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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Kilch. Kleinmaräne.
welche er von dem Grunde der Seen aufnimmt, während die Verwandten auch oft in freiem Wasser
Jagd machen.

"Da der Kilch", sagt Siebold, "wie es scheint, unter allen unseren Renken die tiefsten Stellen
der Seen bewohnt, wird er auch am leichtesten trommelsüchtig, wenn man ihn aus der Tiefe seines
Aufenthaltes mit dem Netze an das Tageslicht zieht. Wegen dieser Eigenschast hat er am Bodensee
den Namen Kropffelchen erhalten. Jn einer Tiefe von vierzig Klaftern haben die Kilche und ihre
mit Luft gefüllte Schwimmblase einen Druck von etwa sieben und einer halben Atmosphäre aus-
zuhalten. Werden diese Fische nun aus ihrem natürlichen Aufenthalte hinauf an die Wasseröberfläche
gebracht, wo der Druck von nur einer Atmosphäre von außen auf sie einwirkt, so wird die in ihrer
Schwimmblase eingeschlossene Luft beim Heraufziehen allmählig eine Druckverminderung um sechs und
eine halbe Atmosphäre erleiden und sich in gleichem Verhältnisse ausdehnen. Jndem aber einer
solchen Ausdehnung die dünnen Wände der Schwimmblase, sowie die nachgiebigeren Bauchwandungen
nicht widerstehen können, muß der Bauch des Fisches eine unförmliche Gestalt annehmen, wodurch
zugleich eine so starke Zerrung und Verschiebung der Baucheingeweide veranlaßt und ein so heftiger
Druck auf die Blutgefäße derselben ausgeübt wird, daß der baldige Tod eines solchen trommelsüchtig
gewordenen Fisches unausbleiblich erfolgen muß."

An dem vorstehenden Unterkiefer, welcher das Kinn zur Spitze der Schnauze macht, läßt sich die
Kleinmaräne (Coregonus albula) von allen Verwandten Mitteleuropas unterscheiden. Die
Färbung ist dieselbe wie bei diesen: der Rücken erscheint blaugrau, Seiten und Bauch sind glänzend
silberweiß; Rücken- und Schwanzflosse sehen grau, die übrigen weißlich aus. Man zählt in der
Rückenflosse 4 und 8 bis 9, in der Brustflosse 1 bis 14 und 15, in der Bauchflosse 2 und 10, in der
Afterflosse 4 und 11 bis 12, in der Schwanzflosse 19 Strahlen. Die Länge beträgt gewöhnlich nur
6 bis 8 Zoll, kann jedoch ausnahmsweise bis auf 10 Zoll und etwas darüber ansteigen.

Jn Deutschland wird die Kleinmaräne vorzugsweise in den polnischen, oft- und westpreußischen,
pommerschen, schlesischen, mecklenburger und brandenburger Seen gefunden; höchst wahrscheinlich
aber kommt sie auch auf der skandinavischen Halbinsel und in einzelnen Seen Schottlands vor. Hier
soll sie, wie die Sage geht, durch Maria Stuart eingeführt worden sein, -- eine Meinung, welche
zweifellos jeder Begründung entbehrt.

Jn ihren Sitten und Gewohnheiten ähnelt die Kleinmaräne den Verwandten, welche wie sie
Seen bewohnen. Außer der Laichzeit hält sie sich nur in der Tiefe der Seen auf; in den Monaten
November und Dezember erscheint sie in dicht gedrängten Schaaren an der Oberfläche, bewegt sich
unter weit hörbarem Geräusche, wandert auch wohl von einem See in den anderen über, von der
größeren Wasserfläche desselben angezogen. Die Eier läßt sie nach Art des eben erwähnten Verwandten
ins freie Wasser fallen. Ungünstige Witterung ändert auch ihr Betragen während der Fortpflanzungs-
zeit mehr oder weniger.

Mit Recht gilt die Kleinmaräne als ein ausgezeichnet schmackhafter Fisch, welcher die auf
seinen Fang verwandte Mühe wohl rechtfertigt. Jn Pommern und Mecklenburg fängt man sie haupt-
sächlich im Winter unter dem Eise, in Masuren zumeist während ihrer Wanderung von einem See
zum anderen. Die Erbeuteten werden, wenn Eis oder Schnee vorhanden, in dieses gepackt, auf
weithin versendet, laut Ruß sorgfältig von den Schuppen gereinigt, ausgeweidet, in kaltem Wasser
abgewaschen, eine Nacht in Salzlake gelegt, sodann an dünne Holzstäbe gespießt und hierauf etwa
acht oder zehn Stunden geräuchert, bis sie eine goldgelbe oder bräunliche Färbung angenommen haben.
Da, wo man keine Rauchofen hat, bedient man sich großer Tonnen, welche über ein Rauchfeuer
gestellt und bis auf ein Zugloch mit Säcken zugedeckt werden.

Ruß erzählt, daß der Vorfahr des jetzigen Besitzers von Dolgen Kleinmaränen aus dem Wilm-
in den Dolgensee übergesührt und sie mit Erfolg hier eingebürgert habe. Jm Dolgensee fanden sie so
reichliche Nahrung, daß sie sich erstaunlich rasch vermehrten und eine verhältnißmäßig bedeutende

Brehm, Thierleben. V. 44

Kilch. Kleinmaräne.
welche er von dem Grunde der Seen aufnimmt, während die Verwandten auch oft in freiem Waſſer
Jagd machen.

„Da der Kilch“, ſagt Siebold, „wie es ſcheint, unter allen unſeren Renken die tiefſten Stellen
der Seen bewohnt, wird er auch am leichteſten trommelſüchtig, wenn man ihn aus der Tiefe ſeines
Aufenthaltes mit dem Netze an das Tageslicht zieht. Wegen dieſer Eigenſchaſt hat er am Bodenſee
den Namen Kropffelchen erhalten. Jn einer Tiefe von vierzig Klaftern haben die Kilche und ihre
mit Luft gefüllte Schwimmblaſe einen Druck von etwa ſieben und einer halben Atmosphäre aus-
zuhalten. Werden dieſe Fiſche nun aus ihrem natürlichen Aufenthalte hinauf an die Waſſeröberfläche
gebracht, wo der Druck von nur einer Atmoſphäre von außen auf ſie einwirkt, ſo wird die in ihrer
Schwimmblaſe eingeſchloſſene Luft beim Heraufziehen allmählig eine Druckverminderung um ſechs und
eine halbe Atmoſphäre erleiden und ſich in gleichem Verhältniſſe ausdehnen. Jndem aber einer
ſolchen Ausdehnung die dünnen Wände der Schwimmblaſe, ſowie die nachgiebigeren Bauchwandungen
nicht widerſtehen können, muß der Bauch des Fiſches eine unförmliche Geſtalt annehmen, wodurch
zugleich eine ſo ſtarke Zerrung und Verſchiebung der Baucheingeweide veranlaßt und ein ſo heftiger
Druck auf die Blutgefäße derſelben ausgeübt wird, daß der baldige Tod eines ſolchen trommelſüchtig
gewordenen Fiſches unausbleiblich erfolgen muß.“

An dem vorſtehenden Unterkiefer, welcher das Kinn zur Spitze der Schnauze macht, läßt ſich die
Kleinmaräne (Coregonus albula) von allen Verwandten Mitteleuropas unterſcheiden. Die
Färbung iſt dieſelbe wie bei dieſen: der Rücken erſcheint blaugrau, Seiten und Bauch ſind glänzend
ſilberweiß; Rücken- und Schwanzfloſſe ſehen grau, die übrigen weißlich aus. Man zählt in der
Rückenfloſſe 4 und 8 bis 9, in der Bruſtfloſſe 1 bis 14 und 15, in der Bauchfloſſe 2 und 10, in der
Afterfloſſe 4 und 11 bis 12, in der Schwanzfloſſe 19 Strahlen. Die Länge beträgt gewöhnlich nur
6 bis 8 Zoll, kann jedoch ausnahmsweiſe bis auf 10 Zoll und etwas darüber anſteigen.

Jn Deutſchland wird die Kleinmaräne vorzugsweiſe in den polniſchen, oft- und weſtpreußiſchen,
pommerſchen, ſchleſiſchen, mecklenburger und brandenburger Seen gefunden; höchſt wahrſcheinlich
aber kommt ſie auch auf der ſkandinaviſchen Halbinſel und in einzelnen Seen Schottlands vor. Hier
ſoll ſie, wie die Sage geht, durch Maria Stuart eingeführt worden ſein, — eine Meinung, welche
zweifellos jeder Begründung entbehrt.

Jn ihren Sitten und Gewohnheiten ähnelt die Kleinmaräne den Verwandten, welche wie ſie
Seen bewohnen. Außer der Laichzeit hält ſie ſich nur in der Tiefe der Seen auf; in den Monaten
November und Dezember erſcheint ſie in dicht gedrängten Schaaren an der Oberfläche, bewegt ſich
unter weit hörbarem Geräuſche, wandert auch wohl von einem See in den anderen über, von der
größeren Waſſerfläche deſſelben angezogen. Die Eier läßt ſie nach Art des eben erwähnten Verwandten
ins freie Waſſer fallen. Ungünſtige Witterung ändert auch ihr Betragen während der Fortpflanzungs-
zeit mehr oder weniger.

Mit Recht gilt die Kleinmaräne als ein ausgezeichnet ſchmackhafter Fiſch, welcher die auf
ſeinen Fang verwandte Mühe wohl rechtfertigt. Jn Pommern und Mecklenburg fängt man ſie haupt-
ſächlich im Winter unter dem Eiſe, in Maſuren zumeiſt während ihrer Wanderung von einem See
zum anderen. Die Erbeuteten werden, wenn Eis oder Schnee vorhanden, in dieſes gepackt, auf
weithin verſendet, laut Ruß ſorgfältig von den Schuppen gereinigt, ausgeweidet, in kaltem Waſſer
abgewaſchen, eine Nacht in Salzlake gelegt, ſodann an dünne Holzſtäbe geſpießt und hierauf etwa
acht oder zehn Stunden geräuchert, bis ſie eine goldgelbe oder bräunliche Färbung angenommen haben.
Da, wo man keine Rauchofen hat, bedient man ſich großer Tonnen, welche über ein Rauchfeuer
geſtellt und bis auf ein Zugloch mit Säcken zugedeckt werden.

Ruß erzählt, daß der Vorfahr des jetzigen Beſitzers von Dolgen Kleinmaränen aus dem Wilm-
in den Dolgenſee übergeſührt und ſie mit Erfolg hier eingebürgert habe. Jm Dolgenſee fanden ſie ſo
reichliche Nahrung, daß ſie ſich erſtaunlich raſch vermehrten und eine verhältnißmäßig bedeutende

Brehm, Thierleben. V. 44
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[689/0727] Kilch. Kleinmaräne. welche er von dem Grunde der Seen aufnimmt, während die Verwandten auch oft in freiem Waſſer Jagd machen. „Da der Kilch“, ſagt Siebold, „wie es ſcheint, unter allen unſeren Renken die tiefſten Stellen der Seen bewohnt, wird er auch am leichteſten trommelſüchtig, wenn man ihn aus der Tiefe ſeines Aufenthaltes mit dem Netze an das Tageslicht zieht. Wegen dieſer Eigenſchaſt hat er am Bodenſee den Namen Kropffelchen erhalten. Jn einer Tiefe von vierzig Klaftern haben die Kilche und ihre mit Luft gefüllte Schwimmblaſe einen Druck von etwa ſieben und einer halben Atmosphäre aus- zuhalten. Werden dieſe Fiſche nun aus ihrem natürlichen Aufenthalte hinauf an die Waſſeröberfläche gebracht, wo der Druck von nur einer Atmoſphäre von außen auf ſie einwirkt, ſo wird die in ihrer Schwimmblaſe eingeſchloſſene Luft beim Heraufziehen allmählig eine Druckverminderung um ſechs und eine halbe Atmoſphäre erleiden und ſich in gleichem Verhältniſſe ausdehnen. Jndem aber einer ſolchen Ausdehnung die dünnen Wände der Schwimmblaſe, ſowie die nachgiebigeren Bauchwandungen nicht widerſtehen können, muß der Bauch des Fiſches eine unförmliche Geſtalt annehmen, wodurch zugleich eine ſo ſtarke Zerrung und Verſchiebung der Baucheingeweide veranlaßt und ein ſo heftiger Druck auf die Blutgefäße derſelben ausgeübt wird, daß der baldige Tod eines ſolchen trommelſüchtig gewordenen Fiſches unausbleiblich erfolgen muß.“ An dem vorſtehenden Unterkiefer, welcher das Kinn zur Spitze der Schnauze macht, läßt ſich die Kleinmaräne (Coregonus albula) von allen Verwandten Mitteleuropas unterſcheiden. Die Färbung iſt dieſelbe wie bei dieſen: der Rücken erſcheint blaugrau, Seiten und Bauch ſind glänzend ſilberweiß; Rücken- und Schwanzfloſſe ſehen grau, die übrigen weißlich aus. Man zählt in der Rückenfloſſe 4 und 8 bis 9, in der Bruſtfloſſe 1 bis 14 und 15, in der Bauchfloſſe 2 und 10, in der Afterfloſſe 4 und 11 bis 12, in der Schwanzfloſſe 19 Strahlen. Die Länge beträgt gewöhnlich nur 6 bis 8 Zoll, kann jedoch ausnahmsweiſe bis auf 10 Zoll und etwas darüber anſteigen. Jn Deutſchland wird die Kleinmaräne vorzugsweiſe in den polniſchen, oft- und weſtpreußiſchen, pommerſchen, ſchleſiſchen, mecklenburger und brandenburger Seen gefunden; höchſt wahrſcheinlich aber kommt ſie auch auf der ſkandinaviſchen Halbinſel und in einzelnen Seen Schottlands vor. Hier ſoll ſie, wie die Sage geht, durch Maria Stuart eingeführt worden ſein, — eine Meinung, welche zweifellos jeder Begründung entbehrt. Jn ihren Sitten und Gewohnheiten ähnelt die Kleinmaräne den Verwandten, welche wie ſie Seen bewohnen. Außer der Laichzeit hält ſie ſich nur in der Tiefe der Seen auf; in den Monaten November und Dezember erſcheint ſie in dicht gedrängten Schaaren an der Oberfläche, bewegt ſich unter weit hörbarem Geräuſche, wandert auch wohl von einem See in den anderen über, von der größeren Waſſerfläche deſſelben angezogen. Die Eier läßt ſie nach Art des eben erwähnten Verwandten ins freie Waſſer fallen. Ungünſtige Witterung ändert auch ihr Betragen während der Fortpflanzungs- zeit mehr oder weniger. Mit Recht gilt die Kleinmaräne als ein ausgezeichnet ſchmackhafter Fiſch, welcher die auf ſeinen Fang verwandte Mühe wohl rechtfertigt. Jn Pommern und Mecklenburg fängt man ſie haupt- ſächlich im Winter unter dem Eiſe, in Maſuren zumeiſt während ihrer Wanderung von einem See zum anderen. Die Erbeuteten werden, wenn Eis oder Schnee vorhanden, in dieſes gepackt, auf weithin verſendet, laut Ruß ſorgfältig von den Schuppen gereinigt, ausgeweidet, in kaltem Waſſer abgewaſchen, eine Nacht in Salzlake gelegt, ſodann an dünne Holzſtäbe geſpießt und hierauf etwa acht oder zehn Stunden geräuchert, bis ſie eine goldgelbe oder bräunliche Färbung angenommen haben. Da, wo man keine Rauchofen hat, bedient man ſich großer Tonnen, welche über ein Rauchfeuer geſtellt und bis auf ein Zugloch mit Säcken zugedeckt werden. Ruß erzählt, daß der Vorfahr des jetzigen Beſitzers von Dolgen Kleinmaränen aus dem Wilm- in den Dolgenſee übergeſührt und ſie mit Erfolg hier eingebürgert habe. Jm Dolgenſee fanden ſie ſo reichliche Nahrung, daß ſie ſich erſtaunlich raſch vermehrten und eine verhältnißmäßig bedeutende Brehm, Thierleben. V. 44

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/727>, abgerufen am 23.12.2024.