Erste Reihe und Ordnung. Schildkröten(Testudinata).
"Die Schiltkrotten", sagt der alte Geßner, "sind gantz wunderbare, auch scheutzliche thier anzüschouwen, ligend in einem harten geheüß, so hardt verschlossen, daß sich an jrem leyb gantz nichts erzeigt dann der kopff, vnnd ausserste füß oder bein, doch also daß sy auch die selbigen in das harte vnnd dicke schalen oder hauß ziehen vnnd verbergen mögend, welches so dick ist, daß auch ein geladner wagen, so er daräber fart, die selbigen nit zerbrächen mag, jr kopff vnnd füß so sy härauß streckend sind gantz schüppächt wie ein Schlangen oder Nateren vnnd jrer dreyerley geschlächt. Etliche wonend allein im erdterich, etliche in süssen wasseren, etliche in dem weyten Meer."
Unser Forscher rechnet, wie die Alten überhaupt, die Schildkröten noch zu den vierfüßigen Thieren, "so blüt habend, vnnd sich durch die eyer merend": die heutigen Thierkundigen eröffnen mit ihnen die Klasse der Kriechthiere oder die der Lurche, weil sie der Ansicht sind, daß sie hinsichtlich der Bildung des Brustbeines und der Kiefernbewassnung eine gewisse Aehnlichkeit mit den Vögeln haben. Abgesehen von diesem hinkenden Vergleiche dürfte sich kein Grund weiter finden lassen, die leiblich und geistig wenig begabten, schwerfälligen, stumpfsinnigen und dummen Geschöpfe anderen Kriech- thieren voranzustellen.
Der Bau der Schildkröten ist so eigenthümlich und weicht von dem der anderen Glieder ihrer Klasse so wesentlich ab, daß sie nicht verkannt werden können. Jhr in einem Panzer steckender Leib, der plumpe Kopf, dessen Kiefer, wie der Vogelschnabel, mit Hornschneiden bedeckt sind, und die kurzen, gleichsam stummelhaften Füße sind Merkmale, welche sich mit denen anderer Thiere nicht vergleichen lassen. Der Panzer besteht aus zwei Theilen, dem Ober- oder Rücken- und dem Unter- oder Brust- panzer. Ersterer ist mehr oder weniger gewölbt, länglich oder rundlich, der letztere schildartig, eirund oder abgerundet kreuzförmig, da seine Verbindungsstelle mit dem Rückenpanzer sich ver- schmälern kann. Die Verbindung selbst wird hergestellt durch Knorpelmasse, welche entweder während des ganzen Lebens weich bleibt oder verknöchert und dann Aehnlichkeit mit einer Naht gewinnt. So bilden beide Panzer zusammen eine Kapsel, welche nur vorn und hinten zum Durchlassen des Kopfes, der Füße und des Schwanzes geöffnet ist und also den Rumpf mehr oder weniger vollständig in sich einschließt. Der Kopf ist gewöhnlich eiförmig, hinten quer abgestutzt, an den Kiefern bald mehr, bald weniger vorgezogen, der Hals sehr verschieden lang, immer aber verhältnißmäßig sehr beweglich; die vier Füße sind stets kurz und gewissermaßen verkümmert, je nach den verschiedenen Zünften aber wesentlich verändert; der Schwanz ist meist nur kurz, rundlich und kegelförmig, mehr oder weniger zugespitzt. Der Panzer wird bedeckt mit Hornplatten oder Schildern, nur bei wenigen
Brehm, Thierleben. V. 2
Erſte Reihe und Ordnung. Schildkröten(Testudinata).
„Die Schiltkrotten“, ſagt der alte Geßner, „ſind gantz wunderbare, auch ſcheutzliche thier anzüſchouwen, ligend in einem harten geheüß, ſo hardt verſchloſſen, daß ſich an jrem leyb gantz nichts erzeigt dann der kopff, vnnd auſſerſte füß oder bein, doch alſo daß ſy auch die ſelbigen in das harte vnnd dicke ſchalen oder hauß ziehen vnnd verbergen mögend, welches ſo dick iſt, daß auch ein geladner wagen, ſo er daräber fart, die ſelbigen nit zerbrächen mag, jr kopff vnnd füß ſo ſy härauß ſtreckend ſind gantz ſchüppächt wie ein Schlangen oder Nateren vnnd jrer dreyerley geſchlächt. Etliche wonend allein im erdterich, etliche in ſüſſen waſſeren, etliche in dem weyten Meer.“
Unſer Forſcher rechnet, wie die Alten überhaupt, die Schildkröten noch zu den vierfüßigen Thieren, „ſo blüt habend, vnnd ſich durch die eyer merend“: die heutigen Thierkundigen eröffnen mit ihnen die Klaſſe der Kriechthiere oder die der Lurche, weil ſie der Anſicht ſind, daß ſie hinſichtlich der Bildung des Bruſtbeines und der Kiefernbewaſſnung eine gewiſſe Aehnlichkeit mit den Vögeln haben. Abgeſehen von dieſem hinkenden Vergleiche dürfte ſich kein Grund weiter finden laſſen, die leiblich und geiſtig wenig begabten, ſchwerfälligen, ſtumpfſinnigen und dummen Geſchöpfe anderen Kriech- thieren voranzuſtellen.
Der Bau der Schildkröten iſt ſo eigenthümlich und weicht von dem der anderen Glieder ihrer Klaſſe ſo weſentlich ab, daß ſie nicht verkannt werden können. Jhr in einem Panzer ſteckender Leib, der plumpe Kopf, deſſen Kiefer, wie der Vogelſchnabel, mit Hornſchneiden bedeckt ſind, und die kurzen, gleichſam ſtummelhaften Füße ſind Merkmale, welche ſich mit denen anderer Thiere nicht vergleichen laſſen. Der Panzer beſteht aus zwei Theilen, dem Ober- oder Rücken- und dem Unter- oder Bruſt- panzer. Erſterer iſt mehr oder weniger gewölbt, länglich oder rundlich, der letztere ſchildartig, eirund oder abgerundet kreuzförmig, da ſeine Verbindungsſtelle mit dem Rückenpanzer ſich ver- ſchmälern kann. Die Verbindung ſelbſt wird hergeſtellt durch Knorpelmaſſe, welche entweder während des ganzen Lebens weich bleibt oder verknöchert und dann Aehnlichkeit mit einer Naht gewinnt. So bilden beide Panzer zuſammen eine Kapſel, welche nur vorn und hinten zum Durchlaſſen des Kopfes, der Füße und des Schwanzes geöffnet iſt und alſo den Rumpf mehr oder weniger vollſtändig in ſich einſchließt. Der Kopf iſt gewöhnlich eiförmig, hinten quer abgeſtutzt, an den Kiefern bald mehr, bald weniger vorgezogen, der Hals ſehr verſchieden lang, immer aber verhältnißmäßig ſehr beweglich; die vier Füße ſind ſtets kurz und gewiſſermaßen verkümmert, je nach den verſchiedenen Zünften aber weſentlich verändert; der Schwanz iſt meiſt nur kurz, rundlich und kegelförmig, mehr oder weniger zugeſpitzt. Der Panzer wird bedeckt mit Hornplatten oder Schildern, nur bei wenigen
Brehm, Thierleben. V. 2
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Erſte Reihe und Ordnung.
Schildkröten (Testudinata).
„Die Schiltkrotten“, ſagt der alte Geßner, „ſind gantz wunderbare, auch ſcheutzliche thier
anzüſchouwen, ligend in einem harten geheüß, ſo hardt verſchloſſen, daß ſich an jrem leyb gantz nichts
erzeigt dann der kopff, vnnd auſſerſte füß oder bein, doch alſo daß ſy auch die ſelbigen in das harte
vnnd dicke ſchalen oder hauß ziehen vnnd verbergen mögend, welches ſo dick iſt, daß auch ein geladner
wagen, ſo er daräber fart, die ſelbigen nit zerbrächen mag, jr kopff vnnd füß ſo ſy härauß ſtreckend
ſind gantz ſchüppächt wie ein Schlangen oder Nateren vnnd jrer dreyerley geſchlächt. Etliche wonend
allein im erdterich, etliche in ſüſſen waſſeren, etliche in dem weyten Meer.“
Unſer Forſcher rechnet, wie die Alten überhaupt, die Schildkröten noch zu den vierfüßigen
Thieren, „ſo blüt habend, vnnd ſich durch die eyer merend“: die heutigen Thierkundigen eröffnen mit
ihnen die Klaſſe der Kriechthiere oder die der Lurche, weil ſie der Anſicht ſind, daß ſie hinſichtlich der
Bildung des Bruſtbeines und der Kiefernbewaſſnung eine gewiſſe Aehnlichkeit mit den Vögeln haben.
Abgeſehen von dieſem hinkenden Vergleiche dürfte ſich kein Grund weiter finden laſſen, die leiblich
und geiſtig wenig begabten, ſchwerfälligen, ſtumpfſinnigen und dummen Geſchöpfe anderen Kriech-
thieren voranzuſtellen.
Der Bau der Schildkröten iſt ſo eigenthümlich und weicht von dem der anderen Glieder ihrer
Klaſſe ſo weſentlich ab, daß ſie nicht verkannt werden können. Jhr in einem Panzer ſteckender Leib,
der plumpe Kopf, deſſen Kiefer, wie der Vogelſchnabel, mit Hornſchneiden bedeckt ſind, und die kurzen,
gleichſam ſtummelhaften Füße ſind Merkmale, welche ſich mit denen anderer Thiere nicht vergleichen
laſſen. Der Panzer beſteht aus zwei Theilen, dem Ober- oder Rücken- und dem Unter- oder Bruſt-
panzer. Erſterer iſt mehr oder weniger gewölbt, länglich oder rundlich, der letztere ſchildartig,
eirund oder abgerundet kreuzförmig, da ſeine Verbindungsſtelle mit dem Rückenpanzer ſich ver-
ſchmälern kann. Die Verbindung ſelbſt wird hergeſtellt durch Knorpelmaſſe, welche entweder während
des ganzen Lebens weich bleibt oder verknöchert und dann Aehnlichkeit mit einer Naht gewinnt. So
bilden beide Panzer zuſammen eine Kapſel, welche nur vorn und hinten zum Durchlaſſen des Kopfes,
der Füße und des Schwanzes geöffnet iſt und alſo den Rumpf mehr oder weniger vollſtändig in ſich
einſchließt. Der Kopf iſt gewöhnlich eiförmig, hinten quer abgeſtutzt, an den Kiefern bald mehr, bald
weniger vorgezogen, der Hals ſehr verſchieden lang, immer aber verhältnißmäßig ſehr beweglich;
die vier Füße ſind ſtets kurz und gewiſſermaßen verkümmert, je nach den verſchiedenen Zünften
aber weſentlich verändert; der Schwanz iſt meiſt nur kurz, rundlich und kegelförmig, mehr oder
weniger zugeſpitzt. Der Panzer wird bedeckt mit Hornplatten oder Schildern, nur bei wenigen
Brehm, Thierleben. V. 2
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. [17]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/29>, abgerufen am 19.11.2024.
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