mittleren und jüngeren Zeiten vereinzelt dastehen wie entblätterte Wipfel", hat in der Familie der Terebratuliden das Umgekehrte stattgefunden, ihr Baum hat Zweige getrieben bis in die jüngsten Perioden der Erde und sie zählt jetzt 10 Sippen, deren Verbreitungsbezirke sich über alle Meere erstrecken. Sie sind vorherrschend Bewohner größerer Tiefen und theilen diese Eigen- schaft überhaupt mit allen Armfüßern, deren Gehäus kalkhaltiger, dicker und undurchsichtiger ist.
Eine zweite Familie, welche mit ihren Wurzeln noch unter die vorige hinausragt, in der Gegenwart aber nur durch vier Arten vertreten wird, ist die der Rhynchonelliden, so genannt von der wichtigsten Sippe, Rhynchonella. Sie eben ist es, welche zu den ältesten und verbreitetsten Organismen gehört, da sie von den silurischen Zeiten an durch alle Formationen reicht. Die noch lebende Rhynchonella psittacea zeigt am besten den charakteristischen schnabel- förmigen Fortsatz der Bauchklappe. Die Oeffnung für den Stiel befindet sich unterhalb dieses Schnabels. Die Klappen sind mit einander befestigt, wie bei den Terebratuliden; das Armgerüst besteht aber nur aus zwei kurzen schmalen, gekrümmten, schalenförmigen Plättchen, die an der Scheitelgegend der kleinen Klappe befestigt sind. Ueber Vorkommen und Lebensweise der genannten Art hat Barett auf seiner skandinavischen Reise einige Beobachtungen gesammelt. "Sie findet sich lebend nicht besonders häufig in den nördlichsten Gegenden, nämlich bei Tromsoe in einer Tiefe von 70 bis 150 Faden; Klappen ohne das Thier sind bei Hammerfest im Schlamme gesammelt worden. Diese Art schien mir sehr schwer zu beobachten, da das Thier, für alle Ein- drücke besonders empfänglich, bei der geringsten Bewegung seine Klappe schließt. Die Arme erweitern ihre Spiralgänge genugsam, um die Fransen bis an den Rand der Schale gelangen zu lassen. Jch habe diese Art oft bei klaffenden Klappen beobachtet, nie aber habe ich gesehen, daß sich ihre Arme entrollt und aus der Schale hervorgestreckt hätten."
Wenn wir ferner die Sippe Crania in unsere Betrachtung einbeziehen, so geschieht es auch nicht, weil ihre Lebensverrichtungen interessante Momente böten, sondern weil ihre geologische und gegenwärtige Verbreitung dazu auffordern. Sie ist so abweichend, daß sie für sich allein eine Familie bildet. Jhre Schale ist nämlich an unterseeische Körper mit
[Abbildung]
Crania anomala. Oberklappe mit dem Thiere. Vergrößert.
der Bauchklappe aufgewachsen. Die Rückenklappe ist deckelförmig, und beide werden nicht durch ein Schloß oder Einlenkungsfortsätze, sondern lediglich durch Muskeln an einander gehalten. Auch stützen sich die fleischigen Spiralarme nur auf einen nasenförmigen Fortsatz im Mittelpunkte der Bauchklappe. Die bekannteste der vier lebenden Arten ist Crania anomala aus unseren nördlichen Meeren, welche fast stets in Gesellschaft von Terebratula caput serpentis gefunden wird, derselben jedoch weder in das boreale Nordamerika noch in das Mittelmeer folgt. Man kennt sie noch nicht im fossilen Zustande, und Sueß hat daher vermuthet, "daß ihre Entstehung in eine jüngere Zeit falle, und sie jene Erscheinungen nicht erlebt habe, welche es der Terebratula caput serpentis möglich gemacht haben, nach Nordamerika zu kommen, und welche in einem fortlaufenden Uferrande oder einer zusammenhängenderen Jnselkette zwischen diesem Welttheile und dem unfrigen bestanden zu haben scheinen. Dagegen deutet ihr Auftreten in der Vigo-Bucht (Spanien) darauf hin, daß sie den allmäligen Rückzug der nördlichen Bevölkerungen aus dem mittleren Europa wenigstens theilweise mitgemacht habe."
Die Cranien der früheren Schöpfungsperioden treten nie in bedeutender Menge auf, ihre Reihe setzt sich aber von der ältesten Silurzeit ununterbrochen fort. Unsere Museen enthalten noch zu wenig Material, um die Uebergänge dieser Arten evident zu machen, gerade aber in dieser Richtung der vergleichenden Forschung hat die Zukunft eine reichen Lohn versprechende Aufgabe.
Die Brachiopoden, von denen wir bisher gehandelt, gehören, gleich den übrigen mit Kalk- gehäuse, mit wenigen Ausnahmen dem tieferen Meeresgrunde an. Anders verhält es sich mit
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Thecidium. Rhynchonella. Crania.
mittleren und jüngeren Zeiten vereinzelt daſtehen wie entblätterte Wipfel“, hat in der Familie der Terebratuliden das Umgekehrte ſtattgefunden, ihr Baum hat Zweige getrieben bis in die jüngſten Perioden der Erde und ſie zählt jetzt 10 Sippen, deren Verbreitungsbezirke ſich über alle Meere erſtrecken. Sie ſind vorherrſchend Bewohner größerer Tiefen und theilen dieſe Eigen- ſchaft überhaupt mit allen Armfüßern, deren Gehäus kalkhaltiger, dicker und undurchſichtiger iſt.
Eine zweite Familie, welche mit ihren Wurzeln noch unter die vorige hinausragt, in der Gegenwart aber nur durch vier Arten vertreten wird, iſt die der Rhynchonelliden, ſo genannt von der wichtigſten Sippe, Rhynchonella. Sie eben iſt es, welche zu den älteſten und verbreitetſten Organismen gehört, da ſie von den ſiluriſchen Zeiten an durch alle Formationen reicht. Die noch lebende Rhynchonella psittacea zeigt am beſten den charakteriſtiſchen ſchnabel- förmigen Fortſatz der Bauchklappe. Die Oeffnung für den Stiel befindet ſich unterhalb dieſes Schnabels. Die Klappen ſind mit einander befeſtigt, wie bei den Terebratuliden; das Armgerüſt beſteht aber nur aus zwei kurzen ſchmalen, gekrümmten, ſchalenförmigen Plättchen, die an der Scheitelgegend der kleinen Klappe befeſtigt ſind. Ueber Vorkommen und Lebensweiſe der genannten Art hat Barett auf ſeiner ſkandinaviſchen Reiſe einige Beobachtungen geſammelt. „Sie findet ſich lebend nicht beſonders häufig in den nördlichſten Gegenden, nämlich bei Tromſoe in einer Tiefe von 70 bis 150 Faden; Klappen ohne das Thier ſind bei Hammerfeſt im Schlamme geſammelt worden. Dieſe Art ſchien mir ſehr ſchwer zu beobachten, da das Thier, für alle Ein- drücke beſonders empfänglich, bei der geringſten Bewegung ſeine Klappe ſchließt. Die Arme erweitern ihre Spiralgänge genugſam, um die Franſen bis an den Rand der Schale gelangen zu laſſen. Jch habe dieſe Art oft bei klaffenden Klappen beobachtet, nie aber habe ich geſehen, daß ſich ihre Arme entrollt und aus der Schale hervorgeſtreckt hätten.“
Wenn wir ferner die Sippe Crania in unſere Betrachtung einbeziehen, ſo geſchieht es auch nicht, weil ihre Lebensverrichtungen intereſſante Momente böten, ſondern weil ihre geologiſche und gegenwärtige Verbreitung dazu auffordern. Sie iſt ſo abweichend, daß ſie für ſich allein eine Familie bildet. Jhre Schale iſt nämlich an unterſeeiſche Körper mit
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Crania anomala. Oberklappe mit dem Thiere. Vergrößert.
der Bauchklappe aufgewachſen. Die Rückenklappe iſt deckelförmig, und beide werden nicht durch ein Schloß oder Einlenkungsfortſätze, ſondern lediglich durch Muskeln an einander gehalten. Auch ſtützen ſich die fleiſchigen Spiralarme nur auf einen naſenförmigen Fortſatz im Mittelpunkte der Bauchklappe. Die bekannteſte der vier lebenden Arten iſt Crania anomala aus unſeren nördlichen Meeren, welche faſt ſtets in Geſellſchaft von Terebratula caput serpentis gefunden wird, derſelben jedoch weder in das boreale Nordamerika noch in das Mittelmeer folgt. Man kennt ſie noch nicht im foſſilen Zuſtande, und Sueß hat daher vermuthet, „daß ihre Entſtehung in eine jüngere Zeit falle, und ſie jene Erſcheinungen nicht erlebt habe, welche es der Terebratula caput serpentis möglich gemacht haben, nach Nordamerika zu kommen, und welche in einem fortlaufenden Uferrande oder einer zuſammenhängenderen Jnſelkette zwiſchen dieſem Welttheile und dem unfrigen beſtanden zu haben ſcheinen. Dagegen deutet ihr Auftreten in der Vigo-Bucht (Spanien) darauf hin, daß ſie den allmäligen Rückzug der nördlichen Bevölkerungen aus dem mittleren Europa wenigſtens theilweiſe mitgemacht habe.“
Die Cranien der früheren Schöpfungsperioden treten nie in bedeutender Menge auf, ihre Reihe ſetzt ſich aber von der älteſten Silurzeit ununterbrochen fort. Unſere Muſeen enthalten noch zu wenig Material, um die Uebergänge dieſer Arten evident zu machen, gerade aber in dieſer Richtung der vergleichenden Forſchung hat die Zukunft eine reichen Lohn verſprechende Aufgabe.
Die Brachiopoden, von denen wir bisher gehandelt, gehören, gleich den übrigen mit Kalk- gehäuſe, mit wenigen Ausnahmen dem tieferen Meeresgrunde an. Anders verhält es ſich mit
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Thecidium. Rhynchonella. Crania.
mittleren und jüngeren Zeiten vereinzelt daſtehen wie entblätterte Wipfel“, hat in der Familie
der Terebratuliden das Umgekehrte ſtattgefunden, ihr Baum hat Zweige getrieben bis in die
jüngſten Perioden der Erde und ſie zählt jetzt 10 Sippen, deren Verbreitungsbezirke ſich über
alle Meere erſtrecken. Sie ſind vorherrſchend Bewohner größerer Tiefen und theilen dieſe Eigen-
ſchaft überhaupt mit allen Armfüßern, deren Gehäus kalkhaltiger, dicker und undurchſichtiger iſt.
Eine zweite Familie, welche mit ihren Wurzeln noch unter die vorige hinausragt, in
der Gegenwart aber nur durch vier Arten vertreten wird, iſt die der Rhynchonelliden, ſo
genannt von der wichtigſten Sippe, Rhynchonella. Sie eben iſt es, welche zu den älteſten und
verbreitetſten Organismen gehört, da ſie von den ſiluriſchen Zeiten an durch alle Formationen
reicht. Die noch lebende Rhynchonella psittacea zeigt am beſten den charakteriſtiſchen ſchnabel-
förmigen Fortſatz der Bauchklappe. Die Oeffnung für den Stiel befindet ſich unterhalb
dieſes Schnabels. Die Klappen ſind mit einander befeſtigt, wie bei den Terebratuliden; das
Armgerüſt beſteht aber nur aus zwei kurzen ſchmalen, gekrümmten, ſchalenförmigen Plättchen, die
an der Scheitelgegend der kleinen Klappe befeſtigt ſind. Ueber Vorkommen und Lebensweiſe der
genannten Art hat Barett auf ſeiner ſkandinaviſchen Reiſe einige Beobachtungen geſammelt. „Sie
findet ſich lebend nicht beſonders häufig in den nördlichſten Gegenden, nämlich bei Tromſoe in
einer Tiefe von 70 bis 150 Faden; Klappen ohne das Thier ſind bei Hammerfeſt im Schlamme
geſammelt worden. Dieſe Art ſchien mir ſehr ſchwer zu beobachten, da das Thier, für alle Ein-
drücke beſonders empfänglich, bei der geringſten Bewegung ſeine Klappe ſchließt. Die Arme
erweitern ihre Spiralgänge genugſam, um die Franſen bis an den Rand der Schale gelangen zu
laſſen. Jch habe dieſe Art oft bei klaffenden Klappen beobachtet, nie aber habe ich geſehen, daß
ſich ihre Arme entrollt und aus der Schale hervorgeſtreckt hätten.“
Wenn wir ferner die Sippe Crania in unſere Betrachtung einbeziehen, ſo geſchieht es auch
nicht, weil ihre Lebensverrichtungen intereſſante Momente böten, ſondern weil ihre geologiſche und
gegenwärtige Verbreitung dazu auffordern. Sie iſt ſo abweichend, daß ſie für ſich allein eine
Familie bildet. Jhre Schale iſt nämlich an unterſeeiſche Körper mit
[Abbildung Crania anomala. Oberklappe mit
dem Thiere. Vergrößert.]
der Bauchklappe aufgewachſen. Die Rückenklappe iſt deckelförmig,
und beide werden nicht durch ein Schloß oder Einlenkungsfortſätze,
ſondern lediglich durch Muskeln an einander gehalten. Auch ſtützen
ſich die fleiſchigen Spiralarme nur auf einen naſenförmigen Fortſatz
im Mittelpunkte der Bauchklappe. Die bekannteſte der vier lebenden
Arten iſt Crania anomala aus unſeren nördlichen Meeren, welche
faſt ſtets in Geſellſchaft von Terebratula caput serpentis gefunden
wird, derſelben jedoch weder in das boreale Nordamerika noch in
das Mittelmeer folgt. Man kennt ſie noch nicht im foſſilen
Zuſtande, und Sueß hat daher vermuthet, „daß ihre Entſtehung in eine jüngere Zeit falle, und
ſie jene Erſcheinungen nicht erlebt habe, welche es der Terebratula caput serpentis möglich
gemacht haben, nach Nordamerika zu kommen, und welche in einem fortlaufenden Uferrande oder
einer zuſammenhängenderen Jnſelkette zwiſchen dieſem Welttheile und dem unfrigen beſtanden zu
haben ſcheinen. Dagegen deutet ihr Auftreten in der Vigo-Bucht (Spanien) darauf hin, daß
ſie den allmäligen Rückzug der nördlichen Bevölkerungen aus dem mittleren Europa wenigſtens
theilweiſe mitgemacht habe.“
Die Cranien der früheren Schöpfungsperioden treten nie in bedeutender Menge auf, ihre
Reihe ſetzt ſich aber von der älteſten Silurzeit ununterbrochen fort. Unſere Muſeen enthalten noch
zu wenig Material, um die Uebergänge dieſer Arten evident zu machen, gerade aber in dieſer
Richtung der vergleichenden Forſchung hat die Zukunft eine reichen Lohn verſprechende Aufgabe.
Die Brachiopoden, von denen wir bisher gehandelt, gehören, gleich den übrigen mit Kalk-
gehäuſe, mit wenigen Ausnahmen dem tieferen Meeresgrunde an. Anders verhält es ſich mit
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 963. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1011>, abgerufen am 23.11.2024.
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