Beherrscher des Wassers, geweihtes Thier, welches im Ganges und seinen Nebenflüssen gefunden wird und, wie es scheint, auf den heiligsten der Ströme beschränkt ist. Hinter dem Schädel liegen sechs kleine, gekielte Schildchen, auf welchen nach einem Zwischenraume drei Querreihen von je vier Schildern, unter denen die beiden mittleren die größten und breitesten, folgen; auf dem Schwanze stehen neunzehn Paar gekielte und neunzehn einfache kammartig erhobene Schuppengebilde. Die Färbung der Oberseite ist ein schmuziges Bräunlichgrün, welches mit zahlreichen, kleinen dunklen Flecken übersäet erscheint, die der Unterseite geht durch Grüngelb in Weiß über. Die Länge der erwachsenen Stücke soll 20 Fuß und mehr betragen.
Schon Aelian weiß, daß im Ganges zwei Arten Krokodile leben, solche, welche wenig schaden und andere, welche gierig und schonungslos auf Menschen und Thiere Jagd machen: -- ob dieser Unterschied in der Lebensweise wirklich begründet ist oder nicht, wage ich nicht zu entscheiden; denn die neueren Nachrichten über das Gangeskrokodil sind auffallenderweise außerordentlich dürftig. Wahr- scheinlich verwechseln die Reisenden Ganges- und Leistenkrokodil sehr häufig und erzählen von dem einen Manches, was möglicherweise von dem anderen gilt. Die Gestaltung des Rüssels scheint mir den Schluß auf besondere Zahmheit oder Gutmüthigkeit des Gangeskrokodils keineswegs zu rechtfertigen; Aelian's Angabe wird übrigens auch durch Paolino widerlegt, welcher ausdrücklich mittheilt, daß man vor Zeiten die eines Verbrechens angeklagten Menschen in Gegenwart der Bramahnen durch einen Fluß waten ließ und freisprach, wenn sie von den Mudelen verschont blieben. Daß man die Thiere noch heutigentages für heilig hält, unterliegt keinem Zweifel, weil fast alle Reisenden, welche ihrer Erwähnung thun, von solcher Anschauung der Eingeborenen zu berichten wissen. Orlich besuchte im Jahre 1842 den heiligen Krokodilteich in der Nähe der Stadt Kuraschi, einen berühmten Wallfahrtsort für die Eingeborenen. Jn ihm lebten etwa funfzig Krokodile, darunter einige von mehr als 15 Fuß Länge. Der Geistliche, welchem die Pflege der Vertreter Wischnus anvertraut war, rief sie in Gegenwart des Reisenden herbei, um sie zu füttern. Zu nicht geringem Erstaunen Olrich's gehorchten die Krokodile ihrem Anbeter, kamen auf den Ruf aus dem Wasser heraus, legten sich mit weit aufgesperrtem Rachen im Halbkreise vor ihm hin und ließen sich durch Berührung mit einem Rohrstabe willig leiten. Jhnen zur Mahlzeit wurde ein Ziegenbock geschlachtet, in Stücke zerhauen und jedem Krokodile eins vorgeworfen. Nach beendigter Mahlzeit trieb sie der Wärter mit seinem Rohrstocke wieder ins Wasser. Trumpp sagt, daß sich wenigstens zwölf Fakirs der Pflege und Anbetung der Krokodile dieses Teiches widmen, deren Ernährung aber, wie billig, dem ringsum wohnenden, gläubigen Volke aufbürden.
Unter den Fischen soll der zahnreiche Krokodilgott große Verwüstungen anrichten, auch, ebenso wie andere Krokodile, dem zum Trinken an den Fluß kommenden, größeren Säugethieren auflauern. Seine hauptsächlichste Nahrung mag in den Leichnamen bestehen, welche in seinen Wohnfluß geworfen werden; möglicherweise ergreift er auch dann und wann einen der frommen Hindus, welche, wenn sie ihr Ende nahe fühlen, sich noch an das Ufer des Ganges tragen lassen und angesichts des heiligen Stromes den Tod erwarten.
Jn den europäischen Sammlungen findel man den Gavial seltener als andere Krokodile; in Thiergärten habe ich ihn noch niemals gesehen.
Uralter Ruhm verherrlicht, uralte Fabeln und Märchen trüben die Geschichte des bekanntesten aller Krokodile, desjenigen, welches im Nile haust und schon in Herodot und dem Verfasser des Buches Hiob Beschreiber gefunden hat, in dem ersteren einen treuen Berichterstatter von Dem, was er während seines Aufenthaltes in Egypten selbst gesehen und gehört, in dem letzteren einen Dichter, welcher, trotz des Bilderreichthums seiner Sprache, den "Leviathan" vortrefflich kennzeichnet.
Mudela.
Beherrſcher des Waſſers, geweihtes Thier, welches im Ganges und ſeinen Nebenflüſſen gefunden wird und, wie es ſcheint, auf den heiligſten der Ströme beſchränkt iſt. Hinter dem Schädel liegen ſechs kleine, gekielte Schildchen, auf welchen nach einem Zwiſchenraume drei Querreihen von je vier Schildern, unter denen die beiden mittleren die größten und breiteſten, folgen; auf dem Schwanze ſtehen neunzehn Paar gekielte und neunzehn einfache kammartig erhobene Schuppengebilde. Die Färbung der Oberſeite iſt ein ſchmuziges Bräunlichgrün, welches mit zahlreichen, kleinen dunklen Flecken überſäet erſcheint, die der Unterſeite geht durch Grüngelb in Weiß über. Die Länge der erwachſenen Stücke ſoll 20 Fuß und mehr betragen.
Schon Aelian weiß, daß im Ganges zwei Arten Krokodile leben, ſolche, welche wenig ſchaden und andere, welche gierig und ſchonungslos auf Menſchen und Thiere Jagd machen: — ob dieſer Unterſchied in der Lebensweiſe wirklich begründet iſt oder nicht, wage ich nicht zu entſcheiden; denn die neueren Nachrichten über das Gangeskrokodil ſind auffallenderweiſe außerordentlich dürftig. Wahr- ſcheinlich verwechſeln die Reiſenden Ganges- und Leiſtenkrokodil ſehr häufig und erzählen von dem einen Manches, was möglicherweiſe von dem anderen gilt. Die Geſtaltung des Rüſſels ſcheint mir den Schluß auf beſondere Zahmheit oder Gutmüthigkeit des Gangeskrokodils keineswegs zu rechtfertigen; Aelian’s Angabe wird übrigens auch durch Paolino widerlegt, welcher ausdrücklich mittheilt, daß man vor Zeiten die eines Verbrechens angeklagten Menſchen in Gegenwart der Bramahnen durch einen Fluß waten ließ und freiſprach, wenn ſie von den Mudelen verſchont blieben. Daß man die Thiere noch heutigentages für heilig hält, unterliegt keinem Zweifel, weil faſt alle Reiſenden, welche ihrer Erwähnung thun, von ſolcher Anſchauung der Eingeborenen zu berichten wiſſen. Orlich beſuchte im Jahre 1842 den heiligen Krokodilteich in der Nähe der Stadt Kuraſchi, einen berühmten Wallfahrtsort für die Eingeborenen. Jn ihm lebten etwa funfzig Krokodile, darunter einige von mehr als 15 Fuß Länge. Der Geiſtliche, welchem die Pflege der Vertreter Wiſchnus anvertraut war, rief ſie in Gegenwart des Reiſenden herbei, um ſie zu füttern. Zu nicht geringem Erſtaunen Olrich’s gehorchten die Krokodile ihrem Anbeter, kamen auf den Ruf aus dem Waſſer heraus, legten ſich mit weit aufgeſperrtem Rachen im Halbkreiſe vor ihm hin und ließen ſich durch Berührung mit einem Rohrſtabe willig leiten. Jhnen zur Mahlzeit wurde ein Ziegenbock geſchlachtet, in Stücke zerhauen und jedem Krokodile eins vorgeworfen. Nach beendigter Mahlzeit trieb ſie der Wärter mit ſeinem Rohrſtocke wieder ins Waſſer. Trumpp ſagt, daß ſich wenigſtens zwölf Fakirs der Pflege und Anbetung der Krokodile dieſes Teiches widmen, deren Ernährung aber, wie billig, dem ringsum wohnenden, gläubigen Volke aufbürden.
Unter den Fiſchen ſoll der zahnreiche Krokodilgott große Verwüſtungen anrichten, auch, ebenſo wie andere Krokodile, dem zum Trinken an den Fluß kommenden, größeren Säugethieren auflauern. Seine hauptſächlichſte Nahrung mag in den Leichnamen beſtehen, welche in ſeinen Wohnfluß geworfen werden; möglicherweiſe ergreift er auch dann und wann einen der frommen Hindus, welche, wenn ſie ihr Ende nahe fühlen, ſich noch an das Ufer des Ganges tragen laſſen und angeſichts des heiligen Stromes den Tod erwarten.
Jn den europäiſchen Sammlungen findel man den Gavial ſeltener als andere Krokodile; in Thiergärten habe ich ihn noch niemals geſehen.
Uralter Ruhm verherrlicht, uralte Fabeln und Märchen trüben die Geſchichte des bekannteſten aller Krokodile, desjenigen, welches im Nile hauſt und ſchon in Herodot und dem Verfaſſer des Buches Hiob Beſchreiber gefunden hat, in dem erſteren einen treuen Berichterſtatter von Dem, was er während ſeines Aufenthaltes in Egypten ſelbſt geſehen und gehört, in dem letzteren einen Dichter, welcher, trotz des Bilderreichthums ſeiner Sprache, den „Leviathan“ vortrefflich kennzeichnet.
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[61/0075]
Mudela.
Beherrſcher des Waſſers, geweihtes Thier, welches im Ganges und ſeinen Nebenflüſſen gefunden
wird und, wie es ſcheint, auf den heiligſten der Ströme beſchränkt iſt. Hinter dem Schädel liegen
ſechs kleine, gekielte Schildchen, auf welchen nach einem Zwiſchenraume drei Querreihen von je vier
Schildern, unter denen die beiden mittleren die größten und breiteſten, folgen; auf dem Schwanze
ſtehen neunzehn Paar gekielte und neunzehn einfache kammartig erhobene Schuppengebilde. Die
Färbung der Oberſeite iſt ein ſchmuziges Bräunlichgrün, welches mit zahlreichen, kleinen dunklen
Flecken überſäet erſcheint, die der Unterſeite geht durch Grüngelb in Weiß über. Die Länge der
erwachſenen Stücke ſoll 20 Fuß und mehr betragen.
Schon Aelian weiß, daß im Ganges zwei Arten Krokodile leben, ſolche, welche wenig ſchaden
und andere, welche gierig und ſchonungslos auf Menſchen und Thiere Jagd machen: — ob dieſer
Unterſchied in der Lebensweiſe wirklich begründet iſt oder nicht, wage ich nicht zu entſcheiden; denn die
neueren Nachrichten über das Gangeskrokodil ſind auffallenderweiſe außerordentlich dürftig. Wahr-
ſcheinlich verwechſeln die Reiſenden Ganges- und Leiſtenkrokodil ſehr häufig und erzählen von dem
einen Manches, was möglicherweiſe von dem anderen gilt. Die Geſtaltung des Rüſſels ſcheint mir den
Schluß auf beſondere Zahmheit oder Gutmüthigkeit des Gangeskrokodils keineswegs zu rechtfertigen;
Aelian’s Angabe wird übrigens auch durch Paolino widerlegt, welcher ausdrücklich mittheilt,
daß man vor Zeiten die eines Verbrechens angeklagten Menſchen in Gegenwart der Bramahnen durch
einen Fluß waten ließ und freiſprach, wenn ſie von den Mudelen verſchont blieben. Daß man
die Thiere noch heutigentages für heilig hält, unterliegt keinem Zweifel, weil faſt alle Reiſenden, welche
ihrer Erwähnung thun, von ſolcher Anſchauung der Eingeborenen zu berichten wiſſen. Orlich
beſuchte im Jahre 1842 den heiligen Krokodilteich in der Nähe der Stadt Kuraſchi, einen berühmten
Wallfahrtsort für die Eingeborenen. Jn ihm lebten etwa funfzig Krokodile, darunter einige von
mehr als 15 Fuß Länge. Der Geiſtliche, welchem die Pflege der Vertreter Wiſchnus anvertraut
war, rief ſie in Gegenwart des Reiſenden herbei, um ſie zu füttern. Zu nicht geringem Erſtaunen
Olrich’s gehorchten die Krokodile ihrem Anbeter, kamen auf den Ruf aus dem Waſſer heraus,
legten ſich mit weit aufgeſperrtem Rachen im Halbkreiſe vor ihm hin und ließen ſich durch Berührung
mit einem Rohrſtabe willig leiten. Jhnen zur Mahlzeit wurde ein Ziegenbock geſchlachtet, in Stücke
zerhauen und jedem Krokodile eins vorgeworfen. Nach beendigter Mahlzeit trieb ſie der Wärter mit
ſeinem Rohrſtocke wieder ins Waſſer. Trumpp ſagt, daß ſich wenigſtens zwölf Fakirs der Pflege
und Anbetung der Krokodile dieſes Teiches widmen, deren Ernährung aber, wie billig, dem ringsum
wohnenden, gläubigen Volke aufbürden.
Unter den Fiſchen ſoll der zahnreiche Krokodilgott große Verwüſtungen anrichten, auch, ebenſo
wie andere Krokodile, dem zum Trinken an den Fluß kommenden, größeren Säugethieren auflauern.
Seine hauptſächlichſte Nahrung mag in den Leichnamen beſtehen, welche in ſeinen Wohnfluß geworfen
werden; möglicherweiſe ergreift er auch dann und wann einen der frommen Hindus, welche, wenn
ſie ihr Ende nahe fühlen, ſich noch an das Ufer des Ganges tragen laſſen und angeſichts des heiligen
Stromes den Tod erwarten.
Jn den europäiſchen Sammlungen findel man den Gavial ſeltener als andere Krokodile; in
Thiergärten habe ich ihn noch niemals geſehen.
Uralter Ruhm verherrlicht, uralte Fabeln und Märchen trüben die Geſchichte des bekannteſten
aller Krokodile, desjenigen, welches im Nile hauſt und ſchon in Herodot und dem Verfaſſer des
Buches Hiob Beſchreiber gefunden hat, in dem erſteren einen treuen Berichterſtatter von Dem, was
er während ſeines Aufenthaltes in Egypten ſelbſt geſehen und gehört, in dem letzteren einen Dichter,
welcher, trotz des Bilderreichthums ſeiner Sprache, den „Leviathan“ vortrefflich kennzeichnet.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/75>, abgerufen am 21.12.2024.
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