und selten, ohne sich vorher an ihrem tückischen Feinde zu rächen. "Zur Winterszeit", erzählt Wyder, "hielt ich in einem Glaskasten fünf mittelmäßige Vipern. Eines Tages steckte ich eine große Ratte zu ihnen und glaubte, daß sie bald gebissen und getödtet werden würde. Dies aber geschah nicht: die Gesellschaft lebte in bestem Frieden. Jch fütterte die Ratte mehrere Wochen mit Brot und anderen Eßwaaren; als ich auf acht oder zehn Tage verreisen mußte, und sie Nichts mehr zu fressen erhalten hatte, wurde der Frieden gestört. Bei meiner Rückkehr traf ich sie recht munter, die fünf Vipern jedoch bis auf das Rückgrat aufgezehrt."
Die Viper ist diejenige Giftschlange, an welcher außer Redi auch Fontana berühmt gewordene Versuche angestellt haben. Am Hofe des Großherzogs von Toskana, Ferdinand II., welcher selbst nach Wahrheit strebte und ausgezeichnete Männer möglichst unterstützte, wurde auch die Viper in Betracht gezogen. Bis zu dieser Zeit (siebzehntes Jahrhundert) lagen eigentlich nur die Angaben der Alten vor, und man glaubte sie, ohne daran zu denken, durch eigene Beobachtungen die Wahrheit zu erforschen. Einige der gelehrten Männer, mit denen Redi verkehrte, behaupteten, das Gift der Viper habe seinen Sitz in den Zähnen; andere sagten, die Zähne an sich wären nicht giftig, wohl aber der Saft der Zahnschneiden, und dieser käme aus der Gallenblase, da die Viperngalle, selbst wenn sie verschluckt wurde, als fürchterliches Gift wirke; andere wiederum meinten, das Gift sei im Speichel zu finden, und andere endlich schlossen sich der Ansicht der Alten an, daß die Schwanzspitze der Sitz alles Uebels sei. Man begann die Untersuchungen mit der Galle, weil die meisten Anwesenden für diese sich entschieden, auf die Zeugnisse des Galenus, Plinius, Avicennas, Rhases, Haly Abbas, Albucasis, Guilielmus de Placentiis, Sanctus Arduinus, Cardinalis de S. Pancratio, Bertruccius Bononiensis, Caesalpinus, Baldus Angelus Abbatius, Cardanus, Julius Cäsar Claudinus und vieler anderer hoch- berühmter Aerzte sich stützend. "Der Schwall aller dieser hochgelehrten Namen", läßt Lenz Redi erzählen, "hätte einen Menschen wohl erschrecken können; aber ohne viel darnach zu fragen, trat Jacob Sozzi, der Vipernfänger, welcher der gelehrten Verhandlung, in einer Ecke stehend, zugehört hatte, lachend hervor, nahm eine Viperngalle, warf sie in Wasser und verschluckte sie ohne Umstände, erbot sich auch, noch ganze Massen zu verschlucken. Das war freilich ein kräftiger Beweis; allein die Herren trauten dem Handel nicht und meinten, er hätte wohl schon ein Gegengift im Magen. Sie gaben also vielerlei Thieren von der Viperngalle ein; alle jedoch blieben gesund, und eine Katze leckte sich sogar, nachdem sie die Galle verschluckt, recht lecker das Schnäuzchen. Auch durch viele Versuche an Thieren, denen man Viperngalle in Wunden tröpfelte, und die sich gar Nichts daraus machten, wurden die Herren, welche die Giftigkeit der Galle behauptet hatten, vollends aufs Haupt geschlagen.
"Dem Streite über die im Rachen der Viper enthaltene Feuchtigkeit machte der Vipernfänger ebenfalls bald ein Ende; denn er nahm eine recht große, wüthende Viper, wusch ihr den Rachen sammt den Zahnschneiden tüchtig mit Wein aus und trank dann die Brühe lustig hinunter, wiederholte auch am folgenden Tage dasselbe mit drei anderen Vipern. Ein Bock und eine Ente, welchen man einen eben solchen Trank bereitete, befanden sich ebenfalls wohl dabei; als man aber einer Menge von jungen Hühnern und Tauben den gelben, in den Zahnschneiden lebender und todter Vipern befindlichen Saft in Wunden brachte, so starben sie sämmtlich." Das Gift ward also bald genug erkannt. Um die Faseleien der Alten zu widerlegen, machte Redi die verschiedensten Versuche, erprobte allerlei Kräuter, welche als Gegenmittel empfohlen waren, und fand, daß sie Nichts taugten, tödtete eine Menge von Vipern, röstete deren Fleisch und Knochen, brannte sie alsdann zu Asche und wandte die aus der Lauge gewonnenen Salze an, um zu erfahren, daß dasselbe auch nicht anders wirkte, als die auf demselben Wege von anderen Thieren gewonnenen Stoffe, trichterte Vipern funf- zehn Tage lang menschlichen Speichel ein, weil Aristoteles, Nikander, Galenus, Plinius, Paulus Aegineta, Serapion, Avicennas, Lucretius und später viele andere berühmte Schriftsteller behauptet hatten, daß der menschliche Speichel den giftigen Thieren tödtlich sei, ohne
Die Schlangen. Vipern. Naſenvipern.
und ſelten, ohne ſich vorher an ihrem tückiſchen Feinde zu rächen. „Zur Winterszeit“, erzählt Wyder, „hielt ich in einem Glaskaſten fünf mittelmäßige Vipern. Eines Tages ſteckte ich eine große Ratte zu ihnen und glaubte, daß ſie bald gebiſſen und getödtet werden würde. Dies aber geſchah nicht: die Geſellſchaft lebte in beſtem Frieden. Jch fütterte die Ratte mehrere Wochen mit Brot und anderen Eßwaaren; als ich auf acht oder zehn Tage verreiſen mußte, und ſie Nichts mehr zu freſſen erhalten hatte, wurde der Frieden geſtört. Bei meiner Rückkehr traf ich ſie recht munter, die fünf Vipern jedoch bis auf das Rückgrat aufgezehrt.“
Die Viper iſt diejenige Giftſchlange, an welcher außer Redi auch Fontana berühmt gewordene Verſuche angeſtellt haben. Am Hofe des Großherzogs von Toskana, Ferdinand II., welcher ſelbſt nach Wahrheit ſtrebte und ausgezeichnete Männer möglichſt unterſtützte, wurde auch die Viper in Betracht gezogen. Bis zu dieſer Zeit (ſiebzehntes Jahrhundert) lagen eigentlich nur die Angaben der Alten vor, und man glaubte ſie, ohne daran zu denken, durch eigene Beobachtungen die Wahrheit zu erforſchen. Einige der gelehrten Männer, mit denen Redi verkehrte, behaupteten, das Gift der Viper habe ſeinen Sitz in den Zähnen; andere ſagten, die Zähne an ſich wären nicht giftig, wohl aber der Saft der Zahnſchneiden, und dieſer käme aus der Gallenblaſe, da die Viperngalle, ſelbſt wenn ſie verſchluckt wurde, als fürchterliches Gift wirke; andere wiederum meinten, das Gift ſei im Speichel zu finden, und andere endlich ſchloſſen ſich der Anſicht der Alten an, daß die Schwanzſpitze der Sitz alles Uebels ſei. Man begann die Unterſuchungen mit der Galle, weil die meiſten Anweſenden für dieſe ſich entſchieden, auf die Zeugniſſe des Galenus, Plinius, Avicennas, Rhaſes, Haly Abbas, Albucaſis, Guilielmus de Placentiis, Sanctus Arduinus, Cardinalis de S. Pancratio, Bertruccius Bononienſis, Caeſalpinus, Baldus Angelus Abbatius, Cardanus, Julius Cäſar Claudinus und vieler anderer hoch- berühmter Aerzte ſich ſtützend. „Der Schwall aller dieſer hochgelehrten Namen“, läßt Lenz Redi erzählen, „hätte einen Menſchen wohl erſchrecken können; aber ohne viel darnach zu fragen, trat Jacob Sozzi, der Vipernfänger, welcher der gelehrten Verhandlung, in einer Ecke ſtehend, zugehört hatte, lachend hervor, nahm eine Viperngalle, warf ſie in Waſſer und verſchluckte ſie ohne Umſtände, erbot ſich auch, noch ganze Maſſen zu verſchlucken. Das war freilich ein kräftiger Beweis; allein die Herren trauten dem Handel nicht und meinten, er hätte wohl ſchon ein Gegengift im Magen. Sie gaben alſo vielerlei Thieren von der Viperngalle ein; alle jedoch blieben geſund, und eine Katze leckte ſich ſogar, nachdem ſie die Galle verſchluckt, recht lecker das Schnäuzchen. Auch durch viele Verſuche an Thieren, denen man Viperngalle in Wunden tröpfelte, und die ſich gar Nichts daraus machten, wurden die Herren, welche die Giftigkeit der Galle behauptet hatten, vollends aufs Haupt geſchlagen.
„Dem Streite über die im Rachen der Viper enthaltene Feuchtigkeit machte der Vipernfänger ebenfalls bald ein Ende; denn er nahm eine recht große, wüthende Viper, wuſch ihr den Rachen ſammt den Zahnſchneiden tüchtig mit Wein aus und trank dann die Brühe luſtig hinunter, wiederholte auch am folgenden Tage daſſelbe mit drei anderen Vipern. Ein Bock und eine Ente, welchen man einen eben ſolchen Trank bereitete, befanden ſich ebenfalls wohl dabei; als man aber einer Menge von jungen Hühnern und Tauben den gelben, in den Zahnſchneiden lebender und todter Vipern befindlichen Saft in Wunden brachte, ſo ſtarben ſie ſämmtlich.“ Das Gift ward alſo bald genug erkannt. Um die Faſeleien der Alten zu widerlegen, machte Redi die verſchiedenſten Verſuche, erprobte allerlei Kräuter, welche als Gegenmittel empfohlen waren, und fand, daß ſie Nichts taugten, tödtete eine Menge von Vipern, röſtete deren Fleiſch und Knochen, brannte ſie alsdann zu Aſche und wandte die aus der Lauge gewonnenen Salze an, um zu erfahren, daß daſſelbe auch nicht anders wirkte, als die auf demſelben Wege von anderen Thieren gewonnenen Stoffe, trichterte Vipern funf- zehn Tage lang menſchlichen Speichel ein, weil Ariſtoteles, Nikander, Galenus, Plinius, Paulus Aegineta, Serapion, Avicennas, Lucretius und ſpäter viele andere berühmte Schriftſteller behauptet hatten, daß der menſchliche Speichel den giftigen Thieren tödtlich ſei, ohne
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[304/0330]
Die Schlangen. Vipern. Naſenvipern.
und ſelten, ohne ſich vorher an ihrem tückiſchen Feinde zu rächen. „Zur Winterszeit“, erzählt
Wyder, „hielt ich in einem Glaskaſten fünf mittelmäßige Vipern. Eines Tages ſteckte ich eine
große Ratte zu ihnen und glaubte, daß ſie bald gebiſſen und getödtet werden würde. Dies aber
geſchah nicht: die Geſellſchaft lebte in beſtem Frieden. Jch fütterte die Ratte mehrere Wochen mit
Brot und anderen Eßwaaren; als ich auf acht oder zehn Tage verreiſen mußte, und ſie Nichts mehr
zu freſſen erhalten hatte, wurde der Frieden geſtört. Bei meiner Rückkehr traf ich ſie recht munter,
die fünf Vipern jedoch bis auf das Rückgrat aufgezehrt.“
Die Viper iſt diejenige Giftſchlange, an welcher außer Redi auch Fontana berühmt gewordene
Verſuche angeſtellt haben. Am Hofe des Großherzogs von Toskana, Ferdinand II., welcher ſelbſt
nach Wahrheit ſtrebte und ausgezeichnete Männer möglichſt unterſtützte, wurde auch die Viper
in Betracht gezogen. Bis zu dieſer Zeit (ſiebzehntes Jahrhundert) lagen eigentlich nur die Angaben
der Alten vor, und man glaubte ſie, ohne daran zu denken, durch eigene Beobachtungen die Wahrheit
zu erforſchen. Einige der gelehrten Männer, mit denen Redi verkehrte, behaupteten, das Gift der
Viper habe ſeinen Sitz in den Zähnen; andere ſagten, die Zähne an ſich wären nicht giftig,
wohl aber der Saft der Zahnſchneiden, und dieſer käme aus der Gallenblaſe, da die Viperngalle, ſelbſt
wenn ſie verſchluckt wurde, als fürchterliches Gift wirke; andere wiederum meinten, das Gift ſei im
Speichel zu finden, und andere endlich ſchloſſen ſich der Anſicht der Alten an, daß die Schwanzſpitze
der Sitz alles Uebels ſei. Man begann die Unterſuchungen mit der Galle, weil die meiſten
Anweſenden für dieſe ſich entſchieden, auf die Zeugniſſe des Galenus, Plinius, Avicennas,
Rhaſes, Haly Abbas, Albucaſis, Guilielmus de Placentiis, Sanctus Arduinus,
Cardinalis de S. Pancratio, Bertruccius Bononienſis, Caeſalpinus, Baldus
Angelus Abbatius, Cardanus, Julius Cäſar Claudinus und vieler anderer hoch-
berühmter Aerzte ſich ſtützend. „Der Schwall aller dieſer hochgelehrten Namen“, läßt Lenz Redi
erzählen, „hätte einen Menſchen wohl erſchrecken können; aber ohne viel darnach zu fragen, trat
Jacob Sozzi, der Vipernfänger, welcher der gelehrten Verhandlung, in einer Ecke ſtehend, zugehört
hatte, lachend hervor, nahm eine Viperngalle, warf ſie in Waſſer und verſchluckte ſie ohne Umſtände,
erbot ſich auch, noch ganze Maſſen zu verſchlucken. Das war freilich ein kräftiger Beweis; allein
die Herren trauten dem Handel nicht und meinten, er hätte wohl ſchon ein Gegengift im Magen.
Sie gaben alſo vielerlei Thieren von der Viperngalle ein; alle jedoch blieben geſund, und eine Katze
leckte ſich ſogar, nachdem ſie die Galle verſchluckt, recht lecker das Schnäuzchen. Auch durch viele
Verſuche an Thieren, denen man Viperngalle in Wunden tröpfelte, und die ſich gar Nichts daraus
machten, wurden die Herren, welche die Giftigkeit der Galle behauptet hatten, vollends aufs Haupt
geſchlagen.
„Dem Streite über die im Rachen der Viper enthaltene Feuchtigkeit machte der Vipernfänger
ebenfalls bald ein Ende; denn er nahm eine recht große, wüthende Viper, wuſch ihr den Rachen
ſammt den Zahnſchneiden tüchtig mit Wein aus und trank dann die Brühe luſtig hinunter, wiederholte
auch am folgenden Tage daſſelbe mit drei anderen Vipern. Ein Bock und eine Ente, welchen
man einen eben ſolchen Trank bereitete, befanden ſich ebenfalls wohl dabei; als man aber einer
Menge von jungen Hühnern und Tauben den gelben, in den Zahnſchneiden lebender und todter
Vipern befindlichen Saft in Wunden brachte, ſo ſtarben ſie ſämmtlich.“ Das Gift ward alſo bald
genug erkannt. Um die Faſeleien der Alten zu widerlegen, machte Redi die verſchiedenſten Verſuche,
erprobte allerlei Kräuter, welche als Gegenmittel empfohlen waren, und fand, daß ſie Nichts taugten,
tödtete eine Menge von Vipern, röſtete deren Fleiſch und Knochen, brannte ſie alsdann zu Aſche und
wandte die aus der Lauge gewonnenen Salze an, um zu erfahren, daß daſſelbe auch nicht anders
wirkte, als die auf demſelben Wege von anderen Thieren gewonnenen Stoffe, trichterte Vipern funf-
zehn Tage lang menſchlichen Speichel ein, weil Ariſtoteles, Nikander, Galenus, Plinius,
Paulus Aegineta, Serapion, Avicennas, Lucretius und ſpäter viele andere berühmte
Schriftſteller behauptet hatten, daß der menſchliche Speichel den giftigen Thieren tödtlich ſei, ohne
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/330>, abgerufen am 23.12.2024.
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