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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Wurzelfüßer. Radiolarien.
kreide betheiligen. Am beträchtlichsten jedoch pflegt ihre Menge bei deutlicher Erhaltung in den
eocänen (oberen) Tertiär-Gesteinen zu sein, wobei man im pariser Becken einen Milioliten-
Kalk, in Westfrankreich einen Alveolinen-Kalk und endlich in einer langen und breiten längs
beiden Seiten des Mittelmeeres bis in den Himalaya fortziehenden Zone den Nummuliten-Kalk
nach Rhizopoden-Geschlechtern unterschieden hat, deren Schalenreste sie großentheils oder, den
letzten insbesondere, mitunter ganz allein in einer Mächtigkeit von vielen 100 Fußen zusammen-
setzen." (Bronn.)



Keine Polythalamienform ist seit einigen Jahren so oft genannt worden, als das berühmte
Eozoon, das Morgeuröthen-Thier, so genannt, nicht weil es etwa rosig aussieht, sondern
weil es das älteste nunmehr bekannte organische Wesen ist und mit ihm, nach unseren nunmehrigen
Kenntnissen, gleichsam die Morgenröthe der organischen Schöpfung anbricht. Als die ältesten,
Versteinerungen führenden Schichten galten bis dahin die silurischen, unter der Steinkohle, eine
Abtheilung der großen Grauwackenformation. Jn ihr liegen die Ueberreste einer Thierwelt,
welche, falls sie wirklich die Uranfänge des Lebens repräsentirten, Darwins Jdeen und Hypo-
thesen über den Haufen werden würden. "Wenn meine Theorie richtig", sagt Darwin, "so mußten
unbestreitbar schon vor Ablagerung der ältesten silurischen Schichten ebenso lange oder längere
Zeiträume wie nachher verflossen und mußte die ganze Erdoberfläche während dieser ganz
unbekannten Zeiträume von lebenden Geschöpfen bewohnt gewesen sein." Nun stand es unter den
Geologen allerdings schon fest, daß die unter den silurischen Schichten liegenden, meist schiefrigen
Gesteine ursprünglich gleich den versteinerungführenden Formationen neptunische Absätze seien und
erst später unter Einwirkung von Feuer ihre jetzige Beschaffenheit angenommen hätten. Auch
konnte man annehmen, daß zur Zeit ihrer ersten Bildung die Erde schon eine organische
Bevölkerung hatte, aber man dachte kaum an die Möglichkeit, die positiven Spuren davon auf-
zudecken. Das ist nun in frappanter Weise geschehen.

Wir verdanken diese Entdeckungen der geologischen Commission für Kanada, und sie betreffen
die tief unter den älteren silurischen Gesteinen liegende, mindestens 20,000 Fuß dicke Schichte,
welche man die untere laurenzische Formation genannt hat. Es scheint, als ob diese ganze
colossale Masse ein Produkt thierischer Ausscheidung und Schalenbildung gewesen. Dieser Ursprung
ist jedoch durch mechanische und chemische Einwirkung fast überall undeutlich geworden, und nur
an einer Stelle kann man ein Riff als eine unzweifelhafte Thierbildung nachweisen. Der
amerikanische Naturforscher Dawson gab dem riffbildenden Geschöpf den Namen Eozoon cana-
dense,
und Professor Carpenter in London bestätigte durch erweiterte Untersuchungen voll-
kommen, daß der Fund uns mit einer kolossalen Form der Abtheilung der Wurzelfüßer beschenkt
hat. An günstigen, gut geschliffenen Stücken der Felsmasse gewinnt man die Ueberzeugung, daß
die massenhafte Bildung eine thierische sei und daß das später ausgefüllte unregelmäßige Höhlen-
labyrinth der Exemplare den Kammern der in unseren Meeren lebenden Foraminiferen entspricht.
Der amerikanischen ganz ähnliche Formen des Eozoon sind in den entsprechenden Schichten
Böhmens und Bayerns gefunden.

Nach Darwins Hypothese kann die Thierwelt nur mit Protoplasmageschöpfen begonnen
haben. Das Eozoon, dessen Existenz einen Morgenschimmer der Erkenntniß über die Beschaffen-
heit der Urorganismen wirft, zeigt nun jene Einfachheit der Lebensverrichtungen und ihrer Sub-
strate, welche ganz mit unseren Beobachtungen an noch lebenden Wesen und mit den Forderungen
der Theorie übereinstimmen. Es zeigt eine Größenentwicklung, welche in dieser Gruppe später
nicht wieder vorkam, ein Schwanken der Form und eine Unregelmäßigkeit, welche die Anhänger
der Abstammungslehre nicht mit Unrecht in der Annahme bestärken müssen, es liege darin der
Keim zum Zerfall in Varietäten und Arten. Es setzt endlich das Morgenröthenthier eine

Wurzelfüßer. Radiolarien.
kreide betheiligen. Am beträchtlichſten jedoch pflegt ihre Menge bei deutlicher Erhaltung in den
eocänen (oberen) Tertiär-Geſteinen zu ſein, wobei man im pariſer Becken einen Milioliten-
Kalk, in Weſtfrankreich einen Alveolinen-Kalk und endlich in einer langen und breiten längs
beiden Seiten des Mittelmeeres bis in den Himalaya fortziehenden Zone den Nummuliten-Kalk
nach Rhizopoden-Geſchlechtern unterſchieden hat, deren Schalenreſte ſie großentheils oder, den
letzten insbeſondere, mitunter ganz allein in einer Mächtigkeit von vielen 100 Fußen zuſammen-
ſetzen.“ (Bronn.)



Keine Polythalamienform iſt ſeit einigen Jahren ſo oft genannt worden, als das berühmte
Eozoon, das Morgeuröthen-Thier, ſo genannt, nicht weil es etwa roſig ausſieht, ſondern
weil es das älteſte nunmehr bekannte organiſche Weſen iſt und mit ihm, nach unſeren nunmehrigen
Kenntniſſen, gleichſam die Morgenröthe der organiſchen Schöpfung anbricht. Als die älteſten,
Verſteinerungen führenden Schichten galten bis dahin die ſiluriſchen, unter der Steinkohle, eine
Abtheilung der großen Grauwackenformation. Jn ihr liegen die Ueberreſte einer Thierwelt,
welche, falls ſie wirklich die Uranfänge des Lebens repräſentirten, Darwins Jdeen und Hypo-
theſen über den Haufen werden würden. „Wenn meine Theorie richtig“, ſagt Darwin, „ſo mußten
unbeſtreitbar ſchon vor Ablagerung der älteſten ſiluriſchen Schichten ebenſo lange oder längere
Zeiträume wie nachher verfloſſen und mußte die ganze Erdoberfläche während dieſer ganz
unbekannten Zeiträume von lebenden Geſchöpfen bewohnt geweſen ſein.“ Nun ſtand es unter den
Geologen allerdings ſchon feſt, daß die unter den ſiluriſchen Schichten liegenden, meiſt ſchiefrigen
Geſteine urſprünglich gleich den verſteinerungführenden Formationen neptuniſche Abſätze ſeien und
erſt ſpäter unter Einwirkung von Feuer ihre jetzige Beſchaffenheit angenommen hätten. Auch
konnte man annehmen, daß zur Zeit ihrer erſten Bildung die Erde ſchon eine organiſche
Bevölkerung hatte, aber man dachte kaum an die Möglichkeit, die poſitiven Spuren davon auf-
zudecken. Das iſt nun in frappanter Weiſe geſchehen.

Wir verdanken dieſe Entdeckungen der geologiſchen Commiſſion für Kanada, und ſie betreffen
die tief unter den älteren ſiluriſchen Geſteinen liegende, mindeſtens 20,000 Fuß dicke Schichte,
welche man die untere laurenziſche Formation genannt hat. Es ſcheint, als ob dieſe ganze
coloſſale Maſſe ein Produkt thieriſcher Ausſcheidung und Schalenbildung geweſen. Dieſer Urſprung
iſt jedoch durch mechaniſche und chemiſche Einwirkung faſt überall undeutlich geworden, und nur
an einer Stelle kann man ein Riff als eine unzweifelhafte Thierbildung nachweiſen. Der
amerikaniſche Naturforſcher Dawſon gab dem riffbildenden Geſchöpf den Namen Eozoon cana-
dense,
und Profeſſor Carpenter in London beſtätigte durch erweiterte Unterſuchungen voll-
kommen, daß der Fund uns mit einer koloſſalen Form der Abtheilung der Wurzelfüßer beſchenkt
hat. An günſtigen, gut geſchliffenen Stücken der Felsmaſſe gewinnt man die Ueberzeugung, daß
die maſſenhafte Bildung eine thieriſche ſei und daß das ſpäter ausgefüllte unregelmäßige Höhlen-
labyrinth der Exemplare den Kammern der in unſeren Meeren lebenden Foraminiferen entſpricht.
Der amerikaniſchen ganz ähnliche Formen des Eozoon ſind in den entſprechenden Schichten
Böhmens und Bayerns gefunden.

Nach Darwins Hypotheſe kann die Thierwelt nur mit Protoplasmageſchöpfen begonnen
haben. Das Eozoon, deſſen Exiſtenz einen Morgenſchimmer der Erkenntniß über die Beſchaffen-
heit der Urorganismen wirft, zeigt nun jene Einfachheit der Lebensverrichtungen und ihrer Sub-
ſtrate, welche ganz mit unſeren Beobachtungen an noch lebenden Weſen und mit den Forderungen
der Theorie übereinſtimmen. Es zeigt eine Größenentwicklung, welche in dieſer Gruppe ſpäter
nicht wieder vorkam, ein Schwanken der Form und eine Unregelmäßigkeit, welche die Anhänger
der Abſtammungslehre nicht mit Unrecht in der Annahme beſtärken müſſen, es liege darin der
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[1028/1086] Wurzelfüßer. Radiolarien. kreide betheiligen. Am beträchtlichſten jedoch pflegt ihre Menge bei deutlicher Erhaltung in den eocänen (oberen) Tertiär-Geſteinen zu ſein, wobei man im pariſer Becken einen Milioliten- Kalk, in Weſtfrankreich einen Alveolinen-Kalk und endlich in einer langen und breiten längs beiden Seiten des Mittelmeeres bis in den Himalaya fortziehenden Zone den Nummuliten-Kalk nach Rhizopoden-Geſchlechtern unterſchieden hat, deren Schalenreſte ſie großentheils oder, den letzten insbeſondere, mitunter ganz allein in einer Mächtigkeit von vielen 100 Fußen zuſammen- ſetzen.“ (Bronn.) Keine Polythalamienform iſt ſeit einigen Jahren ſo oft genannt worden, als das berühmte Eozoon, das Morgeuröthen-Thier, ſo genannt, nicht weil es etwa roſig ausſieht, ſondern weil es das älteſte nunmehr bekannte organiſche Weſen iſt und mit ihm, nach unſeren nunmehrigen Kenntniſſen, gleichſam die Morgenröthe der organiſchen Schöpfung anbricht. Als die älteſten, Verſteinerungen führenden Schichten galten bis dahin die ſiluriſchen, unter der Steinkohle, eine Abtheilung der großen Grauwackenformation. Jn ihr liegen die Ueberreſte einer Thierwelt, welche, falls ſie wirklich die Uranfänge des Lebens repräſentirten, Darwins Jdeen und Hypo- theſen über den Haufen werden würden. „Wenn meine Theorie richtig“, ſagt Darwin, „ſo mußten unbeſtreitbar ſchon vor Ablagerung der älteſten ſiluriſchen Schichten ebenſo lange oder längere Zeiträume wie nachher verfloſſen und mußte die ganze Erdoberfläche während dieſer ganz unbekannten Zeiträume von lebenden Geſchöpfen bewohnt geweſen ſein.“ Nun ſtand es unter den Geologen allerdings ſchon feſt, daß die unter den ſiluriſchen Schichten liegenden, meiſt ſchiefrigen Geſteine urſprünglich gleich den verſteinerungführenden Formationen neptuniſche Abſätze ſeien und erſt ſpäter unter Einwirkung von Feuer ihre jetzige Beſchaffenheit angenommen hätten. Auch konnte man annehmen, daß zur Zeit ihrer erſten Bildung die Erde ſchon eine organiſche Bevölkerung hatte, aber man dachte kaum an die Möglichkeit, die poſitiven Spuren davon auf- zudecken. Das iſt nun in frappanter Weiſe geſchehen. Wir verdanken dieſe Entdeckungen der geologiſchen Commiſſion für Kanada, und ſie betreffen die tief unter den älteren ſiluriſchen Geſteinen liegende, mindeſtens 20,000 Fuß dicke Schichte, welche man die untere laurenziſche Formation genannt hat. Es ſcheint, als ob dieſe ganze coloſſale Maſſe ein Produkt thieriſcher Ausſcheidung und Schalenbildung geweſen. Dieſer Urſprung iſt jedoch durch mechaniſche und chemiſche Einwirkung faſt überall undeutlich geworden, und nur an einer Stelle kann man ein Riff als eine unzweifelhafte Thierbildung nachweiſen. Der amerikaniſche Naturforſcher Dawſon gab dem riffbildenden Geſchöpf den Namen Eozoon cana- dense, und Profeſſor Carpenter in London beſtätigte durch erweiterte Unterſuchungen voll- kommen, daß der Fund uns mit einer koloſſalen Form der Abtheilung der Wurzelfüßer beſchenkt hat. An günſtigen, gut geſchliffenen Stücken der Felsmaſſe gewinnt man die Ueberzeugung, daß die maſſenhafte Bildung eine thieriſche ſei und daß das ſpäter ausgefüllte unregelmäßige Höhlen- labyrinth der Exemplare den Kammern der in unſeren Meeren lebenden Foraminiferen entſpricht. Der amerikaniſchen ganz ähnliche Formen des Eozoon ſind in den entſprechenden Schichten Böhmens und Bayerns gefunden. Nach Darwins Hypotheſe kann die Thierwelt nur mit Protoplasmageſchöpfen begonnen haben. Das Eozoon, deſſen Exiſtenz einen Morgenſchimmer der Erkenntniß über die Beſchaffen- heit der Urorganismen wirft, zeigt nun jene Einfachheit der Lebensverrichtungen und ihrer Sub- ſtrate, welche ganz mit unſeren Beobachtungen an noch lebenden Weſen und mit den Forderungen der Theorie übereinſtimmen. Es zeigt eine Größenentwicklung, welche in dieſer Gruppe ſpäter nicht wieder vorkam, ein Schwanken der Form und eine Unregelmäßigkeit, welche die Anhänger der Abſtammungslehre nicht mit Unrecht in der Annahme beſtärken müſſen, es liege darin der Keim zum Zerfall in Varietäten und Arten. Es ſetzt endlich das Morgenröthenthier eine

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 1028. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1086>, abgerufen am 23.11.2024.