Pallas erzählt wunderliche Dinge von unserer Skorpionspinne, welche in den südrussischen Steppen, im Lande der Kalmücken und Kirgisen nicht minder gefürchtet wird, als anderwärts die Skorpione. Wie bei uns der gemeine Mann eine Menge von Gliederthieren für gefährlich hält, weil er sie eben nicht weiter kennt und ihre äußere Erscheinung vor seinen Augen keine Gnade findet, so und in noch höherem Maaße bei jenen Nomadenvölkern. Die an der Person des Menschen sich nie vergreifende Maulwurfsgrille, irgend eine haarige Spinne und ähnliches Geziefer wird in gleichem Maaße gefürchtet, wie der Bau-Chorgoi (Zauberwurm) oder Mandschi-Bau- Chorgoi (gemeine Zauberwurm), wie die Kalmücken die Skorpionspinne nennen. Bei den Kirgisen führt sie den Namen Kara-Kurt-Bie. Sie wird bei allen diesen herumziehenden Völkerschaften ihres giftigen Bisses wegen so gefürchtet, daß man die Gegend verläßt, in welcher sich öfter das für Menschen und deren Heerden gefährliche Thier gezeigt hat. Wenn sich die Kameele und Schafe, welche im Sommer dort nackte Bäuche haben, zur Ruhe niederlegen, so finden sich diese Bestien ein, springen an sie und schlagen ihre jedenfalls das Gift enthaltenden Scheeren dort ein. Der Bauch schwillt an und nicht selten gehen die gebissenen Thiere an der Vergiftung zu Grunde. Da sich die Skorpionspinnen gern zwischen Schilf aufhalten, so kommen sie mit diesem in die daraus erbaueten Hütten und mit den Menschen in nähere Berührung als sie selbst beabsichtigen, verkriechen sich gleich den Skorpionen in die Kleider und führen überhaupt ganz deren Lebensweise. Nach dem Aberglauben der Kalmücken muß die Milch einer Frau, welche ihr erstes Wochenbett abhält und -- als Mädchen keusch lebte, oder, in Ermangelung dieses Mittels Lunge und Herz, welche einem lebendigen, schwarzen Thiere (Hund, Katze) aus dem Leibe gerissen worden sind, auf die Bißwunde gelegt werden, um die Vergistung zu heilen. Von den Aerzten in Sarepta wurden zu Pallas Zeiten Einreibungen von Nußöl oder mit Kampfer gesättigtem Baumöl erfolgreich angewendet. Der Biß ist ungemein schmerzhaft, erzeugt starke Entzündung, vorbei- gehende Lähmung, Kopfweh, Ohnmacht.
Die Skorpionspinne bewohnt Erdrisse in thonigem Boden, schilfreiche Gegenden, wie bereits erwähnt wurde, oder sitzt unter Steinen und hält sich bei Tage verborgen, es sei denn, daß sie sich in einem dunklen Keller einquartirte, geht dagegen in der Nacht auf Raub aus, während welcher sie in den großen Skolopendern und einem schwarzen Raubkäfer ihr ebenbürtigen Feinden begegnet. Die fußartigen Kiefer befinden sich in stets tastender Bewegung. Berühren sie einen Gegen- stand, so soll ein phosphorescirender Lichtschein von ihnen ausgehen. Wie der Elefant seinen Rüssel hoch empor hebt, wenn er mit ihm einen Gegenstand berührte, dessen er nicht sicher ist: so wirft die Skorpionspinne ihre Taster in die Höhe, hat sie aber eine Beute ermittelt, so stürzt sie mit einem Sprunge auf dieselbe los und bohrt ihre Scheeren in dieselbe ein. Man hat ver- schiedene Versuche angestellt, welche die Wildheit der Skorpionspinnen beweisen. Eine war im Körper 2 Zoll lang und griff jedes ihr vorgeworfene Jnsekt an; einer, ohne den Schwanz 3 Zoll messenden Eidechse sprang sie auf den Rücken, hieb ihre Zangen in den Nacken ein und fraß, nur die wenigen Knochen zurücklassend, den Leib auf. Eine noch blinde, sehr junge Moschusratte wurde von ihr getödtet und in kurzer Zeit vollständig vertilgt. Weiter ließ man sie gegen eine 4 bis 5 Zoll spannende Fledermaus los und obgleich sich diese sehr lebhaft bewegte, so sprang die Solpuga auf sie und biß sich so fest in den Hals ein, daß sie trotz allen Flatterns der Fleder- maus nicht abgeschüttelt werden konnte. Einen vier Zoll langen Skorpion faßte sie an der Wurzel des Schwanzes, biß diesen ab und verzehrte beide Theile, doch war dieser Sieg nur ein zufälliger; denn einen zweiten Skorpion, mit dem man sie später zusammenbrachte, griff sie von vorn an, wurde aber von dessen Scheeren erfaßt, mit dem Giftstachel verwundet und nun war es um sie geschehen: sie zuckte ein paar Mal krampfhaft zusammen und war ein Kind des Todes. Auch Capitain Hutton theilt über eine indische Art, für die er den Namen G. vorax vorschlägt, möglichenfalls dieselbe, welche HerbstG. fatalis nennt, interessante Beobachtungen mit. Das nächtliche, sehr räuberische Thier packt große, hartschalige Käfer und beißt sie mit der größten
Die Spinnenthiere. Gliederſpinnen.
Pallas erzählt wunderliche Dinge von unſerer Skorpionſpinne, welche in den ſüdruſſiſchen Steppen, im Lande der Kalmücken und Kirgiſen nicht minder gefürchtet wird, als anderwärts die Skorpione. Wie bei uns der gemeine Mann eine Menge von Gliederthieren für gefährlich hält, weil er ſie eben nicht weiter kennt und ihre äußere Erſcheinung vor ſeinen Augen keine Gnade findet, ſo und in noch höherem Maaße bei jenen Nomadenvölkern. Die an der Perſon des Menſchen ſich nie vergreifende Maulwurfsgrille, irgend eine haarige Spinne und ähnliches Geziefer wird in gleichem Maaße gefürchtet, wie der Bû-Chorgoi (Zauberwurm) oder Mandschi-Bû- Chorgoi (gemeine Zauberwurm), wie die Kalmücken die Skorpionſpinne nennen. Bei den Kirgiſen führt ſie den Namen Kara-Kurt-Bie. Sie wird bei allen dieſen herumziehenden Völkerſchaften ihres giftigen Biſſes wegen ſo gefürchtet, daß man die Gegend verläßt, in welcher ſich öfter das für Menſchen und deren Heerden gefährliche Thier gezeigt hat. Wenn ſich die Kameele und Schafe, welche im Sommer dort nackte Bäuche haben, zur Ruhe niederlegen, ſo finden ſich dieſe Beſtien ein, ſpringen an ſie und ſchlagen ihre jedenfalls das Gift enthaltenden Scheeren dort ein. Der Bauch ſchwillt an und nicht ſelten gehen die gebiſſenen Thiere an der Vergiftung zu Grunde. Da ſich die Skorpionſpinnen gern zwiſchen Schilf aufhalten, ſo kommen ſie mit dieſem in die daraus erbaueten Hütten und mit den Menſchen in nähere Berührung als ſie ſelbſt beabſichtigen, verkriechen ſich gleich den Skorpionen in die Kleider und führen überhaupt ganz deren Lebensweiſe. Nach dem Aberglauben der Kalmücken muß die Milch einer Frau, welche ihr erſtes Wochenbett abhält und — als Mädchen keuſch lebte, oder, in Ermangelung dieſes Mittels Lunge und Herz, welche einem lebendigen, ſchwarzen Thiere (Hund, Katze) aus dem Leibe geriſſen worden ſind, auf die Bißwunde gelegt werden, um die Vergiſtung zu heilen. Von den Aerzten in Sarepta wurden zu Pallas Zeiten Einreibungen von Nußöl oder mit Kampfer geſättigtem Baumöl erfolgreich angewendet. Der Biß iſt ungemein ſchmerzhaft, erzeugt ſtarke Entzündung, vorbei- gehende Lähmung, Kopfweh, Ohnmacht.
Die Skorpionſpinne bewohnt Erdriſſe in thonigem Boden, ſchilfreiche Gegenden, wie bereits erwähnt wurde, oder ſitzt unter Steinen und hält ſich bei Tage verborgen, es ſei denn, daß ſie ſich in einem dunklen Keller einquartirte, geht dagegen in der Nacht auf Raub aus, während welcher ſie in den großen Skolopendern und einem ſchwarzen Raubkäfer ihr ebenbürtigen Feinden begegnet. Die fußartigen Kiefer befinden ſich in ſtets taſtender Bewegung. Berühren ſie einen Gegen- ſtand, ſo ſoll ein phosphorescirender Lichtſchein von ihnen ausgehen. Wie der Elefant ſeinen Rüſſel hoch empor hebt, wenn er mit ihm einen Gegenſtand berührte, deſſen er nicht ſicher iſt: ſo wirft die Skorpionſpinne ihre Taſter in die Höhe, hat ſie aber eine Beute ermittelt, ſo ſtürzt ſie mit einem Sprunge auf dieſelbe los und bohrt ihre Scheeren in dieſelbe ein. Man hat ver- ſchiedene Verſuche angeſtellt, welche die Wildheit der Skorpionſpinnen beweiſen. Eine war im Körper 2 Zoll lang und griff jedes ihr vorgeworfene Jnſekt an; einer, ohne den Schwanz 3 Zoll meſſenden Eidechſe ſprang ſie auf den Rücken, hieb ihre Zangen in den Nacken ein und fraß, nur die wenigen Knochen zurücklaſſend, den Leib auf. Eine noch blinde, ſehr junge Moſchusratte wurde von ihr getödtet und in kurzer Zeit vollſtändig vertilgt. Weiter ließ man ſie gegen eine 4 bis 5 Zoll ſpannende Fledermaus los und obgleich ſich dieſe ſehr lebhaft bewegte, ſo ſprang die Solpuga auf ſie und biß ſich ſo feſt in den Hals ein, daß ſie trotz allen Flatterns der Fleder- maus nicht abgeſchüttelt werden konnte. Einen vier Zoll langen Skorpion faßte ſie an der Wurzel des Schwanzes, biß dieſen ab und verzehrte beide Theile, doch war dieſer Sieg nur ein zufälliger; denn einen zweiten Skorpion, mit dem man ſie ſpäter zuſammenbrachte, griff ſie von vorn an, wurde aber von deſſen Scheeren erfaßt, mit dem Giftſtachel verwundet und nun war es um ſie geſchehen: ſie zuckte ein paar Mal krampfhaft zuſammen und war ein Kind des Todes. Auch Capitain Hutton theilt über eine indiſche Art, für die er den Namen G. vorax vorſchlägt, möglichenfalls dieſelbe, welche HerbſtG. fatalis nennt, intereſſante Beobachtungen mit. Das nächtliche, ſehr räuberiſche Thier packt große, hartſchalige Käfer und beißt ſie mit der größten
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Die Spinnenthiere. Gliederſpinnen.
Pallas erzählt wunderliche Dinge von unſerer Skorpionſpinne, welche in den ſüdruſſiſchen
Steppen, im Lande der Kalmücken und Kirgiſen nicht minder gefürchtet wird, als anderwärts die
Skorpione. Wie bei uns der gemeine Mann eine Menge von Gliederthieren für gefährlich hält,
weil er ſie eben nicht weiter kennt und ihre äußere Erſcheinung vor ſeinen Augen keine Gnade
findet, ſo und in noch höherem Maaße bei jenen Nomadenvölkern. Die an der Perſon des
Menſchen ſich nie vergreifende Maulwurfsgrille, irgend eine haarige Spinne und ähnliches Geziefer
wird in gleichem Maaße gefürchtet, wie der Bû-Chorgoi (Zauberwurm) oder Mandschi-Bû-
Chorgoi (gemeine Zauberwurm), wie die Kalmücken die Skorpionſpinne nennen. Bei den Kirgiſen
führt ſie den Namen Kara-Kurt-Bie. Sie wird bei allen dieſen herumziehenden Völkerſchaften
ihres giftigen Biſſes wegen ſo gefürchtet, daß man die Gegend verläßt, in welcher ſich öfter das
für Menſchen und deren Heerden gefährliche Thier gezeigt hat. Wenn ſich die Kameele und
Schafe, welche im Sommer dort nackte Bäuche haben, zur Ruhe niederlegen, ſo finden ſich dieſe
Beſtien ein, ſpringen an ſie und ſchlagen ihre jedenfalls das Gift enthaltenden Scheeren dort ein.
Der Bauch ſchwillt an und nicht ſelten gehen die gebiſſenen Thiere an der Vergiftung zu Grunde.
Da ſich die Skorpionſpinnen gern zwiſchen Schilf aufhalten, ſo kommen ſie mit dieſem in die
daraus erbaueten Hütten und mit den Menſchen in nähere Berührung als ſie ſelbſt beabſichtigen,
verkriechen ſich gleich den Skorpionen in die Kleider und führen überhaupt ganz deren Lebensweiſe.
Nach dem Aberglauben der Kalmücken muß die Milch einer Frau, welche ihr erſtes Wochenbett
abhält und — als Mädchen keuſch lebte, oder, in Ermangelung dieſes Mittels Lunge und Herz,
welche einem lebendigen, ſchwarzen Thiere (Hund, Katze) aus dem Leibe geriſſen worden ſind,
auf die Bißwunde gelegt werden, um die Vergiſtung zu heilen. Von den Aerzten in Sarepta
wurden zu Pallas Zeiten Einreibungen von Nußöl oder mit Kampfer geſättigtem Baumöl
erfolgreich angewendet. Der Biß iſt ungemein ſchmerzhaft, erzeugt ſtarke Entzündung, vorbei-
gehende Lähmung, Kopfweh, Ohnmacht.
Die Skorpionſpinne bewohnt Erdriſſe in thonigem Boden, ſchilfreiche Gegenden, wie bereits
erwähnt wurde, oder ſitzt unter Steinen und hält ſich bei Tage verborgen, es ſei denn, daß ſie
ſich in einem dunklen Keller einquartirte, geht dagegen in der Nacht auf Raub aus, während welcher
ſie in den großen Skolopendern und einem ſchwarzen Raubkäfer ihr ebenbürtigen Feinden begegnet.
Die fußartigen Kiefer befinden ſich in ſtets taſtender Bewegung. Berühren ſie einen Gegen-
ſtand, ſo ſoll ein phosphorescirender Lichtſchein von ihnen ausgehen. Wie der Elefant ſeinen
Rüſſel hoch empor hebt, wenn er mit ihm einen Gegenſtand berührte, deſſen er nicht ſicher iſt:
ſo wirft die Skorpionſpinne ihre Taſter in die Höhe, hat ſie aber eine Beute ermittelt, ſo ſtürzt
ſie mit einem Sprunge auf dieſelbe los und bohrt ihre Scheeren in dieſelbe ein. Man hat ver-
ſchiedene Verſuche angeſtellt, welche die Wildheit der Skorpionſpinnen beweiſen. Eine war im
Körper 2 Zoll lang und griff jedes ihr vorgeworfene Jnſekt an; einer, ohne den Schwanz 3 Zoll
meſſenden Eidechſe ſprang ſie auf den Rücken, hieb ihre Zangen in den Nacken ein und fraß, nur
die wenigen Knochen zurücklaſſend, den Leib auf. Eine noch blinde, ſehr junge Moſchusratte
wurde von ihr getödtet und in kurzer Zeit vollſtändig vertilgt. Weiter ließ man ſie gegen eine
4 bis 5 Zoll ſpannende Fledermaus los und obgleich ſich dieſe ſehr lebhaft bewegte, ſo ſprang die
Solpuga auf ſie und biß ſich ſo feſt in den Hals ein, daß ſie trotz allen Flatterns der Fleder-
maus nicht abgeſchüttelt werden konnte. Einen vier Zoll langen Skorpion faßte ſie an der Wurzel
des Schwanzes, biß dieſen ab und verzehrte beide Theile, doch war dieſer Sieg nur ein zufälliger;
denn einen zweiten Skorpion, mit dem man ſie ſpäter zuſammenbrachte, griff ſie von vorn an,
wurde aber von deſſen Scheeren erfaßt, mit dem Giftſtachel verwundet und nun war es um ſie
geſchehen: ſie zuckte ein paar Mal krampfhaft zuſammen und war ein Kind des Todes. Auch
Capitain Hutton theilt über eine indiſche Art, für die er den Namen G. vorax vorſchlägt,
möglichenfalls dieſelbe, welche Herbſt G. fatalis nennt, intereſſante Beobachtungen mit. Das
nächtliche, ſehr räuberiſche Thier packt große, hartſchalige Käfer und beißt ſie mit der größten
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/602>, abgerufen am 24.11.2024.
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