Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.Hering. während des ganzen Jahres fange und nahm an, der Fisch steige aus großen Tiefen zu den oberenWasserschichten empor. Andere Forscher traten ihm bei; auch in England erkannte man endlich die langsam herbeihinkende Wahrheit, und gegenwärtig unterliegt es, unter den Naturforschern wenigstens, gar keinem Zweifel mehr, daß Bloch vollkommen richtig geurtheilt hat. Am klarsten hierüber hat sich neuerdings Karl Vogt in seiner "Nordfahrt" ausgesprochen. "Auffallend ist es", sagt er, "in welch sonderbarer Weise die Naturgeschichte des Herings, dieses in der Nordsee so allgemein verbreiteten Fisches, von Fischern und Romanschreibern verbrämt und verfälscht worden ist. Das plötzliche Erscheinen von ungeheueren Heringsschwärmen an den nördlichen Küsten Europas und Amerikas, das Auftreten dieser Schwärme zu einer bestimmten Zeit im Jahre, das geheimnißvolle Verschwinden von einzelnen Stellen, wo sie früher sich in Menge aufhielten, hat zu Fabeln Veran- lassung gegeben, welche trotz der gründlichsten Beleuchtung von Seite der Naturforscher noch immer in volksthümlichen Schriften und Schulbüchern gang und gäbe sind." Es folgt nun eine kurze Wiederholung der früher giltigen Annahme über die Züge, und Vogt fährt fort: "Was noch weiter hinzukommt von Heringssendlingen mit geheimnißvollen Runenzeichen auf dem Körper, deren Bedeutung man als eine Anzeige von der bevorstehenden Minderung des Fischfanges auffaßte, gehört natürlich gänzlich in das Reich der Sage und bedarf keiner weiteren Widerlegung. Der Fabel von den Heringszügen aber muß mit allem Ernste entgegengetreten werden, weil die Auf- fassung dieser Seite der Naturgeschichte des Fisches von höchster volkswirthschaftlicher Wich- tigkeit ist". [Abbildung]
Der Hering (Clupea Harengus). Nat. Größe 12 Zoll. "Der Hering lebt weder vorzugsweise im "Betrachtet man eine Tiefenkarte der Nordsee, so überzeugt man sich leicht, daß Großbritannien Brehm, Thierleben. V. 46
Hering. während des ganzen Jahres fange und nahm an, der Fiſch ſteige aus großen Tiefen zu den oberenWaſſerſchichten empor. Andere Forſcher traten ihm bei; auch in England erkannte man endlich die langſam herbeihinkende Wahrheit, und gegenwärtig unterliegt es, unter den Naturforſchern wenigſtens, gar keinem Zweifel mehr, daß Bloch vollkommen richtig geurtheilt hat. Am klarſten hierüber hat ſich neuerdings Karl Vogt in ſeiner „Nordfahrt“ ausgeſprochen. „Auffallend iſt es“, ſagt er, „in welch ſonderbarer Weiſe die Naturgeſchichte des Herings, dieſes in der Nordſee ſo allgemein verbreiteten Fiſches, von Fiſchern und Romanſchreibern verbrämt und verfälſcht worden iſt. Das plötzliche Erſcheinen von ungeheueren Heringsſchwärmen an den nördlichen Küſten Europas und Amerikas, das Auftreten dieſer Schwärme zu einer beſtimmten Zeit im Jahre, das geheimnißvolle Verſchwinden von einzelnen Stellen, wo ſie früher ſich in Menge aufhielten, hat zu Fabeln Veran- laſſung gegeben, welche trotz der gründlichſten Beleuchtung von Seite der Naturforſcher noch immer in volksthümlichen Schriften und Schulbüchern gang und gäbe ſind.“ Es folgt nun eine kurze Wiederholung der früher giltigen Annahme über die Züge, und Vogt fährt fort: „Was noch weiter hinzukommt von Heringsſendlingen mit geheimnißvollen Runenzeichen auf dem Körper, deren Bedeutung man als eine Anzeige von der bevorſtehenden Minderung des Fiſchfanges auffaßte, gehört natürlich gänzlich in das Reich der Sage und bedarf keiner weiteren Widerlegung. Der Fabel von den Heringszügen aber muß mit allem Ernſte entgegengetreten werden, weil die Auf- faſſung dieſer Seite der Naturgeſchichte des Fiſches von höchſter volkswirthſchaftlicher Wich- tigkeit iſt“. [Abbildung]
Der Hering (Clupea Harengus). Nat. Größe 12 Zoll. „Der Hering lebt weder vorzugsweiſe im „Betrachtet man eine Tiefenkarte der Nordſee, ſo überzeugt man ſich leicht, daß Großbritannien Brehm, Thierleben. V. 46
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Hering.
während des ganzen Jahres fange und nahm an, der Fiſch ſteige aus großen Tiefen zu den oberen
Waſſerſchichten empor. Andere Forſcher traten ihm bei; auch in England erkannte man endlich die
langſam herbeihinkende Wahrheit, und gegenwärtig unterliegt es, unter den Naturforſchern wenigſtens,
gar keinem Zweifel mehr, daß Bloch vollkommen richtig geurtheilt hat. Am klarſten hierüber hat
ſich neuerdings Karl Vogt in ſeiner „Nordfahrt“ ausgeſprochen. „Auffallend iſt es“, ſagt er,
„in welch ſonderbarer Weiſe die Naturgeſchichte des Herings, dieſes in der Nordſee ſo allgemein
verbreiteten Fiſches, von Fiſchern und Romanſchreibern verbrämt und verfälſcht worden iſt. Das
plötzliche Erſcheinen von ungeheueren Heringsſchwärmen an den nördlichen Küſten Europas und
Amerikas, das Auftreten dieſer Schwärme zu einer beſtimmten Zeit im Jahre, das geheimnißvolle
Verſchwinden von einzelnen Stellen, wo ſie früher ſich in Menge aufhielten, hat zu Fabeln Veran-
laſſung gegeben, welche trotz der gründlichſten Beleuchtung von Seite der Naturforſcher noch immer
in volksthümlichen Schriften und Schulbüchern gang und gäbe ſind.“ Es folgt nun eine kurze
Wiederholung der früher giltigen Annahme über die Züge, und Vogt fährt fort: „Was noch weiter
hinzukommt von Heringsſendlingen mit geheimnißvollen Runenzeichen auf dem Körper, deren
Bedeutung man als eine Anzeige von der bevorſtehenden Minderung des Fiſchfanges auffaßte,
gehört natürlich gänzlich in das Reich der Sage
und bedarf keiner weiteren Widerlegung. Der
Fabel von den Heringszügen aber muß mit allem
Ernſte entgegengetreten werden, weil die Auf-
faſſung dieſer Seite der Naturgeſchichte des
Fiſches von höchſter volkswirthſchaftlicher Wich-
tigkeit iſt“.
[Abbildung Der Hering (Clupea Harengus). Nat. Größe 12 Zoll.]
„Der Hering lebt weder vorzugsweiſe im
Polarmeere, noch macht er weite Reiſen. Er be-
wohnt die Tiefen derjenigen Meere, an deren
Küſten er laicht, wird dort zu allen Zeiten ver-
einzelt gefangen, namentlich mit ſolchen Geräth-
ſchaften, welche in die größeren Tiefen reichen,
und hebt ſich aus dieſen Tiefen nur zur Laichzeit
empor, um der Küſte zuzuſteuern, an welcher er ſeine Eier abſetzt. So fiſcht man unmittelbar
an der Küſte, z. B. im Moldefjord den Hering das ganze Jahr hindurch, hat dort ſelbſt den Haupt-
fang im Juli, zu welcher Zeit der Fiſch außerordentlich fett iſt und weder Eier, noch Milch in
ſeinem Jnnern entwickelt ſich zeigen.“
„Betrachtet man eine Tiefenkarte der Nordſee, ſo überzeugt man ſich leicht, daß Großbritannien
auf einer geräumigen Hochebene liegt, welche nirgends mehr als ſechshundert Fuß Tiefe hat und
welche ſich ſoweit erſtreckt, daß Frankreich, Holland, Norddeutſchland und Dänemark mit England
zu einem einzigen Feſtlande verbunden wären, ſobald der Spiegel der See um ſechshundert Fuß tiefer
gelegt würde. Dieſes Feſtland würde ſich auf der öſtlichen Seite Englands bis in die Nähe von
Norwegen erſtrecken, von dieſem Lande aber durch einen tiefen und engen Meeresarm getrennt ſein,
welcher ſich um die Südſpitze Norwegens in einiger Entfernung herumſchlingt. Auf der weſtlichen
Seite von England dagegen reichte die Hochebene nur etwa zehn Meilen über die Küſte Englands
und der Bretagne hinaus, um ſich dann ſteil in die Tiefen des Meeres hinabzuſenken. Dieſe Tiefen
ſind der Wohnort des Herings; vonhieraus begibt er ſich, zur Laichzeit namentlich, auf die Hoch-
ebene, welche den Brutplatz ſeiner Eier darſtellt, und drängt der Küſte zu, wo das ſeichtere Waſſer
ihm mehr Gelegenheit zur Ablagerung derſelben bietet. Aus dieſer Bildung des Meeresbodens
begreift es ſich aber unmittelbar, weshalb die Oſtküſte Englands nur unbedeutenden Heringsfang
hat, während er an der ſchottiſchen und iriſchen Küſte, im Kanal und an Norwegen äußerſt
ergiebig iſt.“
Brehm, Thierleben. V. 46
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