Mann und überzeugte mich, daß er keine Schlange bei sich hatte. Als wir an Ort und Stelle ange- kommen waren, spielte er auf einem kleinen Blaswerkzeuge und, nachdem er einige Zeit damit fort- gefahren hatte, erschien wirklich die große Brillenschlange vor dem Termitenhügel, welchen sie, wie ich wußte, bewohnte. Beim Anblicke des Mannes versuchte sie zu flüchten, dieser aber faßte sie beim Schwanze, schwang sie fortwährend im Kreise herum und trug sie in dieser Weise bis nach unserer Bungalau. Hier nun ließ er sie tanzen, wurde aber, noch ehe er sich ihr versichert hatte, oberhalb des Knies in das Bein gebissen."
Die letzteren Worte bestätigen wiederum den von Davy gegebenen Bericht; denn sie beweisen, daß es einer Abrichtung der Brillenschlange, um sie ihren sogenannten Tanz ausführen zu lassen, eigentlich gar nicht bedarf. Demungeachtet will ich den alten Kämpfer erzählen lassen, wie man verfährt, um die Lust zum Beißen zu vertreiben. "Ein Bramine beschäftigte sich neben Belehrung der Gläubigen auch damit, Schlangen abzurichten, um sie nach bestandener Lehrzeit zu verkaufen. Er hatte deren zweiundzwanzig in ebensovielen irdenen Gefäßen, welche groß genug waren, ihnen die nöthige Bewegung zu gestatten, und durch einen Deckel geschlossen werden konnten. Wenn die Witterung nicht zu heiß war, ließ er eine Schlange nach der anderen aus ihrem Gefängnisse und übte sie längere oder kürzere Zeit, je nach den Fortschritten, welche sie schon in ihrer Kunst gemacht hatten. Sobald die Schlange aus dem Gefäße gekrochen war und entrinnen wollte, drehte der Meister ihr den Kopf vermittels einiger Schläge eines Rüthchens nach sich zu und hielt ihr in dem Augenblicke, in welchem sie nach ihm beißen wollte, das Gefäß vor, mit ihm wie mit einem Schilde die Bisse auffangend. Bald sah sie ein, daß ihre Wuth Nichts ausrichtete und zog sich zurück. Eine Viertel- oder selbst eine halbe Stunde lang währte dieser Kampf zwischen Mensch und Schlange, und die ganze Zeit über folgte letztere beständig mit ausgebreitetem Schilde und zum Bisse freigelegten Gift- zähnen allen Bewegungen des ihr vorgehaltenen Gefäßes. So wurde sie allmählich daran gewöhnt, sich, sobald man ihr das Gefäß vorhielt, aufzurichten. Späterhin hielt der Meister ihr statt des letzteren die Hand vor; die Schlange aber wagte nicht vorzuschnellen, weil sie glaubte, daß sie eben wiederum in Thon beißen würde. Der Gaukler begleitet die Bewegungen mit seinem Gesange, um die Täuschung zu vermehren. Trotz aller Geschicklichkeit und Vorsicht hätte er jedoch verletzt werden können; deshalb ließ er die Schlange vorher in ein Stück Tuch beißen und ihres Giftes sich entledigen."
Jch will es unentschieden lassen, wieviel Wahrheit in dieser Mittheilung enthalten ist, darf jedoch nicht verschweigen, daß es mir scheint, als ob die Erzählung nur auf Hörensagen, nicht aber auf eigener Beobachtung beruhe. Es mag sein, und Davy's Bericht scheint dafür zu sprechen, daß die Schildvipern leichter als andere Giftschlangen bis zu einem gewissen Grade Lehre annehmen; für sehr zweifelhaft aber halte ich es, daß ihr kleines und schwaches Gehirn empfangene Eindrücke längere Zeit bewahren, mit anderen Worten, daß eine Abrichtung auf die Dauer von Nutzen sein könnte. Deshalb möchte ich auch die Glaubwürdigkeit eines Berichts des Major Skinner nicht vertreten. "Haben Sie", schreibt derselbe an Tennent, "jemals von zahmen Brillenschlangen gehört, welche man gefangen und aus Haus gewöhnt hat, denen man gestattet, aus- und einzugehen nach eigenem Belieben und in Gesellschaft mit den übrigen Bewohnern des Hauses? Ein wohlhabender Mann, welcher in der Gegend von Negombo wohnt und beständig bedeutende Geldsummen in seinem Hause hat, hält die Cobra an Stelle der Hunde als Beschützer seiner Schätze. Aber Das ist keineswegs ein vereinzelter Fall dieser Art. Jch hörte erst vor einigen Tagen von einem solchen, und zwar von einem unbedingt glaubwürdigen Manne. Die Schlangen treiben sich im ganzen Hause umher, ein Schrecken für die Diebe, versuchen aber niemals die rechtmäßigen Bewohner des Hauses zu verletzen." Darf man derartigen Mittheilungen Glauben schenken? Jch bezweifle es, trotzdem sie uralte Behauptungen zu bestätigen scheinen; ich mißtraue ihnen umsomehr, als mir der Ursprung derselben sehr erklärlich scheint. Ein wohlhabender und gebildeter Mann, welcher das rohe Volk richtig zu beurtheilen weiß, läßt ein derartiges Märchen aussprengen, um sich vor unerwünschten Besuchen zu sichern, hält vielleicht auch wirklich einige Brillenschlangen, welche gelegentlich gezeigt werden, um
Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
Mann und überzeugte mich, daß er keine Schlange bei ſich hatte. Als wir an Ort und Stelle ange- kommen waren, ſpielte er auf einem kleinen Blaswerkzeuge und, nachdem er einige Zeit damit fort- gefahren hatte, erſchien wirklich die große Brillenſchlange vor dem Termitenhügel, welchen ſie, wie ich wußte, bewohnte. Beim Anblicke des Mannes verſuchte ſie zu flüchten, dieſer aber faßte ſie beim Schwanze, ſchwang ſie fortwährend im Kreiſe herum und trug ſie in dieſer Weiſe bis nach unſerer Bungalau. Hier nun ließ er ſie tanzen, wurde aber, noch ehe er ſich ihr verſichert hatte, oberhalb des Knies in das Bein gebiſſen.“
Die letzteren Worte beſtätigen wiederum den von Davy gegebenen Bericht; denn ſie beweiſen, daß es einer Abrichtung der Brillenſchlange, um ſie ihren ſogenannten Tanz ausführen zu laſſen, eigentlich gar nicht bedarf. Demungeachtet will ich den alten Kämpfer erzählen laſſen, wie man verfährt, um die Luſt zum Beißen zu vertreiben. „Ein Bramine beſchäftigte ſich neben Belehrung der Gläubigen auch damit, Schlangen abzurichten, um ſie nach beſtandener Lehrzeit zu verkaufen. Er hatte deren zweiundzwanzig in ebenſovielen irdenen Gefäßen, welche groß genug waren, ihnen die nöthige Bewegung zu geſtatten, und durch einen Deckel geſchloſſen werden konnten. Wenn die Witterung nicht zu heiß war, ließ er eine Schlange nach der anderen aus ihrem Gefängniſſe und übte ſie längere oder kürzere Zeit, je nach den Fortſchritten, welche ſie ſchon in ihrer Kunſt gemacht hatten. Sobald die Schlange aus dem Gefäße gekrochen war und entrinnen wollte, drehte der Meiſter ihr den Kopf vermittels einiger Schläge eines Rüthchens nach ſich zu und hielt ihr in dem Augenblicke, in welchem ſie nach ihm beißen wollte, das Gefäß vor, mit ihm wie mit einem Schilde die Biſſe auffangend. Bald ſah ſie ein, daß ihre Wuth Nichts ausrichtete und zog ſich zurück. Eine Viertel- oder ſelbſt eine halbe Stunde lang währte dieſer Kampf zwiſchen Menſch und Schlange, und die ganze Zeit über folgte letztere beſtändig mit ausgebreitetem Schilde und zum Biſſe freigelegten Gift- zähnen allen Bewegungen des ihr vorgehaltenen Gefäßes. So wurde ſie allmählich daran gewöhnt, ſich, ſobald man ihr das Gefäß vorhielt, aufzurichten. Späterhin hielt der Meiſter ihr ſtatt des letzteren die Hand vor; die Schlange aber wagte nicht vorzuſchnellen, weil ſie glaubte, daß ſie eben wiederum in Thon beißen würde. Der Gaukler begleitet die Bewegungen mit ſeinem Geſange, um die Täuſchung zu vermehren. Trotz aller Geſchicklichkeit und Vorſicht hätte er jedoch verletzt werden können; deshalb ließ er die Schlange vorher in ein Stück Tuch beißen und ihres Giftes ſich entledigen.“
Jch will es unentſchieden laſſen, wieviel Wahrheit in dieſer Mittheilung enthalten iſt, darf jedoch nicht verſchweigen, daß es mir ſcheint, als ob die Erzählung nur auf Hörenſagen, nicht aber auf eigener Beobachtung beruhe. Es mag ſein, und Davy’s Bericht ſcheint dafür zu ſprechen, daß die Schildvipern leichter als andere Giftſchlangen bis zu einem gewiſſen Grade Lehre annehmen; für ſehr zweifelhaft aber halte ich es, daß ihr kleines und ſchwaches Gehirn empfangene Eindrücke längere Zeit bewahren, mit anderen Worten, daß eine Abrichtung auf die Dauer von Nutzen ſein könnte. Deshalb möchte ich auch die Glaubwürdigkeit eines Berichts des Major Skinner nicht vertreten. „Haben Sie“, ſchreibt derſelbe an Tennent, „jemals von zahmen Brillenſchlangen gehört, welche man gefangen und aus Haus gewöhnt hat, denen man geſtattet, aus- und einzugehen nach eigenem Belieben und in Geſellſchaft mit den übrigen Bewohnern des Hauſes? Ein wohlhabender Mann, welcher in der Gegend von Negombo wohnt und beſtändig bedeutende Geldſummen in ſeinem Hauſe hat, hält die Cobra an Stelle der Hunde als Beſchützer ſeiner Schätze. Aber Das iſt keineswegs ein vereinzelter Fall dieſer Art. Jch hörte erſt vor einigen Tagen von einem ſolchen, und zwar von einem unbedingt glaubwürdigen Manne. Die Schlangen treiben ſich im ganzen Hauſe umher, ein Schrecken für die Diebe, verſuchen aber niemals die rechtmäßigen Bewohner des Hauſes zu verletzen.“ Darf man derartigen Mittheilungen Glauben ſchenken? Jch bezweifle es, trotzdem ſie uralte Behauptungen zu beſtätigen ſcheinen; ich mißtraue ihnen umſomehr, als mir der Urſprung derſelben ſehr erklärlich ſcheint. Ein wohlhabender und gebildeter Mann, welcher das rohe Volk richtig zu beurtheilen weiß, läßt ein derartiges Märchen ausſprengen, um ſich vor unerwünſchten Beſuchen zu ſichern, hält vielleicht auch wirklich einige Brillenſchlangen, welche gelegentlich gezeigt werden, um
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0292"n="270"/><fwplace="top"type="header">Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.</fw><lb/>
Mann und überzeugte mich, daß er keine Schlange bei ſich hatte. Als wir an Ort und Stelle ange-<lb/>
kommen waren, ſpielte er auf einem kleinen Blaswerkzeuge und, nachdem er einige Zeit damit fort-<lb/>
gefahren hatte, erſchien wirklich die große Brillenſchlange vor dem Termitenhügel, welchen ſie, wie ich<lb/>
wußte, bewohnte. Beim Anblicke des Mannes verſuchte ſie zu flüchten, dieſer aber faßte ſie beim<lb/>
Schwanze, ſchwang ſie fortwährend im Kreiſe herum und trug ſie in dieſer Weiſe bis nach unſerer<lb/>
Bungalau. Hier nun ließ er ſie tanzen, wurde aber, noch ehe er ſich ihr verſichert hatte, oberhalb<lb/>
des Knies in das Bein gebiſſen.“</p><lb/><p>Die letzteren Worte beſtätigen wiederum den von <hirendition="#g">Davy</hi> gegebenen Bericht; denn ſie beweiſen,<lb/>
daß es einer Abrichtung der Brillenſchlange, um ſie ihren ſogenannten Tanz ausführen zu laſſen,<lb/>
eigentlich gar nicht bedarf. Demungeachtet will ich den alten <hirendition="#g">Kämpfer</hi> erzählen laſſen, wie man<lb/>
verfährt, um die Luſt zum Beißen zu vertreiben. „Ein Bramine beſchäftigte ſich neben Belehrung<lb/>
der Gläubigen auch damit, Schlangen abzurichten, um ſie nach beſtandener Lehrzeit zu verkaufen.<lb/>
Er hatte deren zweiundzwanzig in ebenſovielen irdenen Gefäßen, welche groß genug waren, ihnen die<lb/>
nöthige Bewegung zu geſtatten, und durch einen Deckel geſchloſſen werden konnten. Wenn die<lb/>
Witterung nicht zu heiß war, ließ er eine Schlange nach der anderen aus ihrem Gefängniſſe und<lb/>
übte ſie längere oder kürzere Zeit, je nach den Fortſchritten, welche ſie ſchon in ihrer Kunſt gemacht<lb/>
hatten. Sobald die Schlange aus dem Gefäße gekrochen war und entrinnen wollte, drehte der<lb/>
Meiſter ihr den Kopf vermittels einiger Schläge eines Rüthchens nach ſich zu und hielt ihr in dem<lb/>
Augenblicke, in welchem ſie nach ihm beißen wollte, das Gefäß vor, mit ihm wie mit einem Schilde<lb/>
die Biſſe auffangend. Bald ſah ſie ein, daß ihre Wuth Nichts ausrichtete und zog ſich zurück. Eine<lb/>
Viertel- oder ſelbſt eine halbe Stunde lang währte dieſer Kampf zwiſchen Menſch und Schlange, und die<lb/>
ganze Zeit über folgte letztere beſtändig mit ausgebreitetem Schilde und zum Biſſe freigelegten Gift-<lb/>
zähnen allen Bewegungen des ihr vorgehaltenen Gefäßes. So wurde ſie allmählich daran gewöhnt,<lb/>ſich, ſobald man ihr das Gefäß vorhielt, aufzurichten. Späterhin hielt der Meiſter ihr ſtatt des<lb/>
letzteren die Hand vor; die Schlange aber wagte nicht vorzuſchnellen, weil ſie glaubte, daß ſie eben<lb/>
wiederum in Thon beißen würde. Der Gaukler begleitet die Bewegungen mit ſeinem Geſange, um<lb/>
die Täuſchung zu vermehren. Trotz aller Geſchicklichkeit und Vorſicht hätte er jedoch verletzt werden<lb/>
können; deshalb ließ er die Schlange vorher in ein Stück Tuch beißen und ihres Giftes ſich entledigen.“</p><lb/><p>Jch will es unentſchieden laſſen, wieviel Wahrheit in dieſer Mittheilung enthalten iſt, darf jedoch<lb/>
nicht verſchweigen, daß es mir ſcheint, als ob die Erzählung nur auf Hörenſagen, nicht aber auf<lb/>
eigener Beobachtung beruhe. Es mag ſein, und <hirendition="#g">Davy’s</hi> Bericht ſcheint dafür zu ſprechen, daß die<lb/>
Schildvipern leichter als andere Giftſchlangen bis zu einem gewiſſen Grade Lehre annehmen; für ſehr<lb/>
zweifelhaft aber halte ich es, daß ihr kleines und ſchwaches Gehirn empfangene Eindrücke längere Zeit<lb/>
bewahren, mit anderen Worten, daß eine Abrichtung auf die Dauer von Nutzen ſein könnte. Deshalb<lb/>
möchte ich auch die Glaubwürdigkeit eines Berichts des Major <hirendition="#g">Skinner</hi> nicht vertreten. „Haben<lb/>
Sie“, ſchreibt derſelbe an <hirendition="#g">Tennent</hi>, „jemals von zahmen Brillenſchlangen gehört, welche man<lb/>
gefangen und aus Haus gewöhnt hat, denen man geſtattet, aus- und einzugehen nach eigenem<lb/>
Belieben und in Geſellſchaft mit den übrigen Bewohnern des Hauſes? Ein wohlhabender Mann,<lb/>
welcher in der Gegend von Negombo wohnt und beſtändig bedeutende Geldſummen in ſeinem Hauſe<lb/>
hat, hält die Cobra an Stelle der Hunde als Beſchützer ſeiner Schätze. Aber Das iſt keineswegs<lb/>
ein vereinzelter Fall dieſer Art. Jch hörte erſt vor einigen Tagen von einem ſolchen, und zwar von<lb/>
einem unbedingt glaubwürdigen Manne. Die Schlangen treiben ſich im ganzen Hauſe umher, ein<lb/>
Schrecken für die Diebe, verſuchen aber niemals die rechtmäßigen Bewohner des Hauſes zu verletzen.“<lb/>
Darf man derartigen Mittheilungen Glauben ſchenken? Jch bezweifle es, trotzdem ſie uralte<lb/>
Behauptungen zu beſtätigen ſcheinen; ich mißtraue ihnen umſomehr, als mir der Urſprung derſelben<lb/>ſehr erklärlich ſcheint. Ein wohlhabender und gebildeter Mann, welcher das rohe Volk richtig zu<lb/>
beurtheilen weiß, läßt ein derartiges Märchen ausſprengen, um ſich vor unerwünſchten Beſuchen<lb/>
zu ſichern, hält vielleicht auch wirklich einige Brillenſchlangen, welche gelegentlich gezeigt werden, um<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[270/0292]
Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
Mann und überzeugte mich, daß er keine Schlange bei ſich hatte. Als wir an Ort und Stelle ange-
kommen waren, ſpielte er auf einem kleinen Blaswerkzeuge und, nachdem er einige Zeit damit fort-
gefahren hatte, erſchien wirklich die große Brillenſchlange vor dem Termitenhügel, welchen ſie, wie ich
wußte, bewohnte. Beim Anblicke des Mannes verſuchte ſie zu flüchten, dieſer aber faßte ſie beim
Schwanze, ſchwang ſie fortwährend im Kreiſe herum und trug ſie in dieſer Weiſe bis nach unſerer
Bungalau. Hier nun ließ er ſie tanzen, wurde aber, noch ehe er ſich ihr verſichert hatte, oberhalb
des Knies in das Bein gebiſſen.“
Die letzteren Worte beſtätigen wiederum den von Davy gegebenen Bericht; denn ſie beweiſen,
daß es einer Abrichtung der Brillenſchlange, um ſie ihren ſogenannten Tanz ausführen zu laſſen,
eigentlich gar nicht bedarf. Demungeachtet will ich den alten Kämpfer erzählen laſſen, wie man
verfährt, um die Luſt zum Beißen zu vertreiben. „Ein Bramine beſchäftigte ſich neben Belehrung
der Gläubigen auch damit, Schlangen abzurichten, um ſie nach beſtandener Lehrzeit zu verkaufen.
Er hatte deren zweiundzwanzig in ebenſovielen irdenen Gefäßen, welche groß genug waren, ihnen die
nöthige Bewegung zu geſtatten, und durch einen Deckel geſchloſſen werden konnten. Wenn die
Witterung nicht zu heiß war, ließ er eine Schlange nach der anderen aus ihrem Gefängniſſe und
übte ſie längere oder kürzere Zeit, je nach den Fortſchritten, welche ſie ſchon in ihrer Kunſt gemacht
hatten. Sobald die Schlange aus dem Gefäße gekrochen war und entrinnen wollte, drehte der
Meiſter ihr den Kopf vermittels einiger Schläge eines Rüthchens nach ſich zu und hielt ihr in dem
Augenblicke, in welchem ſie nach ihm beißen wollte, das Gefäß vor, mit ihm wie mit einem Schilde
die Biſſe auffangend. Bald ſah ſie ein, daß ihre Wuth Nichts ausrichtete und zog ſich zurück. Eine
Viertel- oder ſelbſt eine halbe Stunde lang währte dieſer Kampf zwiſchen Menſch und Schlange, und die
ganze Zeit über folgte letztere beſtändig mit ausgebreitetem Schilde und zum Biſſe freigelegten Gift-
zähnen allen Bewegungen des ihr vorgehaltenen Gefäßes. So wurde ſie allmählich daran gewöhnt,
ſich, ſobald man ihr das Gefäß vorhielt, aufzurichten. Späterhin hielt der Meiſter ihr ſtatt des
letzteren die Hand vor; die Schlange aber wagte nicht vorzuſchnellen, weil ſie glaubte, daß ſie eben
wiederum in Thon beißen würde. Der Gaukler begleitet die Bewegungen mit ſeinem Geſange, um
die Täuſchung zu vermehren. Trotz aller Geſchicklichkeit und Vorſicht hätte er jedoch verletzt werden
können; deshalb ließ er die Schlange vorher in ein Stück Tuch beißen und ihres Giftes ſich entledigen.“
Jch will es unentſchieden laſſen, wieviel Wahrheit in dieſer Mittheilung enthalten iſt, darf jedoch
nicht verſchweigen, daß es mir ſcheint, als ob die Erzählung nur auf Hörenſagen, nicht aber auf
eigener Beobachtung beruhe. Es mag ſein, und Davy’s Bericht ſcheint dafür zu ſprechen, daß die
Schildvipern leichter als andere Giftſchlangen bis zu einem gewiſſen Grade Lehre annehmen; für ſehr
zweifelhaft aber halte ich es, daß ihr kleines und ſchwaches Gehirn empfangene Eindrücke längere Zeit
bewahren, mit anderen Worten, daß eine Abrichtung auf die Dauer von Nutzen ſein könnte. Deshalb
möchte ich auch die Glaubwürdigkeit eines Berichts des Major Skinner nicht vertreten. „Haben
Sie“, ſchreibt derſelbe an Tennent, „jemals von zahmen Brillenſchlangen gehört, welche man
gefangen und aus Haus gewöhnt hat, denen man geſtattet, aus- und einzugehen nach eigenem
Belieben und in Geſellſchaft mit den übrigen Bewohnern des Hauſes? Ein wohlhabender Mann,
welcher in der Gegend von Negombo wohnt und beſtändig bedeutende Geldſummen in ſeinem Hauſe
hat, hält die Cobra an Stelle der Hunde als Beſchützer ſeiner Schätze. Aber Das iſt keineswegs
ein vereinzelter Fall dieſer Art. Jch hörte erſt vor einigen Tagen von einem ſolchen, und zwar von
einem unbedingt glaubwürdigen Manne. Die Schlangen treiben ſich im ganzen Hauſe umher, ein
Schrecken für die Diebe, verſuchen aber niemals die rechtmäßigen Bewohner des Hauſes zu verletzen.“
Darf man derartigen Mittheilungen Glauben ſchenken? Jch bezweifle es, trotzdem ſie uralte
Behauptungen zu beſtätigen ſcheinen; ich mißtraue ihnen umſomehr, als mir der Urſprung derſelben
ſehr erklärlich ſcheint. Ein wohlhabender und gebildeter Mann, welcher das rohe Volk richtig zu
beurtheilen weiß, läßt ein derartiges Märchen ausſprengen, um ſich vor unerwünſchten Beſuchen
zu ſichern, hält vielleicht auch wirklich einige Brillenſchlangen, welche gelegentlich gezeigt werden, um
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/292>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.