als durch die Rücksichten der Berussgenossenschaft bestimmt, uns, also mir, dem europäischen Schlangenbeschwörer und dessen Freunde, dem berühmten Arzte, eine große Haie mit Gistzähnen zu bringen. Schon am anderen Tage erschien er mit dem bekannten Ledersacke auf der Schulter wieder in unserem Zimmer, legte den Sack auf den Voden, öffnete ihn ohne alle Possen mit äußerster Vor- sicht, hielt seinen Stock bereit und wartete auf das Erscheinen der Schlange. Hervor kam das zierliche Köpschen: aber ehe noch soviel vom Leibe zu Tag gefördert worden war, daß die Haie zur "Ara" werden konnte, hatte er sie vermittels des Stockes zu Boden gedrückt, mit der Rechten im Nacken gepackt, mit der Linken die Leibesmitte sammt des sie umhüllenden Ledersackes gefaßt und -- entgegen starrten uns bei der Oeffnung des Maules unversehrt beide Gifthaken. "So, mein Bruder", sagte er, "mein Wort ist das der Wahrheit, meine Rede ohne Trug. Jch habe sie gefangen, die Gefährliche, ohne sie zu verletzen. Gott, der Erhabene, ist groß und Mahammed sein Profet."
Eine Minute später schwamm die Haie in einer mit Weingeist gefüllten, sehr großen, bauchigen Flasche und mühete sich vergebens, den Kork derselben auszustoßen. Minutenlang schien der Wein- geist auf sie nicht den geringsten Einfluß zu äußern; nach Verlauf einer Viertelstunde aber wurden ihre Bewegungen matter, und wiederum eine Viertelstunde später lag sie, bewegungslos zusammen- geringelt, am Boden des Gefäßes. --
Ungeachtet aller Vorsicht, welche der Haui beim Fang und bei der Behandlung seiner Schlangen anwendet, geschieht es doch zuweilen, daß er einen Biß bekommt und an den Folgen desselben verendet. Ein Gegenmittel wendet er, soviel mir bekannt, nicht an. Jm Kaplande hingegen sind Mittel, denen man Heilkräfte zuschreibt, allgemein im Gebrauch. Die Engländer bedienen sich des Luzienwassers, des Salmiakgeistes etc.; die holländischen Bauern schlitzen, laut Anderson, einer lebenden Henne die Brust auf und legen sie auf die durch den Schlangenbiß entstandene Wunde. Jhre Ansicht ist nun, daß sich an der Henne sogleich Zeichen der Vergiftung bekunden, wenn das Schlangengift tödtlich ist, d. h. sie matt wird, den Kopf senkt und stirbt. Nach der ersten nimmt man eine zweite, dritte und vierte Henne, wenn Dies nöthig scheinen sollte, bis man an einer keine Anzeichen der Vergiftung mehr bemerkt. Nunmehr, so glaubt man, ist der Gebissene außer aller Gefahr. Ein Frosch, welchen man auf die nämliche Weise anwendet, thut übrigens denselben Dienst, also wohl gar keinen. Eine Art weißer Bohne, welche in mehreren Theilen der Ansiedelung wächst und "Herrenbohne" genannt wird, gilt ebenfalls als Mittel gegen Biß von Schlangen und anderen giftigen Thieren. Sie wird zerschnitten, auf die Wunde gelegt und setzt sich hier so sest, daß sie nur mit Gewalt wieder entfernt werden kann, fällt aber ab, nachdem sie das Gift herausgezogen hat. Früher galt Schildkrötenblut als ein äußerst wirksames Gegenmittel, wurde deshalb von den Eingeborenen auf ihren Reisen beständig mit geführt und betreffendenfalls eingenommen, auch gleichzeitig auf die wunde Stelle gelegt. Was man von solchen Mitteln zu halten hat, bedarf keiner Erwähnung.
Die Aspis kommt oft lebend nach Europa, gewöhnlich aber auch nur mit ausgerissenen Gift- zähnen, und geht dann oft zu Grunde, obgleich sie sich leichter als andere Giftschlangen in die Gefangenschaft fügt, bald zum Fressen bequemt und nach und nach wirklich mit ihrem Geschick aus- söhnt. Anfangs freilich wird sie, wenn sich der Pfleger ihrem Behältnisse nähert, regelmäßig zur "Ara" und bleibt nöthigenfalls stundenlang in ihrer aufgerichteten Stellung; später jedoch mindert sich ihre Reizbarkeit, obschon sie mit ihrem Pfleger wohl niemals in ein freundschaftliches Verhältniß tritt. Aspiden, welche Effeldt gefangen hielt, gingen, trotzdem sie keine Gifthaken hatten, bald ans Fressen, nahmen zuerst lebende, später todte Mäuse und Vögel, bevorzugten die Säugethiere den Vögeln und verschmäheten Kriechthiere und Lurche, griffen diese mindestens nicht an und bewiesen insofern Abschen vor ihnen, als sie sich zurückzogen, wenn jene sich um sie her bewegten. Wasser schien zu ihrem Wohlbefinden unumgänglich nöthig zu sein: sie badeten sehr regelmäßig und verweilten mit ersichtlichem Behagen stundenlang in ihrem Badebecken. Etwa nach Jahresfrist waren ihre Gifthaken wiederum ausgebildet und sie nunmehr nur mit äußerster Vorsicht zu behandeln,
Aſpis oder egyptiſche Brillenſchlange.
als durch die Rückſichten der Beruſsgenoſſenſchaft beſtimmt, uns, alſo mir, dem europäiſchen Schlangenbeſchwörer und deſſen Freunde, dem berühmten Arzte, eine große Haie mit Giſtzähnen zu bringen. Schon am anderen Tage erſchien er mit dem bekannten Lederſacke auf der Schulter wieder in unſerem Zimmer, legte den Sack auf den Voden, öffnete ihn ohne alle Poſſen mit äußerſter Vor- ſicht, hielt ſeinen Stock bereit und wartete auf das Erſcheinen der Schlange. Hervor kam das zierliche Köpſchen: aber ehe noch ſoviel vom Leibe zu Tag gefördert worden war, daß die Haie zur „Ara“ werden konnte, hatte er ſie vermittels des Stockes zu Boden gedrückt, mit der Rechten im Nacken gepackt, mit der Linken die Leibesmitte ſammt des ſie umhüllenden Lederſackes gefaßt und — entgegen ſtarrten uns bei der Oeffnung des Maules unverſehrt beide Gifthaken. „So, mein Bruder“, ſagte er, „mein Wort iſt das der Wahrheit, meine Rede ohne Trug. Jch habe ſie gefangen, die Gefährliche, ohne ſie zu verletzen. Gott, der Erhabene, iſt groß und Mahammed ſein Profet.“
Eine Minute ſpäter ſchwamm die Haie in einer mit Weingeiſt gefüllten, ſehr großen, bauchigen Flaſche und mühete ſich vergebens, den Kork derſelben auszuſtoßen. Minutenlang ſchien der Wein- geiſt auf ſie nicht den geringſten Einfluß zu äußern; nach Verlauf einer Viertelſtunde aber wurden ihre Bewegungen matter, und wiederum eine Viertelſtunde ſpäter lag ſie, bewegungslos zuſammen- geringelt, am Boden des Gefäßes. —
Ungeachtet aller Vorſicht, welche der Haui beim Fang und bei der Behandlung ſeiner Schlangen anwendet, geſchieht es doch zuweilen, daß er einen Biß bekommt und an den Folgen deſſelben verendet. Ein Gegenmittel wendet er, ſoviel mir bekannt, nicht an. Jm Kaplande hingegen ſind Mittel, denen man Heilkräfte zuſchreibt, allgemein im Gebrauch. Die Engländer bedienen ſich des Luzienwaſſers, des Salmiakgeiſtes ꝛc.; die holländiſchen Bauern ſchlitzen, laut Anderſon, einer lebenden Henne die Bruſt auf und legen ſie auf die durch den Schlangenbiß entſtandene Wunde. Jhre Anſicht iſt nun, daß ſich an der Henne ſogleich Zeichen der Vergiftung bekunden, wenn das Schlangengift tödtlich iſt, d. h. ſie matt wird, den Kopf ſenkt und ſtirbt. Nach der erſten nimmt man eine zweite, dritte und vierte Henne, wenn Dies nöthig ſcheinen ſollte, bis man an einer keine Anzeichen der Vergiftung mehr bemerkt. Nunmehr, ſo glaubt man, iſt der Gebiſſene außer aller Gefahr. Ein Froſch, welchen man auf die nämliche Weiſe anwendet, thut übrigens denſelben Dienſt, alſo wohl gar keinen. Eine Art weißer Bohne, welche in mehreren Theilen der Anſiedelung wächſt und „Herrenbohne“ genannt wird, gilt ebenfalls als Mittel gegen Biß von Schlangen und anderen giftigen Thieren. Sie wird zerſchnitten, auf die Wunde gelegt und ſetzt ſich hier ſo ſeſt, daß ſie nur mit Gewalt wieder entfernt werden kann, fällt aber ab, nachdem ſie das Gift herausgezogen hat. Früher galt Schildkrötenblut als ein äußerſt wirkſames Gegenmittel, wurde deshalb von den Eingeborenen auf ihren Reiſen beſtändig mit geführt und betreffendenfalls eingenommen, auch gleichzeitig auf die wunde Stelle gelegt. Was man von ſolchen Mitteln zu halten hat, bedarf keiner Erwähnung.
Die Aſpis kommt oft lebend nach Europa, gewöhnlich aber auch nur mit ausgeriſſenen Gift- zähnen, und geht dann oft zu Grunde, obgleich ſie ſich leichter als andere Giftſchlangen in die Gefangenſchaft fügt, bald zum Freſſen bequemt und nach und nach wirklich mit ihrem Geſchick aus- ſöhnt. Anfangs freilich wird ſie, wenn ſich der Pfleger ihrem Behältniſſe nähert, regelmäßig zur „Ara“ und bleibt nöthigenfalls ſtundenlang in ihrer aufgerichteten Stellung; ſpäter jedoch mindert ſich ihre Reizbarkeit, obſchon ſie mit ihrem Pfleger wohl niemals in ein freundſchaftliches Verhältniß tritt. Aſpiden, welche Effeldt gefangen hielt, gingen, trotzdem ſie keine Gifthaken hatten, bald ans Freſſen, nahmen zuerſt lebende, ſpäter todte Mäuſe und Vögel, bevorzugten die Säugethiere den Vögeln und verſchmäheten Kriechthiere und Lurche, griffen dieſe mindeſtens nicht an und bewieſen inſofern Abſchen vor ihnen, als ſie ſich zurückzogen, wenn jene ſich um ſie her bewegten. Waſſer ſchien zu ihrem Wohlbefinden unumgänglich nöthig zu ſein: ſie badeten ſehr regelmäßig und verweilten mit erſichtlichem Behagen ſtundenlang in ihrem Badebecken. Etwa nach Jahresfriſt waren ihre Gifthaken wiederum ausgebildet und ſie nunmehr nur mit äußerſter Vorſicht zu behandeln,
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[281/0305]
Aſpis oder egyptiſche Brillenſchlange.
als durch die Rückſichten der Beruſsgenoſſenſchaft beſtimmt, uns, alſo mir, dem europäiſchen
Schlangenbeſchwörer und deſſen Freunde, dem berühmten Arzte, eine große Haie mit Giſtzähnen zu
bringen. Schon am anderen Tage erſchien er mit dem bekannten Lederſacke auf der Schulter wieder
in unſerem Zimmer, legte den Sack auf den Voden, öffnete ihn ohne alle Poſſen mit äußerſter Vor-
ſicht, hielt ſeinen Stock bereit und wartete auf das Erſcheinen der Schlange. Hervor kam das zierliche
Köpſchen: aber ehe noch ſoviel vom Leibe zu Tag gefördert worden war, daß die Haie zur „Ara“
werden konnte, hatte er ſie vermittels des Stockes zu Boden gedrückt, mit der Rechten im Nacken
gepackt, mit der Linken die Leibesmitte ſammt des ſie umhüllenden Lederſackes gefaßt und — entgegen
ſtarrten uns bei der Oeffnung des Maules unverſehrt beide Gifthaken. „So, mein Bruder“, ſagte
er, „mein Wort iſt das der Wahrheit, meine Rede ohne Trug. Jch habe ſie gefangen, die Gefährliche,
ohne ſie zu verletzen. Gott, der Erhabene, iſt groß und Mahammed ſein Profet.“
Eine Minute ſpäter ſchwamm die Haie in einer mit Weingeiſt gefüllten, ſehr großen, bauchigen
Flaſche und mühete ſich vergebens, den Kork derſelben auszuſtoßen. Minutenlang ſchien der Wein-
geiſt auf ſie nicht den geringſten Einfluß zu äußern; nach Verlauf einer Viertelſtunde aber wurden
ihre Bewegungen matter, und wiederum eine Viertelſtunde ſpäter lag ſie, bewegungslos zuſammen-
geringelt, am Boden des Gefäßes. —
Ungeachtet aller Vorſicht, welche der Haui beim Fang und bei der Behandlung ſeiner Schlangen
anwendet, geſchieht es doch zuweilen, daß er einen Biß bekommt und an den Folgen deſſelben verendet.
Ein Gegenmittel wendet er, ſoviel mir bekannt, nicht an. Jm Kaplande hingegen ſind Mittel, denen
man Heilkräfte zuſchreibt, allgemein im Gebrauch. Die Engländer bedienen ſich des Luzienwaſſers,
des Salmiakgeiſtes ꝛc.; die holländiſchen Bauern ſchlitzen, laut Anderſon, einer lebenden Henne die
Bruſt auf und legen ſie auf die durch den Schlangenbiß entſtandene Wunde. Jhre Anſicht iſt nun,
daß ſich an der Henne ſogleich Zeichen der Vergiftung bekunden, wenn das Schlangengift tödtlich iſt,
d. h. ſie matt wird, den Kopf ſenkt und ſtirbt. Nach der erſten nimmt man eine zweite, dritte und
vierte Henne, wenn Dies nöthig ſcheinen ſollte, bis man an einer keine Anzeichen der Vergiftung
mehr bemerkt. Nunmehr, ſo glaubt man, iſt der Gebiſſene außer aller Gefahr. Ein Froſch, welchen
man auf die nämliche Weiſe anwendet, thut übrigens denſelben Dienſt, alſo wohl gar keinen. Eine
Art weißer Bohne, welche in mehreren Theilen der Anſiedelung wächſt und „Herrenbohne“ genannt
wird, gilt ebenfalls als Mittel gegen Biß von Schlangen und anderen giftigen Thieren. Sie wird
zerſchnitten, auf die Wunde gelegt und ſetzt ſich hier ſo ſeſt, daß ſie nur mit Gewalt wieder entfernt
werden kann, fällt aber ab, nachdem ſie das Gift herausgezogen hat. Früher galt Schildkrötenblut
als ein äußerſt wirkſames Gegenmittel, wurde deshalb von den Eingeborenen auf ihren Reiſen
beſtändig mit geführt und betreffendenfalls eingenommen, auch gleichzeitig auf die wunde Stelle
gelegt. Was man von ſolchen Mitteln zu halten hat, bedarf keiner Erwähnung.
Die Aſpis kommt oft lebend nach Europa, gewöhnlich aber auch nur mit ausgeriſſenen Gift-
zähnen, und geht dann oft zu Grunde, obgleich ſie ſich leichter als andere Giftſchlangen in die
Gefangenſchaft fügt, bald zum Freſſen bequemt und nach und nach wirklich mit ihrem Geſchick aus-
ſöhnt. Anfangs freilich wird ſie, wenn ſich der Pfleger ihrem Behältniſſe nähert, regelmäßig zur
„Ara“ und bleibt nöthigenfalls ſtundenlang in ihrer aufgerichteten Stellung; ſpäter jedoch mindert
ſich ihre Reizbarkeit, obſchon ſie mit ihrem Pfleger wohl niemals in ein freundſchaftliches Verhältniß
tritt. Aſpiden, welche Effeldt gefangen hielt, gingen, trotzdem ſie keine Gifthaken hatten, bald
ans Freſſen, nahmen zuerſt lebende, ſpäter todte Mäuſe und Vögel, bevorzugten die Säugethiere den
Vögeln und verſchmäheten Kriechthiere und Lurche, griffen dieſe mindeſtens nicht an und bewieſen
inſofern Abſchen vor ihnen, als ſie ſich zurückzogen, wenn jene ſich um ſie her bewegten. Waſſer
ſchien zu ihrem Wohlbefinden unumgänglich nöthig zu ſein: ſie badeten ſehr regelmäßig und
verweilten mit erſichtlichem Behagen ſtundenlang in ihrem Badebecken. Etwa nach Jahresfriſt
waren ihre Gifthaken wiederum ausgebildet und ſie nunmehr nur mit äußerſter Vorſicht zu behandeln,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/305>, abgerufen am 23.12.2024.
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