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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Nilkrokodil.
Sandbänke herauskriecht, geschieht Dies in der Regel sehr langsam: es bewegt einen Fuß um den
anderen und trägt den Leib dabei so tief, daß er auf dem Sande schleppt; befindet es sich aber am
Lande in einiger Entfernung vom Flusse, so stürzt es, aufgeschreckt, sehr rasch dem Wasser zu, und
ebenso schnell schießt es aus dem Wasser auf das Land heraus, wenn es eine hier erspähte Beute weg-
nehmen will. Auf einer seiner Reisen störte mein Freund Penney ein Krokodil auf, welches sich
in einem größtentheils mit dürrem Laube ausgefüllten Regenstrome versteckt hatte. Bei Ankunft der
Berittenen entfloh es und eilte schnurstracks dem anderthalb Meilen entfernten Strome zu, so eilig
und rasch, daß man es mit den schnellsten Reitkamelen nicht einholen konnte. Daß die alte bekannte
Fabel, welche lehrt, die Krokodile könnten sich nicht im Zickzacklaufe bewegen, eben nur eine Fabel ist,
wird jedem Beobachter klar, welcher auch nur ein einziges Krokodil aus dem Wasser herauf, auf den
Sand und wieder in das Wasser zurückkriechen sah; denn bei diesem kurzen Wege pflegt es einen Kreis
zu beschreiben, dessen Durchmesser kaum mehr als die halbe Länge seines Leibes beträgt.

Ueber die höheren Fähigkeiten des Krokodils läßt sich schwer ein Urtheil fällen. Herodot ist
über den Gesichtssinn unrecht berichtet worden; denn das Thier sieht unter Wasser vorzüglich scharf
und auf dem Lande gut genug; sein Gehör ist auffallend fein, jedenfalls feiner als das der meisten
übrigen Kriechthiere; Geruch, Geschmack und Gefühl aber scheinen stumpf zu sein, wie aus einigen
Mittheilungen, welche ich weiter unten geben werde, erhellen dürfte. Einen gewissen Grad von Ver-
stand kann man ihm nicht absprechen. Es merkt sich, wenn es Verfolgungen erfährt und sucht sich
derselben dann vorsichtig zu entziehen. Alle Krokodile, welche noch in Egypten leben oder zur Zeit
meines Aufenthaltes dort lebten, krochen bei Ankunft eines Schiffes stets in das Wasser und zwar
immer so rechtzeitig, daß man ihnen mit Sicherheit nicht einmal eine Büchsenkugel zusenden konnte,
während die in den Strömen des Sudahn lebenden Fahrzeuge viel näher an sich herankommen lassen
und regelmäßig von diesen aus geschossen werden können. Alte Thiere, welche schon seit vielen
Jahren eine und dieselbe Sandbank bewohnen, verlassen diese, wenn sie hier wiederholt gestört wurden,
und wählen sich dann, immer mit gewissem Geschick, ein anderes Plätzchen, um auf ihm behaglich
schlafen und sich sonnen zu können, und ebenso merken sie sich die Stellen, welche ihnen mehrfach
Beute lieferten, beispielsweise die zum Ufer herabführenden Wege, welche von den Herdenthieren oder
den wasserschöpfenden Frauen begangen werden, sehr genau und lungern und lauern beständig in
deren Nähe. Doch unterscheiden sie, wie ich bereits oben mittheilte, nicht zwischen Menschen,
welche ihnen gefährlich werden können und solchen, vor denen sie sich nicht zu fürchten brauchen,
nehmen vielmehr stets das Gewisse für das Ungewisse und ziehen sich in das Wasser zurück, wenn sie
überhaupt Menschen gewahren. Beim Angriffe auf ihre Beute beweisen sie eine gewisse List; diese
kann jedoch mit der Schlauheit eines Säugethieres oder Vogels gar nicht verglichen werden: das
Plumpe und Rohgeistige, der geringe Verstand des Thieres macht sich auch hierbei geltend. Das
Wesen zeigt sich verschieden, je nach den Umständen. Auf dem Lande ist das Krokodil erbärmlich feig,
im Wasser vielleicht nicht gerade muthig, aber doch dreist und unternehmend: es scheint sich der Sicher-
heit, welche ihm sein heimisches Element gewährt, vollkommen bewußt zu sein und darnach sein
Gebahren zu regeln. Mit Seinesgleichen lebt es in geselligem Einvernehmen, außer der Paarungs-
zeit mit gleich großen in Frieden, während es kleineren der eigenen Art stets gefährlich bleibt; denn
wenn sich der Hunger regt, vergißt es jede Rücksicht. Um andere Thiere bekümmert es sich nur
insofern, als es sich darum handelt, eines von ihnen zu ergreifen und zu verspeisen; denjenigen, welche
es nicht erhaschen kann, gestattet es, sich in seiner unmittelbaren Nähe umherzutreiben: daher denn
auch die scheinbare Freundschaft zu dem früher von mir (Band IV, S. 574) geschilderten Vogel,
seinem Wächter.

Das Krokodil ist fähig, dumpfbrüllende Laute auszustoßen, läßt seine Stimme aber nur bei
größter Aufregung vernehmen. Jch halte es für möglich, daß man eines monatelang beobachten
kann, ohne einen Laut von ihm zu hören; wird dasselbe Thier plötzlich erschreckt oder ihm eine Wunde
beigebracht, so bricht es in ein dumpfes Gemurr und selbst in ein lautes Gebrüll aus. -- Bei einer

Brehm, Thierleben. V. 5

Nilkrokodil.
Sandbänke herauskriecht, geſchieht Dies in der Regel ſehr langſam: es bewegt einen Fuß um den
anderen und trägt den Leib dabei ſo tief, daß er auf dem Sande ſchleppt; befindet es ſich aber am
Lande in einiger Entfernung vom Fluſſe, ſo ſtürzt es, aufgeſchreckt, ſehr raſch dem Waſſer zu, und
ebenſo ſchnell ſchießt es aus dem Waſſer auf das Land heraus, wenn es eine hier erſpähte Beute weg-
nehmen will. Auf einer ſeiner Reiſen ſtörte mein Freund Penney ein Krokodil auf, welches ſich
in einem größtentheils mit dürrem Laube ausgefüllten Regenſtrome verſteckt hatte. Bei Ankunft der
Berittenen entfloh es und eilte ſchnurſtracks dem anderthalb Meilen entfernten Strome zu, ſo eilig
und raſch, daß man es mit den ſchnellſten Reitkamelen nicht einholen konnte. Daß die alte bekannte
Fabel, welche lehrt, die Krokodile könnten ſich nicht im Zickzacklaufe bewegen, eben nur eine Fabel iſt,
wird jedem Beobachter klar, welcher auch nur ein einziges Krokodil aus dem Waſſer herauf, auf den
Sand und wieder in das Waſſer zurückkriechen ſah; denn bei dieſem kurzen Wege pflegt es einen Kreis
zu beſchreiben, deſſen Durchmeſſer kaum mehr als die halbe Länge ſeines Leibes beträgt.

Ueber die höheren Fähigkeiten des Krokodils läßt ſich ſchwer ein Urtheil fällen. Herodot iſt
über den Geſichtsſinn unrecht berichtet worden; denn das Thier ſieht unter Waſſer vorzüglich ſcharf
und auf dem Lande gut genug; ſein Gehör iſt auffallend fein, jedenfalls feiner als das der meiſten
übrigen Kriechthiere; Geruch, Geſchmack und Gefühl aber ſcheinen ſtumpf zu ſein, wie aus einigen
Mittheilungen, welche ich weiter unten geben werde, erhellen dürfte. Einen gewiſſen Grad von Ver-
ſtand kann man ihm nicht abſprechen. Es merkt ſich, wenn es Verfolgungen erfährt und ſucht ſich
derſelben dann vorſichtig zu entziehen. Alle Krokodile, welche noch in Egypten leben oder zur Zeit
meines Aufenthaltes dort lebten, krochen bei Ankunft eines Schiffes ſtets in das Waſſer und zwar
immer ſo rechtzeitig, daß man ihnen mit Sicherheit nicht einmal eine Büchſenkugel zuſenden konnte,
während die in den Strömen des Sudahn lebenden Fahrzeuge viel näher an ſich herankommen laſſen
und regelmäßig von dieſen aus geſchoſſen werden können. Alte Thiere, welche ſchon ſeit vielen
Jahren eine und dieſelbe Sandbank bewohnen, verlaſſen dieſe, wenn ſie hier wiederholt geſtört wurden,
und wählen ſich dann, immer mit gewiſſem Geſchick, ein anderes Plätzchen, um auf ihm behaglich
ſchlafen und ſich ſonnen zu können, und ebenſo merken ſie ſich die Stellen, welche ihnen mehrfach
Beute lieferten, beiſpielsweiſe die zum Ufer herabführenden Wege, welche von den Herdenthieren oder
den waſſerſchöpfenden Frauen begangen werden, ſehr genau und lungern und lauern beſtändig in
deren Nähe. Doch unterſcheiden ſie, wie ich bereits oben mittheilte, nicht zwiſchen Menſchen,
welche ihnen gefährlich werden können und ſolchen, vor denen ſie ſich nicht zu fürchten brauchen,
nehmen vielmehr ſtets das Gewiſſe für das Ungewiſſe und ziehen ſich in das Waſſer zurück, wenn ſie
überhaupt Menſchen gewahren. Beim Angriffe auf ihre Beute beweiſen ſie eine gewiſſe Liſt; dieſe
kann jedoch mit der Schlauheit eines Säugethieres oder Vogels gar nicht verglichen werden: das
Plumpe und Rohgeiſtige, der geringe Verſtand des Thieres macht ſich auch hierbei geltend. Das
Weſen zeigt ſich verſchieden, je nach den Umſtänden. Auf dem Lande iſt das Krokodil erbärmlich feig,
im Waſſer vielleicht nicht gerade muthig, aber doch dreiſt und unternehmend: es ſcheint ſich der Sicher-
heit, welche ihm ſein heimiſches Element gewährt, vollkommen bewußt zu ſein und darnach ſein
Gebahren zu regeln. Mit Seinesgleichen lebt es in geſelligem Einvernehmen, außer der Paarungs-
zeit mit gleich großen in Frieden, während es kleineren der eigenen Art ſtets gefährlich bleibt; denn
wenn ſich der Hunger regt, vergißt es jede Rückſicht. Um andere Thiere bekümmert es ſich nur
inſofern, als es ſich darum handelt, eines von ihnen zu ergreifen und zu verſpeiſen; denjenigen, welche
es nicht erhaſchen kann, geſtattet es, ſich in ſeiner unmittelbaren Nähe umherzutreiben: daher denn
auch die ſcheinbare Freundſchaft zu dem früher von mir (Band IV, S. 574) geſchilderten Vogel,
ſeinem Wächter.

Das Krokodil iſt fähig, dumpfbrüllende Laute auszuſtoßen, läßt ſeine Stimme aber nur bei
größter Aufregung vernehmen. Jch halte es für möglich, daß man eines monatelang beobachten
kann, ohne einen Laut von ihm zu hören; wird daſſelbe Thier plötzlich erſchreckt oder ihm eine Wunde
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[65/0081] Nilkrokodil. Sandbänke herauskriecht, geſchieht Dies in der Regel ſehr langſam: es bewegt einen Fuß um den anderen und trägt den Leib dabei ſo tief, daß er auf dem Sande ſchleppt; befindet es ſich aber am Lande in einiger Entfernung vom Fluſſe, ſo ſtürzt es, aufgeſchreckt, ſehr raſch dem Waſſer zu, und ebenſo ſchnell ſchießt es aus dem Waſſer auf das Land heraus, wenn es eine hier erſpähte Beute weg- nehmen will. Auf einer ſeiner Reiſen ſtörte mein Freund Penney ein Krokodil auf, welches ſich in einem größtentheils mit dürrem Laube ausgefüllten Regenſtrome verſteckt hatte. Bei Ankunft der Berittenen entfloh es und eilte ſchnurſtracks dem anderthalb Meilen entfernten Strome zu, ſo eilig und raſch, daß man es mit den ſchnellſten Reitkamelen nicht einholen konnte. Daß die alte bekannte Fabel, welche lehrt, die Krokodile könnten ſich nicht im Zickzacklaufe bewegen, eben nur eine Fabel iſt, wird jedem Beobachter klar, welcher auch nur ein einziges Krokodil aus dem Waſſer herauf, auf den Sand und wieder in das Waſſer zurückkriechen ſah; denn bei dieſem kurzen Wege pflegt es einen Kreis zu beſchreiben, deſſen Durchmeſſer kaum mehr als die halbe Länge ſeines Leibes beträgt. Ueber die höheren Fähigkeiten des Krokodils läßt ſich ſchwer ein Urtheil fällen. Herodot iſt über den Geſichtsſinn unrecht berichtet worden; denn das Thier ſieht unter Waſſer vorzüglich ſcharf und auf dem Lande gut genug; ſein Gehör iſt auffallend fein, jedenfalls feiner als das der meiſten übrigen Kriechthiere; Geruch, Geſchmack und Gefühl aber ſcheinen ſtumpf zu ſein, wie aus einigen Mittheilungen, welche ich weiter unten geben werde, erhellen dürfte. Einen gewiſſen Grad von Ver- ſtand kann man ihm nicht abſprechen. Es merkt ſich, wenn es Verfolgungen erfährt und ſucht ſich derſelben dann vorſichtig zu entziehen. Alle Krokodile, welche noch in Egypten leben oder zur Zeit meines Aufenthaltes dort lebten, krochen bei Ankunft eines Schiffes ſtets in das Waſſer und zwar immer ſo rechtzeitig, daß man ihnen mit Sicherheit nicht einmal eine Büchſenkugel zuſenden konnte, während die in den Strömen des Sudahn lebenden Fahrzeuge viel näher an ſich herankommen laſſen und regelmäßig von dieſen aus geſchoſſen werden können. Alte Thiere, welche ſchon ſeit vielen Jahren eine und dieſelbe Sandbank bewohnen, verlaſſen dieſe, wenn ſie hier wiederholt geſtört wurden, und wählen ſich dann, immer mit gewiſſem Geſchick, ein anderes Plätzchen, um auf ihm behaglich ſchlafen und ſich ſonnen zu können, und ebenſo merken ſie ſich die Stellen, welche ihnen mehrfach Beute lieferten, beiſpielsweiſe die zum Ufer herabführenden Wege, welche von den Herdenthieren oder den waſſerſchöpfenden Frauen begangen werden, ſehr genau und lungern und lauern beſtändig in deren Nähe. Doch unterſcheiden ſie, wie ich bereits oben mittheilte, nicht zwiſchen Menſchen, welche ihnen gefährlich werden können und ſolchen, vor denen ſie ſich nicht zu fürchten brauchen, nehmen vielmehr ſtets das Gewiſſe für das Ungewiſſe und ziehen ſich in das Waſſer zurück, wenn ſie überhaupt Menſchen gewahren. Beim Angriffe auf ihre Beute beweiſen ſie eine gewiſſe Liſt; dieſe kann jedoch mit der Schlauheit eines Säugethieres oder Vogels gar nicht verglichen werden: das Plumpe und Rohgeiſtige, der geringe Verſtand des Thieres macht ſich auch hierbei geltend. Das Weſen zeigt ſich verſchieden, je nach den Umſtänden. Auf dem Lande iſt das Krokodil erbärmlich feig, im Waſſer vielleicht nicht gerade muthig, aber doch dreiſt und unternehmend: es ſcheint ſich der Sicher- heit, welche ihm ſein heimiſches Element gewährt, vollkommen bewußt zu ſein und darnach ſein Gebahren zu regeln. Mit Seinesgleichen lebt es in geſelligem Einvernehmen, außer der Paarungs- zeit mit gleich großen in Frieden, während es kleineren der eigenen Art ſtets gefährlich bleibt; denn wenn ſich der Hunger regt, vergißt es jede Rückſicht. Um andere Thiere bekümmert es ſich nur inſofern, als es ſich darum handelt, eines von ihnen zu ergreifen und zu verſpeiſen; denjenigen, welche es nicht erhaſchen kann, geſtattet es, ſich in ſeiner unmittelbaren Nähe umherzutreiben: daher denn auch die ſcheinbare Freundſchaft zu dem früher von mir (Band IV, S. 574) geſchilderten Vogel, ſeinem Wächter. Das Krokodil iſt fähig, dumpfbrüllende Laute auszuſtoßen, läßt ſeine Stimme aber nur bei größter Aufregung vernehmen. Jch halte es für möglich, daß man eines monatelang beobachten kann, ohne einen Laut von ihm zu hören; wird daſſelbe Thier plötzlich erſchreckt oder ihm eine Wunde beigebracht, ſo bricht es in ein dumpfes Gemurr und ſelbſt in ein lautes Gebrüll aus. — Bei einer Brehm, Thierleben. V. 5

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/81>, abgerufen am 21.12.2024.