wesentlichen angenommene Eintheilung nicht, sondern unterscheidet nur Familien, nicht aber Zünfte. Und man kann ihm nicht Unrecht geben; denn, nochmals sei es gesagt: es ist unmöglich, durch äußerliche Betrachtung jede Giftschlange unbedingt als solche zu erkennen. Dies gilt allerdings nicht für alle Arten, weil ja die nächtlich lebenden Vipern und Grubenottern sich auch äußerlich in einem gewissen Grade kenntlich machen: -- aber gerade die Kreuzotter, welche das geübte Forscherauge eines Dumeril täuschte, zählt zu letzteren.
Jn vielen Naturgeschichten werden Kennzeichen der Giftschlangen in wirklich leichtfertiger Weise aufgestellt. Wahr ist es, daß die nächtlich lebenden Arten gewöhnlich einen kurzen, in der Mitte stark verdickten, im Durchschnitte dreieckigen Leib, einen kurzen, dickkegelförmigen Schwanz, einen dünnen Hals und einen hinten sehr breiten, dreieckigen Kopf haben, wahr, daß sie sich in der Bildung ihrer Schuppen gewöhnlich von den giftlosen unterscheiden, vollkommen richtig, daß ihnen das große Nachtauge mit dem senkrecht geschlitzten Sterne, welches durch die vortretenden Brauenschilder geschützt zu sein pflegt, einen boshaften, tückischen Ausdruck verleiht: alle diese Merkmale aber gelten eben nur für sie, nicht jedoch auch für die giftigen Tagschlangen, nicht für die "Giftnattern", welche man den hervorragendsten Mitgliedern der Gruppe zu Liebe, eher Brillen- oder Schildschlangen nennen sollte, nicht für die Seeschlangen; denn die meisten Mitglieder dieser beiden Gruppen sehen so unschuldig und harmlos aus, wie irgend eine andere Schlange. Und eine zahlreiche Sippschaft der erstgenannten Familie, von deren Giftigkeit man sich jetzt doch überzeugen mußte, hat äußerlich soviel Bestechendes und scheint so gutmüthig zu sein, daß die bewährtesten Forscher für sie in die Schranken traten und alte Erzählungen, welche uns diese Schlangen als Spielzeug von Kindern und Frauen erscheinen lassen, unterstützen halfen. Nicht einmal die Untersuchung des Gebisses gibt in allen Fällen untrüglichen Aufschluß über die Giftigkeit oder Ungiftigkeit einer Schlange. Gerade die eben erwähnten, welche wir unter dem Namen Prunkottern kennen lernen werden, belegen diese Behauptung: der Prinz von Wied, dessen Gewissenhaftigkeit über jeden Zweifel erhaben steht, hebt ausdrücklich hervor, daß mehrere geübte Beobachter mit einem achtzehnmal vergrößernden Glase keine Durchbohrung ihres Giftzahnes wahrnehmen konnten.
Solche Bemerkungen glaube ich einer Schilderung der Giftschlangen vorausschicken, ja sie selbst auf die Gefahr hin, der Wiederholung geziehen zu werden, mehr als einmal aussprechen zu müssen, um dem Laien oder Anfänger, welcher sich mit Schlangen befassen will, soviel in meinen Kräften steht, vor leichtsinniger Behandlung dieser gefährlichen Geschöpfe eindringlichst zu warnen.
Gegenwärtig scheint es so ziemlich ausgemacht, daß nur diejenigen Arten giftig sind, welche vorn im Oberkieferknochen Furchen- oder Hohlzähne tragen. Von derartigen Schlangen hat man bis jetzt einhundert und funfzig Arten, etwas über ein Viertheil aller bestimmten, kennen gelernt. Jhr Oberkiefer ist, wie bereits bemerkt, verhältnißmäßig kurz, der aller nächtlich lebenden Arten bis auf ein kleines Knöchelchen verkümmert, bei diesen, wie bei jenen ungemein beweglich, da er sich nach hinten auf einen dünnen Stil, das Flügelbein, stützt und vermittels des letzteren, welches durch eigene Muskeln bewegt wird, vor- oder zurückgeschoben werden kann. Bei den Taggiftschlangen ist der Zahn inniger mit dem Oberkiefer befestigk als bei den nächtlich lebenden Giftschlangen; bei diesen wie bei jenen aber wird derselbe nicht durch Einwurzelung, sondern nur durch Bänder mit dem Kiefer zusammengehalten. Eigentlich beweglich ist er nicht; wenn er sich zurücklegt, so geschieht Dies nur, weil sich der Oberkiefer von vorn nach hinten zurückzieht. Letzterer hat auf der unteren Fläche jederseits zwei dicht neben einander stehende seichte Gruben, welche die Wurzeln der Zähne aufnehmen. Jn der Regel ist nur ein Zahn auf jeder Seite ausgebildet; da aber in jedem Kiefer stets mehrere (einer bis sechs) in der Entwickelung begriffene Ersatzzähne vorhanden sind, kann es geschehen, daß auch zwei von ihnen, in jeder Grube einer, sich ausgebildet haben und gleichzeitig in Wirksam- keit treten. Unter den Ersatzzähnen, welche lose auf dem Knochen stehen, ist der dem Giftzahne nächste auch stets der am meisten entwickelte. Jederseits vom Zahne bemerkt man eine häutige Wucherung des Zahnfleisches, sodaß also eine Scheide gebildet wird, welche die Giftzähne aufnimmt,
Die Schlangen. Giftſchlangen.
weſentlichen angenommene Eintheilung nicht, ſondern unterſcheidet nur Familien, nicht aber Zünfte. Und man kann ihm nicht Unrecht geben; denn, nochmals ſei es geſagt: es iſt unmöglich, durch äußerliche Betrachtung jede Giftſchlange unbedingt als ſolche zu erkennen. Dies gilt allerdings nicht für alle Arten, weil ja die nächtlich lebenden Vipern und Grubenottern ſich auch äußerlich in einem gewiſſen Grade kenntlich machen: — aber gerade die Kreuzotter, welche das geübte Forſcherauge eines Dumeril täuſchte, zählt zu letzteren.
Jn vielen Naturgeſchichten werden Kennzeichen der Giftſchlangen in wirklich leichtfertiger Weiſe aufgeſtellt. Wahr iſt es, daß die nächtlich lebenden Arten gewöhnlich einen kurzen, in der Mitte ſtark verdickten, im Durchſchnitte dreieckigen Leib, einen kurzen, dickkegelförmigen Schwanz, einen dünnen Hals und einen hinten ſehr breiten, dreieckigen Kopf haben, wahr, daß ſie ſich in der Bildung ihrer Schuppen gewöhnlich von den giftloſen unterſcheiden, vollkommen richtig, daß ihnen das große Nachtauge mit dem ſenkrecht geſchlitzten Sterne, welches durch die vortretenden Brauenſchilder geſchützt zu ſein pflegt, einen boshaften, tückiſchen Ausdruck verleiht: alle dieſe Merkmale aber gelten eben nur für ſie, nicht jedoch auch für die giftigen Tagſchlangen, nicht für die „Giftnattern“, welche man den hervorragendſten Mitgliedern der Gruppe zu Liebe, eher Brillen- oder Schildſchlangen nennen ſollte, nicht für die Seeſchlangen; denn die meiſten Mitglieder dieſer beiden Gruppen ſehen ſo unſchuldig und harmlos aus, wie irgend eine andere Schlange. Und eine zahlreiche Sippſchaft der erſtgenannten Familie, von deren Giftigkeit man ſich jetzt doch überzeugen mußte, hat äußerlich ſoviel Beſtechendes und ſcheint ſo gutmüthig zu ſein, daß die bewährteſten Forſcher für ſie in die Schranken traten und alte Erzählungen, welche uns dieſe Schlangen als Spielzeug von Kindern und Frauen erſcheinen laſſen, unterſtützen halfen. Nicht einmal die Unterſuchung des Gebiſſes gibt in allen Fällen untrüglichen Aufſchluß über die Giftigkeit oder Ungiftigkeit einer Schlange. Gerade die eben erwähnten, welche wir unter dem Namen Prunkottern kennen lernen werden, belegen dieſe Behauptung: der Prinz von Wied, deſſen Gewiſſenhaftigkeit über jeden Zweifel erhaben ſteht, hebt ausdrücklich hervor, daß mehrere geübte Beobachter mit einem achtzehnmal vergrößernden Glaſe keine Durchbohrung ihres Giftzahnes wahrnehmen konnten.
Solche Bemerkungen glaube ich einer Schilderung der Giftſchlangen vorausſchicken, ja ſie ſelbſt auf die Gefahr hin, der Wiederholung geziehen zu werden, mehr als einmal ausſprechen zu müſſen, um dem Laien oder Anfänger, welcher ſich mit Schlangen befaſſen will, ſoviel in meinen Kräften ſteht, vor leichtſinniger Behandlung dieſer gefährlichen Geſchöpfe eindringlichſt zu warnen.
Gegenwärtig ſcheint es ſo ziemlich ausgemacht, daß nur diejenigen Arten giftig ſind, welche vorn im Oberkieferknochen Furchen- oder Hohlzähne tragen. Von derartigen Schlangen hat man bis jetzt einhundert und funfzig Arten, etwas über ein Viertheil aller beſtimmten, kennen gelernt. Jhr Oberkiefer iſt, wie bereits bemerkt, verhältnißmäßig kurz, der aller nächtlich lebenden Arten bis auf ein kleines Knöchelchen verkümmert, bei dieſen, wie bei jenen ungemein beweglich, da er ſich nach hinten auf einen dünnen Stil, das Flügelbein, ſtützt und vermittels des letzteren, welches durch eigene Muskeln bewegt wird, vor- oder zurückgeſchoben werden kann. Bei den Taggiftſchlangen iſt der Zahn inniger mit dem Oberkiefer befeſtigk als bei den nächtlich lebenden Giftſchlangen; bei dieſen wie bei jenen aber wird derſelbe nicht durch Einwurzelung, ſondern nur durch Bänder mit dem Kiefer zuſammengehalten. Eigentlich beweglich iſt er nicht; wenn er ſich zurücklegt, ſo geſchieht Dies nur, weil ſich der Oberkiefer von vorn nach hinten zurückzieht. Letzterer hat auf der unteren Fläche jederſeits zwei dicht neben einander ſtehende ſeichte Gruben, welche die Wurzeln der Zähne aufnehmen. Jn der Regel iſt nur ein Zahn auf jeder Seite ausgebildet; da aber in jedem Kiefer ſtets mehrere (einer bis ſechs) in der Entwickelung begriffene Erſatzzähne vorhanden ſind, kann es geſchehen, daß auch zwei von ihnen, in jeder Grube einer, ſich ausgebildet haben und gleichzeitig in Wirkſam- keit treten. Unter den Erſatzzähnen, welche loſe auf dem Knochen ſtehen, iſt der dem Giftzahne nächſte auch ſtets der am meiſten entwickelte. Jederſeits vom Zahne bemerkt man eine häutige Wucherung des Zahnfleiſches, ſodaß alſo eine Scheide gebildet wird, welche die Giftzähne aufnimmt,
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[252/0274]
Die Schlangen. Giftſchlangen.
weſentlichen angenommene Eintheilung nicht, ſondern unterſcheidet nur Familien, nicht aber Zünfte.
Und man kann ihm nicht Unrecht geben; denn, nochmals ſei es geſagt: es iſt unmöglich, durch
äußerliche Betrachtung jede Giftſchlange unbedingt als ſolche zu erkennen. Dies gilt allerdings nicht
für alle Arten, weil ja die nächtlich lebenden Vipern und Grubenottern ſich auch äußerlich in einem
gewiſſen Grade kenntlich machen: — aber gerade die Kreuzotter, welche das geübte Forſcherauge
eines Dumeril täuſchte, zählt zu letzteren.
Jn vielen Naturgeſchichten werden Kennzeichen der Giftſchlangen in wirklich leichtfertiger Weiſe
aufgeſtellt. Wahr iſt es, daß die nächtlich lebenden Arten gewöhnlich einen kurzen, in der Mitte
ſtark verdickten, im Durchſchnitte dreieckigen Leib, einen kurzen, dickkegelförmigen Schwanz, einen
dünnen Hals und einen hinten ſehr breiten, dreieckigen Kopf haben, wahr, daß ſie ſich in der Bildung
ihrer Schuppen gewöhnlich von den giftloſen unterſcheiden, vollkommen richtig, daß ihnen das große
Nachtauge mit dem ſenkrecht geſchlitzten Sterne, welches durch die vortretenden Brauenſchilder geſchützt
zu ſein pflegt, einen boshaften, tückiſchen Ausdruck verleiht: alle dieſe Merkmale aber gelten eben
nur für ſie, nicht jedoch auch für die giftigen Tagſchlangen, nicht für die „Giftnattern“, welche man
den hervorragendſten Mitgliedern der Gruppe zu Liebe, eher Brillen- oder Schildſchlangen nennen
ſollte, nicht für die Seeſchlangen; denn die meiſten Mitglieder dieſer beiden Gruppen ſehen ſo
unſchuldig und harmlos aus, wie irgend eine andere Schlange. Und eine zahlreiche Sippſchaft der
erſtgenannten Familie, von deren Giftigkeit man ſich jetzt doch überzeugen mußte, hat äußerlich
ſoviel Beſtechendes und ſcheint ſo gutmüthig zu ſein, daß die bewährteſten Forſcher für ſie in die
Schranken traten und alte Erzählungen, welche uns dieſe Schlangen als Spielzeug von Kindern und
Frauen erſcheinen laſſen, unterſtützen halfen. Nicht einmal die Unterſuchung des Gebiſſes gibt in
allen Fällen untrüglichen Aufſchluß über die Giftigkeit oder Ungiftigkeit einer Schlange. Gerade
die eben erwähnten, welche wir unter dem Namen Prunkottern kennen lernen werden, belegen dieſe
Behauptung: der Prinz von Wied, deſſen Gewiſſenhaftigkeit über jeden Zweifel erhaben ſteht,
hebt ausdrücklich hervor, daß mehrere geübte Beobachter mit einem achtzehnmal vergrößernden Glaſe
keine Durchbohrung ihres Giftzahnes wahrnehmen konnten.
Solche Bemerkungen glaube ich einer Schilderung der Giftſchlangen vorausſchicken, ja ſie ſelbſt
auf die Gefahr hin, der Wiederholung geziehen zu werden, mehr als einmal ausſprechen zu müſſen,
um dem Laien oder Anfänger, welcher ſich mit Schlangen befaſſen will, ſoviel in meinen Kräften
ſteht, vor leichtſinniger Behandlung dieſer gefährlichen Geſchöpfe eindringlichſt zu warnen.
Gegenwärtig ſcheint es ſo ziemlich ausgemacht, daß nur diejenigen Arten giftig ſind, welche
vorn im Oberkieferknochen Furchen- oder Hohlzähne tragen. Von derartigen Schlangen hat man
bis jetzt einhundert und funfzig Arten, etwas über ein Viertheil aller beſtimmten, kennen gelernt.
Jhr Oberkiefer iſt, wie bereits bemerkt, verhältnißmäßig kurz, der aller nächtlich lebenden Arten bis
auf ein kleines Knöchelchen verkümmert, bei dieſen, wie bei jenen ungemein beweglich, da er ſich nach
hinten auf einen dünnen Stil, das Flügelbein, ſtützt und vermittels des letzteren, welches durch eigene
Muskeln bewegt wird, vor- oder zurückgeſchoben werden kann. Bei den Taggiftſchlangen iſt der
Zahn inniger mit dem Oberkiefer befeſtigk als bei den nächtlich lebenden Giftſchlangen; bei dieſen
wie bei jenen aber wird derſelbe nicht durch Einwurzelung, ſondern nur durch Bänder mit dem
Kiefer zuſammengehalten. Eigentlich beweglich iſt er nicht; wenn er ſich zurücklegt, ſo geſchieht Dies
nur, weil ſich der Oberkiefer von vorn nach hinten zurückzieht. Letzterer hat auf der unteren Fläche
jederſeits zwei dicht neben einander ſtehende ſeichte Gruben, welche die Wurzeln der Zähne aufnehmen.
Jn der Regel iſt nur ein Zahn auf jeder Seite ausgebildet; da aber in jedem Kiefer ſtets mehrere
(einer bis ſechs) in der Entwickelung begriffene Erſatzzähne vorhanden ſind, kann es geſchehen, daß
auch zwei von ihnen, in jeder Grube einer, ſich ausgebildet haben und gleichzeitig in Wirkſam-
keit treten. Unter den Erſatzzähnen, welche loſe auf dem Knochen ſtehen, iſt der dem Giftzahne
nächſte auch ſtets der am meiſten entwickelte. Jederſeits vom Zahne bemerkt man eine häutige
Wucherung des Zahnfleiſches, ſodaß alſo eine Scheide gebildet wird, welche die Giftzähne aufnimmt,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/274>, abgerufen am 21.12.2024.
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