Haut fast ausnahmslos skeletmäßig und lederartig verdickt, so sind hier die lederhäutigen Sippen die Ausnahmen. Auch im Falle der Verkalkung eines oder des größten Theiles der Leibeswände bleibt das mit einem oder mehreren Fühlerkränzen gekrönte Vorderende zart und blumenhaft, und die höchst entwickelten freien Formen ziehen das Ange durch die Zartheit und Zierlichkeit ihres ganzen Wesens an.
Jn ihrer Entwicklungsfähigkeit zum Höheren vertreten sie trotz großer Manchfaltigkeit das Princip der Stabilität fast noch mehr als die Echinodermen. An dem mächtigen Streben der übrigen Thierwelt, in dem großen Kampfe um das Dasein auf dem Festlande oder wenigstens im Süßwasser sich einzubürgern und die Vortheile dieses veränderten Aufenthaltes der Veredelung der Organisation zu Gute kommen zu lassen, haben sie eben so wenig, als die Stachelhäuter mit Erfolg Theil genommen. Denn ein Erfolg kann es kaum genannt werden, daß ein armseliges, kaum bemerkbares polypenartiges Wesen, die Hydra, als vorgeschobener Posten in unseren Gräben und Sümpfen haust.
Die Quallen.
Dürfte man sich nur an diejenigen Formen dieser Klasse halten, welche als einzeln lebende Jndividuen zu voller Entwicklung und geschlechtlicher Vermehrung gelangen, so würde die allgemeine Charakterisirung keine Schwierigkeiten machen. Es wären die Coelenteraten, welche mit meist deutlich oder sehr deutlich ausgeprägtem strahligen Bau einen melonen-, schirm- oder scheibenförmigen Körper von gallertiger oder weich knorpeliger Beschaffenheit verbinden und als durchsichtige oder durchscheinende, farblose oder zartgefärbte Wesen dem offenen Meere angehören. Jhre Größe wechselt von der eines Sandkörnchens bis zu einem Fuß Durchmesser und darüber, die langen Sink- und Fangfäden ungerechnet, welche sich ellenweit ausdehnen und zur Umstrickung und, vermittelst Giftabsonderung, Betäubung der ihnen zur Beute fallenden kleineren Thiere dienen. Es fällt dem ordnenden Systematiker, wie gesagt, nicht schwer, alle diese als Jndividuen frei schwimmenden Quallen in das Fachwerk der Ordnungs- und Familien-Rubriken einzu- rangiren. Allein zu ihnen gesellt sich eine verwirrende Masse von Sippen, von denen man nicht recht sagen kann, bestehen sie aus Jndividnen oder aus Colonien, ferner von solchen, welche blos den Larven oder den Zwischengenerationen der freien glockenförmigen Formen gleichen, daß man darüber in gelinde Verzweiflung gerathen kann; -- dieß jedoch glücklicher Weise nur, wenn man die lebendige Welt in das alte überlieferte Schulschema zwängen will. Jst man aber des Resultates der neueren wissenschaftlichen Thierkunde eingedenk, daß in der Entwicklung des Organischen das Princip der freien Bahn vorherrscht, so gestalten sich auch die früher ganz unverstandenen Reihen der Quallen und sogenannten Quallenpolypen zur verständlichen, wenn auch nicht mit einer weisen Definition von einigen Zeilen zu beschreibenden Einheit. Wir dürfen leider nur einzelne Punkte aus jenen Reihen herausgreifen und damit den Zusammenhang mehr ahnen lassen, als wirklich aufdecken.
Allgemeines über Coelenteraten und Quallen.
Haut faſt ausnahmslos ſkeletmäßig und lederartig verdickt, ſo ſind hier die lederhäutigen Sippen die Ausnahmen. Auch im Falle der Verkalkung eines oder des größten Theiles der Leibeswände bleibt das mit einem oder mehreren Fühlerkränzen gekrönte Vorderende zart und blumenhaft, und die höchſt entwickelten freien Formen ziehen das Ange durch die Zartheit und Zierlichkeit ihres ganzen Weſens an.
Jn ihrer Entwicklungsfähigkeit zum Höheren vertreten ſie trotz großer Manchfaltigkeit das Princip der Stabilität faſt noch mehr als die Echinodermen. An dem mächtigen Streben der übrigen Thierwelt, in dem großen Kampfe um das Daſein auf dem Feſtlande oder wenigſtens im Süßwaſſer ſich einzubürgern und die Vortheile dieſes veränderten Aufenthaltes der Veredelung der Organiſation zu Gute kommen zu laſſen, haben ſie eben ſo wenig, als die Stachelhäuter mit Erfolg Theil genommen. Denn ein Erfolg kann es kaum genannt werden, daß ein armſeliges, kaum bemerkbares polypenartiges Weſen, die Hydra, als vorgeſchobener Poſten in unſeren Gräben und Sümpfen hauſt.
Die Quallen.
Dürfte man ſich nur an diejenigen Formen dieſer Klaſſe halten, welche als einzeln lebende Jndividuen zu voller Entwicklung und geſchlechtlicher Vermehrung gelangen, ſo würde die allgemeine Charakteriſirung keine Schwierigkeiten machen. Es wären die Coelenteraten, welche mit meiſt deutlich oder ſehr deutlich ausgeprägtem ſtrahligen Bau einen melonen-, ſchirm- oder ſcheibenförmigen Körper von gallertiger oder weich knorpeliger Beſchaffenheit verbinden und als durchſichtige oder durchſcheinende, farbloſe oder zartgefärbte Weſen dem offenen Meere angehören. Jhre Größe wechſelt von der eines Sandkörnchens bis zu einem Fuß Durchmeſſer und darüber, die langen Sink- und Fangfäden ungerechnet, welche ſich ellenweit ausdehnen und zur Umſtrickung und, vermittelſt Giftabſonderung, Betäubung der ihnen zur Beute fallenden kleineren Thiere dienen. Es fällt dem ordnenden Syſtematiker, wie geſagt, nicht ſchwer, alle dieſe als Jndividuen frei ſchwimmenden Quallen in das Fachwerk der Ordnungs- und Familien-Rubriken einzu- rangiren. Allein zu ihnen geſellt ſich eine verwirrende Maſſe von Sippen, von denen man nicht recht ſagen kann, beſtehen ſie aus Jndividnen oder aus Colonien, ferner von ſolchen, welche blos den Larven oder den Zwiſchengenerationen der freien glockenförmigen Formen gleichen, daß man darüber in gelinde Verzweiflung gerathen kann; — dieß jedoch glücklicher Weiſe nur, wenn man die lebendige Welt in das alte überlieferte Schulſchema zwängen will. Jſt man aber des Reſultates der neueren wiſſenſchaftlichen Thierkunde eingedenk, daß in der Entwicklung des Organiſchen das Princip der freien Bahn vorherrſcht, ſo geſtalten ſich auch die früher ganz unverſtandenen Reihen der Quallen und ſogenannten Quallenpolypen zur verſtändlichen, wenn auch nicht mit einer weiſen Definition von einigen Zeilen zu beſchreibenden Einheit. Wir dürfen leider nur einzelne Punkte aus jenen Reihen herausgreifen und damit den Zuſammenhang mehr ahnen laſſen, als wirklich aufdecken.
<TEI><text><body><floatingText><body><divn="1"><p><pbfacs="#f1039"n="989"/><fwplace="top"type="header">Allgemeines über Coelenteraten und Quallen.</fw><lb/>
Haut faſt ausnahmslos ſkeletmäßig und lederartig verdickt, ſo ſind hier die lederhäutigen Sippen die<lb/>
Ausnahmen. Auch im Falle der Verkalkung eines oder des größten Theiles der Leibeswände bleibt<lb/>
das mit einem oder mehreren Fühlerkränzen gekrönte Vorderende zart und blumenhaft, und die<lb/>
höchſt entwickelten freien Formen ziehen das Ange durch die Zartheit und Zierlichkeit ihres ganzen<lb/>
Weſens an.</p><lb/><p>Jn ihrer Entwicklungsfähigkeit zum Höheren vertreten ſie trotz großer Manchfaltigkeit das<lb/>
Princip der Stabilität faſt noch mehr als die Echinodermen. An dem mächtigen Streben der<lb/>
übrigen Thierwelt, in dem großen Kampfe um das Daſein auf dem Feſtlande oder wenigſtens<lb/>
im Süßwaſſer ſich einzubürgern und die Vortheile dieſes veränderten Aufenthaltes der Veredelung<lb/>
der Organiſation zu Gute kommen zu laſſen, haben ſie eben ſo wenig, als die Stachelhäuter mit<lb/>
Erfolg Theil genommen. Denn ein Erfolg kann es kaum genannt werden, daß ein armſeliges,<lb/>
kaum bemerkbares polypenartiges Weſen, die Hydra, als vorgeſchobener Poſten in unſeren Gräben<lb/>
und Sümpfen hauſt.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Quallen.</hi></hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ürfte man ſich nur an diejenigen Formen dieſer Klaſſe halten, welche als einzeln lebende<lb/>
Jndividuen zu voller Entwicklung und geſchlechtlicher Vermehrung gelangen, ſo würde die<lb/>
allgemeine Charakteriſirung keine Schwierigkeiten machen. Es wären die Coelenteraten, welche<lb/>
mit meiſt deutlich oder ſehr deutlich ausgeprägtem ſtrahligen Bau einen melonen-, ſchirm- oder<lb/>ſcheibenförmigen Körper von gallertiger oder weich knorpeliger Beſchaffenheit verbinden und als<lb/>
durchſichtige oder durchſcheinende, farbloſe oder zartgefärbte Weſen dem offenen Meere angehören.<lb/>
Jhre Größe wechſelt von der eines Sandkörnchens bis zu einem Fuß Durchmeſſer und darüber,<lb/>
die langen Sink- und Fangfäden ungerechnet, welche ſich ellenweit ausdehnen und zur Umſtrickung<lb/>
und, vermittelſt Giftabſonderung, Betäubung der ihnen zur Beute fallenden kleineren Thiere<lb/>
dienen. Es fällt dem ordnenden Syſtematiker, wie geſagt, nicht ſchwer, alle dieſe als Jndividuen<lb/>
frei ſchwimmenden Quallen in das Fachwerk der Ordnungs- und Familien-Rubriken einzu-<lb/>
rangiren. Allein zu ihnen geſellt ſich eine verwirrende Maſſe von Sippen, von denen man nicht<lb/>
recht ſagen kann, beſtehen ſie aus Jndividnen oder aus Colonien, ferner von ſolchen, welche<lb/>
blos den Larven oder den Zwiſchengenerationen der freien glockenförmigen Formen gleichen, daß<lb/>
man darüber in gelinde Verzweiflung gerathen kann; — dieß jedoch glücklicher Weiſe nur, wenn<lb/>
man die lebendige Welt in das alte überlieferte Schulſchema zwängen will. Jſt man aber des<lb/>
Reſultates der neueren wiſſenſchaftlichen Thierkunde eingedenk, daß in der Entwicklung des<lb/>
Organiſchen das Princip der freien Bahn vorherrſcht, ſo geſtalten ſich auch die früher ganz<lb/>
unverſtandenen Reihen der Quallen und ſogenannten Quallenpolypen zur verſtändlichen, wenn<lb/>
auch nicht mit einer weiſen Definition von einigen Zeilen zu beſchreibenden Einheit. Wir dürfen<lb/>
leider nur einzelne Punkte aus jenen Reihen herausgreifen und damit den Zuſammenhang mehr<lb/>
ahnen laſſen, als wirklich aufdecken.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></body></floatingText></body></text></TEI>
[989/1039]
Allgemeines über Coelenteraten und Quallen.
Haut faſt ausnahmslos ſkeletmäßig und lederartig verdickt, ſo ſind hier die lederhäutigen Sippen die
Ausnahmen. Auch im Falle der Verkalkung eines oder des größten Theiles der Leibeswände bleibt
das mit einem oder mehreren Fühlerkränzen gekrönte Vorderende zart und blumenhaft, und die
höchſt entwickelten freien Formen ziehen das Ange durch die Zartheit und Zierlichkeit ihres ganzen
Weſens an.
Jn ihrer Entwicklungsfähigkeit zum Höheren vertreten ſie trotz großer Manchfaltigkeit das
Princip der Stabilität faſt noch mehr als die Echinodermen. An dem mächtigen Streben der
übrigen Thierwelt, in dem großen Kampfe um das Daſein auf dem Feſtlande oder wenigſtens
im Süßwaſſer ſich einzubürgern und die Vortheile dieſes veränderten Aufenthaltes der Veredelung
der Organiſation zu Gute kommen zu laſſen, haben ſie eben ſo wenig, als die Stachelhäuter mit
Erfolg Theil genommen. Denn ein Erfolg kann es kaum genannt werden, daß ein armſeliges,
kaum bemerkbares polypenartiges Weſen, die Hydra, als vorgeſchobener Poſten in unſeren Gräben
und Sümpfen hauſt.
Die Quallen.
Dürfte man ſich nur an diejenigen Formen dieſer Klaſſe halten, welche als einzeln lebende
Jndividuen zu voller Entwicklung und geſchlechtlicher Vermehrung gelangen, ſo würde die
allgemeine Charakteriſirung keine Schwierigkeiten machen. Es wären die Coelenteraten, welche
mit meiſt deutlich oder ſehr deutlich ausgeprägtem ſtrahligen Bau einen melonen-, ſchirm- oder
ſcheibenförmigen Körper von gallertiger oder weich knorpeliger Beſchaffenheit verbinden und als
durchſichtige oder durchſcheinende, farbloſe oder zartgefärbte Weſen dem offenen Meere angehören.
Jhre Größe wechſelt von der eines Sandkörnchens bis zu einem Fuß Durchmeſſer und darüber,
die langen Sink- und Fangfäden ungerechnet, welche ſich ellenweit ausdehnen und zur Umſtrickung
und, vermittelſt Giftabſonderung, Betäubung der ihnen zur Beute fallenden kleineren Thiere
dienen. Es fällt dem ordnenden Syſtematiker, wie geſagt, nicht ſchwer, alle dieſe als Jndividuen
frei ſchwimmenden Quallen in das Fachwerk der Ordnungs- und Familien-Rubriken einzu-
rangiren. Allein zu ihnen geſellt ſich eine verwirrende Maſſe von Sippen, von denen man nicht
recht ſagen kann, beſtehen ſie aus Jndividnen oder aus Colonien, ferner von ſolchen, welche
blos den Larven oder den Zwiſchengenerationen der freien glockenförmigen Formen gleichen, daß
man darüber in gelinde Verzweiflung gerathen kann; — dieß jedoch glücklicher Weiſe nur, wenn
man die lebendige Welt in das alte überlieferte Schulſchema zwängen will. Jſt man aber des
Reſultates der neueren wiſſenſchaftlichen Thierkunde eingedenk, daß in der Entwicklung des
Organiſchen das Princip der freien Bahn vorherrſcht, ſo geſtalten ſich auch die früher ganz
unverſtandenen Reihen der Quallen und ſogenannten Quallenpolypen zur verſtändlichen, wenn
auch nicht mit einer weiſen Definition von einigen Zeilen zu beſchreibenden Einheit. Wir dürfen
leider nur einzelne Punkte aus jenen Reihen herausgreifen und damit den Zuſammenhang mehr
ahnen laſſen, als wirklich aufdecken.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 989. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1039>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.