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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Polypen. Monocyclia.
Wasser sei, wie Ovid in seinen Verwandlungen singt, der ganze Baum weich und biegsam; an
die Luft gebracht verwandle er sich flugs in Stein. Noch bis in das erste Drittel des vorigen
Jahrhunderts galten die einzelnen kleinen Polypen als wahre pflanzliche Blüthen und Blumen
auf todtem, steinigem Stamme. Es war eben ein Wort, wo der richtige Begriff fehlte. Jm
Jahre 1725 stellte der Arzt und Naturforscher Andre de Peyssonel an der berberischen Küste
seine für die Korallen Epoche machenden Untersuchungen an, beobachtete in Aquarien und kam
zu der Ueberzeugung, daß die vermeintlichen Korallenblumen kleine Thierchen seien von derselben
Beschaffenheit wie die Actinien. Er wendete sich mit seiner Entdeckung an die berühmtesten
Mitglieder der Pariser Akademie, wurde aber sehr kühl aufgenommen, und Reaumur glaubte
sogar aus zarter Rücksicht den Namen Peyssonel's verschweigen zu müssen. Auf einer Reise
nach Gnadeloupe verallgemeinerte er seine Untersuchungen, und nachdem man seine Ansichten
zuerst in England gut geheißen, machten sie sich auch nach und nach im Vaterlande geltend.
Der Stamm oder die Korallenare besteht aus zahlreichen feinen Kalkschichten von so bestimmter
mikroskopischer Struktur, daß der Kenner dieser Verhältnisse leicht an jedem Stückchen die Aechtheit
oder den Betrug nachweisen kann. Die noch frische, weder künstlich geglättete noch im Meere
abgeriebene Axe ist mit feinen Längsfurchen bedeckt, in welchen die unterste Schichte der oben
[Abbildung] [Spaltenumbruch] A Vergrößertes Stück eines
Stockes der Edelkoralle mit
2 geöffneten Kelchen.
[Spaltenumbruch] B Mäßig vergrößertes
Stück der Edelkoralle,
das Ausschlüpfen der
Larven zeigend.
berührten Kanäle mit Nahrungssaft verlaufen.
Jn neuerer Zeit ist die Naturgeschichte und Ana-
tomie der Edelkoralle in erschöpfender Weise bei
einem wiederholten Aufenthalte an der afrikanischen
Nordküste von Lacaze-Duthiers studirt wor-
den. Er fand, daß die Stöcke in der Regel ent-
weder bloß männliche oder bloß weibliche Jndivi-
duen enthielten, daß aber mitunter beiderlei Po-
lypen auf einem Stock gemischt vorkommen, ja daß
sogar hermaphroditische Jndividuen unterlaufen. Die
beistehende Abbildung zeigt mäßig vergrößert einen
Zweig eines Stockes mit mehreren geschlossenen und
zwei aufgeschnittenen Kelchen, B. Jn dem oberen sieht
man Eier, o, in dem unteren t eine größere Samenkapsel, und daneben ein Ei. Mit Besiegung vieler
Hindernisse gelang es dem französischen Forscher, das Ausschlüpfen der Larven sowie deren Festsetzen
und die weitere Entwicklung des Stockes Schritt für Schritt zu verfolgen. Die eine halbe bis eine
Linie langen gewimperten Larven verlassen das Ei in der gefächerten Leibeshöhle, B, ihrer Mutter.
Sie sind länglich wurmförmig, und wir sehen in unserem Bilde in dem Polypen rechts mit eingezogenen
Fühlern zwei solcher Larven, f, g, durch die zarten Körperwandungen. Die mittlere Polypenzelle ist
abgeschnitten; auch sie enthält zwei Larven. Aus der Mundöffnung der oberen ist eine Larve, a,
sich zu entwinden im Begriff.

Das Vorkommen der Edelkoralle ist auf das Mittelmeer und adriatische Meer beschränkt.
Jm letzteren reicht sie bis oberhalb Sebenico und wird an einigen Stellen der albanesischen Küste
und zwischen den jonischen Jnseln schon häufiger gefunden. Jn diesem ganzen Gebiete wird sie
bis jetzt nur von den Bewohnern der Jnsel Zlarin bei Sebenico gesucht. Jhre ziemlich starken,
halbgedeckten Barken gehen bis zu den jonischen Jnseln und kehren nach mehrmonatlicher
Abwesenheit im September heim. Der Ertrag ist im Verhältniß zu dem der Korallenfischerei an
der tunesischen und algierischen Küste unbedeutend. An diesen letztgenaunten Gestaden, auf Bänken,
die sich bis auf einige Seemeilen vom Ufer entfernt hinziehen, und bei einer Tiefe zwischen 40 und
100 Faden, seltener darunter oder drüber, ist die Korallenfischerei am lohnendsten. Sie wird
vorzugsweise von Fahrzeugen mit italienischer Bemannung, weniger von Spaniern und Franzosen
betrieben und ist ein hartes Gewerbe. Die Fahrzeuge variiren von 6 bis etwa 16 Tonnen Gehalt

Polypen. Monocyclia.
Waſſer ſei, wie Ovid in ſeinen Verwandlungen ſingt, der ganze Baum weich und biegſam; an
die Luft gebracht verwandle er ſich flugs in Stein. Noch bis in das erſte Drittel des vorigen
Jahrhunderts galten die einzelnen kleinen Polypen als wahre pflanzliche Blüthen und Blumen
auf todtem, ſteinigem Stamme. Es war eben ein Wort, wo der richtige Begriff fehlte. Jm
Jahre 1725 ſtellte der Arzt und Naturforſcher André de Peyſſonel an der berberiſchen Küſte
ſeine für die Korallen Epoche machenden Unterſuchungen an, beobachtete in Aquarien und kam
zu der Ueberzeugung, daß die vermeintlichen Korallenblumen kleine Thierchen ſeien von derſelben
Beſchaffenheit wie die Actinien. Er wendete ſich mit ſeiner Entdeckung an die berühmteſten
Mitglieder der Pariſer Akademie, wurde aber ſehr kühl aufgenommen, und Reaumur glaubte
ſogar aus zarter Rückſicht den Namen Peyſſonel’s verſchweigen zu müſſen. Auf einer Reiſe
nach Gnadeloupe verallgemeinerte er ſeine Unterſuchungen, und nachdem man ſeine Anſichten
zuerſt in England gut geheißen, machten ſie ſich auch nach und nach im Vaterlande geltend.
Der Stamm oder die Korallenare beſteht aus zahlreichen feinen Kalkſchichten von ſo beſtimmter
mikroſkopiſcher Struktur, daß der Kenner dieſer Verhältniſſe leicht an jedem Stückchen die Aechtheit
oder den Betrug nachweiſen kann. Die noch friſche, weder künſtlich geglättete noch im Meere
abgeriebene Axe iſt mit feinen Längsfurchen bedeckt, in welchen die unterſte Schichte der oben
[Abbildung] [Spaltenumbruch] A Vergrößertes Stück eines
Stockes der Edelkoralle mit
2 geöffneten Kelchen.
[Spaltenumbruch] B Mäßig vergrößertes
Stück der Edelkoralle,
das Ausſchlüpfen der
Larven zeigend.
berührten Kanäle mit Nahrungsſaft verlaufen.
Jn neuerer Zeit iſt die Naturgeſchichte und Ana-
tomie der Edelkoralle in erſchöpfender Weiſe bei
einem wiederholten Aufenthalte an der afrikaniſchen
Nordküſte von Lacaze-Duthiers ſtudirt wor-
den. Er fand, daß die Stöcke in der Regel ent-
weder bloß männliche oder bloß weibliche Jndivi-
duen enthielten, daß aber mitunter beiderlei Po-
lypen auf einem Stock gemiſcht vorkommen, ja daß
ſogar hermaphroditiſche Jndividuen unterlaufen. Die
beiſtehende Abbildung zeigt mäßig vergrößert einen
Zweig eines Stockes mit mehreren geſchloſſenen und
zwei aufgeſchnittenen Kelchen, B. Jn dem oberen ſieht
man Eier, o, in dem unteren t eine größere Samenkapſel, und daneben ein Ei. Mit Beſiegung vieler
Hinderniſſe gelang es dem franzöſiſchen Forſcher, das Ausſchlüpfen der Larven ſowie deren Feſtſetzen
und die weitere Entwicklung des Stockes Schritt für Schritt zu verfolgen. Die eine halbe bis eine
Linie langen gewimperten Larven verlaſſen das Ei in der gefächerten Leibeshöhle, B, ihrer Mutter.
Sie ſind länglich wurmförmig, und wir ſehen in unſerem Bilde in dem Polypen rechts mit eingezogenen
Fühlern zwei ſolcher Larven, f, g, durch die zarten Körperwandungen. Die mittlere Polypenzelle iſt
abgeſchnitten; auch ſie enthält zwei Larven. Aus der Mundöffnung der oberen iſt eine Larve, a,
ſich zu entwinden im Begriff.

Das Vorkommen der Edelkoralle iſt auf das Mittelmeer und adriatiſche Meer beſchränkt.
Jm letzteren reicht ſie bis oberhalb Sebenico und wird an einigen Stellen der albaneſiſchen Küſte
und zwiſchen den joniſchen Jnſeln ſchon häufiger gefunden. Jn dieſem ganzen Gebiete wird ſie
bis jetzt nur von den Bewohnern der Jnſel Zlarin bei Sebenico geſucht. Jhre ziemlich ſtarken,
halbgedeckten Barken gehen bis zu den joniſchen Jnſeln und kehren nach mehrmonatlicher
Abweſenheit im September heim. Der Ertrag iſt im Verhältniß zu dem der Korallenfiſcherei an
der tuneſiſchen und algieriſchen Küſte unbedeutend. An dieſen letztgenaunten Geſtaden, auf Bänken,
die ſich bis auf einige Seemeilen vom Ufer entfernt hinziehen, und bei einer Tiefe zwiſchen 40 und
100 Faden, ſeltener darunter oder drüber, iſt die Korallenfiſcherei am lohnendſten. Sie wird
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betrieben und iſt ein hartes Gewerbe. Die Fahrzeuge variiren von 6 bis etwa 16 Tonnen Gehalt

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[1004/1058] Polypen. Monocyclia. Waſſer ſei, wie Ovid in ſeinen Verwandlungen ſingt, der ganze Baum weich und biegſam; an die Luft gebracht verwandle er ſich flugs in Stein. Noch bis in das erſte Drittel des vorigen Jahrhunderts galten die einzelnen kleinen Polypen als wahre pflanzliche Blüthen und Blumen auf todtem, ſteinigem Stamme. Es war eben ein Wort, wo der richtige Begriff fehlte. Jm Jahre 1725 ſtellte der Arzt und Naturforſcher André de Peyſſonel an der berberiſchen Küſte ſeine für die Korallen Epoche machenden Unterſuchungen an, beobachtete in Aquarien und kam zu der Ueberzeugung, daß die vermeintlichen Korallenblumen kleine Thierchen ſeien von derſelben Beſchaffenheit wie die Actinien. Er wendete ſich mit ſeiner Entdeckung an die berühmteſten Mitglieder der Pariſer Akademie, wurde aber ſehr kühl aufgenommen, und Reaumur glaubte ſogar aus zarter Rückſicht den Namen Peyſſonel’s verſchweigen zu müſſen. Auf einer Reiſe nach Gnadeloupe verallgemeinerte er ſeine Unterſuchungen, und nachdem man ſeine Anſichten zuerſt in England gut geheißen, machten ſie ſich auch nach und nach im Vaterlande geltend. Der Stamm oder die Korallenare beſteht aus zahlreichen feinen Kalkſchichten von ſo beſtimmter mikroſkopiſcher Struktur, daß der Kenner dieſer Verhältniſſe leicht an jedem Stückchen die Aechtheit oder den Betrug nachweiſen kann. Die noch friſche, weder künſtlich geglättete noch im Meere abgeriebene Axe iſt mit feinen Längsfurchen bedeckt, in welchen die unterſte Schichte der oben [Abbildung A Vergrößertes Stück eines Stockes der Edelkoralle mit 2 geöffneten Kelchen. B Mäßig vergrößertes Stück der Edelkoralle, das Ausſchlüpfen der Larven zeigend.] berührten Kanäle mit Nahrungsſaft verlaufen. Jn neuerer Zeit iſt die Naturgeſchichte und Ana- tomie der Edelkoralle in erſchöpfender Weiſe bei einem wiederholten Aufenthalte an der afrikaniſchen Nordküſte von Lacaze-Duthiers ſtudirt wor- den. Er fand, daß die Stöcke in der Regel ent- weder bloß männliche oder bloß weibliche Jndivi- duen enthielten, daß aber mitunter beiderlei Po- lypen auf einem Stock gemiſcht vorkommen, ja daß ſogar hermaphroditiſche Jndividuen unterlaufen. Die beiſtehende Abbildung zeigt mäßig vergrößert einen Zweig eines Stockes mit mehreren geſchloſſenen und zwei aufgeſchnittenen Kelchen, B. Jn dem oberen ſieht man Eier, o, in dem unteren t eine größere Samenkapſel, und daneben ein Ei. Mit Beſiegung vieler Hinderniſſe gelang es dem franzöſiſchen Forſcher, das Ausſchlüpfen der Larven ſowie deren Feſtſetzen und die weitere Entwicklung des Stockes Schritt für Schritt zu verfolgen. Die eine halbe bis eine Linie langen gewimperten Larven verlaſſen das Ei in der gefächerten Leibeshöhle, B, ihrer Mutter. Sie ſind länglich wurmförmig, und wir ſehen in unſerem Bilde in dem Polypen rechts mit eingezogenen Fühlern zwei ſolcher Larven, f, g, durch die zarten Körperwandungen. Die mittlere Polypenzelle iſt abgeſchnitten; auch ſie enthält zwei Larven. Aus der Mundöffnung der oberen iſt eine Larve, a, ſich zu entwinden im Begriff. Das Vorkommen der Edelkoralle iſt auf das Mittelmeer und adriatiſche Meer beſchränkt. Jm letzteren reicht ſie bis oberhalb Sebenico und wird an einigen Stellen der albaneſiſchen Küſte und zwiſchen den joniſchen Jnſeln ſchon häufiger gefunden. Jn dieſem ganzen Gebiete wird ſie bis jetzt nur von den Bewohnern der Jnſel Zlarin bei Sebenico geſucht. Jhre ziemlich ſtarken, halbgedeckten Barken gehen bis zu den joniſchen Jnſeln und kehren nach mehrmonatlicher Abweſenheit im September heim. Der Ertrag iſt im Verhältniß zu dem der Korallenfiſcherei an der tuneſiſchen und algieriſchen Küſte unbedeutend. An dieſen letztgenaunten Geſtaden, auf Bänken, die ſich bis auf einige Seemeilen vom Ufer entfernt hinziehen, und bei einer Tiefe zwiſchen 40 und 100 Faden, ſeltener darunter oder drüber, iſt die Korallenfiſcherei am lohnendſten. Sie wird vorzugsweiſe von Fahrzeugen mit italieniſcher Bemannung, weniger von Spaniern und Franzoſen betrieben und iſt ein hartes Gewerbe. Die Fahrzeuge variiren von 6 bis etwa 16 Tonnen Gehalt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 1004. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1058>, abgerufen am 23.11.2024.