Lingula. Discina. Allgemeines über die Mantelthiere.
Leder, sie bewegen sich nicht. Doch, indem wir einen derselben derb anfassen, spritzt uns ein feiner Wasserstrahl ins Gesicht, und wir entdecken auf der unappetitlichen Oberfläche eine etwas hellere Stelle (a) mit fast kreuzförmigem, feinen Schlitz, aus welchem wir durch Druck noch mehr Wasser entleeren können. Ein Mann aus dem Volke, der ein Dutzend der räthselhaften Knollen
[Abbildung]
Ascidia mierocosmus. Aufgeschnitten.
für geringe Kupfermünze ersteht, kommt unserer Wißbegierde weiter zu Hülfe; er spaltet mit scharfem Messer ein Stück und zeigt uns einen schön gelblichen Sack, der mit der groben dicken Hülle nur an jener Stelle, aus welcher der Wasserstrahl hervortrat, und an einer zweiten ähn- lichen (b) in engerem Zusammenhang ist. Diesen gelben Sack ißt unser neuer Freund mit dem größten Appetite, während er uns uneigennützig die lederzähe Schale zum weiteren wissenschaftlichen Gebrauch überläßt.
Wir haben hiermit die oberflächliche Bekanntschaft mit einem Mantelthiere gemacht, und es bedarf kaum noch der ausdrücklichen Versicherung, daß eben jene undurchsichtige lederartige Hülle der Mantel und zwar der äußere Mantel war, während die übrigen Organe des Thieres von einer zweiten feineren Hülle umschlossen sind, welche letztere mit zwei Zipfeln an der ersten auf- gehangen ist. Der Name dieses und der ihm ähnlichen Thiere wird daher keiner weiteren Recht- fertigung bedürfen. Wir könnten nun an diesem Sackthiere, welches von dem Umstande, daß es in der Regel eine ganze Welt von kleinen pflanzlichen und thierischen Ansiedlern auf sich trägt, den Beinamen "microcosmus" erhielt, sogleich unsere weiteren Detailstudien anstellen, ich rathe jedoch, erst noch einige praktische Erfahrungen über andere Formen der Gruppe zu sammeln, um einiges Material zur Vergleichung zu haben. Der Besuch einer der Badeanstalten im Hafen von Triest oder Neapel gibt uns dasselbe an die Hand; die Unterseite der meisten im Wasser befind- lichen Holztheile sind, außer mit vielen Pflanzen und anderen Thieren, auch mit Mantelthieren der Gruppe Ascidia so dicht besetzt, daß man ganze Haufen abschälen kann. Die sich hier findenden Mantelthiere haben aber keine lederartige, sondern eine durchscheinend häutige Hülle, und vor- herrschend ist eine Art, welche ungefähr wie ein Stück Darm aussieht. Auch an ihr, der Ascidia oder Phallusia intestinalis, überzeugen wir uns nun leicht, daß ein innerer feinerer Sack in dem festeren Außenmantel aufgehängt und im Umkreise zweier am und neben dem Vorderende befindlichen Oeffnungen mit jenem enger verbunden ist.
Ueber einen ganz anderen Typus von Mantelthieren haben mir oft die dalmatinischen Fischer ihr Leid geklagt. Sie bekommen nicht selten ihr Zugnetz statt mit Fischen mit Centnerlasten von kleinen, kaum 1/2 bis 1 Zoll langen crystallhellen Thierchen erfüllt, welche etwa einer an beiden Enden offenen Tonne gleichen, und in welchen die Forschung trotz ihrer ganz verschiedenen Lebensweise längst
Lingula. Discina. Allgemeines über die Mantelthiere.
Leder, ſie bewegen ſich nicht. Doch, indem wir einen derſelben derb anfaſſen, ſpritzt uns ein feiner Waſſerſtrahl ins Geſicht, und wir entdecken auf der unappetitlichen Oberfläche eine etwas hellere Stelle (a) mit faſt kreuzförmigem, feinen Schlitz, aus welchem wir durch Druck noch mehr Waſſer entleeren können. Ein Mann aus dem Volke, der ein Dutzend der räthſelhaften Knollen
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Ascidia mierocosmus. Aufgeſchnitten.
für geringe Kupfermünze erſteht, kommt unſerer Wißbegierde weiter zu Hülfe; er ſpaltet mit ſcharfem Meſſer ein Stück und zeigt uns einen ſchön gelblichen Sack, der mit der groben dicken Hülle nur an jener Stelle, aus welcher der Waſſerſtrahl hervortrat, und an einer zweiten ähn- lichen (b) in engerem Zuſammenhang iſt. Dieſen gelben Sack ißt unſer neuer Freund mit dem größten Appetite, während er uns uneigennützig die lederzähe Schale zum weiteren wiſſenſchaftlichen Gebrauch überläßt.
Wir haben hiermit die oberflächliche Bekanntſchaft mit einem Mantelthiere gemacht, und es bedarf kaum noch der ausdrücklichen Verſicherung, daß eben jene undurchſichtige lederartige Hülle der Mantel und zwar der äußere Mantel war, während die übrigen Organe des Thieres von einer zweiten feineren Hülle umſchloſſen ſind, welche letztere mit zwei Zipfeln an der erſten auf- gehangen iſt. Der Name dieſes und der ihm ähnlichen Thiere wird daher keiner weiteren Recht- fertigung bedürfen. Wir könnten nun an dieſem Sackthiere, welches von dem Umſtande, daß es in der Regel eine ganze Welt von kleinen pflanzlichen und thieriſchen Anſiedlern auf ſich trägt, den Beinamen „microcosmus“ erhielt, ſogleich unſere weiteren Detailſtudien anſtellen, ich rathe jedoch, erſt noch einige praktiſche Erfahrungen über andere Formen der Gruppe zu ſammeln, um einiges Material zur Vergleichung zu haben. Der Beſuch einer der Badeanſtalten im Hafen von Trieſt oder Neapel gibt uns daſſelbe an die Hand; die Unterſeite der meiſten im Waſſer befind- lichen Holztheile ſind, außer mit vielen Pflanzen und anderen Thieren, auch mit Mantelthieren der Gruppe Ascidia ſo dicht beſetzt, daß man ganze Haufen abſchälen kann. Die ſich hier findenden Mantelthiere haben aber keine lederartige, ſondern eine durchſcheinend häutige Hülle, und vor- herrſchend iſt eine Art, welche ungefähr wie ein Stück Darm ausſieht. Auch an ihr, der Ascidia oder Phallusia intestinalis, überzeugen wir uns nun leicht, daß ein innerer feinerer Sack in dem feſteren Außenmantel aufgehängt und im Umkreiſe zweier am und neben dem Vorderende befindlichen Oeffnungen mit jenem enger verbunden iſt.
Ueber einen ganz anderen Typus von Mantelthieren haben mir oft die dalmatiniſchen Fiſcher ihr Leid geklagt. Sie bekommen nicht ſelten ihr Zugnetz ſtatt mit Fiſchen mit Centnerlaſten von kleinen, kaum ½ bis 1 Zoll langen cryſtallhellen Thierchen erfüllt, welche etwa einer an beiden Enden offenen Tonne gleichen, und in welchen die Forſchung trotz ihrer ganz verſchiedenen Lebensweiſe längſt
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Lingula. Discina. Allgemeines über die Mantelthiere.
Leder, ſie bewegen ſich nicht. Doch, indem wir einen derſelben derb anfaſſen, ſpritzt uns ein
feiner Waſſerſtrahl ins Geſicht, und wir entdecken auf der unappetitlichen Oberfläche eine etwas
hellere Stelle (a) mit faſt kreuzförmigem, feinen Schlitz, aus welchem wir durch Druck noch mehr
Waſſer entleeren können. Ein Mann aus dem Volke, der ein Dutzend der räthſelhaften Knollen
[Abbildung Ascidia mierocosmus. Aufgeſchnitten.]
für geringe Kupfermünze erſteht, kommt unſerer Wißbegierde weiter zu Hülfe; er ſpaltet mit
ſcharfem Meſſer ein Stück und zeigt uns einen ſchön gelblichen Sack, der mit der groben dicken
Hülle nur an jener Stelle, aus welcher der Waſſerſtrahl hervortrat, und an einer zweiten ähn-
lichen (b) in engerem Zuſammenhang iſt. Dieſen gelben Sack ißt unſer neuer Freund mit dem
größten Appetite, während er uns uneigennützig die lederzähe Schale zum weiteren wiſſenſchaftlichen
Gebrauch überläßt.
Wir haben hiermit die oberflächliche Bekanntſchaft mit einem Mantelthiere gemacht, und es
bedarf kaum noch der ausdrücklichen Verſicherung, daß eben jene undurchſichtige lederartige Hülle
der Mantel und zwar der äußere Mantel war, während die übrigen Organe des Thieres von
einer zweiten feineren Hülle umſchloſſen ſind, welche letztere mit zwei Zipfeln an der erſten auf-
gehangen iſt. Der Name dieſes und der ihm ähnlichen Thiere wird daher keiner weiteren Recht-
fertigung bedürfen. Wir könnten nun an dieſem Sackthiere, welches von dem Umſtande, daß
es in der Regel eine ganze Welt von kleinen pflanzlichen und thieriſchen Anſiedlern auf ſich trägt,
den Beinamen „microcosmus“ erhielt, ſogleich unſere weiteren Detailſtudien anſtellen, ich rathe
jedoch, erſt noch einige praktiſche Erfahrungen über andere Formen der Gruppe zu ſammeln, um
einiges Material zur Vergleichung zu haben. Der Beſuch einer der Badeanſtalten im Hafen von
Trieſt oder Neapel gibt uns daſſelbe an die Hand; die Unterſeite der meiſten im Waſſer befind-
lichen Holztheile ſind, außer mit vielen Pflanzen und anderen Thieren, auch mit Mantelthieren
der Gruppe Ascidia ſo dicht beſetzt, daß man ganze Haufen abſchälen kann. Die ſich hier findenden
Mantelthiere haben aber keine lederartige, ſondern eine durchſcheinend häutige Hülle, und vor-
herrſchend iſt eine Art, welche ungefähr wie ein Stück Darm ausſieht. Auch an ihr, der Ascidia
oder Phallusia intestinalis, überzeugen wir uns nun leicht, daß ein innerer feinerer Sack in dem
feſteren Außenmantel aufgehängt und im Umkreiſe zweier am und neben dem Vorderende
befindlichen Oeffnungen mit jenem enger verbunden iſt.
Ueber einen ganz anderen Typus von Mantelthieren haben mir oft die dalmatiniſchen Fiſcher ihr
Leid geklagt. Sie bekommen nicht ſelten ihr Zugnetz ſtatt mit Fiſchen mit Centnerlaſten von kleinen,
kaum ½ bis 1 Zoll langen cryſtallhellen Thierchen erfüllt, welche etwa einer an beiden Enden offenen
Tonne gleichen, und in welchen die Forſchung trotz ihrer ganz verſchiedenen Lebensweiſe längſt
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 965. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1013>, abgerufen am 23.11.2024.
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