Der indische Vertreter der Wüstenotter ist die Daboja oder Tic-Polonga der Singalesen (Echidna elegans), eine Viper, welche an Größe der Pussotter wenig oder Nichts nachgibt und sie an Schönheit der Färbung und Zeichnung übertrifft. Einzelne Stücke sind auf gelbbraunem Grunde mit länglich viereckigen, in der Mitte braunen, schwarz eingefaßten, oben und unten weißlichen Flecken gezeichnet. Diese Fleckenkette beginnt am Halse, und jede einzelne Figur verbindet sich mit der folgenden in derselben Weise wie die dunklen Flecken, welche das Zickzackband der Kreuzotter bilden. Eine Reihe ähnlicher, aber runder und von einander getrennter Flecken verläuft längs jeder Seite. Die Bauchschilder sind auf lichtgelbem Grunde dunkel gefleckt. Nach Art der Verwandten verändert auch die Tic-Polonga ihre Färbung vielfach; deshalb unterscheiden die Singalesen eine Menge von Spielarten, z. B. Nidi-, Getta-, Lay-, Alu-, Kulu-, Nil-, Palla-Polonga u. s. f.
Der Verbreitungskreis dieser Viper erstreckt sich über ganz Ostindien, von Bombay an bis Bengalen, Ceylon und höchst wahrscheinlich auch Hinterindien, einschließlich Sumatra. Jn gewissen Gegenden soll sie außerordentlich häufig auftreten. Laut Tennent mußte ihretwegen die Amtswohnung des Kreisrichters von Trincomalie geräumt werden. Die Jndier fürchten sie weit mehr als die Brillenschlange, unzweifelhaft ihrer nächtlichen Lebensweise wegen, welche sie tückischer erscheinen läßt, als sie wirklich ist. Doch mag es sein, daß von den vielen Unglücksfällen, welche beispielsweise alljährlich auf Ceylon vorkommen, die meisten ihr zur Last fallen, da sie, wie die übrigen Giftschlangen auch, gar nicht selten in das Jnnere der Häuser kommt, sich gegen Morgen sogar hier zum Schlafen niederlegt. So fand ein Freund Tennent's, welcher Etwas aus einer Schachtel nehmen sollte, diese von einer Tic-Polonga besetzt, welche sich in ihr zusammengeringelt hatte. Die Singalesen behaupten, daß Tic-Polonga und Brillenschlange in bitterer Feindschaft leben, dabei aber die Tic-Polonga stets der angreifende Theil sei. Diese wahrscheinlich unrichtige Ansicht hat das Sprüchwort: "Sie hassen sich wie Brillenschlange und Tic-Polonga" ins Leben gerufen. Auf Ceylon erläutert der Volksmund die Bosheit der letzteren durch eine anmuthige Geschichte. Als einst, so erzählt man, ein kleines Kind in Abwesenheit seiner Mutter neben einem Wassertümpel spielte, erschien eine Cobra de Capello, gequält von anhaltendem Durste, um zu trinken, und das unwissende Kind versuchte, sie mit der Hand zurückzutreiben. Die Cobra trank und ging ihres Weges, ohne das Kind zu behelligen, traf aber, ehe sie ihre Wohnung erreichte, mit einer Tic-Polonga zusammen, welche sie nach dem Wasser befragte, von dem sie getrunken. Jene, wohl bewußt der niederträchtigen Bosheit der anderen Schlange, und fürchtend, daß diese das unschuldige Kind, welches sie verschont hatte, gefährden möchte, verweigerte Auskunft zu geben, that Dies jedoch zuletzt unter der Bedingung, daß die Tic-Polonga das Kind nicht berühren dürfe. Letztere versprach Dies, war aber kaum am Wasser angelangt, als sie sich auf das wehrlose Wesen stürzte und ihm den Tod bereitete.
Ueber Nahrung und Fortpflanzung der Tic-Polonga sind mir besondere Angaben nicht bekannt; über die Giftigkeit des Thieres aber hat Russell eigene Beobachtungen angestellt und diese nebst Dem, was er sonst noch erfuhr, veröffentlicht. Ein Huhn, welches von gedachter Schlange in den Flügel gebissen wurde, bekam sogleich Krämpfe und starb nach sechsunddreißig Sekunden. Ein starker Hund, welcher von demselben Thiere unmittelbar darauf einen Biß erhielt, bekundete innerhalb der ersten fünf Minuten nach dem Bisse die Folgen der Vergiftung, zog das gebissene Glied in die Höhe, konnte es nach Verlauf von anderen fünf Minuten nur noch schwer, nach weiteren fünf Minuten nicht mehr bewegen, legte sich nieder, schrie entsetzlich, beleckte die Wunde, bemühete sich vergeblich, aufzustehen, begann von Neuem zu bellen und zu heulen, athmete schwerer, schloß die Kinnladen krampfhaft, fiel abwechselnd in Betäubung, abwechselnd in Krämpfe und starb sechsundzwanzig Minuten nach dem Bisse. Ein Kaninchen wurde von der Schlange, welche vor ihm schon vier andere Thiere gebissen hatte, vergiftet und starb eine Stunde darauf, ein zweites, das sechste Opfer, nach Verlauf von sechs Minuten. Ein Pferd, welches an der Nasenstelle einen Biß erhielt, litt zwei Tage fürchterlich, verspürte am dritten Tage Besserung und war am fünften geheilt. Schwächliche
Die Schlangen. Vipern. Wüſtenottern. Hornvipern.
Der indiſche Vertreter der Wüſtenotter iſt die Daboja oder Tic-Polonga der Singaleſen (Echidna elegans), eine Viper, welche an Größe der Puſſotter wenig oder Nichts nachgibt und ſie an Schönheit der Färbung und Zeichnung übertrifft. Einzelne Stücke ſind auf gelbbraunem Grunde mit länglich viereckigen, in der Mitte braunen, ſchwarz eingefaßten, oben und unten weißlichen Flecken gezeichnet. Dieſe Fleckenkette beginnt am Halſe, und jede einzelne Figur verbindet ſich mit der folgenden in derſelben Weiſe wie die dunklen Flecken, welche das Zickzackband der Kreuzotter bilden. Eine Reihe ähnlicher, aber runder und von einander getrennter Flecken verläuft längs jeder Seite. Die Bauchſchilder ſind auf lichtgelbem Grunde dunkel gefleckt. Nach Art der Verwandten verändert auch die Tic-Polonga ihre Färbung vielfach; deshalb unterſcheiden die Singaleſen eine Menge von Spielarten, z. B. Nidi-, Getta-, Lay-, Alu-, Kulu-, Nil-, Palla-Polonga u. ſ. f.
Der Verbreitungskreis dieſer Viper erſtreckt ſich über ganz Oſtindien, von Bombay an bis Bengalen, Ceylon und höchſt wahrſcheinlich auch Hinterindien, einſchließlich Sumatra. Jn gewiſſen Gegenden ſoll ſie außerordentlich häufig auftreten. Laut Tennent mußte ihretwegen die Amtswohnung des Kreisrichters von Trincomalie geräumt werden. Die Jndier fürchten ſie weit mehr als die Brillenſchlange, unzweifelhaft ihrer nächtlichen Lebensweiſe wegen, welche ſie tückiſcher erſcheinen läßt, als ſie wirklich iſt. Doch mag es ſein, daß von den vielen Unglücksfällen, welche beiſpielsweiſe alljährlich auf Ceylon vorkommen, die meiſten ihr zur Laſt fallen, da ſie, wie die übrigen Giftſchlangen auch, gar nicht ſelten in das Jnnere der Häuſer kommt, ſich gegen Morgen ſogar hier zum Schlafen niederlegt. So fand ein Freund Tennent’s, welcher Etwas aus einer Schachtel nehmen ſollte, dieſe von einer Tic-Polonga beſetzt, welche ſich in ihr zuſammengeringelt hatte. Die Singaleſen behaupten, daß Tic-Polonga und Brillenſchlange in bitterer Feindſchaft leben, dabei aber die Tic-Polonga ſtets der angreifende Theil ſei. Dieſe wahrſcheinlich unrichtige Anſicht hat das Sprüchwort: „Sie haſſen ſich wie Brillenſchlange und Tic-Polonga“ ins Leben gerufen. Auf Ceylon erläutert der Volksmund die Bosheit der letzteren durch eine anmuthige Geſchichte. Als einſt, ſo erzählt man, ein kleines Kind in Abweſenheit ſeiner Mutter neben einem Waſſertümpel ſpielte, erſchien eine Cobra de Capello, gequält von anhaltendem Durſte, um zu trinken, und das unwiſſende Kind verſuchte, ſie mit der Hand zurückzutreiben. Die Cobra trank und ging ihres Weges, ohne das Kind zu behelligen, traf aber, ehe ſie ihre Wohnung erreichte, mit einer Tic-Polonga zuſammen, welche ſie nach dem Waſſer befragte, von dem ſie getrunken. Jene, wohl bewußt der niederträchtigen Bosheit der anderen Schlange, und fürchtend, daß dieſe das unſchuldige Kind, welches ſie verſchont hatte, gefährden möchte, verweigerte Auskunft zu geben, that Dies jedoch zuletzt unter der Bedingung, daß die Tic-Polonga das Kind nicht berühren dürfe. Letztere verſprach Dies, war aber kaum am Waſſer angelangt, als ſie ſich auf das wehrloſe Weſen ſtürzte und ihm den Tod bereitete.
Ueber Nahrung und Fortpflanzung der Tic-Polonga ſind mir beſondere Angaben nicht bekannt; über die Giftigkeit des Thieres aber hat Ruſſell eigene Beobachtungen angeſtellt und dieſe nebſt Dem, was er ſonſt noch erfuhr, veröffentlicht. Ein Huhn, welches von gedachter Schlange in den Flügel gebiſſen wurde, bekam ſogleich Krämpfe und ſtarb nach ſechsunddreißig Sekunden. Ein ſtarker Hund, welcher von demſelben Thiere unmittelbar darauf einen Biß erhielt, bekundete innerhalb der erſten fünf Minuten nach dem Biſſe die Folgen der Vergiftung, zog das gebiſſene Glied in die Höhe, konnte es nach Verlauf von anderen fünf Minuten nur noch ſchwer, nach weiteren fünf Minuten nicht mehr bewegen, legte ſich nieder, ſchrie entſetzlich, beleckte die Wunde, bemühete ſich vergeblich, aufzuſtehen, begann von Neuem zu bellen und zu heulen, athmete ſchwerer, ſchloß die Kinnladen krampfhaft, fiel abwechſelnd in Betäubung, abwechſelnd in Krämpfe und ſtarb ſechsundzwanzig Minuten nach dem Biſſe. Ein Kaninchen wurde von der Schlange, welche vor ihm ſchon vier andere Thiere gebiſſen hatte, vergiftet und ſtarb eine Stunde darauf, ein zweites, das ſechste Opfer, nach Verlauf von ſechs Minuten. Ein Pferd, welches an der Naſenſtelle einen Biß erhielt, litt zwei Tage fürchterlich, verſpürte am dritten Tage Beſſerung und war am fünften geheilt. Schwächliche
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Die Schlangen. Vipern. Wüſtenottern. Hornvipern.
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(Echidna elegans), eine Viper, welche an Größe der Puſſotter wenig oder Nichts nachgibt und ſie an
Schönheit der Färbung und Zeichnung übertrifft. Einzelne Stücke ſind auf gelbbraunem Grunde
mit länglich viereckigen, in der Mitte braunen, ſchwarz eingefaßten, oben und unten weißlichen Flecken
gezeichnet. Dieſe Fleckenkette beginnt am Halſe, und jede einzelne Figur verbindet ſich mit der
folgenden in derſelben Weiſe wie die dunklen Flecken, welche das Zickzackband der Kreuzotter bilden.
Eine Reihe ähnlicher, aber runder und von einander getrennter Flecken verläuft längs jeder Seite.
Die Bauchſchilder ſind auf lichtgelbem Grunde dunkel gefleckt. Nach Art der Verwandten verändert
auch die Tic-Polonga ihre Färbung vielfach; deshalb unterſcheiden die Singaleſen eine Menge von
Spielarten, z. B. Nidi-, Getta-, Lay-, Alu-, Kulu-, Nil-, Palla-Polonga u. ſ. f.
Der Verbreitungskreis dieſer Viper erſtreckt ſich über ganz Oſtindien, von Bombay an bis
Bengalen, Ceylon und höchſt wahrſcheinlich auch Hinterindien, einſchließlich Sumatra. Jn
gewiſſen Gegenden ſoll ſie außerordentlich häufig auftreten. Laut Tennent mußte ihretwegen die
Amtswohnung des Kreisrichters von Trincomalie geräumt werden. Die Jndier fürchten ſie weit
mehr als die Brillenſchlange, unzweifelhaft ihrer nächtlichen Lebensweiſe wegen, welche ſie tückiſcher
erſcheinen läßt, als ſie wirklich iſt. Doch mag es ſein, daß von den vielen Unglücksfällen, welche
beiſpielsweiſe alljährlich auf Ceylon vorkommen, die meiſten ihr zur Laſt fallen, da ſie, wie die
übrigen Giftſchlangen auch, gar nicht ſelten in das Jnnere der Häuſer kommt, ſich gegen Morgen
ſogar hier zum Schlafen niederlegt. So fand ein Freund Tennent’s, welcher Etwas aus einer
Schachtel nehmen ſollte, dieſe von einer Tic-Polonga beſetzt, welche ſich in ihr zuſammengeringelt
hatte. Die Singaleſen behaupten, daß Tic-Polonga und Brillenſchlange in bitterer Feindſchaft
leben, dabei aber die Tic-Polonga ſtets der angreifende Theil ſei. Dieſe wahrſcheinlich unrichtige
Anſicht hat das Sprüchwort: „Sie haſſen ſich wie Brillenſchlange und Tic-Polonga“ ins Leben
gerufen. Auf Ceylon erläutert der Volksmund die Bosheit der letzteren durch eine anmuthige
Geſchichte. Als einſt, ſo erzählt man, ein kleines Kind in Abweſenheit ſeiner Mutter neben einem
Waſſertümpel ſpielte, erſchien eine Cobra de Capello, gequält von anhaltendem Durſte, um zu trinken,
und das unwiſſende Kind verſuchte, ſie mit der Hand zurückzutreiben. Die Cobra trank und ging ihres
Weges, ohne das Kind zu behelligen, traf aber, ehe ſie ihre Wohnung erreichte, mit einer Tic-Polonga
zuſammen, welche ſie nach dem Waſſer befragte, von dem ſie getrunken. Jene, wohl bewußt der
niederträchtigen Bosheit der anderen Schlange, und fürchtend, daß dieſe das unſchuldige Kind, welches
ſie verſchont hatte, gefährden möchte, verweigerte Auskunft zu geben, that Dies jedoch zuletzt unter
der Bedingung, daß die Tic-Polonga das Kind nicht berühren dürfe. Letztere verſprach Dies, war
aber kaum am Waſſer angelangt, als ſie ſich auf das wehrloſe Weſen ſtürzte und ihm den
Tod bereitete.
Ueber Nahrung und Fortpflanzung der Tic-Polonga ſind mir beſondere Angaben nicht bekannt;
über die Giftigkeit des Thieres aber hat Ruſſell eigene Beobachtungen angeſtellt und dieſe nebſt
Dem, was er ſonſt noch erfuhr, veröffentlicht. Ein Huhn, welches von gedachter Schlange in den
Flügel gebiſſen wurde, bekam ſogleich Krämpfe und ſtarb nach ſechsunddreißig Sekunden. Ein ſtarker
Hund, welcher von demſelben Thiere unmittelbar darauf einen Biß erhielt, bekundete innerhalb der
erſten fünf Minuten nach dem Biſſe die Folgen der Vergiftung, zog das gebiſſene Glied in die Höhe,
konnte es nach Verlauf von anderen fünf Minuten nur noch ſchwer, nach weiteren fünf Minuten
nicht mehr bewegen, legte ſich nieder, ſchrie entſetzlich, beleckte die Wunde, bemühete ſich vergeblich,
aufzuſtehen, begann von Neuem zu bellen und zu heulen, athmete ſchwerer, ſchloß die Kinnladen
krampfhaft, fiel abwechſelnd in Betäubung, abwechſelnd in Krämpfe und ſtarb ſechsundzwanzig
Minuten nach dem Biſſe. Ein Kaninchen wurde von der Schlange, welche vor ihm ſchon vier andere
Thiere gebiſſen hatte, vergiftet und ſtarb eine Stunde darauf, ein zweites, das ſechste Opfer, nach
Verlauf von ſechs Minuten. Ein Pferd, welches an der Naſenſtelle einen Biß erhielt, litt zwei
Tage fürchterlich, verſpürte am dritten Tage Beſſerung und war am fünften geheilt. Schwächliche
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/338>, abgerufen am 23.12.2024.
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