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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Kreuzotter.

Es bringt der Kreuzotter wie anderen Schlangen keinen Schaden, wenn sie längere Zeit hungern
muß; dafür nimmt sie aber auch, wenn ihr das Jagdglück hold, eine reichliche Mahlzeit zu sich.
Lenz fand bei seinen Untersuchungen drei erwachsene Mäuse, eine hinter der anderen, in Speiseröhre
und Magen.

Das Sommerleben unserer Schlange beginnt erst im April, obgleich man sie in günstigen Früh-
jahren schon um die Mitte des März außerhalb ihrer Winterherberge sieht, ja, laut Lenz, eine oder
die andere bei besonders günstiger Witterung, ausnahmsweise schon früher bemerken kann. Jn der
Winterherberge gesellt sie sich regelmäßig in ziemlicher Anzahl. Diese Behauptung unterliegt für
mich jetzt keinem Zweifel mehr, während ich noch vor wenigen Wochen hierüber nicht vollständig sicher
war und mich demgemäß in der Einleitung (S. 181) aussprach. Bis dahin waren mir nur die von
Lenz wiedergegebenen Angaben des Pfarrers Treiße und des Dr. Wagner bekannt; gegenwärtig
habe ich durch A. von Homeyer Bestätigung derselben erhalten. "Jm Jahre 1816", schreibt
Pfarrer Treiße an Lenz, "arbeiteten mehrere Holzhauer bei gelindem Wetter an einem Wege, zu
dessen Ausbesserung bedeutende Sandsteinwände abgearbeitet wurden. Jn diesen gab es viele Ritzen
und Klüfte, und hier war es, wo man, zwei bis sechs Fuß unter der Erdoberfläche, zehn Kreuzottern
in ihrer Winterruhe fand. Anfangs glaubten die Holzhauer Stricke liegen zu sehen; nachdem sie
aber den ersten mit der Hacke hervorgezogen und als Kreuzotter erkannt hatten, holten sie auch die
übrigen in verschiedenen Klüften zerstreuten hervor und schlugen sie todt. Die Thiere hatten sich
zwischen dem Gesteine zusammengeringelt, waren matt und in einem Zustande der Betäubung. An
den Seiten der Steinwände waren keine Ritzen bemerkbar; daher mußten sie von oben, wo sich
mehrere Spalten zeigten, eingekrochen sein".... "Jm Winter 1829 zu 30", erzählt Wagner,
"wurden im Schweidnitzer Kreise, eine Stunde westlich der Stadt Schlieben, neun Ottern in einer
sumpfigen Gegend, über dem Wasserspiegel, in einem alten Stamme angetroffen. Sie hatten sich
dicht zusammengedrängt, gaben kaum ein Zeichen des Lebens von sich und wurden sämmtlich erschlagen.
Bei dieser Otterngesellschaft entdeckte man auch einen Jltis, der da wohl hatte Nahrung aufsuchen
wollen und nun ebenfalls seinen Tod fand." Homeyer's Mittheilung bestätigt die Wagnersche
in jeder Hinsicht. "Mit meinem Bruder habe ich, wie Sie gewünscht, über die Kreuzotter gesprochen.
Es hat mit meiner Mittheilung vollkommene Richtigkeit. Die "Arrer", wie das Thier im Platt-
deutschen heißt, hält den Winterschlaf gesellig ab. Man findet, nach meines Bruders Beobachtungen,
funfzehn bis fünfundzwanzig Stück dicht zusammen unter dem Gewurzel von Wachholder und alten,
halb vermoderten Erlen- und Birkenstumpfen, wohin sie sich mit Beginn des Frostes bis zur Wieder-
kehr des Frühlings zusammenziehen. Gewöhnlich entdecken die Holzarbeiter beim Ausroden alter
Wurzelstämme derartige Winterlager und verfehlen dann nicht, der gesammten Schlafgesellschaft den
Garaus zu machen. Mit wahrer Genugthuung haben wir erfahren, daß der Jltis über diese That-
sache weit genauer unterrichtet ist, als wir es bisher waren. Er sucht im Winter derartige Lager auf
und holt sich davon nach Bedarf. Beim Ausmachen eines Jltis fand mein Bruder, mitten im Winter
natürlich, einige Frösche und drei "Arrer", welche das Thier nach seinem Bau geschleppt hatte,
nachdem es die Vorsicht gebraucht, ihnen die Wirbelsäule dicht hinter dem Kopfe zu durchbeißen.
Schließlich noch die Bemerkung, daß der Winterschlaf der Otter nicht sehr fest ist: bei einiger
Störung richtet sie den Kopf auf, kriecht langsam umher und züngelt; das Auge jedoch erscheint
müde und matt."

Ueber die Fortpflanzung der Kreuzotter und ihrer südeuropäischen Verwandten waren schon die
Alten unterrichtet, mischten aber, wie gewöhnlich, Wahres und Falsches durch einander: der alte
Geßner mag uns erzählen, in welcher Weise. "Die alten so von der natern vermischung vnd geburt
geschriben, haben vermeint vnd geglaubt (vielleicht mehr auß hürnsagen vnd fürgeben dann eigner
erfahrung) sölchs geschehe nit ohn verderben vnd tod beider alten. Dann so sie jre leyb vermischt
vnd in einand geflochten, so empfahe daß weiblin den samen mit aufgesperrten mund, vnd beisse dem
männlin, demnach sie die begird vollbracht, den kopff ab. Aber jr vntreüw vnd vnbilligkeit werde

Kreuzotter.

Es bringt der Kreuzotter wie anderen Schlangen keinen Schaden, wenn ſie längere Zeit hungern
muß; dafür nimmt ſie aber auch, wenn ihr das Jagdglück hold, eine reichliche Mahlzeit zu ſich.
Lenz fand bei ſeinen Unterſuchungen drei erwachſene Mäuſe, eine hinter der anderen, in Speiſeröhre
und Magen.

Das Sommerleben unſerer Schlange beginnt erſt im April, obgleich man ſie in günſtigen Früh-
jahren ſchon um die Mitte des März außerhalb ihrer Winterherberge ſieht, ja, laut Lenz, eine oder
die andere bei beſonders günſtiger Witterung, ausnahmsweiſe ſchon früher bemerken kann. Jn der
Winterherberge geſellt ſie ſich regelmäßig in ziemlicher Anzahl. Dieſe Behauptung unterliegt für
mich jetzt keinem Zweifel mehr, während ich noch vor wenigen Wochen hierüber nicht vollſtändig ſicher
war und mich demgemäß in der Einleitung (S. 181) ausſprach. Bis dahin waren mir nur die von
Lenz wiedergegebenen Angaben des Pfarrers Treiße und des Dr. Wagner bekannt; gegenwärtig
habe ich durch A. von Homeyer Beſtätigung derſelben erhalten. „Jm Jahre 1816“, ſchreibt
Pfarrer Treiße an Lenz, „arbeiteten mehrere Holzhauer bei gelindem Wetter an einem Wege, zu
deſſen Ausbeſſerung bedeutende Sandſteinwände abgearbeitet wurden. Jn dieſen gab es viele Ritzen
und Klüfte, und hier war es, wo man, zwei bis ſechs Fuß unter der Erdoberfläche, zehn Kreuzottern
in ihrer Winterruhe fand. Anfangs glaubten die Holzhauer Stricke liegen zu ſehen; nachdem ſie
aber den erſten mit der Hacke hervorgezogen und als Kreuzotter erkannt hatten, holten ſie auch die
übrigen in verſchiedenen Klüften zerſtreuten hervor und ſchlugen ſie todt. Die Thiere hatten ſich
zwiſchen dem Geſteine zuſammengeringelt, waren matt und in einem Zuſtande der Betäubung. An
den Seiten der Steinwände waren keine Ritzen bemerkbar; daher mußten ſie von oben, wo ſich
mehrere Spalten zeigten, eingekrochen ſein“.... „Jm Winter 1829 zu 30“, erzählt Wagner,
„wurden im Schweidnitzer Kreiſe, eine Stunde weſtlich der Stadt Schlieben, neun Ottern in einer
ſumpfigen Gegend, über dem Waſſerſpiegel, in einem alten Stamme angetroffen. Sie hatten ſich
dicht zuſammengedrängt, gaben kaum ein Zeichen des Lebens von ſich und wurden ſämmtlich erſchlagen.
Bei dieſer Otterngeſellſchaft entdeckte man auch einen Jltis, der da wohl hatte Nahrung aufſuchen
wollen und nun ebenfalls ſeinen Tod fand.“ Homeyer’s Mittheilung beſtätigt die Wagnerſche
in jeder Hinſicht. „Mit meinem Bruder habe ich, wie Sie gewünſcht, über die Kreuzotter geſprochen.
Es hat mit meiner Mittheilung vollkommene Richtigkeit. Die „Arrer“, wie das Thier im Platt-
deutſchen heißt, hält den Winterſchlaf geſellig ab. Man findet, nach meines Bruders Beobachtungen,
funfzehn bis fünfundzwanzig Stück dicht zuſammen unter dem Gewurzel von Wachholder und alten,
halb vermoderten Erlen- und Birkenſtumpfen, wohin ſie ſich mit Beginn des Froſtes bis zur Wieder-
kehr des Frühlings zuſammenziehen. Gewöhnlich entdecken die Holzarbeiter beim Ausroden alter
Wurzelſtämme derartige Winterlager und verfehlen dann nicht, der geſammten Schlafgeſellſchaft den
Garaus zu machen. Mit wahrer Genugthuung haben wir erfahren, daß der Jltis über dieſe That-
ſache weit genauer unterrichtet iſt, als wir es bisher waren. Er ſucht im Winter derartige Lager auf
und holt ſich davon nach Bedarf. Beim Ausmachen eines Jltis fand mein Bruder, mitten im Winter
natürlich, einige Fröſche und drei „Arrer“, welche das Thier nach ſeinem Bau geſchleppt hatte,
nachdem es die Vorſicht gebraucht, ihnen die Wirbelſäule dicht hinter dem Kopfe zu durchbeißen.
Schließlich noch die Bemerkung, daß der Winterſchlaf der Otter nicht ſehr feſt iſt: bei einiger
Störung richtet ſie den Kopf auf, kriecht langſam umher und züngelt; das Auge jedoch erſcheint
müde und matt.“

Ueber die Fortpflanzung der Kreuzotter und ihrer ſüdeuropäiſchen Verwandten waren ſchon die
Alten unterrichtet, miſchten aber, wie gewöhnlich, Wahres und Falſches durch einander: der alte
Geßner mag uns erzählen, in welcher Weiſe. „Die alten ſo von der natern vermiſchung vnd geburt
geſchriben, haben vermeint vnd geglaubt (vielleicht mehr auß hürnſagen vnd fürgeben dann eigner
erfahrung) ſölchs geſchehe nit ohn verderben vnd tod beider alten. Dann ſo ſie jre leyb vermiſcht
vnd in einand geflochten, ſo empfahe daß weiblin den ſamen mit aufgeſperrten mund, vnd beiſſe dem
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[295/0321] Kreuzotter. Es bringt der Kreuzotter wie anderen Schlangen keinen Schaden, wenn ſie längere Zeit hungern muß; dafür nimmt ſie aber auch, wenn ihr das Jagdglück hold, eine reichliche Mahlzeit zu ſich. Lenz fand bei ſeinen Unterſuchungen drei erwachſene Mäuſe, eine hinter der anderen, in Speiſeröhre und Magen. Das Sommerleben unſerer Schlange beginnt erſt im April, obgleich man ſie in günſtigen Früh- jahren ſchon um die Mitte des März außerhalb ihrer Winterherberge ſieht, ja, laut Lenz, eine oder die andere bei beſonders günſtiger Witterung, ausnahmsweiſe ſchon früher bemerken kann. Jn der Winterherberge geſellt ſie ſich regelmäßig in ziemlicher Anzahl. Dieſe Behauptung unterliegt für mich jetzt keinem Zweifel mehr, während ich noch vor wenigen Wochen hierüber nicht vollſtändig ſicher war und mich demgemäß in der Einleitung (S. 181) ausſprach. Bis dahin waren mir nur die von Lenz wiedergegebenen Angaben des Pfarrers Treiße und des Dr. Wagner bekannt; gegenwärtig habe ich durch A. von Homeyer Beſtätigung derſelben erhalten. „Jm Jahre 1816“, ſchreibt Pfarrer Treiße an Lenz, „arbeiteten mehrere Holzhauer bei gelindem Wetter an einem Wege, zu deſſen Ausbeſſerung bedeutende Sandſteinwände abgearbeitet wurden. Jn dieſen gab es viele Ritzen und Klüfte, und hier war es, wo man, zwei bis ſechs Fuß unter der Erdoberfläche, zehn Kreuzottern in ihrer Winterruhe fand. Anfangs glaubten die Holzhauer Stricke liegen zu ſehen; nachdem ſie aber den erſten mit der Hacke hervorgezogen und als Kreuzotter erkannt hatten, holten ſie auch die übrigen in verſchiedenen Klüften zerſtreuten hervor und ſchlugen ſie todt. Die Thiere hatten ſich zwiſchen dem Geſteine zuſammengeringelt, waren matt und in einem Zuſtande der Betäubung. An den Seiten der Steinwände waren keine Ritzen bemerkbar; daher mußten ſie von oben, wo ſich mehrere Spalten zeigten, eingekrochen ſein“.... „Jm Winter 1829 zu 30“, erzählt Wagner, „wurden im Schweidnitzer Kreiſe, eine Stunde weſtlich der Stadt Schlieben, neun Ottern in einer ſumpfigen Gegend, über dem Waſſerſpiegel, in einem alten Stamme angetroffen. Sie hatten ſich dicht zuſammengedrängt, gaben kaum ein Zeichen des Lebens von ſich und wurden ſämmtlich erſchlagen. Bei dieſer Otterngeſellſchaft entdeckte man auch einen Jltis, der da wohl hatte Nahrung aufſuchen wollen und nun ebenfalls ſeinen Tod fand.“ Homeyer’s Mittheilung beſtätigt die Wagnerſche in jeder Hinſicht. „Mit meinem Bruder habe ich, wie Sie gewünſcht, über die Kreuzotter geſprochen. Es hat mit meiner Mittheilung vollkommene Richtigkeit. Die „Arrer“, wie das Thier im Platt- deutſchen heißt, hält den Winterſchlaf geſellig ab. Man findet, nach meines Bruders Beobachtungen, funfzehn bis fünfundzwanzig Stück dicht zuſammen unter dem Gewurzel von Wachholder und alten, halb vermoderten Erlen- und Birkenſtumpfen, wohin ſie ſich mit Beginn des Froſtes bis zur Wieder- kehr des Frühlings zuſammenziehen. Gewöhnlich entdecken die Holzarbeiter beim Ausroden alter Wurzelſtämme derartige Winterlager und verfehlen dann nicht, der geſammten Schlafgeſellſchaft den Garaus zu machen. Mit wahrer Genugthuung haben wir erfahren, daß der Jltis über dieſe That- ſache weit genauer unterrichtet iſt, als wir es bisher waren. Er ſucht im Winter derartige Lager auf und holt ſich davon nach Bedarf. Beim Ausmachen eines Jltis fand mein Bruder, mitten im Winter natürlich, einige Fröſche und drei „Arrer“, welche das Thier nach ſeinem Bau geſchleppt hatte, nachdem es die Vorſicht gebraucht, ihnen die Wirbelſäule dicht hinter dem Kopfe zu durchbeißen. Schließlich noch die Bemerkung, daß der Winterſchlaf der Otter nicht ſehr feſt iſt: bei einiger Störung richtet ſie den Kopf auf, kriecht langſam umher und züngelt; das Auge jedoch erſcheint müde und matt.“ Ueber die Fortpflanzung der Kreuzotter und ihrer ſüdeuropäiſchen Verwandten waren ſchon die Alten unterrichtet, miſchten aber, wie gewöhnlich, Wahres und Falſches durch einander: der alte Geßner mag uns erzählen, in welcher Weiſe. „Die alten ſo von der natern vermiſchung vnd geburt geſchriben, haben vermeint vnd geglaubt (vielleicht mehr auß hürnſagen vnd fürgeben dann eigner erfahrung) ſölchs geſchehe nit ohn verderben vnd tod beider alten. Dann ſo ſie jre leyb vermiſcht vnd in einand geflochten, ſo empfahe daß weiblin den ſamen mit aufgeſperrten mund, vnd beiſſe dem männlin, demnach ſie die begird vollbracht, den kopff ab. Aber jr vntreüw vnd vnbilligkeit werde

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/321>, abgerufen am 23.12.2024.