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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Kreuzotter.
Fuß weit reicht, vorschnellen zu können. Das Einziehen des Halses ist immer ein Zeichen der
Absicht, zu beißen; sie beißt auch fast nie, ohne sich erst auf diese Weise vorbereitet zu haben und zieht
nach geschehenem Bisse ebenso schnell den Hals wieder ein, wenn sie sich nicht zu tief verbissen hat,
daß ihr Dies unmöglich wird. Selbst wenn man ihr einen Gegenstand von der Größe einer Maus
vorhält, beißt sie oft fehl, zielt also schlecht. Wenn sie wüthend wird und beißen will, zieht sie nicht
nur erst den Hals ein, sondern stößt auch, falls sie Bedenkzeit hat und ihr der Gegenstand nicht
plötzlich nahe kommt, die Zunge oft und schnell, etwa soweit als ihr Kopf lang ist, vor, und dabei
glühen ihre Augen; aber während sie beißt, ist ihre Zunge eingezogen; auch berührt sie mit dieser
vor dem Bisse den Feind nur selten. Wird sie plötzlich vom Feinde überrascht und beißt sie dann augen-
blicklich zu, so zischt sie selten vorher; jemehr Bedenkzeit sie aber hat, je höher ihr Jngrimm sich
steigert, jemehr und je heftiger dagegen. Das Zischen oder Fauchen geschicht in der Regel bei
geschlossenem Munde und wird hervorgebracht, indem sie heftiger als gewöhnlich aus- und einathmet;
es besteht aus zwei verschiedenen, jedoch sich ähnelnden Tönen, die ungefähr in demselben Zeitraume
abwechseln, in welchem ein Mensch aus- und einathmet. Beim Ausstoßen der Luft ist der Ton
stark und tief, beim Einziehen derselben schwächer und höher. Jch hielt einer anhaltend und heftig
zischenden Otter eine am Rande eines Stäbchens befestigte Flaumfeder vor die Nase, an der ich das
Aus- und Einziehen der Luft deutlich wahrnahm, fand jedoch, daß die Bewegung der Luft dabei nur
äußerst gering ist. Ueberhaupt bläst sich die Kreuzotter, sobald sie böse ist, stark auf, sodaß dann
selbst abgemagerte voll und fett aussehen. Jn noch höherem Grade geschieht Dies, wenn man sie in
das Wasser wirft; dann aber aus dem Grunde, um sich durch die eingezogene Luft leichter zu
machen.... Sie ist immer auf ihrer Hut und zur Vertheidigung und zum Angriffe gleich bereit.
Daher findet man sie fast nie, selbst wenn sie noch so ungestört ist, ohne daß sie das Köpfchen schief
emporreckt. Obgleich (bei Tage) mit ziemlicher Blindheit geschlagen, weiß sie doch sehr wohl einen
Unterschied zwischen den sich ihr nahenden Gegenständen zu machen, und man beobachtet sehr leicht,
daß sie am Liebsten nach warmblütigen Thieren und unter diesen wieder am Liebsten nach Mäusen
beißt. Auch sieht man, wenn man sie in ein recht helles Glas setzt und sie von außen berührt, daß
sie weit lieber nach der bloßen Hand fährt, wenn man sie von außen daran bringt, als wenn man
z. B. das Glas mit dem Aermel, einem Stäbchen u. s. w. berührt.

"Jn der Gesangenschaft verträgt sie sich in einer geräumigen Kiste mit allen kleinen Thieren,
außer mit Mäusen, sehr gut; ja, ich habe öfters gesehen, daß sich Eidechsen, Frösche und Vögelchen,
wenn sie einmal eingewohnt waren, ruhig auf ihr sitzend sonnten, auch in der Freiheit Ottern ange-
troffen, auf denen Eidechsen sich gemächlich gelagert haben. Einmal habe ich einen recht artigen
Auftritt erlebt. Es schien nämlich in der Schlangenkiste die Sonne nur auf ein ganz kleines Fleckchen,
und dieses war von den Ottern sogleich in Beschlag genommen worden. Da kam eine Eidechse
herbei, suchte vergeblich nach einem Plätzchen und biß nun, weil sie keines fand, eine Otter ganz
behutsam in die Seite, um sie zum Weichen zu bringen, woran sich jene aber gar nicht kehrte. Die
Eidechse lagerte sich endlich neben den Ottern und außerhalb der Sonne. Andere Schlangen und
Blindschleichen lagern sich ebenfalls gern neben, auf und unter die Otter, als wenn sie Jhresgleichen
wäre. Wenn ihr Käfer über den Leib laufen, achtet sie es nicht; marschiren sie aber auf ihrem Kopfe,
so schüttelt sie nur, jedoch ohne zu zürnen.

"Es ist ein allgemeiner Glaube, daß die Otter springt und in der Wuth sogar auf weite
Strecken verfolgt. Weder ich, noch mein Schlangenfänger haben je dergleichen gesehen; auch hat mir
nie ein Mensch, der die Ottern genau kennt, etwas Aehnliches erzählt. Jch habe mir sehr oft nicht
nur in der Stube, sondern auch im Freien viele Mühe gegeben, sie zum Springen zu reizen, aber
immer vergeblich. Jndessen gewährt es doch viel Vergnügen, wenn man eine in aller Ruhe auf dem
Boden, den sie zu beherrschen wähnt, ruhende Otter überrascht und sie nun mit einem Rüthchen neckt.
Zuweilen zieht sie sich so zusammen, daß sie ein kleines Thürmchen bildet, auf dessen Spitze das
drohende Köpfchen steht; aber sie bleibt auch im breiten Teller liegen. Alle ihre Muskeln sind in

Kreuzotter.
Fuß weit reicht, vorſchnellen zu können. Das Einziehen des Halſes iſt immer ein Zeichen der
Abſicht, zu beißen; ſie beißt auch faſt nie, ohne ſich erſt auf dieſe Weiſe vorbereitet zu haben und zieht
nach geſchehenem Biſſe ebenſo ſchnell den Hals wieder ein, wenn ſie ſich nicht zu tief verbiſſen hat,
daß ihr Dies unmöglich wird. Selbſt wenn man ihr einen Gegenſtand von der Größe einer Maus
vorhält, beißt ſie oft fehl, zielt alſo ſchlecht. Wenn ſie wüthend wird und beißen will, zieht ſie nicht
nur erſt den Hals ein, ſondern ſtößt auch, falls ſie Bedenkzeit hat und ihr der Gegenſtand nicht
plötzlich nahe kommt, die Zunge oft und ſchnell, etwa ſoweit als ihr Kopf lang iſt, vor, und dabei
glühen ihre Augen; aber während ſie beißt, iſt ihre Zunge eingezogen; auch berührt ſie mit dieſer
vor dem Biſſe den Feind nur ſelten. Wird ſie plötzlich vom Feinde überraſcht und beißt ſie dann augen-
blicklich zu, ſo ziſcht ſie ſelten vorher; jemehr Bedenkzeit ſie aber hat, je höher ihr Jngrimm ſich
ſteigert, jemehr und je heftiger dagegen. Das Ziſchen oder Fauchen geſchicht in der Regel bei
geſchloſſenem Munde und wird hervorgebracht, indem ſie heftiger als gewöhnlich aus- und einathmet;
es beſteht aus zwei verſchiedenen, jedoch ſich ähnelnden Tönen, die ungefähr in demſelben Zeitraume
abwechſeln, in welchem ein Menſch aus- und einathmet. Beim Ausſtoßen der Luft iſt der Ton
ſtark und tief, beim Einziehen derſelben ſchwächer und höher. Jch hielt einer anhaltend und heftig
ziſchenden Otter eine am Rande eines Stäbchens befeſtigte Flaumfeder vor die Naſe, an der ich das
Aus- und Einziehen der Luft deutlich wahrnahm, fand jedoch, daß die Bewegung der Luft dabei nur
äußerſt gering iſt. Ueberhaupt bläſt ſich die Kreuzotter, ſobald ſie böſe iſt, ſtark auf, ſodaß dann
ſelbſt abgemagerte voll und fett ausſehen. Jn noch höherem Grade geſchieht Dies, wenn man ſie in
das Waſſer wirft; dann aber aus dem Grunde, um ſich durch die eingezogene Luft leichter zu
machen.... Sie iſt immer auf ihrer Hut und zur Vertheidigung und zum Angriffe gleich bereit.
Daher findet man ſie faſt nie, ſelbſt wenn ſie noch ſo ungeſtört iſt, ohne daß ſie das Köpfchen ſchief
emporreckt. Obgleich (bei Tage) mit ziemlicher Blindheit geſchlagen, weiß ſie doch ſehr wohl einen
Unterſchied zwiſchen den ſich ihr nahenden Gegenſtänden zu machen, und man beobachtet ſehr leicht,
daß ſie am Liebſten nach warmblütigen Thieren und unter dieſen wieder am Liebſten nach Mäuſen
beißt. Auch ſieht man, wenn man ſie in ein recht helles Glas ſetzt und ſie von außen berührt, daß
ſie weit lieber nach der bloßen Hand fährt, wenn man ſie von außen daran bringt, als wenn man
z. B. das Glas mit dem Aermel, einem Stäbchen u. ſ. w. berührt.

„Jn der Geſangenſchaft verträgt ſie ſich in einer geräumigen Kiſte mit allen kleinen Thieren,
außer mit Mäuſen, ſehr gut; ja, ich habe öfters geſehen, daß ſich Eidechſen, Fröſche und Vögelchen,
wenn ſie einmal eingewohnt waren, ruhig auf ihr ſitzend ſonnten, auch in der Freiheit Ottern ange-
troffen, auf denen Eidechſen ſich gemächlich gelagert haben. Einmal habe ich einen recht artigen
Auftritt erlebt. Es ſchien nämlich in der Schlangenkiſte die Sonne nur auf ein ganz kleines Fleckchen,
und dieſes war von den Ottern ſogleich in Beſchlag genommen worden. Da kam eine Eidechſe
herbei, ſuchte vergeblich nach einem Plätzchen und biß nun, weil ſie keines fand, eine Otter ganz
behutſam in die Seite, um ſie zum Weichen zu bringen, woran ſich jene aber gar nicht kehrte. Die
Eidechſe lagerte ſich endlich neben den Ottern und außerhalb der Sonne. Andere Schlangen und
Blindſchleichen lagern ſich ebenfalls gern neben, auf und unter die Otter, als wenn ſie Jhresgleichen
wäre. Wenn ihr Käfer über den Leib laufen, achtet ſie es nicht; marſchiren ſie aber auf ihrem Kopfe,
ſo ſchüttelt ſie nur, jedoch ohne zu zürnen.

„Es iſt ein allgemeiner Glaube, daß die Otter ſpringt und in der Wuth ſogar auf weite
Strecken verfolgt. Weder ich, noch mein Schlangenfänger haben je dergleichen geſehen; auch hat mir
nie ein Menſch, der die Ottern genau kennt, etwas Aehnliches erzählt. Jch habe mir ſehr oft nicht
nur in der Stube, ſondern auch im Freien viele Mühe gegeben, ſie zum Springen zu reizen, aber
immer vergeblich. Jndeſſen gewährt es doch viel Vergnügen, wenn man eine in aller Ruhe auf dem
Boden, den ſie zu beherrſchen wähnt, ruhende Otter überraſcht und ſie nun mit einem Rüthchen neckt.
Zuweilen zieht ſie ſich ſo zuſammen, daß ſie ein kleines Thürmchen bildet, auf deſſen Spitze das
drohende Köpfchen ſteht; aber ſie bleibt auch im breiten Teller liegen. Alle ihre Muskeln ſind in

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[293/0319] Kreuzotter. Fuß weit reicht, vorſchnellen zu können. Das Einziehen des Halſes iſt immer ein Zeichen der Abſicht, zu beißen; ſie beißt auch faſt nie, ohne ſich erſt auf dieſe Weiſe vorbereitet zu haben und zieht nach geſchehenem Biſſe ebenſo ſchnell den Hals wieder ein, wenn ſie ſich nicht zu tief verbiſſen hat, daß ihr Dies unmöglich wird. Selbſt wenn man ihr einen Gegenſtand von der Größe einer Maus vorhält, beißt ſie oft fehl, zielt alſo ſchlecht. Wenn ſie wüthend wird und beißen will, zieht ſie nicht nur erſt den Hals ein, ſondern ſtößt auch, falls ſie Bedenkzeit hat und ihr der Gegenſtand nicht plötzlich nahe kommt, die Zunge oft und ſchnell, etwa ſoweit als ihr Kopf lang iſt, vor, und dabei glühen ihre Augen; aber während ſie beißt, iſt ihre Zunge eingezogen; auch berührt ſie mit dieſer vor dem Biſſe den Feind nur ſelten. Wird ſie plötzlich vom Feinde überraſcht und beißt ſie dann augen- blicklich zu, ſo ziſcht ſie ſelten vorher; jemehr Bedenkzeit ſie aber hat, je höher ihr Jngrimm ſich ſteigert, jemehr und je heftiger dagegen. Das Ziſchen oder Fauchen geſchicht in der Regel bei geſchloſſenem Munde und wird hervorgebracht, indem ſie heftiger als gewöhnlich aus- und einathmet; es beſteht aus zwei verſchiedenen, jedoch ſich ähnelnden Tönen, die ungefähr in demſelben Zeitraume abwechſeln, in welchem ein Menſch aus- und einathmet. Beim Ausſtoßen der Luft iſt der Ton ſtark und tief, beim Einziehen derſelben ſchwächer und höher. Jch hielt einer anhaltend und heftig ziſchenden Otter eine am Rande eines Stäbchens befeſtigte Flaumfeder vor die Naſe, an der ich das Aus- und Einziehen der Luft deutlich wahrnahm, fand jedoch, daß die Bewegung der Luft dabei nur äußerſt gering iſt. Ueberhaupt bläſt ſich die Kreuzotter, ſobald ſie böſe iſt, ſtark auf, ſodaß dann ſelbſt abgemagerte voll und fett ausſehen. Jn noch höherem Grade geſchieht Dies, wenn man ſie in das Waſſer wirft; dann aber aus dem Grunde, um ſich durch die eingezogene Luft leichter zu machen.... Sie iſt immer auf ihrer Hut und zur Vertheidigung und zum Angriffe gleich bereit. Daher findet man ſie faſt nie, ſelbſt wenn ſie noch ſo ungeſtört iſt, ohne daß ſie das Köpfchen ſchief emporreckt. Obgleich (bei Tage) mit ziemlicher Blindheit geſchlagen, weiß ſie doch ſehr wohl einen Unterſchied zwiſchen den ſich ihr nahenden Gegenſtänden zu machen, und man beobachtet ſehr leicht, daß ſie am Liebſten nach warmblütigen Thieren und unter dieſen wieder am Liebſten nach Mäuſen beißt. Auch ſieht man, wenn man ſie in ein recht helles Glas ſetzt und ſie von außen berührt, daß ſie weit lieber nach der bloßen Hand fährt, wenn man ſie von außen daran bringt, als wenn man z. B. das Glas mit dem Aermel, einem Stäbchen u. ſ. w. berührt. „Jn der Geſangenſchaft verträgt ſie ſich in einer geräumigen Kiſte mit allen kleinen Thieren, außer mit Mäuſen, ſehr gut; ja, ich habe öfters geſehen, daß ſich Eidechſen, Fröſche und Vögelchen, wenn ſie einmal eingewohnt waren, ruhig auf ihr ſitzend ſonnten, auch in der Freiheit Ottern ange- troffen, auf denen Eidechſen ſich gemächlich gelagert haben. Einmal habe ich einen recht artigen Auftritt erlebt. Es ſchien nämlich in der Schlangenkiſte die Sonne nur auf ein ganz kleines Fleckchen, und dieſes war von den Ottern ſogleich in Beſchlag genommen worden. Da kam eine Eidechſe herbei, ſuchte vergeblich nach einem Plätzchen und biß nun, weil ſie keines fand, eine Otter ganz behutſam in die Seite, um ſie zum Weichen zu bringen, woran ſich jene aber gar nicht kehrte. Die Eidechſe lagerte ſich endlich neben den Ottern und außerhalb der Sonne. Andere Schlangen und Blindſchleichen lagern ſich ebenfalls gern neben, auf und unter die Otter, als wenn ſie Jhresgleichen wäre. Wenn ihr Käfer über den Leib laufen, achtet ſie es nicht; marſchiren ſie aber auf ihrem Kopfe, ſo ſchüttelt ſie nur, jedoch ohne zu zürnen. „Es iſt ein allgemeiner Glaube, daß die Otter ſpringt und in der Wuth ſogar auf weite Strecken verfolgt. Weder ich, noch mein Schlangenfänger haben je dergleichen geſehen; auch hat mir nie ein Menſch, der die Ottern genau kennt, etwas Aehnliches erzählt. Jch habe mir ſehr oft nicht nur in der Stube, ſondern auch im Freien viele Mühe gegeben, ſie zum Springen zu reizen, aber immer vergeblich. Jndeſſen gewährt es doch viel Vergnügen, wenn man eine in aller Ruhe auf dem Boden, den ſie zu beherrſchen wähnt, ruhende Otter überraſcht und ſie nun mit einem Rüthchen neckt. Zuweilen zieht ſie ſich ſo zuſammen, daß ſie ein kleines Thürmchen bildet, auf deſſen Spitze das drohende Köpfchen ſteht; aber ſie bleibt auch im breiten Teller liegen. Alle ihre Muskeln ſind in

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/319>, abgerufen am 19.07.2024.