, wie die beiden letzten nach
hinten, ſowie die weit vorgeſtreckten Kieferfühler am
meiſten auffallen. Die unter ſich gleichen 8 Augen ſtehen
in zwei geraden Reihen zwei und zwei hinter einander
und in gleichen Abſtänden. Die im ausgewachſenen Zu-
ſtande 7 bis 9 Linien lange Spinne iſt an den Beinen
und am Vorderleibe röthlichgelb, am Hinterleibe meiſt
gelblichweiß, an den Seiten ſilberweiß gefärbt und oben
mit einem rothbraunen, von dunkleren, eingekerbten
Rändern umſchloſſenen, blattartigen Rückenfelde verziert. Sie ſertigt zwiſchen Rohrſtengeln,
Binſen oder Gräſern, an Sümpfen, Lachen, überhaupt an feuchten Stellen ein ſenkrechtes Rad,
in deſſen Mitte oder Nähe, an einen Binſenhalm platt angedrückt und in der hier abgebildeten
Stellung ſie auf Beute lauert. Will man ſie ergreifen, ſo läuft ſie mit Blitzesſchnelle davon und
verſteckt ſich unter Blättern. Gleiche Raſchheit, gepaart mit Kühnheit zeigt ſie beim Erfaſſen
der Beute, welche ſie nie einſpinnt. Jn der Mitte des Sommers ſind die Strickerſpinnen
erwachſen. Bei der Begattung befindet ſich das kleinere Männchen mit abgewandter Hinterleibsſpitze
unter dem Weibchen, welches die ſeinige etwas nach unten biegt; Bruſt gegen Bruſt gewendet
führt jenes ſeine geſtreckten Taſterſpitzen in die Bauchſpalte, verräth aber keine Furcht vor dem
Weibchen, im Gegentheil eine gewiſſe Zudringlichkeit. Die Eier werden in ein halbkugeliges

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[580/0618] Die Spinnenthiere. Echte Spinnen. Radſpinnen. Weibchen plötzlich auf die Bruſt, wobei natürlich ſein Rücken wieder nach oben kam, hielt ſeinen Hinterleib hoch empor und griff mit den Taſterſpitzen in die weibliche Scheide. Nachdem dies faſt eine halbe Minnte gedauert haben mochte, ſprang es herunter und zog ſich vollkommen zurück, während das Weibchen ſich laugſam wieder nach ſeiner Warte inmitten des Netzes begab. Eine Viertelſtunde ſpäter nahm es ſeine frühere Stellung wieder ein und ſofort war auch das Männchen wieder bei ihm. Das Betaſten nahm ſeinen Anfang, wie vorher, auch that das Männchen aber- mals einige Sprünge nach der Bruſt des Weibchens, prallte aber jedesmal wieder zurück. Nachdem das Spiel wohl eine Stunde getrieben worden war, ging das Weibchen auf ſeinen frühern Stand- punkt zurück und das Männchen in ſein benachbartes Neſt, wo es am Nachmittag und auch noch den andern Morgen müſſig hing. Ratzeburg nennt es ein „fremdes“ Neſt, weil er fälſchlich annimmt, daß das Männchen nicht baue, ſondern ſich „ledig umhertreibe“. Menge’s Bericht über den gleichen Gegenſtand weicht in Nebenumſtänden wieder etwas hiervon ab, ſo daß alſo auch in dem Begattungsakte wie in dem übrigen Betragen keine feſte Regel zu gelten ſcheint. Jm Spät- herbſt werden die gelben Eier mit ihrem feſten Säckchen an einen geſchützten Ort zur Ueberwinterung aufgehängt, und der Hinterleib des Weibchens fällt darauf in dem Maße zuſammen, daß man es [Abbildung Männchen der geſtreckten Strickerſpinne (Totragnatha extensa), vergrößert. Oben die Eigeſtaltung, von hinten her geſehen.] kaum wieder erkennt. Ehe der Winter kommt, iſt es hingewelkt. Die unter Baumrinde oder Moos fortlebenden Jndividuen, die ſich nur ſelten finden, gehören uner- wachſenen Spätlingen an. Von Epeira gibt es noch hübſche und ebenſo große Arten in Europa, andere, meiſt kleinere ſind neuerdings unter anderen Gattungen untergebracht, welche ſich durch wenig abweichende Stellung der Augen und andere Merk- male unterſcheiden. Die geſtreckte Strickerſpinne (Tetragnatha extensa) zeichnet ſich unter den Radſpinnen durch manche Eigenthümlichkeit aus, von denen der langgeſtreckte Hinter- leib, die ſehr langen Beine, deren beide vorderſten Paare in der Ruhe ebenſo gerade nach vorn ausgeſtreckt und neben einander gelegt werden, wie die beiden letzten nach hinten, ſowie die weit vorgeſtreckten Kieferfühler am meiſten auffallen. Die unter ſich gleichen 8 Augen ſtehen in zwei geraden Reihen zwei und zwei hinter einander und in gleichen Abſtänden. Die im ausgewachſenen Zu- ſtande 7 bis 9 Linien lange Spinne iſt an den Beinen und am Vorderleibe röthlichgelb, am Hinterleibe meiſt gelblichweiß, an den Seiten ſilberweiß gefärbt und oben mit einem rothbraunen, von dunkleren, eingekerbten Rändern umſchloſſenen, blattartigen Rückenfelde verziert. Sie ſertigt zwiſchen Rohrſtengeln, Binſen oder Gräſern, an Sümpfen, Lachen, überhaupt an feuchten Stellen ein ſenkrechtes Rad, in deſſen Mitte oder Nähe, an einen Binſenhalm platt angedrückt und in der hier abgebildeten Stellung ſie auf Beute lauert. Will man ſie ergreifen, ſo läuft ſie mit Blitzesſchnelle davon und verſteckt ſich unter Blättern. Gleiche Raſchheit, gepaart mit Kühnheit zeigt ſie beim Erfaſſen der Beute, welche ſie nie einſpinnt. Jn der Mitte des Sommers ſind die Strickerſpinnen erwachſen. Bei der Begattung befindet ſich das kleinere Männchen mit abgewandter Hinterleibsſpitze unter dem Weibchen, welches die ſeinige etwas nach unten biegt; Bruſt gegen Bruſt gewendet führt jenes ſeine geſtreckten Taſterſpitzen in die Bauchſpalte, verräth aber keine Furcht vor dem Weibchen, im Gegentheil eine gewiſſe Zudringlichkeit. Die Eier werden in ein halbkugeliges

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/618>, abgerufen am 24.11.2024.