Die Rundmäuler. Lampreten. Neunaugen. Schleimsackfische.
derselbe lebend oder todt. Am Häufigsten sollen sie Fische anbohren, welche an einer Grundangel sich fingen; es mögen ihnen jedoch auch kerngesunde oft genug zum Opfer fallen.
Die Laichzeit fällt in die ersten Frühlingsmonate und geschieht unter eigenthümlichen Umständen. "Laichen", sagt der alte Baldner von der Seelamprete, "im April, in strengem Wasser, auf Stein- boden, tragen mit den Mäulern zweipfündige Steine um die Gruben herum." Genau Dasselbe wird durch Jardiner berichtet. "Sie sind", meint dieser Naturforscher, "nicht ausgerüstet mit den Werkzeugen anderer Süßwasserfische, um Gruben zur Aufnahme ihrer Eier zu bilden; dieser Mangel aber wird ihnen ersetzt durch ihren Saugmund, vermittels welchem sie ihre Steine bewegen. Jhre Kraft ist erstaunlich; Steine von bedeutender Größe werden zur Seite geschafft und so rasch große Höhlungen gebildet. Jn einer solchen verweilt nun ein Paar der Lampreten, indem es sich an einem der größeren Steine festhält, um zu laichen." Auch die Sandprike oder das kleine Neunauge hat Baldner beim Laichgeschäft beobachtet. "Sie hangen an den Steinen hauffecht beyeinander, wo das Wasser starkh laufft, da machen sie dieffe grüblein, darin thut sich das paar mit den Bauchen zusammen, ihre geylheit zu verrichten, welches ich sonsten an keinem Fisch also gesehen, als von den Neunhocken, dieweil sie in den Wassern, da es nicht dieff, leychen, daß mans wohl sehen kann." August Müller hatte Gelegenheit, das Laichgeschäft dieser Lamprete in der Panke bei Berlin zu beobachten und bestätigte die alte Angabe in allen wesentlichen Stücken. Er sah zehn und mehr Stücke der Sandprike dicht gedrängt beisammen und bemerkte, daß einzelne Milchner sich am Nacken der Rogener festsogen und in einer halben Windung nach der Unterseite desselben hinabbogen, um die abgehenden Eier zu befruchten.
Aus dieser Beobachtung sollte sich die Entdeckung herleiten, auf welche ich oben anspielte. Bis dahin hatte man an denselben Orten, welche die in kleineren Flüssen laichenden Lampreten bevorzugen, einen wurmartigen Fisch bemerkt, welcher unter dem Namen Querder, Kieferwurm oder Ulen (Ammocoetes branchialis) allen Fischern und Forschern wohlbekannt ist und schon von Aldrovandi beschrieben worden war. Dieses Thier hat bei 7 Zoll Länge in der Regel nur die Dicke eines Federkieles, einen sehr kleinen Kopf mit kaum sichtbaren Augen, Kiemenlöcher, welche in einer tiefen Längsfurche liegen, deutliche Hautringeln und mattsilberglänzende, auf den Flossen in Gelblichweiß über- gehende Färbung. Es findet sich überall ziemlich häufig, hält sich ebenso im Wasser mit schlammigem als mit sandigen Grunde auf und erinnert in seiner Lebensweise mehr an die Würmer als an die Fische, denen es überhaupt erst, nachdem es sorgfältig zergliedert worden war, beigesellt werden konnte. Wie Würmer bohrt es sich in den Schlamm ein; willkürlich verläßt es denselben vielleicht nie; denn von seinen Flossen macht es nur dann Gebrauch, wenn es gilt, sich von Neuem wieder im Schlamme oder an ähnlichen Versteckplätzen zu verbergen. Besonders gern verkriecht es sich auch in die zum Rösten eingelegten Flachsbündel und heißt deshalb hier und da Leinaal, weil man es findet, wenn man den aus dem Wasser genommenen Flachs zum Bleichen ausbreitet. An manchen Orten macht man Jagd auf die Querder, schneidet ihnen den Kopf ab, kocht sie in Weinbrühe, Butter und Citronensaft und hält sie als schmackhaftes Gericht in Ehren; der gemeine Mann verachtet sie jedoch der wurmförmigen Gestalt halber, und der Fischer braucht sie in der Regel nur als Köder, weil sie ein überaus zähes Leben haben und selbst bei bedeutenden Verwundungen noch tagelang leben, sich wenigstens bewegen. Alle Naturforscher betrachteten den Querder als einen den Lampreten sehr ähnlichen Fisch; keinem von ihnen fiel es ein, in ihm noch mehr als einen Verwandten zu erkennen.
Um die Entwicklung der vor seinen Augen befruchteten Eier der Sandprike zu studieren, ent- nahm A. Müller Laich, ließ denselben sich entwickeln und erhielt aus ihm nach achtzehn Tagen junge Fischchen, welche zu seinem höchsten Erstaunen von jungen Querdern nicht zu unterscheiden waren und beim weiteren Heranwachsen sich unzweifelhaft als solche herausstellten. Diese Wahr- nehmung mußte den Beobachter auf den Gedanken bringen, daß der Querder keine besondere Art sein könne, sondern die Larve der Sandprike sein müsse. Einmal auf das Ungewöhnliche der Ent- wicklung der Lampreten aufmerksam geworden, gelang es Müller, die verschiedenen Verwandlungs-
Die Rundmäuler. Lampreten. Neunaugen. Schleimſackfiſche.
derſelbe lebend oder todt. Am Häufigſten ſollen ſie Fiſche anbohren, welche an einer Grundangel ſich fingen; es mögen ihnen jedoch auch kerngeſunde oft genug zum Opfer fallen.
Die Laichzeit fällt in die erſten Frühlingsmonate und geſchieht unter eigenthümlichen Umſtänden. „Laichen“, ſagt der alte Baldner von der Seelamprete, „im April, in ſtrengem Waſſer, auf Stein- boden, tragen mit den Mäulern zweipfündige Steine um die Gruben herum.“ Genau Daſſelbe wird durch Jardiner berichtet. „Sie ſind“, meint dieſer Naturforſcher, „nicht ausgerüſtet mit den Werkzeugen anderer Süßwaſſerfiſche, um Gruben zur Aufnahme ihrer Eier zu bilden; dieſer Mangel aber wird ihnen erſetzt durch ihren Saugmund, vermittels welchem ſie ihre Steine bewegen. Jhre Kraft iſt erſtaunlich; Steine von bedeutender Größe werden zur Seite geſchafft und ſo raſch große Höhlungen gebildet. Jn einer ſolchen verweilt nun ein Paar der Lampreten, indem es ſich an einem der größeren Steine feſthält, um zu laichen.“ Auch die Sandprike oder das kleine Neunauge hat Baldner beim Laichgeſchäft beobachtet. „Sie hangen an den Steinen hauffecht beyeinander, wo das Waſſer ſtarkh laufft, da machen ſie dieffe grüblein, darin thut ſich das paar mit den Bauchen zuſammen, ihre geylheit zu verrichten, welches ich ſonſten an keinem Fiſch alſo geſehen, als von den Neunhocken, dieweil ſie in den Waſſern, da es nicht dieff, leychen, daß mans wohl ſehen kann.“ Auguſt Müller hatte Gelegenheit, das Laichgeſchäft dieſer Lamprete in der Panke bei Berlin zu beobachten und beſtätigte die alte Angabe in allen weſentlichen Stücken. Er ſah zehn und mehr Stücke der Sandprike dicht gedrängt beiſammen und bemerkte, daß einzelne Milchner ſich am Nacken der Rogener feſtſogen und in einer halben Windung nach der Unterſeite deſſelben hinabbogen, um die abgehenden Eier zu befruchten.
Aus dieſer Beobachtung ſollte ſich die Entdeckung herleiten, auf welche ich oben anſpielte. Bis dahin hatte man an denſelben Orten, welche die in kleineren Flüſſen laichenden Lampreten bevorzugen, einen wurmartigen Fiſch bemerkt, welcher unter dem Namen Querder, Kieferwurm oder Ulen (Ammocoetes branchialis) allen Fiſchern und Forſchern wohlbekannt iſt und ſchon von Aldrovandi beſchrieben worden war. Dieſes Thier hat bei 7 Zoll Länge in der Regel nur die Dicke eines Federkieles, einen ſehr kleinen Kopf mit kaum ſichtbaren Augen, Kiemenlöcher, welche in einer tiefen Längsfurche liegen, deutliche Hautringeln und mattſilberglänzende, auf den Floſſen in Gelblichweiß über- gehende Färbung. Es findet ſich überall ziemlich häufig, hält ſich ebenſo im Waſſer mit ſchlammigem als mit ſandigen Grunde auf und erinnert in ſeiner Lebensweiſe mehr an die Würmer als an die Fiſche, denen es überhaupt erſt, nachdem es ſorgfältig zergliedert worden war, beigeſellt werden konnte. Wie Würmer bohrt es ſich in den Schlamm ein; willkürlich verläßt es denſelben vielleicht nie; denn von ſeinen Floſſen macht es nur dann Gebrauch, wenn es gilt, ſich von Neuem wieder im Schlamme oder an ähnlichen Verſteckplätzen zu verbergen. Beſonders gern verkriecht es ſich auch in die zum Röſten eingelegten Flachsbündel und heißt deshalb hier und da Leinaal, weil man es findet, wenn man den aus dem Waſſer genommenen Flachs zum Bleichen ausbreitet. An manchen Orten macht man Jagd auf die Querder, ſchneidet ihnen den Kopf ab, kocht ſie in Weinbrühe, Butter und Citronenſaft und hält ſie als ſchmackhaftes Gericht in Ehren; der gemeine Mann verachtet ſie jedoch der wurmförmigen Geſtalt halber, und der Fiſcher braucht ſie in der Regel nur als Köder, weil ſie ein überaus zähes Leben haben und ſelbſt bei bedeutenden Verwundungen noch tagelang leben, ſich wenigſtens bewegen. Alle Naturforſcher betrachteten den Querder als einen den Lampreten ſehr ähnlichen Fiſch; keinem von ihnen fiel es ein, in ihm noch mehr als einen Verwandten zu erkennen.
Um die Entwicklung der vor ſeinen Augen befruchteten Eier der Sandprike zu ſtudieren, ent- nahm A. Müller Laich, ließ denſelben ſich entwickeln und erhielt aus ihm nach achtzehn Tagen junge Fiſchchen, welche zu ſeinem höchſten Erſtaunen von jungen Querdern nicht zu unterſcheiden waren und beim weiteren Heranwachſen ſich unzweifelhaft als ſolche herausſtellten. Dieſe Wahr- nehmung mußte den Beobachter auf den Gedanken bringen, daß der Querder keine beſondere Art ſein könne, ſondern die Larve der Sandprike ſein müſſe. Einmal auf das Ungewöhnliche der Ent- wicklung der Lampreten aufmerkſam geworden, gelang es Müller, die verſchiedenen Verwandlungs-
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[808/0854]
Die Rundmäuler. Lampreten. Neunaugen. Schleimſackfiſche.
derſelbe lebend oder todt. Am Häufigſten ſollen ſie Fiſche anbohren, welche an einer Grundangel
ſich fingen; es mögen ihnen jedoch auch kerngeſunde oft genug zum Opfer fallen.
Die Laichzeit fällt in die erſten Frühlingsmonate und geſchieht unter eigenthümlichen Umſtänden.
„Laichen“, ſagt der alte Baldner von der Seelamprete, „im April, in ſtrengem Waſſer, auf Stein-
boden, tragen mit den Mäulern zweipfündige Steine um die Gruben herum.“ Genau Daſſelbe
wird durch Jardiner berichtet. „Sie ſind“, meint dieſer Naturforſcher, „nicht ausgerüſtet mit den
Werkzeugen anderer Süßwaſſerfiſche, um Gruben zur Aufnahme ihrer Eier zu bilden; dieſer Mangel
aber wird ihnen erſetzt durch ihren Saugmund, vermittels welchem ſie ihre Steine bewegen. Jhre
Kraft iſt erſtaunlich; Steine von bedeutender Größe werden zur Seite geſchafft und ſo raſch große
Höhlungen gebildet. Jn einer ſolchen verweilt nun ein Paar der Lampreten, indem es ſich an einem
der größeren Steine feſthält, um zu laichen.“ Auch die Sandprike oder das kleine Neunauge hat
Baldner beim Laichgeſchäft beobachtet. „Sie hangen an den Steinen hauffecht beyeinander, wo
das Waſſer ſtarkh laufft, da machen ſie dieffe grüblein, darin thut ſich das paar mit den Bauchen
zuſammen, ihre geylheit zu verrichten, welches ich ſonſten an keinem Fiſch alſo geſehen, als von den
Neunhocken, dieweil ſie in den Waſſern, da es nicht dieff, leychen, daß mans wohl ſehen kann.“
Auguſt Müller hatte Gelegenheit, das Laichgeſchäft dieſer Lamprete in der Panke bei Berlin zu
beobachten und beſtätigte die alte Angabe in allen weſentlichen Stücken. Er ſah zehn und mehr
Stücke der Sandprike dicht gedrängt beiſammen und bemerkte, daß einzelne Milchner ſich am Nacken
der Rogener feſtſogen und in einer halben Windung nach der Unterſeite deſſelben hinabbogen, um
die abgehenden Eier zu befruchten.
Aus dieſer Beobachtung ſollte ſich die Entdeckung herleiten, auf welche ich oben anſpielte. Bis
dahin hatte man an denſelben Orten, welche die in kleineren Flüſſen laichenden Lampreten bevorzugen,
einen wurmartigen Fiſch bemerkt, welcher unter dem Namen Querder, Kieferwurm oder Ulen
(Ammocoetes branchialis) allen Fiſchern und Forſchern wohlbekannt iſt und ſchon von Aldrovandi
beſchrieben worden war. Dieſes Thier hat bei 7 Zoll Länge in der Regel nur die Dicke eines Federkieles,
einen ſehr kleinen Kopf mit kaum ſichtbaren Augen, Kiemenlöcher, welche in einer tiefen Längsfurche
liegen, deutliche Hautringeln und mattſilberglänzende, auf den Floſſen in Gelblichweiß über-
gehende Färbung. Es findet ſich überall ziemlich häufig, hält ſich ebenſo im Waſſer mit ſchlammigem
als mit ſandigen Grunde auf und erinnert in ſeiner Lebensweiſe mehr an die Würmer als an die
Fiſche, denen es überhaupt erſt, nachdem es ſorgfältig zergliedert worden war, beigeſellt werden
konnte. Wie Würmer bohrt es ſich in den Schlamm ein; willkürlich verläßt es denſelben vielleicht
nie; denn von ſeinen Floſſen macht es nur dann Gebrauch, wenn es gilt, ſich von Neuem wieder im
Schlamme oder an ähnlichen Verſteckplätzen zu verbergen. Beſonders gern verkriecht es ſich auch in die
zum Röſten eingelegten Flachsbündel und heißt deshalb hier und da Leinaal, weil man es findet,
wenn man den aus dem Waſſer genommenen Flachs zum Bleichen ausbreitet. An manchen Orten
macht man Jagd auf die Querder, ſchneidet ihnen den Kopf ab, kocht ſie in Weinbrühe, Butter und
Citronenſaft und hält ſie als ſchmackhaftes Gericht in Ehren; der gemeine Mann verachtet ſie jedoch
der wurmförmigen Geſtalt halber, und der Fiſcher braucht ſie in der Regel nur als Köder, weil ſie
ein überaus zähes Leben haben und ſelbſt bei bedeutenden Verwundungen noch tagelang leben, ſich
wenigſtens bewegen. Alle Naturforſcher betrachteten den Querder als einen den Lampreten ſehr
ähnlichen Fiſch; keinem von ihnen fiel es ein, in ihm noch mehr als einen Verwandten zu erkennen.
Um die Entwicklung der vor ſeinen Augen befruchteten Eier der Sandprike zu ſtudieren, ent-
nahm A. Müller Laich, ließ denſelben ſich entwickeln und erhielt aus ihm nach achtzehn Tagen
junge Fiſchchen, welche zu ſeinem höchſten Erſtaunen von jungen Querdern nicht zu unterſcheiden
waren und beim weiteren Heranwachſen ſich unzweifelhaft als ſolche herausſtellten. Dieſe Wahr-
nehmung mußte den Beobachter auf den Gedanken bringen, daß der Querder keine beſondere Art
ſein könne, ſondern die Larve der Sandprike ſein müſſe. Einmal auf das Ungewöhnliche der Ent-
wicklung der Lampreten aufmerkſam geworden, gelang es Müller, die verſchiedenen Verwandlungs-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/854>, abgerufen am 21.12.2024.
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