Etwa fünf oder sechs Hundert lichtscheuen Thieren, welche in den heißen Ländern reicher an Zahl und stattlicher an Größe vorkommen als bei uns, hat man den Namen der Tausendfüßler (Myriopoda) beigelegt, nicht um damit anzudeuten, daß sie gerade tausend, sondern nur unbestimmt viele Beine haben. Zahlreiche, unter sich fast gleiche, hartschalige Glieder, die je ein Paar, auch zwei Paare gegliederter, einklauiger Beine tragen und ein davon deutlich abgegrenzter Kopf setzen den wurmförmigen oder asselähnlichen Körper dieser Thiere zusammen, welcher in sofern äußerlich einen wesentlichen Unterschied von dem der Jusekten zeigt, als mit Ausschluß des Kopfes alle Glieder gleichwerthig erscheinen und somit der Gegensatz zwischen einem mittleren, Flügel und nur sechs Beine tragenden, und einem fußlosen hinteren Körpertheile vollkommen aufgehoben ist. Der Kopf führt an der Stirn oder unter ihrem Rande zwei faden- oder borstenförmige, seltener nach der Spitze hin unmerklich verdickte Fühler, sowie jederseits eine Gruppe einfacher Augen in schwankenden Zahlenverhältnissen, die hie und da auch ganz fehlen und bei einer Gattung (Scutigera) durch Netzaugen ersetzt sind. Die Freßwerkzenge aller Tausendfüßler bestehen im Wesentlichen aus tief im Munde eingelenkten hakigen Kinnbacken und einer viertheiligen untern Mundklappe, deren beide Seitentheile den Kinnladen, die beiden mittleren der Unterlippe der Jnsekten entsprechen, welchen beiden jedoch die Taster fehlen.
Je weniger die Tausendfüßler der äußern Erscheinung nach mit den Jnsekten übereinstimmen, desto mehr nähern sie sich ihnen durch den innern Ban des Körpers. Zunächst durchziehen diesen verzweigte Luftröhren (Tracheen), die sich nach außen in deutliche, wenn sie in der Bindehaut zwischen den Rücken- und Bauchplatten liegen, oder unter den Ringen mehr versteckte Lustlöcher (Stigmen) öffnen. Der Darmkanal entspricht fast durchweg der Körperlänge und verläuft dann in gerader Nichtung vom Munde bis zum After. Das Herz wird durch ein Rückengefäß vertreten, dessen Kammern sich in der Zahl nach derjenigen der Körperringe richten. Am Bauche entlang zieht der Nervenstrang, hier mit zahlreicheren und einander mehr genäherten Knoten versehen, als bei den Jnsekten, was in der bedeutend größern Anzahl der Ringe eine sehr natürliche Erklärung sindet. Nicht minder wiederholt sich in der Einrichtung der Speicheldrüsen und der Geschlechtswerkzeuge die Uebereinstimmung mit der vorangegangenen Abtheilung.
Aus den Eiern, welche die Weibchen der Tausendfüßler in ihre dumpfen Aufenthaltsorte, unter Steine, nasses Laub, in faulendes Holz, alte Baumstämme etc. legen, entschlüpfen, so weit die noch lückenhaften Beobachtungen reichen, fußlose Junge, welche mit der ersten Häutung drei Paar Beine erhalten, mit jeder folgenden einige mehr, die sich sammt den sie tragenden Gliedern
Tauſendfüßler (Myriopoda).
Etwa fünf oder ſechs Hundert lichtſcheuen Thieren, welche in den heißen Ländern reicher an Zahl und ſtattlicher an Größe vorkommen als bei uns, hat man den Namen der Tauſendfüßler (Myriopoda) beigelegt, nicht um damit anzudeuten, daß ſie gerade tauſend, ſondern nur unbeſtimmt viele Beine haben. Zahlreiche, unter ſich faſt gleiche, hartſchalige Glieder, die je ein Paar, auch zwei Paare gegliederter, einklauiger Beine tragen und ein davon deutlich abgegrenzter Kopf ſetzen den wurmförmigen oder aſſelähnlichen Körper dieſer Thiere zuſammen, welcher in ſofern äußerlich einen weſentlichen Unterſchied von dem der Juſekten zeigt, als mit Ausſchluß des Kopfes alle Glieder gleichwerthig erſcheinen und ſomit der Gegenſatz zwiſchen einem mittleren, Flügel und nur ſechs Beine tragenden, und einem fußloſen hinteren Körpertheile vollkommen aufgehoben iſt. Der Kopf führt an der Stirn oder unter ihrem Rande zwei faden- oder borſtenförmige, ſeltener nach der Spitze hin unmerklich verdickte Fühler, ſowie jederſeits eine Gruppe einfacher Augen in ſchwankenden Zahlenverhältniſſen, die hie und da auch ganz fehlen und bei einer Gattung (Scutigera) durch Netzaugen erſetzt ſind. Die Freßwerkzenge aller Tauſendfüßler beſtehen im Weſentlichen aus tief im Munde eingelenkten hakigen Kinnbacken und einer viertheiligen untern Mundklappe, deren beide Seitentheile den Kinnladen, die beiden mittleren der Unterlippe der Jnſekten entſprechen, welchen beiden jedoch die Taſter fehlen.
Je weniger die Tauſendfüßler der äußern Erſcheinung nach mit den Jnſekten übereinſtimmen, deſto mehr nähern ſie ſich ihnen durch den innern Ban des Körpers. Zunächſt durchziehen dieſen verzweigte Luftröhren (Tracheen), die ſich nach außen in deutliche, wenn ſie in der Bindehaut zwiſchen den Rücken- und Bauchplatten liegen, oder unter den Ringen mehr verſteckte Luſtlöcher (Stigmen) öffnen. Der Darmkanal entſpricht faſt durchweg der Körperlänge und verläuft dann in gerader Nichtung vom Munde bis zum After. Das Herz wird durch ein Rückengefäß vertreten, deſſen Kammern ſich in der Zahl nach derjenigen der Körperringe richten. Am Bauche entlang zieht der Nervenſtrang, hier mit zahlreicheren und einander mehr genäherten Knoten verſehen, als bei den Jnſekten, was in der bedeutend größern Anzahl der Ringe eine ſehr natürliche Erklärung ſindet. Nicht minder wiederholt ſich in der Einrichtung der Speicheldrüſen und der Geſchlechtswerkzeuge die Uebereinſtimmung mit der vorangegangenen Abtheilung.
Aus den Eiern, welche die Weibchen der Tauſendfüßler in ihre dumpfen Aufenthaltsorte, unter Steine, naſſes Laub, in faulendes Holz, alte Baumſtämme ꝛc. legen, entſchlüpfen, ſo weit die noch lückenhaften Beobachtungen reichen, fußloſe Junge, welche mit der erſten Häutung drei Paar Beine erhalten, mit jeder folgenden einige mehr, die ſich ſammt den ſie tragenden Gliedern
<TEI><text><body><floatingText><body><divn="1"><pbfacs="#f0579"n="[543]"/><divn="2"><head><hirendition="#g"><hirendition="#fr">Tauſendfüßler</hi> (<hirendition="#aq">Myriopoda</hi>)</hi>.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>twa fünf oder ſechs Hundert lichtſcheuen Thieren, welche in den heißen Ländern reicher an<lb/>
Zahl und ſtattlicher an Größe vorkommen als bei uns, hat man den Namen der <hirendition="#g">Tauſendfüßler</hi><lb/>
(<hirendition="#aq">Myriopoda</hi>) beigelegt, nicht um damit anzudeuten, daß ſie gerade tauſend, ſondern nur unbeſtimmt<lb/>
viele Beine haben. Zahlreiche, unter ſich faſt gleiche, hartſchalige Glieder, die je ein Paar, auch<lb/>
zwei Paare gegliederter, <hirendition="#g">ein</hi>klauiger Beine tragen und ein davon deutlich abgegrenzter Kopf ſetzen<lb/>
den wurmförmigen oder aſſelähnlichen Körper dieſer Thiere zuſammen, welcher in ſofern<lb/>
äußerlich einen weſentlichen Unterſchied von dem der Juſekten zeigt, als mit Ausſchluß des Kopfes alle<lb/>
Glieder gleichwerthig erſcheinen und ſomit der Gegenſatz zwiſchen einem mittleren, Flügel und nur<lb/>ſechs Beine tragenden, und einem fußloſen hinteren Körpertheile vollkommen aufgehoben iſt. Der<lb/>
Kopf führt an der Stirn oder unter ihrem Rande zwei faden- oder borſtenförmige, ſeltener nach<lb/>
der Spitze hin unmerklich verdickte Fühler, ſowie jederſeits eine Gruppe <hirendition="#g">einfacher</hi> Augen in<lb/>ſchwankenden Zahlenverhältniſſen, die hie und da auch ganz fehlen und bei einer Gattung (<hirendition="#aq">Scutigera</hi>)<lb/>
durch Netzaugen erſetzt ſind. Die Freßwerkzenge aller Tauſendfüßler beſtehen im Weſentlichen aus<lb/>
tief im Munde eingelenkten hakigen Kinnbacken und einer viertheiligen untern Mundklappe, deren<lb/>
beide Seitentheile den Kinnladen, die beiden mittleren der Unterlippe der Jnſekten entſprechen,<lb/>
welchen beiden jedoch die Taſter fehlen.</p><lb/><p>Je weniger die Tauſendfüßler der äußern Erſcheinung nach mit den Jnſekten übereinſtimmen,<lb/>
deſto mehr nähern ſie ſich ihnen durch den innern Ban des Körpers. Zunächſt durchziehen dieſen<lb/>
verzweigte Luftröhren (Tracheen), die ſich nach außen in deutliche, wenn ſie in der Bindehaut zwiſchen<lb/>
den Rücken- und Bauchplatten liegen, oder unter den Ringen mehr verſteckte Luſtlöcher (Stigmen)<lb/>
öffnen. Der Darmkanal entſpricht faſt durchweg der Körperlänge und verläuft dann in gerader<lb/>
Nichtung vom Munde bis zum After. Das Herz wird durch ein Rückengefäß vertreten, deſſen<lb/>
Kammern ſich in der Zahl nach derjenigen der Körperringe richten. Am Bauche entlang zieht der<lb/>
Nervenſtrang, hier mit zahlreicheren und einander mehr genäherten Knoten verſehen, als bei den<lb/>
Jnſekten, was in der bedeutend größern Anzahl der Ringe eine ſehr natürliche Erklärung ſindet.<lb/>
Nicht minder wiederholt ſich in der Einrichtung der Speicheldrüſen und der Geſchlechtswerkzeuge<lb/>
die Uebereinſtimmung mit der vorangegangenen Abtheilung.</p><lb/><p>Aus den Eiern, welche die Weibchen der Tauſendfüßler in ihre dumpfen Aufenthaltsorte,<lb/>
unter Steine, naſſes Laub, in faulendes Holz, alte Baumſtämme ꝛc. legen, entſchlüpfen, ſo weit<lb/>
die noch lückenhaften Beobachtungen reichen, fußloſe Junge, welche mit der erſten Häutung <hirendition="#g">drei</hi><lb/>
Paar Beine erhalten, mit jeder folgenden einige mehr, die ſich ſammt den ſie tragenden Gliedern<lb/></p></div></div></body></floatingText></body></text></TEI>
[[543]/0579]
Tauſendfüßler (Myriopoda).
Etwa fünf oder ſechs Hundert lichtſcheuen Thieren, welche in den heißen Ländern reicher an
Zahl und ſtattlicher an Größe vorkommen als bei uns, hat man den Namen der Tauſendfüßler
(Myriopoda) beigelegt, nicht um damit anzudeuten, daß ſie gerade tauſend, ſondern nur unbeſtimmt
viele Beine haben. Zahlreiche, unter ſich faſt gleiche, hartſchalige Glieder, die je ein Paar, auch
zwei Paare gegliederter, einklauiger Beine tragen und ein davon deutlich abgegrenzter Kopf ſetzen
den wurmförmigen oder aſſelähnlichen Körper dieſer Thiere zuſammen, welcher in ſofern
äußerlich einen weſentlichen Unterſchied von dem der Juſekten zeigt, als mit Ausſchluß des Kopfes alle
Glieder gleichwerthig erſcheinen und ſomit der Gegenſatz zwiſchen einem mittleren, Flügel und nur
ſechs Beine tragenden, und einem fußloſen hinteren Körpertheile vollkommen aufgehoben iſt. Der
Kopf führt an der Stirn oder unter ihrem Rande zwei faden- oder borſtenförmige, ſeltener nach
der Spitze hin unmerklich verdickte Fühler, ſowie jederſeits eine Gruppe einfacher Augen in
ſchwankenden Zahlenverhältniſſen, die hie und da auch ganz fehlen und bei einer Gattung (Scutigera)
durch Netzaugen erſetzt ſind. Die Freßwerkzenge aller Tauſendfüßler beſtehen im Weſentlichen aus
tief im Munde eingelenkten hakigen Kinnbacken und einer viertheiligen untern Mundklappe, deren
beide Seitentheile den Kinnladen, die beiden mittleren der Unterlippe der Jnſekten entſprechen,
welchen beiden jedoch die Taſter fehlen.
Je weniger die Tauſendfüßler der äußern Erſcheinung nach mit den Jnſekten übereinſtimmen,
deſto mehr nähern ſie ſich ihnen durch den innern Ban des Körpers. Zunächſt durchziehen dieſen
verzweigte Luftröhren (Tracheen), die ſich nach außen in deutliche, wenn ſie in der Bindehaut zwiſchen
den Rücken- und Bauchplatten liegen, oder unter den Ringen mehr verſteckte Luſtlöcher (Stigmen)
öffnen. Der Darmkanal entſpricht faſt durchweg der Körperlänge und verläuft dann in gerader
Nichtung vom Munde bis zum After. Das Herz wird durch ein Rückengefäß vertreten, deſſen
Kammern ſich in der Zahl nach derjenigen der Körperringe richten. Am Bauche entlang zieht der
Nervenſtrang, hier mit zahlreicheren und einander mehr genäherten Knoten verſehen, als bei den
Jnſekten, was in der bedeutend größern Anzahl der Ringe eine ſehr natürliche Erklärung ſindet.
Nicht minder wiederholt ſich in der Einrichtung der Speicheldrüſen und der Geſchlechtswerkzeuge
die Uebereinſtimmung mit der vorangegangenen Abtheilung.
Aus den Eiern, welche die Weibchen der Tauſendfüßler in ihre dumpfen Aufenthaltsorte,
unter Steine, naſſes Laub, in faulendes Holz, alte Baumſtämme ꝛc. legen, entſchlüpfen, ſo weit
die noch lückenhaften Beobachtungen reichen, fußloſe Junge, welche mit der erſten Häutung drei
Paar Beine erhalten, mit jeder folgenden einige mehr, die ſich ſammt den ſie tragenden Gliedern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. [543]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/579>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.