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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Entdeckungsgeschichte der Jnfusorien.
ihnen nähert. Er war überzeugt, daß es eine ununterbrochene Reihe von den vollkommensten
zu den unvollkommensten Wesen gebe. "Ein Jnsekt", sagt er in diesem Sinne, "ist weniger
Thier, als ein Hund, eine Auster ist noch weniger Thier, als ein Jnsekt, eine Meernessel oder
ein Süßwasserpolyp ist es noch weniger, als eine Auster. Und da die Natur durch unmerkliche
Abstufungen geht, müssen wir Wesen finden, die noch weniger Thier sind, als eine Meernessel
oder ein Polyp. Es gibt Wesen, welche weder Thiere, noch Pflanzen, noch Mineralien sind,
und welche den einen oder den andern anzureihen ein vergeblicher Versuch sein würde." Wenn
wir dazu folgenden Ausspruch nehmen: "Jch vermuthe, daß man bei genauer Betrachtung der
Natur Mittelwesen entdecken würde, organisirte Körper, welche, ohne z. B. die Kraft zu haben,
sich fortzupflanzen, wie die Thiere und Pflanzen, doch eine Art von Leben und Bewegung zeigten;
andre Wesen, welche, ohne Thiere und Pflanzen zu sein, doch zur Zusammensetzung Beider
etwas beitragen könnten; und endlich noch andre Wesen, welche nur die erste Ansammlung der
organischen kleinsten Formbestandtheilchen (molecules organiques) wären"; so kommen wir zu seinen
Ansichten über das Leben, was er in den Jnfusionen fand. Wenn nämlich in den Aufgüfsen
auf Fleisch, Gallerte von Kalbsbraten, Pflanzensamen und dergl. sich bald lebende Körperchen
fanden, so meinte er, daß es eben die belebten kleinen Theilchen wären, aus denen Fleisch
und Pflanzenstoff zusammengesetzt sei. Und so sagt er denn auch, ein organisches Wesen zerstören,
wie es durch die Jnfusion geschieht, heiße weiter nichts, als die belebten Theilchen, aus denen
es zusammengefügt, von einander sondern. Der Tod war ihm ein Zerfallen in unzähliges Leben,
was von Neuem in den Kreislauf anderer Organismen eingehe. Buffons wärmster Anhänger
war Needham. Beider zum Theil gemeinschaftliche Versuche fallen gerade in die Mitte des
vorigen Jahrhunderts. Auch die Ansichten anderer berühmter Naturforscher jener Zeit sind den
Buffon'schen verwandt. Wrisberg in Göttingen wäre zu nennen, und auch der sonst so
nüchterne dänische Zoolog O. Fr. Müller betrat das gefährliche Feld der Vermuthungen, wo
die Beobachtungen aufhörten, und war der Ansicht, daß Pflanzen und Thiere in mikroskopisch
kleine lebende Bläschen sich auflösten, verschieden an Stoff und Bau von den wahren Jnfusorien,
und daß aus diesen lebendigen Bläschen alles höhere Leben sich wieder gestalte.

Der bedeutende Fortschritt Müller's liegt darin, daß Buffon die Existenz einer eigentlichen
Thierklasse der Jnfusorien gar nicht erkannt hatte, während Müller die wahren Thiere wohl
unterschied von den zu seiner Theorie des organischen Lebens gehörigen Urbläschen. Der durch
seine mikroskopischen Leistungen bekannte Freiherr von Gleichen ruft darüber aus: "Eine wahr-
scheinlichere Hypothese wird der menschliche Witz wohl schwerlich ausdenken können".

Von den älteren Forschern, welche mit Buffon's geistreichen Phantasien sich nicht befrenn-
deten, verdient vor allen der berühmte Spallanzani genannt zu werden. Er trat 1768 wissen-
schaftlich gründlich dagegen auf, daß aus den zur Jnfusion verwendeten Stoffen selbst, seien es
nun organische oder unorganische, die lebenden Wesen sich elternlos entwickeln sollten. Als ent-
schiedener Gegner dieser Urzeugung, der sogenannten generatio spontanea oder aequivoca,
behauptete er, daß Thier- und Pflanzenkeime durch die Luft, die man von den Gefäßen wohl nie
völlig absperren könne, in die Jnfusion eingeführt würden; und wenn auch die Entwicklung der
von den schon bestehenden Arten der Jnfusionsthierchen herrührenden Keime mitunter durch die
in den Aufgüssen enthaltenen Thier- und Pflanzensteffe begünstigt würde, seien diese doch durch-
aus nicht unumgänglich nöthig, wie das auch in reinem Wasser sich mit der Zeit zeigende reiche
Leben beweise.

Wir wollen nicht die Fortschritte ins Einzelne verfolgen, welche die Jnfusorien-Kenntniß
bis dahin erfuhr, als Ehrenberg in diesen noch so dunkeln und räthselvollen Theil der Natur-
geschichte Licht brachte. "Er gewann", sagt er, "schon im Jahre 1819 den direkten, bisher nicht
vorhandenen Beweis des Keimens der einzelnen Pilz- und Schimmelsamen, wodurch die Ent-
stehung dieser Pflänzchen aus generatio spontanea wegen der vorhandenen Menge der Samen

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Entdeckungsgeſchichte der Jnfuſorien.
ihnen nähert. Er war überzeugt, daß es eine ununterbrochene Reihe von den vollkommenſten
zu den unvollkommenſten Weſen gebe. „Ein Jnſekt“, ſagt er in dieſem Sinne, „iſt weniger
Thier, als ein Hund, eine Auſter iſt noch weniger Thier, als ein Jnſekt, eine Meerneſſel oder
ein Süßwaſſerpolyp iſt es noch weniger, als eine Auſter. Und da die Natur durch unmerkliche
Abſtufungen geht, müſſen wir Weſen finden, die noch weniger Thier ſind, als eine Meerneſſel
oder ein Polyp. Es gibt Weſen, welche weder Thiere, noch Pflanzen, noch Mineralien ſind,
und welche den einen oder den andern anzureihen ein vergeblicher Verſuch ſein würde.“ Wenn
wir dazu folgenden Ausſpruch nehmen: „Jch vermuthe, daß man bei genauer Betrachtung der
Natur Mittelweſen entdecken würde, organiſirte Körper, welche, ohne z. B. die Kraft zu haben,
ſich fortzupflanzen, wie die Thiere und Pflanzen, doch eine Art von Leben und Bewegung zeigten;
andre Weſen, welche, ohne Thiere und Pflanzen zu ſein, doch zur Zuſammenſetzung Beider
etwas beitragen könnten; und endlich noch andre Weſen, welche nur die erſte Anſammlung der
organiſchen kleinſten Formbeſtandtheilchen (molécules organiques) wären“; ſo kommen wir zu ſeinen
Anſichten über das Leben, was er in den Jnfuſionen fand. Wenn nämlich in den Aufgüfſen
auf Fleiſch, Gallerte von Kalbsbraten, Pflanzenſamen und dergl. ſich bald lebende Körperchen
fanden, ſo meinte er, daß es eben die belebten kleinen Theilchen wären, aus denen Fleiſch
und Pflanzenſtoff zuſammengeſetzt ſei. Und ſo ſagt er denn auch, ein organiſches Weſen zerſtören,
wie es durch die Jnfuſion geſchieht, heiße weiter nichts, als die belebten Theilchen, aus denen
es zuſammengefügt, von einander ſondern. Der Tod war ihm ein Zerfallen in unzähliges Leben,
was von Neuem in den Kreislauf anderer Organismen eingehe. Buffons wärmſter Anhänger
war Needham. Beider zum Theil gemeinſchaftliche Verſuche fallen gerade in die Mitte des
vorigen Jahrhunderts. Auch die Anſichten anderer berühmter Naturforſcher jener Zeit ſind den
Buffon’ſchen verwandt. Wrisberg in Göttingen wäre zu nennen, und auch der ſonſt ſo
nüchterne däniſche Zoolog O. Fr. Müller betrat das gefährliche Feld der Vermuthungen, wo
die Beobachtungen aufhörten, und war der Anſicht, daß Pflanzen und Thiere in mikroſkopiſch
kleine lebende Bläschen ſich auflöſten, verſchieden an Stoff und Bau von den wahren Jnfuſorien,
und daß aus dieſen lebendigen Bläschen alles höhere Leben ſich wieder geſtalte.

Der bedeutende Fortſchritt Müller’s liegt darin, daß Buffon die Exiſtenz einer eigentlichen
Thierklaſſe der Jnfuſorien gar nicht erkannt hatte, während Müller die wahren Thiere wohl
unterſchied von den zu ſeiner Theorie des organiſchen Lebens gehörigen Urbläschen. Der durch
ſeine mikroſkopiſchen Leiſtungen bekannte Freiherr von Gleichen ruft darüber aus: „Eine wahr-
ſcheinlichere Hypotheſe wird der menſchliche Witz wohl ſchwerlich ausdenken können“.

Von den älteren Forſchern, welche mit Buffon’s geiſtreichen Phantaſien ſich nicht befrenn-
deten, verdient vor allen der berühmte Spallanzani genannt zu werden. Er trat 1768 wiſſen-
ſchaftlich gründlich dagegen auf, daß aus den zur Jnfuſion verwendeten Stoffen ſelbſt, ſeien es
nun organiſche oder unorganiſche, die lebenden Weſen ſich elternlos entwickeln ſollten. Als ent-
ſchiedener Gegner dieſer Urzeugung, der ſogenannten generatio spontanea oder aequivoca,
behauptete er, daß Thier- und Pflanzenkeime durch die Luft, die man von den Gefäßen wohl nie
völlig abſperren könne, in die Jnfuſion eingeführt würden; und wenn auch die Entwicklung der
von den ſchon beſtehenden Arten der Jnfuſionsthierchen herrührenden Keime mitunter durch die
in den Aufgüſſen enthaltenen Thier- und Pflanzenſteffe begünſtigt würde, ſeien dieſe doch durch-
aus nicht unumgänglich nöthig, wie das auch in reinem Waſſer ſich mit der Zeit zeigende reiche
Leben beweiſe.

Wir wollen nicht die Fortſchritte ins Einzelne verfolgen, welche die Jnfuſorien-Kenntniß
bis dahin erfuhr, als Ehrenberg in dieſen noch ſo dunkeln und räthſelvollen Theil der Natur-
geſchichte Licht brachte. „Er gewann“, ſagt er, „ſchon im Jahre 1819 den direkten, bisher nicht
vorhandenen Beweis des Keimens der einzelnen Pilz- und Schimmelſamen, wodurch die Ent-
ſtehung dieſer Pflänzchen aus generatio spontanea wegen der vorhandenen Menge der Samen

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[1011/1067] Entdeckungsgeſchichte der Jnfuſorien. ihnen nähert. Er war überzeugt, daß es eine ununterbrochene Reihe von den vollkommenſten zu den unvollkommenſten Weſen gebe. „Ein Jnſekt“, ſagt er in dieſem Sinne, „iſt weniger Thier, als ein Hund, eine Auſter iſt noch weniger Thier, als ein Jnſekt, eine Meerneſſel oder ein Süßwaſſerpolyp iſt es noch weniger, als eine Auſter. Und da die Natur durch unmerkliche Abſtufungen geht, müſſen wir Weſen finden, die noch weniger Thier ſind, als eine Meerneſſel oder ein Polyp. Es gibt Weſen, welche weder Thiere, noch Pflanzen, noch Mineralien ſind, und welche den einen oder den andern anzureihen ein vergeblicher Verſuch ſein würde.“ Wenn wir dazu folgenden Ausſpruch nehmen: „Jch vermuthe, daß man bei genauer Betrachtung der Natur Mittelweſen entdecken würde, organiſirte Körper, welche, ohne z. B. die Kraft zu haben, ſich fortzupflanzen, wie die Thiere und Pflanzen, doch eine Art von Leben und Bewegung zeigten; andre Weſen, welche, ohne Thiere und Pflanzen zu ſein, doch zur Zuſammenſetzung Beider etwas beitragen könnten; und endlich noch andre Weſen, welche nur die erſte Anſammlung der organiſchen kleinſten Formbeſtandtheilchen (molécules organiques) wären“; ſo kommen wir zu ſeinen Anſichten über das Leben, was er in den Jnfuſionen fand. Wenn nämlich in den Aufgüfſen auf Fleiſch, Gallerte von Kalbsbraten, Pflanzenſamen und dergl. ſich bald lebende Körperchen fanden, ſo meinte er, daß es eben die belebten kleinen Theilchen wären, aus denen Fleiſch und Pflanzenſtoff zuſammengeſetzt ſei. Und ſo ſagt er denn auch, ein organiſches Weſen zerſtören, wie es durch die Jnfuſion geſchieht, heiße weiter nichts, als die belebten Theilchen, aus denen es zuſammengefügt, von einander ſondern. Der Tod war ihm ein Zerfallen in unzähliges Leben, was von Neuem in den Kreislauf anderer Organismen eingehe. Buffons wärmſter Anhänger war Needham. Beider zum Theil gemeinſchaftliche Verſuche fallen gerade in die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Auch die Anſichten anderer berühmter Naturforſcher jener Zeit ſind den Buffon’ſchen verwandt. Wrisberg in Göttingen wäre zu nennen, und auch der ſonſt ſo nüchterne däniſche Zoolog O. Fr. Müller betrat das gefährliche Feld der Vermuthungen, wo die Beobachtungen aufhörten, und war der Anſicht, daß Pflanzen und Thiere in mikroſkopiſch kleine lebende Bläschen ſich auflöſten, verſchieden an Stoff und Bau von den wahren Jnfuſorien, und daß aus dieſen lebendigen Bläschen alles höhere Leben ſich wieder geſtalte. Der bedeutende Fortſchritt Müller’s liegt darin, daß Buffon die Exiſtenz einer eigentlichen Thierklaſſe der Jnfuſorien gar nicht erkannt hatte, während Müller die wahren Thiere wohl unterſchied von den zu ſeiner Theorie des organiſchen Lebens gehörigen Urbläschen. Der durch ſeine mikroſkopiſchen Leiſtungen bekannte Freiherr von Gleichen ruft darüber aus: „Eine wahr- ſcheinlichere Hypotheſe wird der menſchliche Witz wohl ſchwerlich ausdenken können“. Von den älteren Forſchern, welche mit Buffon’s geiſtreichen Phantaſien ſich nicht befrenn- deten, verdient vor allen der berühmte Spallanzani genannt zu werden. Er trat 1768 wiſſen- ſchaftlich gründlich dagegen auf, daß aus den zur Jnfuſion verwendeten Stoffen ſelbſt, ſeien es nun organiſche oder unorganiſche, die lebenden Weſen ſich elternlos entwickeln ſollten. Als ent- ſchiedener Gegner dieſer Urzeugung, der ſogenannten generatio spontanea oder aequivoca, behauptete er, daß Thier- und Pflanzenkeime durch die Luft, die man von den Gefäßen wohl nie völlig abſperren könne, in die Jnfuſion eingeführt würden; und wenn auch die Entwicklung der von den ſchon beſtehenden Arten der Jnfuſionsthierchen herrührenden Keime mitunter durch die in den Aufgüſſen enthaltenen Thier- und Pflanzenſteffe begünſtigt würde, ſeien dieſe doch durch- aus nicht unumgänglich nöthig, wie das auch in reinem Waſſer ſich mit der Zeit zeigende reiche Leben beweiſe. Wir wollen nicht die Fortſchritte ins Einzelne verfolgen, welche die Jnfuſorien-Kenntniß bis dahin erfuhr, als Ehrenberg in dieſen noch ſo dunkeln und räthſelvollen Theil der Natur- geſchichte Licht brachte. „Er gewann“, ſagt er, „ſchon im Jahre 1819 den direkten, bisher nicht vorhandenen Beweis des Keimens der einzelnen Pilz- und Schimmelſamen, wodurch die Ent- ſtehung dieſer Pflänzchen aus generatio spontanea wegen der vorhandenen Menge der Samen 64*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 1011. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1067>, abgerufen am 23.11.2024.