Bei ihm geht Das; bei den Vögeln, welche ihre Nahrung ganz verschlingen, ist damit der Widerstreit noch nicht beendet. Hiervon weiß schon der alte Geßner zu erzählen. "Die Ael sollen von etlichen geschlechten der Vögel gefressen werden, als von denen so bey den Latinern Ardeae stellares und Morfices genennt werden. Jtem der Phalacrocorax als die Engelländer sagen, verschluckt solche Fisch gantz, welcher ohn verzug hindurch fährt gleich lebendig, wirt zu stundt wider verschluckt, solches oft biß auff neun malen, so lang biß er müd gemacht, in dem Vogel ersterben muß." Das ist voll- kommen richtig, gilt jedoch nur für junge Vögel; denn alte Reiher und Scharben zerstückeln die Aale stets vor dem Fressen, weil sie deren Befähigung, als Abführmittel zu wirken, wohl kennen.
Die Zählebigkeit dieser Fische macht übrigens nicht blos den Thieren, sondern auch den Menschen zu schaffen. Jede Fischfrau, jede Köchin weiß, was es sagen will, einen Aal umzubringen.
"Jch habe", erzählt Lenz, "in einer Seestadt, so oft ich die Fischmärkte besuchte, die großen Aale in Wasserkübeln gesehen, während die etwa zwei Fuß langen massenweise auf großen Tischen lagen und sich daselbst in fortwährender Bewegung zusammendrängten. Waren die Fischweiber nicht gerade mit Verkauf beschäftigt, so nahmen sie einen der auf dem Tische aufgepflanzten Aale nach dem anderen beim Kopf, machten hinter diesem mit dem Messer einen ringförmigen Schnitt und zogen dann die Haut vom Halse bis zum Schwanze ab. Dabei und noch lange nachher krümmt sich das unglückselige Thier ganz jämmerlich."
Die Aalfischerei wird überall eifrig betrieben. Sie geschieht vorzugsweise des Nachts mit Netzen und Reußen, hier und da wohl auch mit der Angel. Die großartigsten Einrichtungen bestehen schon seit Jahrhunderten in den erwähnten Lagunen von Comaccio, welche aus einem wüsten Sumpfe in geordnete Teiche umgewandelt und mit Schleußen, Kanälen und Jrrgängen eingerichtet worden sind. Comaccio, ein armseliges Städtchen bildet den Mittelpunkt dieser Fischerei und wird fast ausschließlich von Leuten bewohnt, welche an dem Aalfange Antheil nehmen. Die Fischer selbst leben in einer absonderlichen Verbindung und unter Gesetzen, welche im Mittelalter gegeben worden sind. Dies erklärt sich, wenn man weiß, daß Comaccio bis zur segensreichen Umwälzung der letzten Jahre unter päpstlicher Herrschaft stand, und man sich erinnert, daß in Priesterstaaten jede Neuerung, sei sie auch noch so unschuldiger Art, als höchst bedenklich erscheinen muß. So hat sich denn das Leben und das Loos der Fischer von Comaccio bis zu Ende der besagten Herrschaft wenig oder nicht verändert. Sie waren Sklaven, welche man zum Fischen und zum Beten abrichtete, und denen man gestattete, Nachkommen zu erzeugen, damit man auch für die Folge willige Sklaven erhalte. Das goldene Sprüchlein: "Bete und Arbeite" gilt auch für die Lagunen von Comaccio; gebetet oder, richtiger, geplärrt wird viel, gearbeitet nicht weniger: -- und doch gehören diese Menschen, welche Jahrhunderte unter der "milden Herrschaft des Krummstabes" gelebt und die Christlichkeit gleichsam aus erster Hand bezogen haben, zu den verkommensten und und ungebildetsten Menschen der Erde. Jhr Gesichtskreis erstreckt sich über ihre Lagunen, -- nicht weiter; die Heiligenbilder in ihrer ärmlichen Kirche sind ihre Götzen: zu ihnen fleht man, und sie schleppt man zeitweilig in feierlichen Aufzügen den Dämmen der Teiche entlang, weil man einerseits glauben macht, andererseits schwachsinnig genug ist, zu glauben, daß selbst Aale an ihnen sich erbauen und, durch ihren Anblick gekräftigt, rascher heran- wachsen könnten.
Trotz ihrer geistigen Versunkenheit kennen die Fischer von Comaccio die Lebensgeschichte der Aale besser als andere ihrer Berufsgenossen. Jhr ganzes Leben und somit auch ihr Sinnen, Denken und Trachten dreht sich um diese Thiere. Während des Aufsteigens der Jungen belebt sich das eigenthümliche Reich. Alt und Jung überwacht jetzt die Züge der kleinen Fische, gefällt sich in Schätzungen ihrer Anzahl und versucht, sie nach bestimmten Zuchtteichen hinzuleiten, in denen man schon früher durch Einsetzen von kleinen Futterfischen für hinreichende Nahrung sorgte. Jn Comaccio soll das Aufsteigen am zweiten Februar beginnen und bis gegen Ende Aprils fortwähren, bezüglich sich wiederholen; dann schließt man die Eingänge und beschäftigt sich zunächst nur mit der Regelung des Wasserzuflusses, welcher theils vom Meere aus, theils von dem benachbarten Po her beschafft
Die Edelfiſche. Aalfiſche. Flußaale. Seeaale.
Bei ihm geht Das; bei den Vögeln, welche ihre Nahrung ganz verſchlingen, iſt damit der Widerſtreit noch nicht beendet. Hiervon weiß ſchon der alte Geßner zu erzählen. „Die Ael ſollen von etlichen geſchlechten der Vögel gefreſſen werden, als von denen ſo bey den Latinern Ardeae stellares und Morfices genennt werden. Jtem der Phalacrocorax als die Engelländer ſagen, verſchluckt ſolche Fiſch gantz, welcher ohn verzug hindurch fährt gleich lebendig, wirt zu ſtundt wider verſchluckt, ſolches oft biß auff neun malen, ſo lang biß er müd gemacht, in dem Vogel erſterben muß.“ Das iſt voll- kommen richtig, gilt jedoch nur für junge Vögel; denn alte Reiher und Scharben zerſtückeln die Aale ſtets vor dem Freſſen, weil ſie deren Befähigung, als Abführmittel zu wirken, wohl kennen.
Die Zählebigkeit dieſer Fiſche macht übrigens nicht blos den Thieren, ſondern auch den Menſchen zu ſchaffen. Jede Fiſchfrau, jede Köchin weiß, was es ſagen will, einen Aal umzubringen.
„Jch habe“, erzählt Lenz, „in einer Seeſtadt, ſo oft ich die Fiſchmärkte beſuchte, die großen Aale in Waſſerkübeln geſehen, während die etwa zwei Fuß langen maſſenweiſe auf großen Tiſchen lagen und ſich daſelbſt in fortwährender Bewegung zuſammendrängten. Waren die Fiſchweiber nicht gerade mit Verkauf beſchäftigt, ſo nahmen ſie einen der auf dem Tiſche aufgepflanzten Aale nach dem anderen beim Kopf, machten hinter dieſem mit dem Meſſer einen ringförmigen Schnitt und zogen dann die Haut vom Halſe bis zum Schwanze ab. Dabei und noch lange nachher krümmt ſich das unglückſelige Thier ganz jämmerlich.“
Die Aalfiſcherei wird überall eifrig betrieben. Sie geſchieht vorzugsweiſe des Nachts mit Netzen und Reußen, hier und da wohl auch mit der Angel. Die großartigſten Einrichtungen beſtehen ſchon ſeit Jahrhunderten in den erwähnten Lagunen von Comaccio, welche aus einem wüſten Sumpfe in geordnete Teiche umgewandelt und mit Schleußen, Kanälen und Jrrgängen eingerichtet worden ſind. Comaccio, ein armſeliges Städtchen bildet den Mittelpunkt dieſer Fiſcherei und wird faſt ausſchließlich von Leuten bewohnt, welche an dem Aalfange Antheil nehmen. Die Fiſcher ſelbſt leben in einer abſonderlichen Verbindung und unter Geſetzen, welche im Mittelalter gegeben worden ſind. Dies erklärt ſich, wenn man weiß, daß Comaccio bis zur ſegensreichen Umwälzung der letzten Jahre unter päpſtlicher Herrſchaft ſtand, und man ſich erinnert, daß in Prieſterſtaaten jede Neuerung, ſei ſie auch noch ſo unſchuldiger Art, als höchſt bedenklich erſcheinen muß. So hat ſich denn das Leben und das Loos der Fiſcher von Comaccio bis zu Ende der beſagten Herrſchaft wenig oder nicht verändert. Sie waren Sklaven, welche man zum Fiſchen und zum Beten abrichtete, und denen man geſtattete, Nachkommen zu erzeugen, damit man auch für die Folge willige Sklaven erhalte. Das goldene Sprüchlein: „Bete und Arbeite“ gilt auch für die Lagunen von Comaccio; gebetet oder, richtiger, geplärrt wird viel, gearbeitet nicht weniger: — und doch gehören dieſe Menſchen, welche Jahrhunderte unter der „milden Herrſchaft des Krummſtabes“ gelebt und die Chriſtlichkeit gleichſam aus erſter Hand bezogen haben, zu den verkommenſten und und ungebildetſten Menſchen der Erde. Jhr Geſichtskreis erſtreckt ſich über ihre Lagunen, — nicht weiter; die Heiligenbilder in ihrer ärmlichen Kirche ſind ihre Götzen: zu ihnen fleht man, und ſie ſchleppt man zeitweilig in feierlichen Aufzügen den Dämmen der Teiche entlang, weil man einerſeits glauben macht, andererſeits ſchwachſinnig genug iſt, zu glauben, daß ſelbſt Aale an ihnen ſich erbauen und, durch ihren Anblick gekräftigt, raſcher heran- wachſen könnten.
Trotz ihrer geiſtigen Verſunkenheit kennen die Fiſcher von Comaccio die Lebensgeſchichte der Aale beſſer als andere ihrer Berufsgenoſſen. Jhr ganzes Leben und ſomit auch ihr Sinnen, Denken und Trachten dreht ſich um dieſe Thiere. Während des Aufſteigens der Jungen belebt ſich das eigenthümliche Reich. Alt und Jung überwacht jetzt die Züge der kleinen Fiſche, gefällt ſich in Schätzungen ihrer Anzahl und verſucht, ſie nach beſtimmten Zuchtteichen hinzuleiten, in denen man ſchon früher durch Einſetzen von kleinen Futterfiſchen für hinreichende Nahrung ſorgte. Jn Comaccio ſoll das Aufſteigen am zweiten Februar beginnen und bis gegen Ende Aprils fortwähren, bezüglich ſich wiederholen; dann ſchließt man die Eingänge und beſchäftigt ſich zunächſt nur mit der Regelung des Waſſerzufluſſes, welcher theils vom Meere aus, theils von dem benachbarten Po her beſchafft
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Bei ihm geht Das; bei den Vögeln, welche ihre Nahrung ganz verſchlingen, iſt damit der Widerſtreit
noch nicht beendet. Hiervon weiß ſchon der alte Geßner zu erzählen. „Die Ael ſollen von etlichen
geſchlechten der Vögel gefreſſen werden, als von denen ſo bey den Latinern Ardeae stellares und
Morfices genennt werden. Jtem der Phalacrocorax als die Engelländer ſagen, verſchluckt ſolche
Fiſch gantz, welcher ohn verzug hindurch fährt gleich lebendig, wirt zu ſtundt wider verſchluckt, ſolches
oft biß auff neun malen, ſo lang biß er müd gemacht, in dem Vogel erſterben muß.“ Das iſt voll-
kommen richtig, gilt jedoch nur für junge Vögel; denn alte Reiher und Scharben zerſtückeln die Aale
ſtets vor dem Freſſen, weil ſie deren Befähigung, als Abführmittel zu wirken, wohl kennen.
Die Zählebigkeit dieſer Fiſche macht übrigens nicht blos den Thieren, ſondern auch den
Menſchen zu ſchaffen. Jede Fiſchfrau, jede Köchin weiß, was es ſagen will, einen Aal umzubringen.
„Jch habe“, erzählt Lenz, „in einer Seeſtadt, ſo oft ich die Fiſchmärkte beſuchte, die großen
Aale in Waſſerkübeln geſehen, während die etwa zwei Fuß langen maſſenweiſe auf großen Tiſchen
lagen und ſich daſelbſt in fortwährender Bewegung zuſammendrängten. Waren die Fiſchweiber nicht
gerade mit Verkauf beſchäftigt, ſo nahmen ſie einen der auf dem Tiſche aufgepflanzten Aale nach dem
anderen beim Kopf, machten hinter dieſem mit dem Meſſer einen ringförmigen Schnitt und zogen
dann die Haut vom Halſe bis zum Schwanze ab. Dabei und noch lange nachher krümmt ſich das
unglückſelige Thier ganz jämmerlich.“
Die Aalfiſcherei wird überall eifrig betrieben. Sie geſchieht vorzugsweiſe des Nachts mit Netzen
und Reußen, hier und da wohl auch mit der Angel. Die großartigſten Einrichtungen beſtehen ſchon
ſeit Jahrhunderten in den erwähnten Lagunen von Comaccio, welche aus einem wüſten Sumpfe in
geordnete Teiche umgewandelt und mit Schleußen, Kanälen und Jrrgängen eingerichtet worden ſind.
Comaccio, ein armſeliges Städtchen bildet den Mittelpunkt dieſer Fiſcherei und wird faſt ausſchließlich
von Leuten bewohnt, welche an dem Aalfange Antheil nehmen. Die Fiſcher ſelbſt leben in einer
abſonderlichen Verbindung und unter Geſetzen, welche im Mittelalter gegeben worden ſind. Dies
erklärt ſich, wenn man weiß, daß Comaccio bis zur ſegensreichen Umwälzung der letzten Jahre unter
päpſtlicher Herrſchaft ſtand, und man ſich erinnert, daß in Prieſterſtaaten jede Neuerung, ſei ſie auch
noch ſo unſchuldiger Art, als höchſt bedenklich erſcheinen muß. So hat ſich denn das Leben und
das Loos der Fiſcher von Comaccio bis zu Ende der beſagten Herrſchaft wenig oder nicht verändert.
Sie waren Sklaven, welche man zum Fiſchen und zum Beten abrichtete, und denen man geſtattete,
Nachkommen zu erzeugen, damit man auch für die Folge willige Sklaven erhalte. Das goldene
Sprüchlein: „Bete und Arbeite“ gilt auch für die Lagunen von Comaccio; gebetet oder, richtiger,
geplärrt wird viel, gearbeitet nicht weniger: — und doch gehören dieſe Menſchen, welche Jahrhunderte
unter der „milden Herrſchaft des Krummſtabes“ gelebt und die Chriſtlichkeit gleichſam aus erſter Hand
bezogen haben, zu den verkommenſten und und ungebildetſten Menſchen der Erde. Jhr Geſichtskreis
erſtreckt ſich über ihre Lagunen, — nicht weiter; die Heiligenbilder in ihrer ärmlichen Kirche ſind
ihre Götzen: zu ihnen fleht man, und ſie ſchleppt man zeitweilig in feierlichen Aufzügen den Dämmen
der Teiche entlang, weil man einerſeits glauben macht, andererſeits ſchwachſinnig genug iſt, zu
glauben, daß ſelbſt Aale an ihnen ſich erbauen und, durch ihren Anblick gekräftigt, raſcher heran-
wachſen könnten.
Trotz ihrer geiſtigen Verſunkenheit kennen die Fiſcher von Comaccio die Lebensgeſchichte der
Aale beſſer als andere ihrer Berufsgenoſſen. Jhr ganzes Leben und ſomit auch ihr Sinnen, Denken
und Trachten dreht ſich um dieſe Thiere. Während des Aufſteigens der Jungen belebt ſich das
eigenthümliche Reich. Alt und Jung überwacht jetzt die Züge der kleinen Fiſche, gefällt ſich in
Schätzungen ihrer Anzahl und verſucht, ſie nach beſtimmten Zuchtteichen hinzuleiten, in denen man
ſchon früher durch Einſetzen von kleinen Futterfiſchen für hinreichende Nahrung ſorgte. Jn Comaccio
ſoll das Aufſteigen am zweiten Februar beginnen und bis gegen Ende Aprils fortwähren, bezüglich
ſich wiederholen; dann ſchließt man die Eingänge und beſchäftigt ſich zunächſt nur mit der Regelung
des Waſſerzufluſſes, welcher theils vom Meere aus, theils von dem benachbarten Po her beſchafft
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/786>, abgerufen am 21.12.2024.
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