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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Kreuzotter.
fand Effeldt in dem heißen Jahre 1846 am 15. März ein verschlungenes Pärchen in der
Begattung; so erwähnt Lenz eines Falles, wo man sogar am 18. Dezember vormittags bei schönem,
warmen Wetter zwei dieser Thiere in der Paarung begriffen sah. Letztgenannter hält es deshalb
für möglich, daß zuweilen auch im Frühjahre schon Eier gelegt werden können. Jn der Regel
hecken die Ottern erst im August und September. Höchst wahrscheinlich vereinigen sich die Thiere
des Nachts, bleiben aber mehrere Stunden in innigster Umschlingung, sodaß man sie noch am
folgenden Tage auf der Stelle, welche sie zum Brautbett erwählten, liegen sehen kann. Wie schon
bemerkt, geschieht es, daß sich mehrere Kreuzotterpärchen während der Begattung verknäueln und
dann einen Haufen bilden, welcher möglicherweise zu der alten Sage vom Haupte der Gorgonen
Veranlassung gegeben hat. "Jm April des Jahres 1837", erzählte mir Effeldt, "ging ich, wie
ich es um diese Zeit stets zu thun pflegte, nach dem anderthalb Meilen von Berlin entfernten
Dorfe Johannisthal, um dort Kreuzottern einzufangen. Jch wußte damals noch nicht, daß alle
Vipern Nachtthiere sind, sondern glaubte, da ich des Nachmittags ziemlich spät auf meinem Jagdgrunde
angekommen war, meine Forschungen bis zum nächsten Morgen verschieben zu müssen, ging jedoch
vor Sonnenuntergang noch in den Wald hinaus, mehr um das schöne Wetter zu genießen, als nach
Thieren auszusehen. Zu dieser Zeit reichte ein vorzugsweise aus Erlen bestehendes, mit Brombeer-
sträuchen reich durchwachsenes Gehölz bis an die letzten Häuser des Dorfes, und dieses Gehölz war
derartig von Ottern erfüllt, daß alljährlich einer oder der andere der Dorfbewohner gebissen und die
Leute von den Addern sogar besucht wurden, wie man Aehnliches von südlichen Ländern liest. Jm
Walde traf ich mit dem mir bekannten Förster zusammen und wurde schon von weitem mit dem
Zurufe begrüßt: "Nun, wenn Sie heute wieder Addern fangen wollen, kommen Sie recht; ich habe
soeben einen ganzen Haufen von ihnen liegen sehen." Auf meine Bitte, mir die Stelle zu zeigen,
kehrte der Mann um, führte mich jedoch nur bis in die Nähe des angegebenen Platzes; "denn",
versicherte er mir, "nicht um alles Geld der Welt würde ich an einen Adderklumpen herangehen, nicht
einmal wagen, auf sie zu schießen, da diese bösartigen Thiere dann sofort auf den Menschen zueilen
und ihn längere Zeit verfolgen." Nach längerem Suchen entdeckte ich zu meiner größten Ueber-
raschung, daß mir mein Bekannter wirklich die Wahrheit berichtet. Neben einem von jungen Schöß-
lingen umgrünten Erlenstrunke, in unmittelbarer Nähe des Fußweges, lagen sechs bis acht Addern
in der wunderbarsten Weise zusammengerollt und in einander verschlungen, Männchen und Weibchen
durch einander, einzelne Pärchen in der Begattung, andere Ottern mit den derart Vereinigten
verknäuelt. Als ich herzutrat, erhoben alle die Köpfe, züngelten und zischten, blieben aber hartnäckig
auf derselben Stelle liegen, ohne auch nur einen Versuch zum Entfliehen zu machen; ja, sie ließen sich
selbst dann nicht stören, als ich sie mit einem Rüthchen berührte und neckte. Die vorgerückte Tages-
zeit verhinderte mich, Etwas in der Sache zu thun; deshalb begab ich mich am Morgen des folgenden
Tages wieder zur Stelle, weniger in der Erwartung, den Knäuel noch zu finden, als in der Hoffnung,
mehrere von den gestern gesehenen Addern wieder anzutreffen. Wie erstaunte ich, als ich beim
Betreten des Versammlungsplatzes nicht nur die gestern beobachteten Ottern noch auf derselben Stelle
liegen sah, sondern fand, daß sich die Anzahl während der Nacht noch um einige vermehrt hatte. Das
Benehmen der Thiere hatte sich wesentlich verändert; sie waren jetzt bei vollem Sonnenscheine ungleich
ruhiger und gleichgiltiger als am vorhergegangenen Abend, und deshalb gelang es mir, sie vermittels
eines langstieligen Schöpfers sämmtlich einzufangen und zu versichern. Nunmehr begab ich mich auf
den Rückweg nach Berlin, neugierig zu sehen, was folgen werde. Der stundenlange Weg und das
wiederholte Zusammenschütteln während desselben mochte sie jedoch gestört haben: bei meiner Ankunft
zu Hause hatte sich der Knäuel vollständig gelöst. Zehn Jahre später erfuhr ich von einem Nachfolger
jenes Försters, daß er genau Dasselbe von Ottern beobachtet habe."

Nach den Untersuchungen von Lenz paaren sich die Kreuzottern erst, wenn sie beinah das volle
Maß ihrer Größe erreicht haben: gedachter Forscher fand keine unter anderthalb Fuß Länge, welche
zur vollkommenen Ausbildung geeignete Eier im Leibe gehabt hätte. Die Anzahl der Eier oder

Kreuzotter.
fand Effeldt in dem heißen Jahre 1846 am 15. März ein verſchlungenes Pärchen in der
Begattung; ſo erwähnt Lenz eines Falles, wo man ſogar am 18. Dezember vormittags bei ſchönem,
warmen Wetter zwei dieſer Thiere in der Paarung begriffen ſah. Letztgenannter hält es deshalb
für möglich, daß zuweilen auch im Frühjahre ſchon Eier gelegt werden können. Jn der Regel
hecken die Ottern erſt im Auguſt und September. Höchſt wahrſcheinlich vereinigen ſich die Thiere
des Nachts, bleiben aber mehrere Stunden in innigſter Umſchlingung, ſodaß man ſie noch am
folgenden Tage auf der Stelle, welche ſie zum Brautbett erwählten, liegen ſehen kann. Wie ſchon
bemerkt, geſchieht es, daß ſich mehrere Kreuzotterpärchen während der Begattung verknäueln und
dann einen Haufen bilden, welcher möglicherweiſe zu der alten Sage vom Haupte der Gorgonen
Veranlaſſung gegeben hat. „Jm April des Jahres 1837“, erzählte mir Effeldt, „ging ich, wie
ich es um dieſe Zeit ſtets zu thun pflegte, nach dem anderthalb Meilen von Berlin entfernten
Dorfe Johannisthal, um dort Kreuzottern einzufangen. Jch wußte damals noch nicht, daß alle
Vipern Nachtthiere ſind, ſondern glaubte, da ich des Nachmittags ziemlich ſpät auf meinem Jagdgrunde
angekommen war, meine Forſchungen bis zum nächſten Morgen verſchieben zu müſſen, ging jedoch
vor Sonnenuntergang noch in den Wald hinaus, mehr um das ſchöne Wetter zu genießen, als nach
Thieren auszuſehen. Zu dieſer Zeit reichte ein vorzugsweiſe aus Erlen beſtehendes, mit Brombeer-
ſträuchen reich durchwachſenes Gehölz bis an die letzten Häuſer des Dorfes, und dieſes Gehölz war
derartig von Ottern erfüllt, daß alljährlich einer oder der andere der Dorfbewohner gebiſſen und die
Leute von den Addern ſogar beſucht wurden, wie man Aehnliches von ſüdlichen Ländern lieſt. Jm
Walde traf ich mit dem mir bekannten Förſter zuſammen und wurde ſchon von weitem mit dem
Zurufe begrüßt: „Nun, wenn Sie heute wieder Addern fangen wollen, kommen Sie recht; ich habe
ſoeben einen ganzen Haufen von ihnen liegen ſehen.“ Auf meine Bitte, mir die Stelle zu zeigen,
kehrte der Mann um, führte mich jedoch nur bis in die Nähe des angegebenen Platzes; „denn“,
verſicherte er mir, „nicht um alles Geld der Welt würde ich an einen Adderklumpen herangehen, nicht
einmal wagen, auf ſie zu ſchießen, da dieſe bösartigen Thiere dann ſofort auf den Menſchen zueilen
und ihn längere Zeit verfolgen.“ Nach längerem Suchen entdeckte ich zu meiner größten Ueber-
raſchung, daß mir mein Bekannter wirklich die Wahrheit berichtet. Neben einem von jungen Schöß-
lingen umgrünten Erlenſtrunke, in unmittelbarer Nähe des Fußweges, lagen ſechs bis acht Addern
in der wunderbarſten Weiſe zuſammengerollt und in einander verſchlungen, Männchen und Weibchen
durch einander, einzelne Pärchen in der Begattung, andere Ottern mit den derart Vereinigten
verknäuelt. Als ich herzutrat, erhoben alle die Köpfe, züngelten und ziſchten, blieben aber hartnäckig
auf derſelben Stelle liegen, ohne auch nur einen Verſuch zum Entfliehen zu machen; ja, ſie ließen ſich
ſelbſt dann nicht ſtören, als ich ſie mit einem Rüthchen berührte und neckte. Die vorgerückte Tages-
zeit verhinderte mich, Etwas in der Sache zu thun; deshalb begab ich mich am Morgen des folgenden
Tages wieder zur Stelle, weniger in der Erwartung, den Knäuel noch zu finden, als in der Hoffnung,
mehrere von den geſtern geſehenen Addern wieder anzutreffen. Wie erſtaunte ich, als ich beim
Betreten des Verſammlungsplatzes nicht nur die geſtern beobachteten Ottern noch auf derſelben Stelle
liegen ſah, ſondern fand, daß ſich die Anzahl während der Nacht noch um einige vermehrt hatte. Das
Benehmen der Thiere hatte ſich weſentlich verändert; ſie waren jetzt bei vollem Sonnenſcheine ungleich
ruhiger und gleichgiltiger als am vorhergegangenen Abend, und deshalb gelang es mir, ſie vermittels
eines langſtieligen Schöpfers ſämmtlich einzufangen und zu verſichern. Nunmehr begab ich mich auf
den Rückweg nach Berlin, neugierig zu ſehen, was folgen werde. Der ſtundenlange Weg und das
wiederholte Zuſammenſchütteln während deſſelben mochte ſie jedoch geſtört haben: bei meiner Ankunft
zu Hauſe hatte ſich der Knäuel vollſtändig gelöſt. Zehn Jahre ſpäter erfuhr ich von einem Nachfolger
jenes Förſters, daß er genau Dasſelbe von Ottern beobachtet habe.“

Nach den Unterſuchungen von Lenz paaren ſich die Kreuzottern erſt, wenn ſie beinah das volle
Maß ihrer Größe erreicht haben: gedachter Forſcher fand keine unter anderthalb Fuß Länge, welche
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[297/0323] Kreuzotter. fand Effeldt in dem heißen Jahre 1846 am 15. März ein verſchlungenes Pärchen in der Begattung; ſo erwähnt Lenz eines Falles, wo man ſogar am 18. Dezember vormittags bei ſchönem, warmen Wetter zwei dieſer Thiere in der Paarung begriffen ſah. Letztgenannter hält es deshalb für möglich, daß zuweilen auch im Frühjahre ſchon Eier gelegt werden können. Jn der Regel hecken die Ottern erſt im Auguſt und September. Höchſt wahrſcheinlich vereinigen ſich die Thiere des Nachts, bleiben aber mehrere Stunden in innigſter Umſchlingung, ſodaß man ſie noch am folgenden Tage auf der Stelle, welche ſie zum Brautbett erwählten, liegen ſehen kann. Wie ſchon bemerkt, geſchieht es, daß ſich mehrere Kreuzotterpärchen während der Begattung verknäueln und dann einen Haufen bilden, welcher möglicherweiſe zu der alten Sage vom Haupte der Gorgonen Veranlaſſung gegeben hat. „Jm April des Jahres 1837“, erzählte mir Effeldt, „ging ich, wie ich es um dieſe Zeit ſtets zu thun pflegte, nach dem anderthalb Meilen von Berlin entfernten Dorfe Johannisthal, um dort Kreuzottern einzufangen. Jch wußte damals noch nicht, daß alle Vipern Nachtthiere ſind, ſondern glaubte, da ich des Nachmittags ziemlich ſpät auf meinem Jagdgrunde angekommen war, meine Forſchungen bis zum nächſten Morgen verſchieben zu müſſen, ging jedoch vor Sonnenuntergang noch in den Wald hinaus, mehr um das ſchöne Wetter zu genießen, als nach Thieren auszuſehen. Zu dieſer Zeit reichte ein vorzugsweiſe aus Erlen beſtehendes, mit Brombeer- ſträuchen reich durchwachſenes Gehölz bis an die letzten Häuſer des Dorfes, und dieſes Gehölz war derartig von Ottern erfüllt, daß alljährlich einer oder der andere der Dorfbewohner gebiſſen und die Leute von den Addern ſogar beſucht wurden, wie man Aehnliches von ſüdlichen Ländern lieſt. Jm Walde traf ich mit dem mir bekannten Förſter zuſammen und wurde ſchon von weitem mit dem Zurufe begrüßt: „Nun, wenn Sie heute wieder Addern fangen wollen, kommen Sie recht; ich habe ſoeben einen ganzen Haufen von ihnen liegen ſehen.“ Auf meine Bitte, mir die Stelle zu zeigen, kehrte der Mann um, führte mich jedoch nur bis in die Nähe des angegebenen Platzes; „denn“, verſicherte er mir, „nicht um alles Geld der Welt würde ich an einen Adderklumpen herangehen, nicht einmal wagen, auf ſie zu ſchießen, da dieſe bösartigen Thiere dann ſofort auf den Menſchen zueilen und ihn längere Zeit verfolgen.“ Nach längerem Suchen entdeckte ich zu meiner größten Ueber- raſchung, daß mir mein Bekannter wirklich die Wahrheit berichtet. Neben einem von jungen Schöß- lingen umgrünten Erlenſtrunke, in unmittelbarer Nähe des Fußweges, lagen ſechs bis acht Addern in der wunderbarſten Weiſe zuſammengerollt und in einander verſchlungen, Männchen und Weibchen durch einander, einzelne Pärchen in der Begattung, andere Ottern mit den derart Vereinigten verknäuelt. Als ich herzutrat, erhoben alle die Köpfe, züngelten und ziſchten, blieben aber hartnäckig auf derſelben Stelle liegen, ohne auch nur einen Verſuch zum Entfliehen zu machen; ja, ſie ließen ſich ſelbſt dann nicht ſtören, als ich ſie mit einem Rüthchen berührte und neckte. Die vorgerückte Tages- zeit verhinderte mich, Etwas in der Sache zu thun; deshalb begab ich mich am Morgen des folgenden Tages wieder zur Stelle, weniger in der Erwartung, den Knäuel noch zu finden, als in der Hoffnung, mehrere von den geſtern geſehenen Addern wieder anzutreffen. Wie erſtaunte ich, als ich beim Betreten des Verſammlungsplatzes nicht nur die geſtern beobachteten Ottern noch auf derſelben Stelle liegen ſah, ſondern fand, daß ſich die Anzahl während der Nacht noch um einige vermehrt hatte. Das Benehmen der Thiere hatte ſich weſentlich verändert; ſie waren jetzt bei vollem Sonnenſcheine ungleich ruhiger und gleichgiltiger als am vorhergegangenen Abend, und deshalb gelang es mir, ſie vermittels eines langſtieligen Schöpfers ſämmtlich einzufangen und zu verſichern. Nunmehr begab ich mich auf den Rückweg nach Berlin, neugierig zu ſehen, was folgen werde. Der ſtundenlange Weg und das wiederholte Zuſammenſchütteln während deſſelben mochte ſie jedoch geſtört haben: bei meiner Ankunft zu Hauſe hatte ſich der Knäuel vollſtändig gelöſt. Zehn Jahre ſpäter erfuhr ich von einem Nachfolger jenes Förſters, daß er genau Dasſelbe von Ottern beobachtet habe.“ Nach den Unterſuchungen von Lenz paaren ſich die Kreuzottern erſt, wenn ſie beinah das volle Maß ihrer Größe erreicht haben: gedachter Forſcher fand keine unter anderthalb Fuß Länge, welche zur vollkommenen Ausbildung geeignete Eier im Leibe gehabt hätte. Die Anzahl der Eier oder

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/323>, abgerufen am 23.12.2024.