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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Allgemeines. Eierlegen. Ausschlüpfen der Jungen.
keine Fallstricke auswerfen, um ihre Beute damit zu fangen, sondern frei an geeigneten Oertlich-
keiten derselben auflauern und gewissermaßen in ehrlicherem Räuberhandwerke durch Nachlaufen
oder im Sprunge ihr Schlachtopfer erhaschen. Eine andere Anwendung, welche die Spinnen von
ihrem Spinnvermögen machen, besteht darin, daß sie sich an den Fäden herablassen und sie somit
als Mittel zu einer Ortsveränderung verwerthen, ja manche Arten fliegen an ihnen an schönen
Herbsttagen weit fort durch die Luft, wovon später noch einige Worte. Alle aber ohne Ausnahme,
sofern sie Weibchen sind, verwenden den Spinnstoff zum Schutze der Eier, weil sie, die sonst
grausamen Geschöpfe, in der Mutterliebe den zärtlichsten Jnsekten nicht nachstehen, ja in dieser
Hinsicht als wahres Muster aufgestellt werden können. Herr Menge, welcher das Eierlegen in
zwei Fällen genauer beobachtete, schildert es der Hauptsache nach in folgender Weise. Wenn eine
Mutter fühlt, daß ihre Zeit gekommen ist, so bereitet sie ein halbrundes Nestchen aus Fäden,
entweder freiliegend, wie die Laufspinnen, oder an dem Gewebe, oder an einem andern, ihr geeignet
scheinenden Orte. Wenn das Nestchen fertig ist, legt sie sich mit dem Hinterleibe darüber und
alsbald dringen die Eier aus der Scheidenöffnung am Grunde jenes wie in einem Gusse hervor,
ein rundliches Häuflein bildend. Nach wenigen Augenblicken der Ruhe zieht sie einige Fäden, doch
merkt man den unsichern Bewegungen dabei an, daß es noch nicht in ihrer Absicht liegt, die
schützende Decke darüber zu weben, daß sie vielmehr noch andere wichtige Dinge vorhabe. Plötzlich
legt sie den Bauch wieder über die Eier und überschüttet sie aus der Scheidenspalte mit einer
klaren Flüssigkeit, welche sogleich von den Eiern aufgesogen wird, ohne das Gewebe zu benetzen.
Der Körperinhalt der Eier hat sich hierdurch auf einmal so vergrößert, daß dieselben nicht mehr
Platz im Leibe der Mutter haben würden. Menge ist der Ansicht, daß die Flüssigkeit aus den
um diese Zeit stark ausgedehnten Samentaschen komme, mit dem männlichen Samen vermischt sei
und auf diese Weise erst die eigentliche Befruchtung bewirkt werde. Zunächst bleibt die Spinne
regungslos und abgemattet über den Eiern liegen, dann aber schließt sie durch ein Gespinnst das
Nestchen vollständig. Diese schützende Hülle ist nur einfach, aber sehr dicht bei den Laufspinnen,
besteht aus zwei in der Mitte lose zusammenhängenden Halbkugeln und wird, durch einige Fädchen
unterhalb am Leibe befestigt, von der Mutter mit umhergetragen; nur wenige graben eine Erd-
höhlung, in welcher sie bis zum Ausschlüpfen der Jungen zubringen. Auch mehrere Arten der
Netzspinnen fertigen kugelrunde Eiernestchen an, welche sie an einen sichern Ort aufhängen und
bewachen, oder mit sich herumtragen. Alle diese werden vorzugsweise mitten im Sommer gelegt
und schlüpfen, begünstigt von Wärme und Feuchtigkeit der Luft, nach drei oder vier Wochen aus.
Die Springspinnen, Sack-, Trichter- und Radspinnen legen ihre Eier größtentheils im Spätsommer
und bringen das meist flach gewölbte, auch halbrunde Nestchen zur Ueberwinterung an geschützte
Stellen. Von diesen Spinnen überwintern ausnahmsweise einzelne, die ihren Lebenszweck noch
nicht erreicht haben, während von den andern die noch nicht erwachsene Brut an den gewöhnlichen
Verstecken erstarrt den Winter zubringt.

Degeer, welcher das Ausschlüpfen der Eier beobachtete, hatte nicht Unrecht, wenn er meinte,
die Eischale sei die erste Haut der jungen Spinne und das Ausschlüpfen aus dem Eie deren erste
Häutung; denn mit der Entwicklung des Embryo ist zuletzt der Jnhalt des Eies und seine Schale
die kleine Spinne selbst. Sie kann sich aber noch nicht rühren, weil sie von der umschließenden
Eihaut beengt wird. Diese reißt zuletzt auf dem vordern Rückentheile und der mit einer neuen
Haut überzogene Kopf nebst den Augen wird sichtbar, durch wiederholtes Zusammenziehen und
Ausdehnen der ganze Vorderkörper nebst den Beinen; jetzt erweitert sich der Riß und durch Wellen-
bewegungen befreit sich zuletzt auch der Hinterleib. Er umschließt den noch übrigen Eidotter. Die
neugeborne Spinne ist noch schwach und starr, streckt ihre Beine und Taster von sich, bewegt sich
aber sonst nur wenig und kann weder spinnen, noch fressen; denn die Werkzeuge dazu sind mit
Haut überzogen; sonst vollständig entwickelt, kann sie ihre Wiege nicht eher verlassen und der
Nahrung nachgehen, bis sie eine vollständige Häutung bestanden hat, welche nach einigen, höchstens

Allgemeines. Eierlegen. Ausſchlüpfen der Jungen.
keine Fallſtricke auswerfen, um ihre Beute damit zu fangen, ſondern frei an geeigneten Oertlich-
keiten derſelben auflauern und gewiſſermaßen in ehrlicherem Räuberhandwerke durch Nachlaufen
oder im Sprunge ihr Schlachtopfer erhaſchen. Eine andere Anwendung, welche die Spinnen von
ihrem Spinnvermögen machen, beſteht darin, daß ſie ſich an den Fäden herablaſſen und ſie ſomit
als Mittel zu einer Ortsveränderung verwerthen, ja manche Arten fliegen an ihnen an ſchönen
Herbſttagen weit fort durch die Luft, wovon ſpäter noch einige Worte. Alle aber ohne Ausnahme,
ſofern ſie Weibchen ſind, verwenden den Spinnſtoff zum Schutze der Eier, weil ſie, die ſonſt
grauſamen Geſchöpfe, in der Mutterliebe den zärtlichſten Jnſekten nicht nachſtehen, ja in dieſer
Hinſicht als wahres Muſter aufgeſtellt werden können. Herr Menge, welcher das Eierlegen in
zwei Fällen genauer beobachtete, ſchildert es der Hauptſache nach in folgender Weiſe. Wenn eine
Mutter fühlt, daß ihre Zeit gekommen iſt, ſo bereitet ſie ein halbrundes Neſtchen aus Fäden,
entweder freiliegend, wie die Laufſpinnen, oder an dem Gewebe, oder an einem andern, ihr geeignet
ſcheinenden Orte. Wenn das Neſtchen fertig iſt, legt ſie ſich mit dem Hinterleibe darüber und
alsbald dringen die Eier aus der Scheidenöffnung am Grunde jenes wie in einem Guſſe hervor,
ein rundliches Häuflein bildend. Nach wenigen Augenblicken der Ruhe zieht ſie einige Fäden, doch
merkt man den unſichern Bewegungen dabei an, daß es noch nicht in ihrer Abſicht liegt, die
ſchützende Decke darüber zu weben, daß ſie vielmehr noch andere wichtige Dinge vorhabe. Plötzlich
legt ſie den Bauch wieder über die Eier und überſchüttet ſie aus der Scheidenſpalte mit einer
klaren Flüſſigkeit, welche ſogleich von den Eiern aufgeſogen wird, ohne das Gewebe zu benetzen.
Der Körperinhalt der Eier hat ſich hierdurch auf einmal ſo vergrößert, daß dieſelben nicht mehr
Platz im Leibe der Mutter haben würden. Menge iſt der Anſicht, daß die Flüſſigkeit aus den
um dieſe Zeit ſtark ausgedehnten Samentaſchen komme, mit dem männlichen Samen vermiſcht ſei
und auf dieſe Weiſe erſt die eigentliche Befruchtung bewirkt werde. Zunächſt bleibt die Spinne
regungslos und abgemattet über den Eiern liegen, dann aber ſchließt ſie durch ein Geſpinnſt das
Neſtchen vollſtändig. Dieſe ſchützende Hülle iſt nur einfach, aber ſehr dicht bei den Laufſpinnen,
beſteht aus zwei in der Mitte loſe zuſammenhängenden Halbkugeln und wird, durch einige Fädchen
unterhalb am Leibe befeſtigt, von der Mutter mit umhergetragen; nur wenige graben eine Erd-
höhlung, in welcher ſie bis zum Ausſchlüpfen der Jungen zubringen. Auch mehrere Arten der
Netzſpinnen fertigen kugelrunde Eierneſtchen an, welche ſie an einen ſichern Ort aufhängen und
bewachen, oder mit ſich herumtragen. Alle dieſe werden vorzugsweiſe mitten im Sommer gelegt
und ſchlüpfen, begünſtigt von Wärme und Feuchtigkeit der Luft, nach drei oder vier Wochen aus.
Die Springſpinnen, Sack-, Trichter- und Radſpinnen legen ihre Eier größtentheils im Spätſommer
und bringen das meiſt flach gewölbte, auch halbrunde Neſtchen zur Ueberwinterung an geſchützte
Stellen. Von dieſen Spinnen überwintern ausnahmsweiſe einzelne, die ihren Lebenszweck noch
nicht erreicht haben, während von den andern die noch nicht erwachſene Brut an den gewöhnlichen
Verſtecken erſtarrt den Winter zubringt.

Degeer, welcher das Ausſchlüpfen der Eier beobachtete, hatte nicht Unrecht, wenn er meinte,
die Eiſchale ſei die erſte Haut der jungen Spinne und das Ausſchlüpfen aus dem Eie deren erſte
Häutung; denn mit der Entwicklung des Embryo iſt zuletzt der Jnhalt des Eies und ſeine Schale
die kleine Spinne ſelbſt. Sie kann ſich aber noch nicht rühren, weil ſie von der umſchließenden
Eihaut beengt wird. Dieſe reißt zuletzt auf dem vordern Rückentheile und der mit einer neuen
Haut überzogene Kopf nebſt den Augen wird ſichtbar, durch wiederholtes Zuſammenziehen und
Ausdehnen der ganze Vorderkörper nebſt den Beinen; jetzt erweitert ſich der Riß und durch Wellen-
bewegungen befreit ſich zuletzt auch der Hinterleib. Er umſchließt den noch übrigen Eidotter. Die
neugeborne Spinne iſt noch ſchwach und ſtarr, ſtreckt ihre Beine und Taſter von ſich, bewegt ſich
aber ſonſt nur wenig und kann weder ſpinnen, noch freſſen; denn die Werkzeuge dazu ſind mit
Haut überzogen; ſonſt vollſtändig entwickelt, kann ſie ihre Wiege nicht eher verlaſſen und der
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[571/0607] Allgemeines. Eierlegen. Ausſchlüpfen der Jungen. keine Fallſtricke auswerfen, um ihre Beute damit zu fangen, ſondern frei an geeigneten Oertlich- keiten derſelben auflauern und gewiſſermaßen in ehrlicherem Räuberhandwerke durch Nachlaufen oder im Sprunge ihr Schlachtopfer erhaſchen. Eine andere Anwendung, welche die Spinnen von ihrem Spinnvermögen machen, beſteht darin, daß ſie ſich an den Fäden herablaſſen und ſie ſomit als Mittel zu einer Ortsveränderung verwerthen, ja manche Arten fliegen an ihnen an ſchönen Herbſttagen weit fort durch die Luft, wovon ſpäter noch einige Worte. Alle aber ohne Ausnahme, ſofern ſie Weibchen ſind, verwenden den Spinnſtoff zum Schutze der Eier, weil ſie, die ſonſt grauſamen Geſchöpfe, in der Mutterliebe den zärtlichſten Jnſekten nicht nachſtehen, ja in dieſer Hinſicht als wahres Muſter aufgeſtellt werden können. Herr Menge, welcher das Eierlegen in zwei Fällen genauer beobachtete, ſchildert es der Hauptſache nach in folgender Weiſe. Wenn eine Mutter fühlt, daß ihre Zeit gekommen iſt, ſo bereitet ſie ein halbrundes Neſtchen aus Fäden, entweder freiliegend, wie die Laufſpinnen, oder an dem Gewebe, oder an einem andern, ihr geeignet ſcheinenden Orte. Wenn das Neſtchen fertig iſt, legt ſie ſich mit dem Hinterleibe darüber und alsbald dringen die Eier aus der Scheidenöffnung am Grunde jenes wie in einem Guſſe hervor, ein rundliches Häuflein bildend. Nach wenigen Augenblicken der Ruhe zieht ſie einige Fäden, doch merkt man den unſichern Bewegungen dabei an, daß es noch nicht in ihrer Abſicht liegt, die ſchützende Decke darüber zu weben, daß ſie vielmehr noch andere wichtige Dinge vorhabe. Plötzlich legt ſie den Bauch wieder über die Eier und überſchüttet ſie aus der Scheidenſpalte mit einer klaren Flüſſigkeit, welche ſogleich von den Eiern aufgeſogen wird, ohne das Gewebe zu benetzen. Der Körperinhalt der Eier hat ſich hierdurch auf einmal ſo vergrößert, daß dieſelben nicht mehr Platz im Leibe der Mutter haben würden. Menge iſt der Anſicht, daß die Flüſſigkeit aus den um dieſe Zeit ſtark ausgedehnten Samentaſchen komme, mit dem männlichen Samen vermiſcht ſei und auf dieſe Weiſe erſt die eigentliche Befruchtung bewirkt werde. Zunächſt bleibt die Spinne regungslos und abgemattet über den Eiern liegen, dann aber ſchließt ſie durch ein Geſpinnſt das Neſtchen vollſtändig. Dieſe ſchützende Hülle iſt nur einfach, aber ſehr dicht bei den Laufſpinnen, beſteht aus zwei in der Mitte loſe zuſammenhängenden Halbkugeln und wird, durch einige Fädchen unterhalb am Leibe befeſtigt, von der Mutter mit umhergetragen; nur wenige graben eine Erd- höhlung, in welcher ſie bis zum Ausſchlüpfen der Jungen zubringen. Auch mehrere Arten der Netzſpinnen fertigen kugelrunde Eierneſtchen an, welche ſie an einen ſichern Ort aufhängen und bewachen, oder mit ſich herumtragen. Alle dieſe werden vorzugsweiſe mitten im Sommer gelegt und ſchlüpfen, begünſtigt von Wärme und Feuchtigkeit der Luft, nach drei oder vier Wochen aus. Die Springſpinnen, Sack-, Trichter- und Radſpinnen legen ihre Eier größtentheils im Spätſommer und bringen das meiſt flach gewölbte, auch halbrunde Neſtchen zur Ueberwinterung an geſchützte Stellen. Von dieſen Spinnen überwintern ausnahmsweiſe einzelne, die ihren Lebenszweck noch nicht erreicht haben, während von den andern die noch nicht erwachſene Brut an den gewöhnlichen Verſtecken erſtarrt den Winter zubringt. Degeer, welcher das Ausſchlüpfen der Eier beobachtete, hatte nicht Unrecht, wenn er meinte, die Eiſchale ſei die erſte Haut der jungen Spinne und das Ausſchlüpfen aus dem Eie deren erſte Häutung; denn mit der Entwicklung des Embryo iſt zuletzt der Jnhalt des Eies und ſeine Schale die kleine Spinne ſelbſt. Sie kann ſich aber noch nicht rühren, weil ſie von der umſchließenden Eihaut beengt wird. Dieſe reißt zuletzt auf dem vordern Rückentheile und der mit einer neuen Haut überzogene Kopf nebſt den Augen wird ſichtbar, durch wiederholtes Zuſammenziehen und Ausdehnen der ganze Vorderkörper nebſt den Beinen; jetzt erweitert ſich der Riß und durch Wellen- bewegungen befreit ſich zuletzt auch der Hinterleib. Er umſchließt den noch übrigen Eidotter. Die neugeborne Spinne iſt noch ſchwach und ſtarr, ſtreckt ihre Beine und Taſter von ſich, bewegt ſich aber ſonſt nur wenig und kann weder ſpinnen, noch freſſen; denn die Werkzeuge dazu ſind mit Haut überzogen; ſonſt vollſtändig entwickelt, kann ſie ihre Wiege nicht eher verlaſſen und der Nahrung nachgehen, bis ſie eine vollſtändige Häutung beſtanden hat, welche nach einigen, höchſtens

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/607>, abgerufen am 24.11.2024.