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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Schmetterlinge. Tagfalter. Nymphaliden.
Mir will es scheinen, als wäre dieser Schmetterling mit der Zeit seltener geworden. Es war
Pfingsten 1829, erzählt Keferstein, als die Heerstraße von Erfurt nach Gotha einen eigen-
thümlichen Anblick darbot. Alle Obstbäume, welche sie beiderseits einfassen, waren weiß, als
wenn sie in den schönsten Blüthen prangten. Dieses Blüthengewand bestand aber aus einer
ungeheuren Masse von Baumweißlingen. Seitdem ist diese Art nie wieder in solchen Mengen
gesehen worden. Aehnliches kann ich aus einer etwas späteren Zeit berichten, was ich selbst
beobachtete. Jm Blumengarten meiner Großeltern traf ich als Kind diese Thiere in Schrecken
erregenden Mengen. Besonders inkeressant war es, gewisse Gewächse zu sehen, an welchen
sie zum Uebernachten des Abends fest saßen und zwar in solchen Massen, daß sie dieselben
ganz bedeckten. Auch an kleinen Wasserpfützen saßen sie am Tage in einem breiten, weißen
Gürtel zu Tausenden. Seit jener Zeit sind einige dreißig Jahre verflossen und ich habe kaum
einen wieder im Freien zu Gesicht bekommen, obschon ich manches Jahr eifrig und in verschiedenen
Gegenden den Schmetterlingen nachgestellt habe.

Von der deutschen Venennung der Sippe, welche auf recht viele Arten des Jn- und Aus-
landes paßt, darf man nicht den Schluß ziehen, daß alle Glieder in der Hauptsache weiß aus-
sehen müßten. Fremde Erdstriche ernähren deren, welche nur auf den Hinterflügeln wenig Weiß
übrig behalten, und diejenigen, bei denen es durch Gelb oder Orange ersetzt wird, brauchen wir
nicht in der Ferne zu suchen. Der überaus zierliche Aurorafalter (Anthocharis cardamines)
erglänzt mindestens im männlichen Geschlecht vor der schmal schwarzen Spitze seiner Vorderflügel
in feurigem Orangeroth, während die Unterseite der Hinterflügel bei beiden Geschlechtern die zier-
lichsten, baumartigen Zeichnungen (Dendriten) in Moosgrün aufwerfen. Die schlanke, lichtgrüne
Raupe hat weißgrüne Rückenstreisen und schwarze Pünktchen in den Seiten; sie lebt an verschiedenen
Krenzblümlern der Wiesen, wie Thurmkraut, Vergkresse, Lauchhederich u. a. und wird zu einer
höchst eigenthümlichen Puppe. Dieselbe spitzt sich nach vorn und hinten fast gleichmäßig zu und
gleicht einem schmalen, etwas gebogenen Weberschiffchen. Nach der Ueberwinterung gibt sie im
April oder Mai den hübschen Weißling frei, welcher nur in einer Generation fliegt.

Der allbekannte Citronenfalter (Gonopteryx oder Rhodocera Rhamni) gehört gleichfalls
der Sippe an, hat aber insofern eine andere Lebeusweise, als das blaßgelbe, befruchtete Weibchen
überwintert. Man kann es bei der Frühlingsfeier am blühenden Weidenbusche zwischen Bienen
und Hummeln, welche letztere mit ihm in gleicher Lage sind, und zwischen manchem anderen Jnsekt
Theil nehmen sehen, freilich ohne Sang und Klang, sondern stumm wie alle Tagfalter. Von da
sucht es einen eben sprossenden Kreuzdorn (Rhamnus) auf, um seine Eier einzeln, aber doch
mehrere an einen Busch abzusetzen. Die Raupen, welche daraus entstehen, nähren sich von den
Blättern und sind grün, an den Seiten mit einem weißen Streifen versehen, welcher nach oben
allmälig in die Grundfarbe übergeht. Sie verwandeln sich in eckige, grüne, seitwärts hellgelb
gestreifte und rostbraun gefleckte Puppen. Der Falter fliegt im Juli und August; das Männchen
zeichnet sich durch citronengelbe Färbung vor dem blasseren Weibchen aus. Die Abbildung zur
Linken der Gruppe zeigt einen Flügelschnitt, welcher nur noch bei der Cleopatra (G. Cleopatra)
vorkommt, einem südeuropäischen Schmetterlinge, welchen Einige für eine bloße Spielart unseres
Citroneufalters halten. Die allmälig verdickte Fühlerkeule und ein sehr kleines, rundliches End-
glied der Taster gehören überdies noch zu den Gattungscharakteren.

Andere Weißlinge oder Gelblinge, wie man diese nennen könnte, zeichnen sich durch einen
Silberfleck auf der Unterseite der Hinterflügel aus, welcher an die Form einer 8 erinnert,
wie z. B. die blaßgelbe goldene Acht (Colias Hyale), die orangegelbe, schwarz umrandete
Colias Edusa u. a. m.

An die Pieriden schließen sich schöne Falter an, von denen Vertreter in Europa gänzlich
fehlen. Hierher gehören die über alle Tropenländer verbreiteten Danaiden (Danais), welche
alle sehr in Schnitt und Zeichnung ihrer Flügel übereinstimmen. Dieselben, groß und breit,

Die Schmetterlinge. Tagfalter. Nymphaliden.
Mir will es ſcheinen, als wäre dieſer Schmetterling mit der Zeit ſeltener geworden. Es war
Pfingſten 1829, erzählt Keferſtein, als die Heerſtraße von Erfurt nach Gotha einen eigen-
thümlichen Anblick darbot. Alle Obſtbäume, welche ſie beiderſeits einfaſſen, waren weiß, als
wenn ſie in den ſchönſten Blüthen prangten. Dieſes Blüthengewand beſtand aber aus einer
ungeheuren Maſſe von Baumweißlingen. Seitdem iſt dieſe Art nie wieder in ſolchen Mengen
geſehen worden. Aehnliches kann ich aus einer etwas ſpäteren Zeit berichten, was ich ſelbſt
beobachtete. Jm Blumengarten meiner Großeltern traf ich als Kind dieſe Thiere in Schrecken
erregenden Mengen. Beſonders inkereſſant war es, gewiſſe Gewächſe zu ſehen, an welchen
ſie zum Uebernachten des Abends feſt ſaßen und zwar in ſolchen Maſſen, daß ſie dieſelben
ganz bedeckten. Auch an kleinen Waſſerpfützen ſaßen ſie am Tage in einem breiten, weißen
Gürtel zu Tauſenden. Seit jener Zeit ſind einige dreißig Jahre verfloſſen und ich habe kaum
einen wieder im Freien zu Geſicht bekommen, obſchon ich manches Jahr eifrig und in verſchiedenen
Gegenden den Schmetterlingen nachgeſtellt habe.

Von der deutſchen Venennung der Sippe, welche auf recht viele Arten des Jn- und Aus-
landes paßt, darf man nicht den Schluß ziehen, daß alle Glieder in der Hauptſache weiß aus-
ſehen müßten. Fremde Erdſtriche ernähren deren, welche nur auf den Hinterflügeln wenig Weiß
übrig behalten, und diejenigen, bei denen es durch Gelb oder Orange erſetzt wird, brauchen wir
nicht in der Ferne zu ſuchen. Der überaus zierliche Aurorafalter (Anthocharis cardamines)
erglänzt mindeſtens im männlichen Geſchlecht vor der ſchmal ſchwarzen Spitze ſeiner Vorderflügel
in feurigem Orangeroth, während die Unterſeite der Hinterflügel bei beiden Geſchlechtern die zier-
lichſten, baumartigen Zeichnungen (Dendriten) in Moosgrün aufwerfen. Die ſchlanke, lichtgrüne
Raupe hat weißgrüne Rückenſtreiſen und ſchwarze Pünktchen in den Seiten; ſie lebt an verſchiedenen
Krenzblümlern der Wieſen, wie Thurmkraut, Vergkreſſe, Lauchhederich u. a. und wird zu einer
höchſt eigenthümlichen Puppe. Dieſelbe ſpitzt ſich nach vorn und hinten faſt gleichmäßig zu und
gleicht einem ſchmalen, etwas gebogenen Weberſchiffchen. Nach der Ueberwinterung gibt ſie im
April oder Mai den hübſchen Weißling frei, welcher nur in einer Generation fliegt.

Der allbekannte Citronenfalter (Gonopteryx oder Rhodocera Rhamni) gehört gleichfalls
der Sippe an, hat aber inſofern eine andere Lebeusweiſe, als das blaßgelbe, befruchtete Weibchen
überwintert. Man kann es bei der Frühlingsfeier am blühenden Weidenbuſche zwiſchen Bienen
und Hummeln, welche letztere mit ihm in gleicher Lage ſind, und zwiſchen manchem anderen Jnſekt
Theil nehmen ſehen, freilich ohne Sang und Klang, ſondern ſtumm wie alle Tagfalter. Von da
ſucht es einen eben ſproſſenden Kreuzdorn (Rhamnus) auf, um ſeine Eier einzeln, aber doch
mehrere an einen Buſch abzuſetzen. Die Raupen, welche daraus entſtehen, nähren ſich von den
Blättern und ſind grün, an den Seiten mit einem weißen Streifen verſehen, welcher nach oben
allmälig in die Grundfarbe übergeht. Sie verwandeln ſich in eckige, grüne, ſeitwärts hellgelb
geſtreifte und roſtbraun gefleckte Puppen. Der Falter fliegt im Juli und Auguſt; das Männchen
zeichnet ſich durch citronengelbe Färbung vor dem blaſſeren Weibchen aus. Die Abbildung zur
Linken der Gruppe zeigt einen Flügelſchnitt, welcher nur noch bei der Cleopatra (G. Cleopatra)
vorkommt, einem ſüdeuropäiſchen Schmetterlinge, welchen Einige für eine bloße Spielart unſeres
Citroneufalters halten. Die allmälig verdickte Fühlerkeule und ein ſehr kleines, rundliches End-
glied der Taſter gehören überdies noch zu den Gattungscharakteren.

Andere Weißlinge oder Gelblinge, wie man dieſe nennen könnte, zeichnen ſich durch einen
Silberfleck auf der Unterſeite der Hinterflügel aus, welcher an die Form einer 8 erinnert,
wie z. B. die blaßgelbe goldene Acht (Colias Hyale), die orangegelbe, ſchwarz umrandete
Colias Edusa u. a. m.

An die Pieriden ſchließen ſich ſchöne Falter an, von denen Vertreter in Europa gänzlich
fehlen. Hierher gehören die über alle Tropenländer verbreiteten Danaiden (Danais), welche
alle ſehr in Schnitt und Zeichnung ihrer Flügel übereinſtimmen. Dieſelben, groß und breit,

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[302/0324] Die Schmetterlinge. Tagfalter. Nymphaliden. Mir will es ſcheinen, als wäre dieſer Schmetterling mit der Zeit ſeltener geworden. Es war Pfingſten 1829, erzählt Keferſtein, als die Heerſtraße von Erfurt nach Gotha einen eigen- thümlichen Anblick darbot. Alle Obſtbäume, welche ſie beiderſeits einfaſſen, waren weiß, als wenn ſie in den ſchönſten Blüthen prangten. Dieſes Blüthengewand beſtand aber aus einer ungeheuren Maſſe von Baumweißlingen. Seitdem iſt dieſe Art nie wieder in ſolchen Mengen geſehen worden. Aehnliches kann ich aus einer etwas ſpäteren Zeit berichten, was ich ſelbſt beobachtete. Jm Blumengarten meiner Großeltern traf ich als Kind dieſe Thiere in Schrecken erregenden Mengen. Beſonders inkereſſant war es, gewiſſe Gewächſe zu ſehen, an welchen ſie zum Uebernachten des Abends feſt ſaßen und zwar in ſolchen Maſſen, daß ſie dieſelben ganz bedeckten. Auch an kleinen Waſſerpfützen ſaßen ſie am Tage in einem breiten, weißen Gürtel zu Tauſenden. Seit jener Zeit ſind einige dreißig Jahre verfloſſen und ich habe kaum einen wieder im Freien zu Geſicht bekommen, obſchon ich manches Jahr eifrig und in verſchiedenen Gegenden den Schmetterlingen nachgeſtellt habe. Von der deutſchen Venennung der Sippe, welche auf recht viele Arten des Jn- und Aus- landes paßt, darf man nicht den Schluß ziehen, daß alle Glieder in der Hauptſache weiß aus- ſehen müßten. Fremde Erdſtriche ernähren deren, welche nur auf den Hinterflügeln wenig Weiß übrig behalten, und diejenigen, bei denen es durch Gelb oder Orange erſetzt wird, brauchen wir nicht in der Ferne zu ſuchen. Der überaus zierliche Aurorafalter (Anthocharis cardamines) erglänzt mindeſtens im männlichen Geſchlecht vor der ſchmal ſchwarzen Spitze ſeiner Vorderflügel in feurigem Orangeroth, während die Unterſeite der Hinterflügel bei beiden Geſchlechtern die zier- lichſten, baumartigen Zeichnungen (Dendriten) in Moosgrün aufwerfen. Die ſchlanke, lichtgrüne Raupe hat weißgrüne Rückenſtreiſen und ſchwarze Pünktchen in den Seiten; ſie lebt an verſchiedenen Krenzblümlern der Wieſen, wie Thurmkraut, Vergkreſſe, Lauchhederich u. a. und wird zu einer höchſt eigenthümlichen Puppe. Dieſelbe ſpitzt ſich nach vorn und hinten faſt gleichmäßig zu und gleicht einem ſchmalen, etwas gebogenen Weberſchiffchen. Nach der Ueberwinterung gibt ſie im April oder Mai den hübſchen Weißling frei, welcher nur in einer Generation fliegt. Der allbekannte Citronenfalter (Gonopteryx oder Rhodocera Rhamni) gehört gleichfalls der Sippe an, hat aber inſofern eine andere Lebeusweiſe, als das blaßgelbe, befruchtete Weibchen überwintert. Man kann es bei der Frühlingsfeier am blühenden Weidenbuſche zwiſchen Bienen und Hummeln, welche letztere mit ihm in gleicher Lage ſind, und zwiſchen manchem anderen Jnſekt Theil nehmen ſehen, freilich ohne Sang und Klang, ſondern ſtumm wie alle Tagfalter. Von da ſucht es einen eben ſproſſenden Kreuzdorn (Rhamnus) auf, um ſeine Eier einzeln, aber doch mehrere an einen Buſch abzuſetzen. Die Raupen, welche daraus entſtehen, nähren ſich von den Blättern und ſind grün, an den Seiten mit einem weißen Streifen verſehen, welcher nach oben allmälig in die Grundfarbe übergeht. Sie verwandeln ſich in eckige, grüne, ſeitwärts hellgelb geſtreifte und roſtbraun gefleckte Puppen. Der Falter fliegt im Juli und Auguſt; das Männchen zeichnet ſich durch citronengelbe Färbung vor dem blaſſeren Weibchen aus. Die Abbildung zur Linken der Gruppe zeigt einen Flügelſchnitt, welcher nur noch bei der Cleopatra (G. Cleopatra) vorkommt, einem ſüdeuropäiſchen Schmetterlinge, welchen Einige für eine bloße Spielart unſeres Citroneufalters halten. Die allmälig verdickte Fühlerkeule und ein ſehr kleines, rundliches End- glied der Taſter gehören überdies noch zu den Gattungscharakteren. Andere Weißlinge oder Gelblinge, wie man dieſe nennen könnte, zeichnen ſich durch einen Silberfleck auf der Unterſeite der Hinterflügel aus, welcher an die Form einer 8 erinnert, wie z. B. die blaßgelbe goldene Acht (Colias Hyale), die orangegelbe, ſchwarz umrandete Colias Edusa u. a. m. An die Pieriden ſchließen ſich ſchöne Falter an, von denen Vertreter in Europa gänzlich fehlen. Hierher gehören die über alle Tropenländer verbreiteten Danaiden (Danais), welche alle ſehr in Schnitt und Zeichnung ihrer Flügel übereinſtimmen. Dieſelben, groß und breit,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/324>, abgerufen am 23.11.2024.