jedoch jene Vipern im Geringsten zu behelligen, warf alle Blätter, von denen die Alten behaupteten, daß die Schlangen vor ihnen einen entsetzlichen Abscheu hätten, ihnen vor und sah mit Genugthuung, daß die Vipern sich nicht im Geringsten vor ihnen fürchteten, sondern im Gegentheile sich darunter verkrochen; widerlegte die Meinung, daß die Viper selbst als Heilmittel gegen den Biß anderer ihrer Art gebraucht werden könnte und bewies überhaupt gründlich, daß es nicht wohlgethan, auf das kindische Geschwätz der Alten Etwas zu geben.
Ende des achtzehnten Jahrhunderts nahm Fontana die Redi'schen Untersuchungen wieder auf und verfolgte sie mit soviel Eifer und Geschick, daß sie heute noch einen hohen Werth beanspruchen dürfen. "Das Viperngift", sagt er, "ist keine Säure: es röthet weder das Lackmus, welches es nur durch seine eigene Farbe etwas gelblich färbt, noch verändert es die Farbe des Veilchensyrup, außer daß er ein wenig gelblich wird, wenn viel Gift hinzukommt. Mit Alkalien zusammengebracht, braust es nicht auf, und vermischt sich mit ihnen sehr langsam; im Wasser sinkt es sogleich zu Boden. Es ist nicht brennbar, frisch ein wenig kleberig, getrocknet durchscheinend gelblich, kleberig wie Pech, erhält sich noch jahrelang in den Zähnen der todten Viper, ohne Farbe und Durchsichtigkeit zu verlieren; man kann es dann mit lauem Wasser erweichen, und es ist noch tödtlich; auch getrocknet hat man es gegen zehn Monate aufbewahrt, ohne daß es an Kraft verliert." Aus den unzähligen Versuchen, welche er anstellte, zieht er die Folgerungen: Unter übrigens gleichen Umständen ist die größte Viper die gefährlichste. Die Wirksamkeit des Giftes steigert sich mit der Wuth des Thieres. Je länger die Viper mit ihren Giftzähnen in der Wunde verweilt, um so sicherer vergiftet sie. Je langsamer ein Thier stirbt, umsomehr entwickelt sich die Krankheit an dem gebissenen Theile. -- Rück- sichtlich der Wirkung des Giftes sagt er, daß das Blut des gebissenen Thieres gerinne, das Blutwasser sich von den Blutkügelchen trenne und sich durch das Zellgewebe verbreite, wodurch der Umlauf des Blutes vernichtet und der Tod herbeigeführt wird. Das Blut, auf solche Weise in einen geronnenen und einen wässerigen Theil geschieden, neigt sich schnell zur Fäulniß und zieht so die Verderbniß des ganzen Körpers nach sich. Frösche können weit länger nach dem Vipernbisse leben, als warmblütige Thiere, weil sie des Athmens und Blutumlaufes lange Zeit entbehren können, ohne zu sterben.
Wie umfassend die Versuche dieses ausgezeichneten Mannes sind, wird durch die nachstehenden Zahlen bewiesen. Er ließ mehr als viertausend Thiere beißen und benutzte dazu über dreitausend Vipern, wendete alle Gegenmittel an, welche ihm bekannt waren, nicht blos bei einem einzigen Thiere allein, sondern gleich bei Dutzenden von ihnen und kam, streng genommen, zu dem Ergebniß, daß es kein Gegenmittel gäbe. Nach seiner Ansicht stirbt der von einer Viper gebissene Mensch nicht; es gehörten vielmehr fünf bis sechs dazu, um einen Menschen zu tödten, eine Angabe, welche leider der Begründung entbehrt, da wir, wenn auch nicht viele, sodoch immerhin einige Fälle kennen, daß von einer Viper gebissene Menschen verendeten.
Die dritte Giftschlange Europas, die Sandotter (Vipera ammodytes), verbreitet sich haupt- sächlich über den Südosten unseres Erdtheils und ersetzt hier die beiden vorstehend beschriebenen Verwandten. Wegen eines häutigen, mit Schuppen bedeckten Anhanges an der Nase, welche einer kegeligen Warze ähnelt, hat man sie zum Vertreter der Sippe Nasenvipern (Rhinechis) erheben wollen; da jedoch auch die Viper wenigstens eine Andeutung dieser Warze hat, wird man solche Trennung kaum für gerechtfertigt erklären können. Von der Kreuzotter unterscheidet sich die Sand- otter ebenfalls durch die Bedeckung des Kopfes, auf welchem sich außer den Augenbrauenschildern keine Grubenschilder finden, nicht aber, oder doch kaum merklich, durch die Gestalt; selbst die Färbung und Zeichnung der beiden, bezüglich aller drei Arten hat große Aehnlichkeit. Die Grundfärbung ist ebenso veränderlich wie bei jenen, meist gelbbräunlich, bei einzelnen Stücken aber mehr oder minder mit Roth gesättigt, bei manchen sogar schön rosenroth und dann wirklich prachtvoll, die Zeichnung ein dunkles Zackenband, welches im Nacken beginnt, über den ganzen Rücken und Schwanz fortläuft und aus länglichen Vierecken besteht, welche sich mit einem Winkel an den des folgenden anreihen.
Brehm, Thierleben. V. 20
Viper. Sandotter.
jedoch jene Vipern im Geringſten zu behelligen, warf alle Blätter, von denen die Alten behaupteten, daß die Schlangen vor ihnen einen entſetzlichen Abſcheu hätten, ihnen vor und ſah mit Genugthuung, daß die Vipern ſich nicht im Geringſten vor ihnen fürchteten, ſondern im Gegentheile ſich darunter verkrochen; widerlegte die Meinung, daß die Viper ſelbſt als Heilmittel gegen den Biß anderer ihrer Art gebraucht werden könnte und bewies überhaupt gründlich, daß es nicht wohlgethan, auf das kindiſche Geſchwätz der Alten Etwas zu geben.
Ende des achtzehnten Jahrhunderts nahm Fontana die Redi’ſchen Unterſuchungen wieder auf und verfolgte ſie mit ſoviel Eifer und Geſchick, daß ſie heute noch einen hohen Werth beanſpruchen dürfen. „Das Viperngift“, ſagt er, „iſt keine Säure: es röthet weder das Lackmus, welches es nur durch ſeine eigene Farbe etwas gelblich färbt, noch verändert es die Farbe des Veilchenſyrup, außer daß er ein wenig gelblich wird, wenn viel Gift hinzukommt. Mit Alkalien zuſammengebracht, brauſt es nicht auf, und vermiſcht ſich mit ihnen ſehr langſam; im Waſſer ſinkt es ſogleich zu Boden. Es iſt nicht brennbar, friſch ein wenig kleberig, getrocknet durchſcheinend gelblich, kleberig wie Pech, erhält ſich noch jahrelang in den Zähnen der todten Viper, ohne Farbe und Durchſichtigkeit zu verlieren; man kann es dann mit lauem Waſſer erweichen, und es iſt noch tödtlich; auch getrocknet hat man es gegen zehn Monate aufbewahrt, ohne daß es an Kraft verliert.“ Aus den unzähligen Verſuchen, welche er anſtellte, zieht er die Folgerungen: Unter übrigens gleichen Umſtänden iſt die größte Viper die gefährlichſte. Die Wirkſamkeit des Giftes ſteigert ſich mit der Wuth des Thieres. Je länger die Viper mit ihren Giftzähnen in der Wunde verweilt, um ſo ſicherer vergiftet ſie. Je langſamer ein Thier ſtirbt, umſomehr entwickelt ſich die Krankheit an dem gebiſſenen Theile. — Rück- ſichtlich der Wirkung des Giftes ſagt er, daß das Blut des gebiſſenen Thieres gerinne, das Blutwaſſer ſich von den Blutkügelchen trenne und ſich durch das Zellgewebe verbreite, wodurch der Umlauf des Blutes vernichtet und der Tod herbeigeführt wird. Das Blut, auf ſolche Weiſe in einen geronnenen und einen wäſſerigen Theil geſchieden, neigt ſich ſchnell zur Fäulniß und zieht ſo die Verderbniß des ganzen Körpers nach ſich. Fröſche können weit länger nach dem Vipernbiſſe leben, als warmblütige Thiere, weil ſie des Athmens und Blutumlaufes lange Zeit entbehren können, ohne zu ſterben.
Wie umfaſſend die Verſuche dieſes ausgezeichneten Mannes ſind, wird durch die nachſtehenden Zahlen bewieſen. Er ließ mehr als viertauſend Thiere beißen und benutzte dazu über dreitauſend Vipern, wendete alle Gegenmittel an, welche ihm bekannt waren, nicht blos bei einem einzigen Thiere allein, ſondern gleich bei Dutzenden von ihnen und kam, ſtreng genommen, zu dem Ergebniß, daß es kein Gegenmittel gäbe. Nach ſeiner Anſicht ſtirbt der von einer Viper gebiſſene Menſch nicht; es gehörten vielmehr fünf bis ſechs dazu, um einen Menſchen zu tödten, eine Angabe, welche leider der Begründung entbehrt, da wir, wenn auch nicht viele, ſodoch immerhin einige Fälle kennen, daß von einer Viper gebiſſene Menſchen verendeten.
Die dritte Giftſchlange Europas, die Sandotter (Vipera ammodytes), verbreitet ſich haupt- ſächlich über den Südoſten unſeres Erdtheils und erſetzt hier die beiden vorſtehend beſchriebenen Verwandten. Wegen eines häutigen, mit Schuppen bedeckten Anhanges an der Naſe, welche einer kegeligen Warze ähnelt, hat man ſie zum Vertreter der Sippe Naſenvipern (Rhinechis) erheben wollen; da jedoch auch die Viper wenigſtens eine Andeutung dieſer Warze hat, wird man ſolche Trennung kaum für gerechtfertigt erklären können. Von der Kreuzotter unterſcheidet ſich die Sand- otter ebenfalls durch die Bedeckung des Kopfes, auf welchem ſich außer den Augenbrauenſchildern keine Grubenſchilder finden, nicht aber, oder doch kaum merklich, durch die Geſtalt; ſelbſt die Färbung und Zeichnung der beiden, bezüglich aller drei Arten hat große Aehnlichkeit. Die Grundfärbung iſt ebenſo veränderlich wie bei jenen, meiſt gelbbräunlich, bei einzelnen Stücken aber mehr oder minder mit Roth geſättigt, bei manchen ſogar ſchön roſenroth und dann wirklich prachtvoll, die Zeichnung ein dunkles Zackenband, welches im Nacken beginnt, über den ganzen Rücken und Schwanz fortläuft und aus länglichen Vierecken beſteht, welche ſich mit einem Winkel an den des folgenden anreihen.
Brehm, Thierleben. V. 20
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[305/0331]
Viper. Sandotter.
jedoch jene Vipern im Geringſten zu behelligen, warf alle Blätter, von denen die Alten behaupteten,
daß die Schlangen vor ihnen einen entſetzlichen Abſcheu hätten, ihnen vor und ſah mit Genugthuung,
daß die Vipern ſich nicht im Geringſten vor ihnen fürchteten, ſondern im Gegentheile ſich darunter
verkrochen; widerlegte die Meinung, daß die Viper ſelbſt als Heilmittel gegen den Biß anderer
ihrer Art gebraucht werden könnte und bewies überhaupt gründlich, daß es nicht wohlgethan, auf
das kindiſche Geſchwätz der Alten Etwas zu geben.
Ende des achtzehnten Jahrhunderts nahm Fontana die Redi’ſchen Unterſuchungen wieder
auf und verfolgte ſie mit ſoviel Eifer und Geſchick, daß ſie heute noch einen hohen Werth beanſpruchen
dürfen. „Das Viperngift“, ſagt er, „iſt keine Säure: es röthet weder das Lackmus, welches es
nur durch ſeine eigene Farbe etwas gelblich färbt, noch verändert es die Farbe des Veilchenſyrup,
außer daß er ein wenig gelblich wird, wenn viel Gift hinzukommt. Mit Alkalien zuſammengebracht,
brauſt es nicht auf, und vermiſcht ſich mit ihnen ſehr langſam; im Waſſer ſinkt es ſogleich zu Boden.
Es iſt nicht brennbar, friſch ein wenig kleberig, getrocknet durchſcheinend gelblich, kleberig wie Pech,
erhält ſich noch jahrelang in den Zähnen der todten Viper, ohne Farbe und Durchſichtigkeit zu
verlieren; man kann es dann mit lauem Waſſer erweichen, und es iſt noch tödtlich; auch getrocknet
hat man es gegen zehn Monate aufbewahrt, ohne daß es an Kraft verliert.“ Aus den unzähligen
Verſuchen, welche er anſtellte, zieht er die Folgerungen: Unter übrigens gleichen Umſtänden iſt die
größte Viper die gefährlichſte. Die Wirkſamkeit des Giftes ſteigert ſich mit der Wuth des Thieres.
Je länger die Viper mit ihren Giftzähnen in der Wunde verweilt, um ſo ſicherer vergiftet ſie. Je
langſamer ein Thier ſtirbt, umſomehr entwickelt ſich die Krankheit an dem gebiſſenen Theile. — Rück-
ſichtlich der Wirkung des Giftes ſagt er, daß das Blut des gebiſſenen Thieres gerinne, das Blutwaſſer
ſich von den Blutkügelchen trenne und ſich durch das Zellgewebe verbreite, wodurch der Umlauf des
Blutes vernichtet und der Tod herbeigeführt wird. Das Blut, auf ſolche Weiſe in einen geronnenen
und einen wäſſerigen Theil geſchieden, neigt ſich ſchnell zur Fäulniß und zieht ſo die Verderbniß des
ganzen Körpers nach ſich. Fröſche können weit länger nach dem Vipernbiſſe leben, als warmblütige
Thiere, weil ſie des Athmens und Blutumlaufes lange Zeit entbehren können, ohne zu ſterben.
Wie umfaſſend die Verſuche dieſes ausgezeichneten Mannes ſind, wird durch die nachſtehenden
Zahlen bewieſen. Er ließ mehr als viertauſend Thiere beißen und benutzte dazu über dreitauſend
Vipern, wendete alle Gegenmittel an, welche ihm bekannt waren, nicht blos bei einem einzigen Thiere
allein, ſondern gleich bei Dutzenden von ihnen und kam, ſtreng genommen, zu dem Ergebniß, daß es
kein Gegenmittel gäbe. Nach ſeiner Anſicht ſtirbt der von einer Viper gebiſſene Menſch nicht; es
gehörten vielmehr fünf bis ſechs dazu, um einen Menſchen zu tödten, eine Angabe, welche leider der
Begründung entbehrt, da wir, wenn auch nicht viele, ſodoch immerhin einige Fälle kennen, daß von
einer Viper gebiſſene Menſchen verendeten.
Die dritte Giftſchlange Europas, die Sandotter (Vipera ammodytes), verbreitet ſich haupt-
ſächlich über den Südoſten unſeres Erdtheils und erſetzt hier die beiden vorſtehend beſchriebenen
Verwandten. Wegen eines häutigen, mit Schuppen bedeckten Anhanges an der Naſe, welche einer
kegeligen Warze ähnelt, hat man ſie zum Vertreter der Sippe Naſenvipern (Rhinechis) erheben
wollen; da jedoch auch die Viper wenigſtens eine Andeutung dieſer Warze hat, wird man ſolche
Trennung kaum für gerechtfertigt erklären können. Von der Kreuzotter unterſcheidet ſich die Sand-
otter ebenfalls durch die Bedeckung des Kopfes, auf welchem ſich außer den Augenbrauenſchildern
keine Grubenſchilder finden, nicht aber, oder doch kaum merklich, durch die Geſtalt; ſelbſt die Färbung
und Zeichnung der beiden, bezüglich aller drei Arten hat große Aehnlichkeit. Die Grundfärbung iſt
ebenſo veränderlich wie bei jenen, meiſt gelbbräunlich, bei einzelnen Stücken aber mehr oder minder
mit Roth geſättigt, bei manchen ſogar ſchön roſenroth und dann wirklich prachtvoll, die Zeichnung
ein dunkles Zackenband, welches im Nacken beginnt, über den ganzen Rücken und Schwanz fortläuft
und aus länglichen Vierecken beſteht, welche ſich mit einem Winkel an den des folgenden anreihen.
Brehm, Thierleben. V. 20
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/331>, abgerufen am 23.12.2024.
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