Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.Schwammspinner. Trieben zu folgen, wovon allein nur alle vollkommenen Jnsekten beseelt sind: zu leben undleben zu lassen. Kaum sind dem Männchen seine Schwingen gewachsen, so fliegt es in wilder Lust umher, wie ein Schatten gleitet es an uns vorüber und ist im Augenblicke wieder ver- schwunden, weil sein fledermausartiger Flug und die Dunkelheit uns nicht vergönnen, ihm mit dem Auge zu folgen. Am andern Tage finden wir es wieder, oder wenigstens seinen Bruder, an einer Wand, in dem Winkel eines Fensters, von der nächtlichen Schwärmerei ruhend. Sehr fest sitzt es aber nicht, wir brauchen ihm nur nahe genug zu kommen, daß es unsere Gegenwart merkt, so fliegt es davon und weil die Störungen manchfacher Art sein können, so geschieht es, daß wir an sonnigen oder schwülen Tagen die Thiere in ewiger Unruhe umherfahren sehen. Ganz anders das Weibchen. Träge sitzt es an Wänden oder Baumstämmen und bedeckt seinen häßlichen, dicken Hinterleib dachartig mit den nichts weniger als schönen Flügeln. Kann man durch einen Fußtritt den Baumstamm erschüttern, an welchem es hängt, so fällt es herab mit nach vorn gekrümmter Hinterleibsspitze, es der Mühe kaum werth erachtend, durch Flattern dem erhaltenen Stoße entgegenzuwirken. Nur bei anbrechender Dunkelheit erhebt es mühsam seine Flügel und taumelt um die Bäume, ein fetter Bissen für die beutelüsternen Fledermänse. So bringt es seine kurze Lebenszeit hin, des Tages in fauler Ruhe, des Nachts in flatternder Unbeholfenheit, und muß sich, wie auch das Männchen, nur vom Thau ernähren; deun an Blumen findet man beide nie. Endlich trifft man es vor einem braunen, dem Feuerschwamme nicht unähnlichen Filze, einem "großen Schwamme" sitzend. Wie der Goldafter und der Schwan beginnt es mit einem Schleimüberzuge, an welchem die unterste Schicht des Filzes hängen bleibt, welchen es seinem tief braunen After- polster entzieht. Hierauf kommt eine Lage Eier, dann eine weitere Haarschicht, und so fort, bis ein ansehnliches Häuflein ohne bestimmte Form an dem Baumstamme, der übertünchten Lehmwand, oder an ähnlichen, stets aber geschützten Stellen untergebracht ist. Je zahlreichere Schwämme im angeführten Sinne sichtbar werden, desto seltener werden die Weibchen, die Männchen waren bereits früher von der Schaubühne abgetreten. Erst in dem nächsten Frühjahre erwacht in jenen das Leben, wo nicht ein sorgsamer Landwirth die ihm zugänglichen bei Zeiten vertilgte. Auf der weichen Unterlage sonnen sich in fröhlichem Gewimmel die schwarzen Räupchen, gehen jedoch bald auseinander, treffen aber an den Astgabeln, an der Unterseite der Aeste, um vor Nässe geschützt zu sein, immer wieder zusammen, und jede siehet zu, wo für sie der Tisch gedeckt sei. Sie gehören keineswegs zu den Kostverächtern; denn die Rosenblätter unserer Gärten, die Blätter der Eichen im Walde, der Weide am Bache, der Pappel an der Heerstraße und der verschiedensten Obstbäume sagen ihr ohne Unterschied zu. Es kommen Jahre vor, in denen sie durch ihre ungeheure Menge zur Plage größerer Landstriche wird. So berichteten französische Journale (unter dem 14. Juli 1818): "Die schönen Korkeichenwälder, welche sich von Barbaste bis zur Stadt Podenas im südlichen Frankreich erstrecken, sind in einer ganz verzweifelten Weise von der Raupe eines Schmetterlings vernichtet, welcher sich Liparis dispar nennt. Nachdem sie nicht nur die Blätter der Korkbäume, sondern auch die Eicheln dieses und des folgenden Jahres verschlungen hatten (die Frucht braucht ein Jahr, ehe sie reift), wurden unsere Mais- und Hirse- felder, unsere Futterkräuter und unsere sämmtlichen Früchte ihnen zur Beute. Die den Bäumen benachbarten Wohnungen sind von ihnen erfüllt und können den unglücklichen Eigenthümern nicht mehr zum Aufenthalte dienen. Selbst die Weinstöcke, die hie und da auf unserem Sandboden zerstreut wachsen, sind nicht verschont geblieben." Jch selbst habe bei einer andern Gelegenheit beobachtet, wie die Thiere sich unten auf dem Boden krümmten und mit dem Hungertode rangen, nachdem sie eine isolirte, an einem Felseneinschnitte wachsende Gruppe von Pflaumenbäumen voll- ständig entblättert hatten, und ihnen die Möglichkeit benommen war, mehr Futter zu erlangenz denn weitere Wanderungen darnach unternehmen sie nicht, wie gewisse andere Raupen. Jm Jahre 1752 waren sie in Sachsen schaarenweise vorhanden, so daß sie in den Gegenden von Altenburg, Zeitz, Naumburg, Sangerhausen nicht nur alle Obstbäume, sondern zum Theil ganze Taschenberg, wirbellose Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 22
Schwammſpinner. Trieben zu folgen, wovon allein nur alle vollkommenen Jnſekten beſeelt ſind: zu leben undleben zu laſſen. Kaum ſind dem Männchen ſeine Schwingen gewachſen, ſo fliegt es in wilder Luſt umher, wie ein Schatten gleitet es an uns vorüber und iſt im Augenblicke wieder ver- ſchwunden, weil ſein fledermausartiger Flug und die Dunkelheit uns nicht vergönnen, ihm mit dem Auge zu folgen. Am andern Tage finden wir es wieder, oder wenigſtens ſeinen Bruder, an einer Wand, in dem Winkel eines Fenſters, von der nächtlichen Schwärmerei ruhend. Sehr feſt ſitzt es aber nicht, wir brauchen ihm nur nahe genug zu kommen, daß es unſere Gegenwart merkt, ſo fliegt es davon und weil die Störungen manchfacher Art ſein können, ſo geſchieht es, daß wir an ſonnigen oder ſchwülen Tagen die Thiere in ewiger Unruhe umherfahren ſehen. Ganz anders das Weibchen. Träge ſitzt es an Wänden oder Baumſtämmen und bedeckt ſeinen häßlichen, dicken Hinterleib dachartig mit den nichts weniger als ſchönen Flügeln. Kann man durch einen Fußtritt den Baumſtamm erſchüttern, an welchem es hängt, ſo fällt es herab mit nach vorn gekrümmter Hinterleibsſpitze, es der Mühe kaum werth erachtend, durch Flattern dem erhaltenen Stoße entgegenzuwirken. Nur bei anbrechender Dunkelheit erhebt es mühſam ſeine Flügel und taumelt um die Bäume, ein fetter Biſſen für die beutelüſternen Fledermänſe. So bringt es ſeine kurze Lebenszeit hin, des Tages in fauler Ruhe, des Nachts in flatternder Unbeholfenheit, und muß ſich, wie auch das Männchen, nur vom Thau ernähren; deun an Blumen findet man beide nie. Endlich trifft man es vor einem braunen, dem Feuerſchwamme nicht unähnlichen Filze, einem „großen Schwamme“ ſitzend. Wie der Goldafter und der Schwan beginnt es mit einem Schleimüberzuge, an welchem die unterſte Schicht des Filzes hängen bleibt, welchen es ſeinem tief braunen After- polſter entzieht. Hierauf kommt eine Lage Eier, dann eine weitere Haarſchicht, und ſo fort, bis ein anſehnliches Häuflein ohne beſtimmte Form an dem Baumſtamme, der übertünchten Lehmwand, oder an ähnlichen, ſtets aber geſchützten Stellen untergebracht iſt. Je zahlreichere Schwämme im angeführten Sinne ſichtbar werden, deſto ſeltener werden die Weibchen, die Männchen waren bereits früher von der Schaubühne abgetreten. Erſt in dem nächſten Frühjahre erwacht in jenen das Leben, wo nicht ein ſorgſamer Landwirth die ihm zugänglichen bei Zeiten vertilgte. Auf der weichen Unterlage ſonnen ſich in fröhlichem Gewimmel die ſchwarzen Räupchen, gehen jedoch bald auseinander, treffen aber an den Aſtgabeln, an der Unterſeite der Aeſte, um vor Näſſe geſchützt zu ſein, immer wieder zuſammen, und jede ſiehet zu, wo für ſie der Tiſch gedeckt ſei. Sie gehören keineswegs zu den Koſtverächtern; denn die Roſenblätter unſerer Gärten, die Blätter der Eichen im Walde, der Weide am Bache, der Pappel an der Heerſtraße und der verſchiedenſten Obſtbäume ſagen ihr ohne Unterſchied zu. Es kommen Jahre vor, in denen ſie durch ihre ungeheure Menge zur Plage größerer Landſtriche wird. So berichteten franzöſiſche Journale (unter dem 14. Juli 1818): „Die ſchönen Korkeichenwälder, welche ſich von Barbaſte bis zur Stadt Podenas im ſüdlichen Frankreich erſtrecken, ſind in einer ganz verzweifelten Weiſe von der Raupe eines Schmetterlings vernichtet, welcher ſich Liparis dispar nennt. Nachdem ſie nicht nur die Blätter der Korkbäume, ſondern auch die Eicheln dieſes und des folgenden Jahres verſchlungen hatten (die Frucht braucht ein Jahr, ehe ſie reift), wurden unſere Mais- und Hirſe- felder, unſere Futterkräuter und unſere ſämmtlichen Früchte ihnen zur Beute. Die den Bäumen benachbarten Wohnungen ſind von ihnen erfüllt und können den unglücklichen Eigenthümern nicht mehr zum Aufenthalte dienen. Selbſt die Weinſtöcke, die hie und da auf unſerem Sandboden zerſtreut wachſen, ſind nicht verſchont geblieben.“ Jch ſelbſt habe bei einer andern Gelegenheit beobachtet, wie die Thiere ſich unten auf dem Boden krümmten und mit dem Hungertode rangen, nachdem ſie eine iſolirte, an einem Felſeneinſchnitte wachſende Gruppe von Pflaumenbäumen voll- ſtändig entblättert hatten, und ihnen die Möglichkeit benommen war, mehr Futter zu erlangenz denn weitere Wanderungen darnach unternehmen ſie nicht, wie gewiſſe andere Raupen. Jm Jahre 1752 waren ſie in Sachſen ſchaarenweiſe vorhanden, ſo daß ſie in den Gegenden von Altenburg, Zeitz, Naumburg, Sangerhauſen nicht nur alle Obſtbäume, ſondern zum Theil ganze Taſchenberg, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 22
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Sehr<lb/> feſt ſitzt es aber nicht, wir brauchen ihm nur nahe genug zu kommen, daß es unſere Gegenwart<lb/> merkt, ſo fliegt es davon und weil die Störungen manchfacher Art ſein können, ſo geſchieht es,<lb/> daß wir an ſonnigen oder ſchwülen Tagen die Thiere in ewiger Unruhe umherfahren ſehen. Ganz<lb/> anders das Weibchen. Träge ſitzt es an Wänden oder Baumſtämmen und bedeckt ſeinen häßlichen,<lb/> dicken Hinterleib dachartig mit den nichts weniger als ſchönen Flügeln. Kann man durch einen<lb/> Fußtritt den Baumſtamm erſchüttern, an welchem es hängt, ſo fällt es herab mit nach vorn<lb/> gekrümmter Hinterleibsſpitze, es der Mühe kaum werth erachtend, durch Flattern dem erhaltenen<lb/> Stoße entgegenzuwirken. Nur bei anbrechender Dunkelheit erhebt es mühſam ſeine Flügel und<lb/> taumelt um die Bäume, ein fetter Biſſen für die beutelüſternen Fledermänſe. 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Trieben zu folgen, wovon allein nur alle vollkommenen Jnſekten beſeelt ſind: zu leben und
leben zu laſſen. Kaum ſind dem Männchen ſeine Schwingen gewachſen, ſo fliegt es in wilder
Luſt umher, wie ein Schatten gleitet es an uns vorüber und iſt im Augenblicke wieder ver-
ſchwunden, weil ſein fledermausartiger Flug und die Dunkelheit uns nicht vergönnen, ihm mit
dem Auge zu folgen. Am andern Tage finden wir es wieder, oder wenigſtens ſeinen Bruder,
an einer Wand, in dem Winkel eines Fenſters, von der nächtlichen Schwärmerei ruhend. Sehr
feſt ſitzt es aber nicht, wir brauchen ihm nur nahe genug zu kommen, daß es unſere Gegenwart
merkt, ſo fliegt es davon und weil die Störungen manchfacher Art ſein können, ſo geſchieht es,
daß wir an ſonnigen oder ſchwülen Tagen die Thiere in ewiger Unruhe umherfahren ſehen. Ganz
anders das Weibchen. Träge ſitzt es an Wänden oder Baumſtämmen und bedeckt ſeinen häßlichen,
dicken Hinterleib dachartig mit den nichts weniger als ſchönen Flügeln. Kann man durch einen
Fußtritt den Baumſtamm erſchüttern, an welchem es hängt, ſo fällt es herab mit nach vorn
gekrümmter Hinterleibsſpitze, es der Mühe kaum werth erachtend, durch Flattern dem erhaltenen
Stoße entgegenzuwirken. Nur bei anbrechender Dunkelheit erhebt es mühſam ſeine Flügel und
taumelt um die Bäume, ein fetter Biſſen für die beutelüſternen Fledermänſe. So bringt es ſeine
kurze Lebenszeit hin, des Tages in fauler Ruhe, des Nachts in flatternder Unbeholfenheit, und muß ſich,
wie auch das Männchen, nur vom Thau ernähren; deun an Blumen findet man beide nie. Endlich
trifft man es vor einem braunen, dem Feuerſchwamme nicht unähnlichen Filze, einem „großen
Schwamme“ ſitzend. Wie der Goldafter und der Schwan beginnt es mit einem Schleimüberzuge,
an welchem die unterſte Schicht des Filzes hängen bleibt, welchen es ſeinem tief braunen After-
polſter entzieht. Hierauf kommt eine Lage Eier, dann eine weitere Haarſchicht, und ſo fort, bis
ein anſehnliches Häuflein ohne beſtimmte Form an dem Baumſtamme, der übertünchten Lehmwand,
oder an ähnlichen, ſtets aber geſchützten Stellen untergebracht iſt. Je zahlreichere Schwämme im
angeführten Sinne ſichtbar werden, deſto ſeltener werden die Weibchen, die Männchen waren
bereits früher von der Schaubühne abgetreten. Erſt in dem nächſten Frühjahre erwacht
in jenen das Leben, wo nicht ein ſorgſamer Landwirth die ihm zugänglichen bei Zeiten vertilgte.
Auf der weichen Unterlage ſonnen ſich in fröhlichem Gewimmel die ſchwarzen Räupchen, gehen
jedoch bald auseinander, treffen aber an den Aſtgabeln, an der Unterſeite der Aeſte, um vor
Näſſe geſchützt zu ſein, immer wieder zuſammen, und jede ſiehet zu, wo für ſie der Tiſch gedeckt
ſei. Sie gehören keineswegs zu den Koſtverächtern; denn die Roſenblätter unſerer Gärten, die
Blätter der Eichen im Walde, der Weide am Bache, der Pappel an der Heerſtraße und der
verſchiedenſten Obſtbäume ſagen ihr ohne Unterſchied zu. Es kommen Jahre vor, in denen ſie
durch ihre ungeheure Menge zur Plage größerer Landſtriche wird. So berichteten franzöſiſche
Journale (unter dem 14. Juli 1818): „Die ſchönen Korkeichenwälder, welche ſich von Barbaſte
bis zur Stadt Podenas im ſüdlichen Frankreich erſtrecken, ſind in einer ganz verzweifelten Weiſe
von der Raupe eines Schmetterlings vernichtet, welcher ſich Liparis dispar nennt. Nachdem ſie
nicht nur die Blätter der Korkbäume, ſondern auch die Eicheln dieſes und des folgenden Jahres
verſchlungen hatten (die Frucht braucht ein Jahr, ehe ſie reift), wurden unſere Mais- und Hirſe-
felder, unſere Futterkräuter und unſere ſämmtlichen Früchte ihnen zur Beute. Die den Bäumen
benachbarten Wohnungen ſind von ihnen erfüllt und können den unglücklichen Eigenthümern nicht
mehr zum Aufenthalte dienen. Selbſt die Weinſtöcke, die hie und da auf unſerem Sandboden
zerſtreut wachſen, ſind nicht verſchont geblieben.“ Jch ſelbſt habe bei einer andern Gelegenheit
beobachtet, wie die Thiere ſich unten auf dem Boden krümmten und mit dem Hungertode rangen,
nachdem ſie eine iſolirte, an einem Felſeneinſchnitte wachſende Gruppe von Pflaumenbäumen voll-
ſtändig entblättert hatten, und ihnen die Möglichkeit benommen war, mehr Futter zu erlangenz
denn weitere Wanderungen darnach unternehmen ſie nicht, wie gewiſſe andere Raupen. Jm
Jahre 1752 waren ſie in Sachſen ſchaarenweiſe vorhanden, ſo daß ſie in den Gegenden von
Altenburg, Zeitz, Naumburg, Sangerhauſen nicht nur alle Obſtbäume, ſondern zum Theil ganze
Taſchenberg, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 22
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