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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Nachtpsauenaugen.
können es sogar nicht, weil ihnen regelrecht entwickelte Flügel dazu fehlen. Wegen ihrer Schwer-
fälligkeit legen sie gewöhnlich die Eier auch in gedrängte Haufen bei einander, woraus weiter folgt,
daß die zahlreichen Raupen sich zusammenhalten und unter ihnen die meisten vorkommen, welche
der menschlichen Oekonomie bedeutenden Schaden zufügen. Dieselben sind unter sich sehr ver-
schiedenartig, stimmen aber alle darin überein, daß sie bei der Verpuppung ein Gespinnst fertigen,
welches sie an einen Gegenstand ihrer Umgebung anheften, weshalb man auch die ganze Familie
als "Spinner" bezeichnete.

Wie Ornithoptera und Morpho für die Tagfalter, Sphinx für die Schwärmer, so ist Saturnia
der Stolz der ganzen Familie, ja der gauzeu Ordnung; denn unter den sogenannten Nacht-
pfauenaugen
treffen wir nicht nur die Riesen aller Schmetterlinge, sondern auch kühn geschwungene
Formen der ungeheuren Flügel, welche in der Mitte entweder ein Glasfenster oder ein prächtiges,
großes Augenfleck auszeichnet. Sie sind hier zu groß, um dachartig getragen werden zu können;
den vorderen fehlt eine Anhangszelle, den breiten hinteren, welche unter allen Umständen den
Hinterleib weit überragen, die Haftborste, sie haben nur eine deutliche Juneurandsrippe. Die
doppelte Reihe der langen, nach beiden Enden hin abnehmenden Kammzähne an den kurzen männ-
lichen Fühlern bringt einen blattähnlichen Umriß derselben zuwege. Die Nachtpfauenaugen kommen
in allen Erdtheilen vor, besonders zahlreich in Amerika. Um den größten aller Schmetterlinge
nicht mit Stillschweigen zu übergehen, erwähne ich den Atlas (Saturnia Atlas) aus China. Seine
ausgespannten Flügel würden beiderseits die äußersten Zeilen mit den Spitzen erreichen, wenn
wir uns den Schmetterling in die Quere auf ein Blatt dieses Buches gesetzt dächten; dabei mißt
sein Körper nur siebzehn Linien. Die Vorderflügel bekommen durch einen fast rechtwinkligen
Ausschnitt am Saume eine zwar gerundete, aber stark sichelförmige Spitze, die Unterflügel strecken
sich dermaßen nach hinten, daß sie die Leibesspitze um die ganze Körperlänge überragen. Ein
lebhaftes Rothgelb, im Saumfeld und vorn stark röthlichgrau bestäubt, bildet die Grundfarbe,
und die Zeichnungsanlage kann uns das folgende Bild vergegenwärtigen, nur ist das Spiegelfleck
in der Mitte keilförmig, und vor demselben steht im Vorderflügel noch ein kleineres lauzettliches,
dafür kein Auge in der lichten Spitze.

Bekanntlich ließen es die verschiedenen Krankheiten, welche seit dem Anfange der fünfziger
Jahre unter den "Seidenwürmern" bedeutende Verheerungen anrichteten und deren Züchtern schwere
Verluste beibrachten, wünschenswerth erscheinen, sich nach anderen Spinnern umzuschaueu, welche
möglicherweise durch das Produkt ihrer Raupen eine Seide liefern könnten, die den Ausfall
wenigstens einigermaßen deckte. Die in allen größeren Staaten Europas verbreiteten, so heilsam
wirkenden Akklimatisationsvereine nahmen sich auch dieser Angelegenheit an und sorgten für Beschaffung
verschiedener Spinner, denen man schon längst in Ostindien in dieser Beziehung Aufmerksamkeit
schenkte und durch künstliche Zucht Seide abgewann, als da sind die Saturnia Silhetica, S. Paphia,
deren Raupe Tussah in der Sprache der Eingebornen genannt wird, die S. assamensis, Moaga
in der Landessprache, S. Pernyi u. a. Natürlich können nur solche Berücksichtigung finden, deren
Futterpflanze bei uns zu beschaffen ist. Die meisten Versuche hat man mit dem in Assam Erya
genannten Ailanthus-Spinner (S. Cynthia) angestellt, welcher meines Wissens zuerst 1854
von der pariser Akklimatisationsgesellschaft verbreitet wurde. Deu Unterschied, welchen man in
letzterer Zeit zwischen einer Cynthia und Arindia aufrecht erhalten will, von denen jene
Ailanthus glandulosa (Götterbaum), diese Ricinus communis fressen soll, kann ich nicht anerkennen.
Jch habe durch den berliner Akklimatisationsverein Eier der S. Cynthia erhalten und die Raupen
mit beiden Pflanzen gefüttert und gefunden, daß sie bei letzterer fast besser gedeihen; auch will
mir der Unterschied nicht einleuchten, welcher im Ansehen zwischen beiden Schmetterlingen statt-
finden soll. Der Ailanthus-Spinner also, den uns sammt Raupe und Puppengespinnst
umstehende Zeichnung vorführt, entwickelt sich sehr schnell und läßt im Jahre bequem drei Gene-
rationen zu, wenn man nur im Stande ist, Futter zu besorgen, was freilich ein Treibhaus voraus-

Nachtpſauenaugen.
können es ſogar nicht, weil ihnen regelrecht entwickelte Flügel dazu fehlen. Wegen ihrer Schwer-
fälligkeit legen ſie gewöhnlich die Eier auch in gedrängte Haufen bei einander, woraus weiter folgt,
daß die zahlreichen Raupen ſich zuſammenhalten und unter ihnen die meiſten vorkommen, welche
der menſchlichen Oekonomie bedeutenden Schaden zufügen. Dieſelben ſind unter ſich ſehr ver-
ſchiedenartig, ſtimmen aber alle darin überein, daß ſie bei der Verpuppung ein Geſpinnſt fertigen,
welches ſie an einen Gegenſtand ihrer Umgebung anheften, weshalb man auch die ganze Familie
als „Spinner“ bezeichnete.

Wie Ornithoptera und Morpho für die Tagfalter, Sphinx für die Schwärmer, ſo iſt Saturnia
der Stolz der ganzen Familie, ja der gauzeu Ordnung; denn unter den ſogenannten Nacht-
pfauenaugen
treffen wir nicht nur die Rieſen aller Schmetterlinge, ſondern auch kühn geſchwungene
Formen der ungeheuren Flügel, welche in der Mitte entweder ein Glasfenſter oder ein prächtiges,
großes Augenfleck auszeichnet. Sie ſind hier zu groß, um dachartig getragen werden zu können;
den vorderen fehlt eine Anhangszelle, den breiten hinteren, welche unter allen Umſtänden den
Hinterleib weit überragen, die Haftborſte, ſie haben nur eine deutliche Juneurandsrippe. Die
doppelte Reihe der langen, nach beiden Enden hin abnehmenden Kammzähne an den kurzen männ-
lichen Fühlern bringt einen blattähnlichen Umriß derſelben zuwege. Die Nachtpfauenaugen kommen
in allen Erdtheilen vor, beſonders zahlreich in Amerika. Um den größten aller Schmetterlinge
nicht mit Stillſchweigen zu übergehen, erwähne ich den Atlas (Saturnia Atlas) aus China. Seine
ausgeſpannten Flügel würden beiderſeits die äußerſten Zeilen mit den Spitzen erreichen, wenn
wir uns den Schmetterling in die Quere auf ein Blatt dieſes Buches geſetzt dächten; dabei mißt
ſein Körper nur ſiebzehn Linien. Die Vorderflügel bekommen durch einen faſt rechtwinkligen
Ausſchnitt am Saume eine zwar gerundete, aber ſtark ſichelförmige Spitze, die Unterflügel ſtrecken
ſich dermaßen nach hinten, daß ſie die Leibesſpitze um die ganze Körperlänge überragen. Ein
lebhaftes Rothgelb, im Saumfeld und vorn ſtark röthlichgrau beſtäubt, bildet die Grundfarbe,
und die Zeichnungsanlage kann uns das folgende Bild vergegenwärtigen, nur iſt das Spiegelfleck
in der Mitte keilförmig, und vor demſelben ſteht im Vorderflügel noch ein kleineres lauzettliches,
dafür kein Auge in der lichten Spitze.

Bekanntlich ließen es die verſchiedenen Krankheiten, welche ſeit dem Anfange der fünfziger
Jahre unter den „Seidenwürmern“ bedeutende Verheerungen anrichteten und deren Züchtern ſchwere
Verluſte beibrachten, wünſchenswerth erſcheinen, ſich nach anderen Spinnern umzuſchaueu, welche
möglicherweiſe durch das Produkt ihrer Raupen eine Seide liefern könnten, die den Ausfall
wenigſtens einigermaßen deckte. Die in allen größeren Staaten Europas verbreiteten, ſo heilſam
wirkenden Akklimatiſationsvereine nahmen ſich auch dieſer Angelegenheit an und ſorgten für Beſchaffung
verſchiedener Spinner, denen man ſchon längſt in Oſtindien in dieſer Beziehung Aufmerkſamkeit
ſchenkte und durch künſtliche Zucht Seide abgewann, als da ſind die Saturnia Silhetica, S. Paphia,
deren Raupe Tuſſah in der Sprache der Eingebornen genannt wird, die S. assamensis, Moaga
in der Landesſprache, S. Pernyi u. a. Natürlich können nur ſolche Berückſichtigung finden, deren
Futterpflanze bei uns zu beſchaffen iſt. Die meiſten Verſuche hat man mit dem in Aſſam Erya
genannten Ailanthus-Spinner (S. Cynthia) angeſtellt, welcher meines Wiſſens zuerſt 1854
von der pariſer Akklimatiſationsgeſellſchaft verbreitet wurde. Deu Unterſchied, welchen man in
letzterer Zeit zwiſchen einer Cynthia und Arindia aufrecht erhalten will, von denen jene
Ailanthus glandulosa (Götterbaum), dieſe Ricinus communis freſſen ſoll, kann ich nicht anerkennen.
Jch habe durch den berliner Akklimatiſationsverein Eier der S. Cynthia erhalten und die Raupen
mit beiden Pflanzen gefüttert und gefunden, daß ſie bei letzterer faſt beſſer gedeihen; auch will
mir der Unterſchied nicht einleuchten, welcher im Anſehen zwiſchen beiden Schmetterlingen ſtatt-
finden ſoll. Der Ailanthus-Spinner alſo, den uns ſammt Raupe und Puppengeſpinnſt
umſtehende Zeichnung vorführt, entwickelt ſich ſehr ſchnell und läßt im Jahre bequem drei Gene-
rationen zu, wenn man nur im Stande iſt, Futter zu beſorgen, was freilich ein Treibhaus voraus-

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[325/0349] Nachtpſauenaugen. können es ſogar nicht, weil ihnen regelrecht entwickelte Flügel dazu fehlen. Wegen ihrer Schwer- fälligkeit legen ſie gewöhnlich die Eier auch in gedrängte Haufen bei einander, woraus weiter folgt, daß die zahlreichen Raupen ſich zuſammenhalten und unter ihnen die meiſten vorkommen, welche der menſchlichen Oekonomie bedeutenden Schaden zufügen. Dieſelben ſind unter ſich ſehr ver- ſchiedenartig, ſtimmen aber alle darin überein, daß ſie bei der Verpuppung ein Geſpinnſt fertigen, welches ſie an einen Gegenſtand ihrer Umgebung anheften, weshalb man auch die ganze Familie als „Spinner“ bezeichnete. Wie Ornithoptera und Morpho für die Tagfalter, Sphinx für die Schwärmer, ſo iſt Saturnia der Stolz der ganzen Familie, ja der gauzeu Ordnung; denn unter den ſogenannten Nacht- pfauenaugen treffen wir nicht nur die Rieſen aller Schmetterlinge, ſondern auch kühn geſchwungene Formen der ungeheuren Flügel, welche in der Mitte entweder ein Glasfenſter oder ein prächtiges, großes Augenfleck auszeichnet. Sie ſind hier zu groß, um dachartig getragen werden zu können; den vorderen fehlt eine Anhangszelle, den breiten hinteren, welche unter allen Umſtänden den Hinterleib weit überragen, die Haftborſte, ſie haben nur eine deutliche Juneurandsrippe. Die doppelte Reihe der langen, nach beiden Enden hin abnehmenden Kammzähne an den kurzen männ- lichen Fühlern bringt einen blattähnlichen Umriß derſelben zuwege. Die Nachtpfauenaugen kommen in allen Erdtheilen vor, beſonders zahlreich in Amerika. Um den größten aller Schmetterlinge nicht mit Stillſchweigen zu übergehen, erwähne ich den Atlas (Saturnia Atlas) aus China. Seine ausgeſpannten Flügel würden beiderſeits die äußerſten Zeilen mit den Spitzen erreichen, wenn wir uns den Schmetterling in die Quere auf ein Blatt dieſes Buches geſetzt dächten; dabei mißt ſein Körper nur ſiebzehn Linien. Die Vorderflügel bekommen durch einen faſt rechtwinkligen Ausſchnitt am Saume eine zwar gerundete, aber ſtark ſichelförmige Spitze, die Unterflügel ſtrecken ſich dermaßen nach hinten, daß ſie die Leibesſpitze um die ganze Körperlänge überragen. Ein lebhaftes Rothgelb, im Saumfeld und vorn ſtark röthlichgrau beſtäubt, bildet die Grundfarbe, und die Zeichnungsanlage kann uns das folgende Bild vergegenwärtigen, nur iſt das Spiegelfleck in der Mitte keilförmig, und vor demſelben ſteht im Vorderflügel noch ein kleineres lauzettliches, dafür kein Auge in der lichten Spitze. Bekanntlich ließen es die verſchiedenen Krankheiten, welche ſeit dem Anfange der fünfziger Jahre unter den „Seidenwürmern“ bedeutende Verheerungen anrichteten und deren Züchtern ſchwere Verluſte beibrachten, wünſchenswerth erſcheinen, ſich nach anderen Spinnern umzuſchaueu, welche möglicherweiſe durch das Produkt ihrer Raupen eine Seide liefern könnten, die den Ausfall wenigſtens einigermaßen deckte. Die in allen größeren Staaten Europas verbreiteten, ſo heilſam wirkenden Akklimatiſationsvereine nahmen ſich auch dieſer Angelegenheit an und ſorgten für Beſchaffung verſchiedener Spinner, denen man ſchon längſt in Oſtindien in dieſer Beziehung Aufmerkſamkeit ſchenkte und durch künſtliche Zucht Seide abgewann, als da ſind die Saturnia Silhetica, S. Paphia, deren Raupe Tuſſah in der Sprache der Eingebornen genannt wird, die S. assamensis, Moaga in der Landesſprache, S. Pernyi u. a. Natürlich können nur ſolche Berückſichtigung finden, deren Futterpflanze bei uns zu beſchaffen iſt. Die meiſten Verſuche hat man mit dem in Aſſam Erya genannten Ailanthus-Spinner (S. Cynthia) angeſtellt, welcher meines Wiſſens zuerſt 1854 von der pariſer Akklimatiſationsgeſellſchaft verbreitet wurde. Deu Unterſchied, welchen man in letzterer Zeit zwiſchen einer Cynthia und Arindia aufrecht erhalten will, von denen jene Ailanthus glandulosa (Götterbaum), dieſe Ricinus communis freſſen ſoll, kann ich nicht anerkennen. Jch habe durch den berliner Akklimatiſationsverein Eier der S. Cynthia erhalten und die Raupen mit beiden Pflanzen gefüttert und gefunden, daß ſie bei letzterer faſt beſſer gedeihen; auch will mir der Unterſchied nicht einleuchten, welcher im Anſehen zwiſchen beiden Schmetterlingen ſtatt- finden ſoll. Der Ailanthus-Spinner alſo, den uns ſammt Raupe und Puppengeſpinnſt umſtehende Zeichnung vorführt, entwickelt ſich ſehr ſchnell und läßt im Jahre bequem drei Gene- rationen zu, wenn man nur im Stande iſt, Futter zu beſorgen, was freilich ein Treibhaus voraus-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/349>, abgerufen am 23.11.2024.