Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

Polypen. Polycyclia.
dichten oder ganz lockeren, sogar grob porösen Beschaffenheit der Kalkgewebes der Systematik eine
sichere Handhabe der Eintheilung gegeben. Dabei ist auch die Zwischen- und Ausfüllungsmasse
zu berücksichtigen, welche die von den Einzelindividuen herrührenden einfachen Stöcke zu
einem zusammengesetzten Stocke verbindet. Das Wachsthum der Stöcke ist nur dadurch
ermöglicht, daß die Kalktheilchen, welche dem noch wachsenden Thiere angehören, ähnlich wie die
[Abbildung] A ein Endzweig der baumförmigen Dendrophyllia ramoa. Nat. Größe.
B ein einzeiner Keich im Längsdurchschnitt.
Bestandtheile eines lebendigen Knochens
an dem Stoffwechsel Theil nehmen,
d. h. sich auflösen und dem Wachsthum
angemessen wieder ersetzen können. Aber
nicht nur die Harttheile der Einzel-
Polypen sind auf diese Weise belebt:
auch die Zwischenmasse von einem
Polypen zum andern ist mit Röhren
durchzogen, durch welche der Nahrungs-
saft aus der Körperhöhle eines Jndivi-
duums in die der Nachbarn übertreten
kann und aus welchen auch die oft
höchst beträchtliche feste Zwischenmasse
belebt und ernährt wird. Hierdurch
ist dem zusammengesetzten Polypenstock
ein einheitliches Wachsthum gesichert und das Wachsthum solcher Stocktheile erklärt, in deren
unmittelbarer Nähe sich gar keine Einzelindividuen finden. Der zusammengesetzte Polypenstock
ist mithin das Jdeal und Symbol eines reinen Communismus; was Jeder ist und ißt, kommt
unweigerlich der ganzen Gesellschaft zu Gute.

Da in dem festen Stocke sich ziemlich getren der ganze Bau der Polypen abspiegelt und er
sich von den meisten vorweltlichen Sippen bis in die feinsten Details erhalten hat, so sind wir
über die Vorfahren der heute lebenden Polypen ausgezeichnet unterrichtet. Die mehr als 1400
fossilen Arten schließen sich von den ältesten Zeiten her eng an die etwa 1100 lebenden an. Jn
allen Formationen der Erdrinde, deren Gesteine nicht besondere Umwandlungen erfuhren, sind die
Korallenthiere in ihrem bedeutenden Einflusse als Riffbauer nachzuweisen, und die sichersten,
das will sagen einigermaßen wahrscheinlichen Berechnungen der Zeitdauer gewisser vorgeschichtlicher

[Abbildung] Heliastraea heliopora. A Stock mit den Weichtheilen, B ohne diese.
Perioden lassen sich nach der allmäligen Vergrößerung der Korallenriffe abschätzen. Regen diese
geheimnißvollen Bauten die Phantasie mächtig an, so weilt das Auge mit eben so großer Befrie-
digung auf den zierlichen und reinlichen Einzelbildungen, mit denen unsere Museen reichlich ver-
sehen sind und zu deren ergänzender Auffassung die köstlichen Seeanemonen der Küsten oder auch
Aquarien wesentlich beitragen.

Polypen. Polycyclia.
dichten oder ganz lockeren, ſogar grob poröſen Beſchaffenheit der Kalkgewebes der Syſtematik eine
ſichere Handhabe der Eintheilung gegeben. Dabei iſt auch die Zwiſchen- und Ausfüllungsmaſſe
zu berückſichtigen, welche die von den Einzelindividuen herrührenden einfachen Stöcke zu
einem zuſammengeſetzten Stocke verbindet. Das Wachsthum der Stöcke iſt nur dadurch
ermöglicht, daß die Kalktheilchen, welche dem noch wachſenden Thiere angehören, ähnlich wie die
[Abbildung] A ein Endzweig der baumförmigen Dendrophyllia ramoa. Nat. Größe.
B ein einzeiner Keich im Längsdurchſchnitt.
Beſtandtheile eines lebendigen Knochens
an dem Stoffwechſel Theil nehmen,
d. h. ſich auflöſen und dem Wachsthum
angemeſſen wieder erſetzen können. Aber
nicht nur die Harttheile der Einzel-
Polypen ſind auf dieſe Weiſe belebt:
auch die Zwiſchenmaſſe von einem
Polypen zum andern iſt mit Röhren
durchzogen, durch welche der Nahrungs-
ſaft aus der Körperhöhle eines Jndivi-
duums in die der Nachbarn übertreten
kann und aus welchen auch die oft
höchſt beträchtliche feſte Zwiſchenmaſſe
belebt und ernährt wird. Hierdurch
iſt dem zuſammengeſetzten Polypenſtock
ein einheitliches Wachsthum geſichert und das Wachsthum ſolcher Stocktheile erklärt, in deren
unmittelbarer Nähe ſich gar keine Einzelindividuen finden. Der zuſammengeſetzte Polypenſtock
iſt mithin das Jdeal und Symbol eines reinen Communismus; was Jeder iſt und ißt, kommt
unweigerlich der ganzen Geſellſchaft zu Gute.

Da in dem feſten Stocke ſich ziemlich getren der ganze Bau der Polypen abſpiegelt und er
ſich von den meiſten vorweltlichen Sippen bis in die feinſten Details erhalten hat, ſo ſind wir
über die Vorfahren der heute lebenden Polypen ausgezeichnet unterrichtet. Die mehr als 1400
foſſilen Arten ſchließen ſich von den älteſten Zeiten her eng an die etwa 1100 lebenden an. Jn
allen Formationen der Erdrinde, deren Geſteine nicht beſondere Umwandlungen erfuhren, ſind die
Korallenthiere in ihrem bedeutenden Einfluſſe als Riffbauer nachzuweiſen, und die ſicherſten,
das will ſagen einigermaßen wahrſcheinlichen Berechnungen der Zeitdauer gewiſſer vorgeſchichtlicher

[Abbildung] Heliastraea heliopora. A Stock mit den Weichtheilen, B ohne dieſe.
Perioden laſſen ſich nach der allmäligen Vergrößerung der Korallenriffe abſchätzen. Regen dieſe
geheimnißvollen Bauten die Phantaſie mächtig an, ſo weilt das Auge mit eben ſo großer Befrie-
digung auf den zierlichen und reinlichen Einzelbildungen, mit denen unſere Muſeen reichlich ver-
ſehen ſind und zu deren ergänzender Auffaſſung die köſtlichen Seeanemonen der Küſten oder auch
Aquarien weſentlich beitragen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <div n="1">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f1050" n="998"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Polypen. Polycyclia.</hi></fw><lb/>
dichten oder ganz lockeren, &#x017F;ogar grob porö&#x017F;en Be&#x017F;chaffenheit der Kalkgewebes der Sy&#x017F;tematik eine<lb/>
&#x017F;ichere Handhabe der Eintheilung gegeben. Dabei i&#x017F;t auch die Zwi&#x017F;chen- und Ausfüllungsma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zu berück&#x017F;ichtigen, welche die von den Einzelindividuen herrührenden <hi rendition="#g">einfachen Stöcke</hi> zu<lb/>
einem <hi rendition="#g">zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Stocke</hi> verbindet. Das Wachsthum der Stöcke i&#x017F;t nur dadurch<lb/>
ermöglicht, daß die Kalktheilchen, welche dem noch wach&#x017F;enden Thiere angehören, ähnlich wie die<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">A</hi> ein Endzweig der baumförmigen <hi rendition="#aq">Dendrophyllia ramoa.</hi> Nat. Größe.<lb/><hi rendition="#aq">B</hi> ein einzeiner Keich im Längsdurch&#x017F;chnitt.</hi></head></figure><lb/>
Be&#x017F;tandtheile eines lebendigen Knochens<lb/>
an dem Stoffwech&#x017F;el Theil nehmen,<lb/>
d. h. &#x017F;ich auflö&#x017F;en und dem Wachsthum<lb/>
angeme&#x017F;&#x017F;en wieder er&#x017F;etzen können. Aber<lb/>
nicht nur die Harttheile der Einzel-<lb/>
Polypen &#x017F;ind auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e belebt:<lb/>
auch die Zwi&#x017F;chenma&#x017F;&#x017F;e von einem<lb/>
Polypen zum andern i&#x017F;t mit Röhren<lb/>
durchzogen, durch welche der Nahrungs-<lb/>
&#x017F;aft aus der Körperhöhle eines Jndivi-<lb/>
duums in die der Nachbarn übertreten<lb/>
kann und aus welchen auch die oft<lb/>
höch&#x017F;t beträchtliche fe&#x017F;te Zwi&#x017F;chenma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
belebt und ernährt wird. Hierdurch<lb/>
i&#x017F;t dem zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Polypen&#x017F;tock<lb/>
ein einheitliches Wachsthum ge&#x017F;ichert und das Wachsthum &#x017F;olcher Stocktheile erklärt, in deren<lb/>
unmittelbarer Nähe &#x017F;ich gar keine Einzelindividuen finden. Der zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte Polypen&#x017F;tock<lb/>
i&#x017F;t mithin das Jdeal und Symbol eines reinen Communismus; was Jeder i&#x017F;t und ißt, kommt<lb/>
unweigerlich der ganzen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu Gute.</p><lb/>
              <p>Da in dem fe&#x017F;ten Stocke &#x017F;ich ziemlich getren der ganze Bau der Polypen ab&#x017F;piegelt und er<lb/>
&#x017F;ich von den mei&#x017F;ten vorweltlichen Sippen bis in die fein&#x017F;ten Details erhalten hat, &#x017F;o &#x017F;ind wir<lb/>
über die Vorfahren der heute lebenden Polypen ausgezeichnet unterrichtet. Die mehr als 1400<lb/>
fo&#x017F;&#x017F;ilen Arten &#x017F;chließen &#x017F;ich von den älte&#x017F;ten Zeiten her eng an die etwa 1100 lebenden an. Jn<lb/>
allen Formationen der Erdrinde, deren Ge&#x017F;teine nicht be&#x017F;ondere Umwandlungen erfuhren, &#x017F;ind die<lb/>
Korallenthiere in ihrem bedeutenden Einflu&#x017F;&#x017F;e als Riffbauer nachzuwei&#x017F;en, und die &#x017F;icher&#x017F;ten,<lb/>
das will &#x017F;agen einigermaßen wahr&#x017F;cheinlichen Berechnungen der Zeitdauer gewi&#x017F;&#x017F;er vorge&#x017F;chichtlicher<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">Heliastraea heliopora. A</hi> Stock mit den Weichtheilen, <hi rendition="#aq">B</hi> ohne die&#x017F;e.</hi></head></figure><lb/>
Perioden la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich nach der allmäligen Vergrößerung der Korallenriffe ab&#x017F;chätzen. Regen die&#x017F;e<lb/>
geheimnißvollen Bauten die Phanta&#x017F;ie mächtig an, &#x017F;o weilt das Auge mit eben &#x017F;o großer Befrie-<lb/>
digung auf den zierlichen und reinlichen Einzelbildungen, mit denen un&#x017F;ere Mu&#x017F;een reichlich ver-<lb/>
&#x017F;ehen &#x017F;ind und zu deren ergänzender Auffa&#x017F;&#x017F;ung die kö&#x017F;tlichen Seeanemonen der Kü&#x017F;ten oder auch<lb/>
Aquarien we&#x017F;entlich beitragen.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[998/1050] Polypen. Polycyclia. dichten oder ganz lockeren, ſogar grob poröſen Beſchaffenheit der Kalkgewebes der Syſtematik eine ſichere Handhabe der Eintheilung gegeben. Dabei iſt auch die Zwiſchen- und Ausfüllungsmaſſe zu berückſichtigen, welche die von den Einzelindividuen herrührenden einfachen Stöcke zu einem zuſammengeſetzten Stocke verbindet. Das Wachsthum der Stöcke iſt nur dadurch ermöglicht, daß die Kalktheilchen, welche dem noch wachſenden Thiere angehören, ähnlich wie die [Abbildung A ein Endzweig der baumförmigen Dendrophyllia ramoa. Nat. Größe. B ein einzeiner Keich im Längsdurchſchnitt.] Beſtandtheile eines lebendigen Knochens an dem Stoffwechſel Theil nehmen, d. h. ſich auflöſen und dem Wachsthum angemeſſen wieder erſetzen können. Aber nicht nur die Harttheile der Einzel- Polypen ſind auf dieſe Weiſe belebt: auch die Zwiſchenmaſſe von einem Polypen zum andern iſt mit Röhren durchzogen, durch welche der Nahrungs- ſaft aus der Körperhöhle eines Jndivi- duums in die der Nachbarn übertreten kann und aus welchen auch die oft höchſt beträchtliche feſte Zwiſchenmaſſe belebt und ernährt wird. Hierdurch iſt dem zuſammengeſetzten Polypenſtock ein einheitliches Wachsthum geſichert und das Wachsthum ſolcher Stocktheile erklärt, in deren unmittelbarer Nähe ſich gar keine Einzelindividuen finden. Der zuſammengeſetzte Polypenſtock iſt mithin das Jdeal und Symbol eines reinen Communismus; was Jeder iſt und ißt, kommt unweigerlich der ganzen Geſellſchaft zu Gute. Da in dem feſten Stocke ſich ziemlich getren der ganze Bau der Polypen abſpiegelt und er ſich von den meiſten vorweltlichen Sippen bis in die feinſten Details erhalten hat, ſo ſind wir über die Vorfahren der heute lebenden Polypen ausgezeichnet unterrichtet. Die mehr als 1400 foſſilen Arten ſchließen ſich von den älteſten Zeiten her eng an die etwa 1100 lebenden an. Jn allen Formationen der Erdrinde, deren Geſteine nicht beſondere Umwandlungen erfuhren, ſind die Korallenthiere in ihrem bedeutenden Einfluſſe als Riffbauer nachzuweiſen, und die ſicherſten, das will ſagen einigermaßen wahrſcheinlichen Berechnungen der Zeitdauer gewiſſer vorgeſchichtlicher [Abbildung Heliastraea heliopora. A Stock mit den Weichtheilen, B ohne dieſe.] Perioden laſſen ſich nach der allmäligen Vergrößerung der Korallenriffe abſchätzen. Regen dieſe geheimnißvollen Bauten die Phantaſie mächtig an, ſo weilt das Auge mit eben ſo großer Befrie- digung auf den zierlichen und reinlichen Einzelbildungen, mit denen unſere Muſeen reichlich ver- ſehen ſind und zu deren ergänzender Auffaſſung die köſtlichen Seeanemonen der Küſten oder auch Aquarien weſentlich beitragen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1050
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 998. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1050>, abgerufen am 23.11.2024.