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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Wurmschlangen.
verfolgen sie nachdrücklichst Schlangen- und Schreiadler, Bussarde, Raben, Elstern und Heher,
Störche und andere Sumpfvögel, sowie die betressenden Vertreter dieser Vögel in heißen Ländern.
Als der ausgezeichnetste aller Schlangenvertilger gilt der Schlangengeier oder Sekretär; doch leisten
auch andere Ordnungsverwandte: Edel-, Zahn-, Sing- und Schlangenhabicht, Sperberadler,
Gaukler, Geierfalk, Königs- und Rabengeier Erkleckliches, ganz abgesehen noch von manchen Leich-
schnäblern, Scharr- und Stelzvögeln, deren Wirksamkeit wir bereits kennen gelernt haben. Sie alle
verdienen die Beachtung und den Schutz der Verständigen; denn der größte Theil von ihnen ver-
nichtet nicht allein die Schlangen, sondern ersetzt auch ihre Leistungen vollständig. Und nochmals
sei es gesagt: eine einzige Bussardart nützt uns mehr als alle Kreuzottern und mäusefressenden
Schlangen überhaupt!

Die meisten Schlangen gewöhnen sich leicht an die Gefangenschaft und halten in derselben Jahre
oder doch wenigstens Monate aus. Altgefangene Vipern gehen nicht immer aus Futter, wahr-
scheinlich jedoch blos deshalb, weil man ihnen ihren Aufenthalt nicht entsprechend herrichtet. Zu
ihrer Behaglichkeit ist Wärme, und zwar feuchte Wärme unbedingtes Erforderniß; namentlich darf
ihrem Käfig ein Wasserbehälter zum Baden nicht fehlen. Um sie ans Futter zu gewöhnen, muß
man ihnen zuerst lebende Thiere reichen; haben sie sich einmal herbeigelassen, diese zu ergreifen und
zu verschlingen, so kann man dann auch zu todten und später selbst zu Fleischstückchen übergehen.
Nach und nach treten die Gefangenen in ein gewisses Freundschaftsverhältniß zu ihrem Pfleger,
nehmen ihnen vorgehaltene Nahrung aus dessen Händen oder aus einer Zange, lassen sich berühren,
aufnehmen, umhertragen, selbst bis zu einem gewissen Grade abrichten u. s. w.: der Umgang mit
den Giftschlangen aber bleibt unter allen Umständen gefährlich und erfordert so große Vorsicht, daß
man meiner Ansicht nach Niemand anrathen darf, sich mit ihnen abzugeben.



Unter dem Namen "Amphisbäna", welcher schon zu Geßner's Zeiten mit "Doppel-
schleicher"
übersetzt, von Wieland aber schwerlich begriffen wurde, verstanden die Alten keines-
wegs die uns bekannte Ringelechse, sondern eine Wurmschlange, welche mit jener so große
Aehnlichkeit hat, daß die spätere Verwechselung leicht erklärlich wird.

"Dise schlang", sagt Geßner, "ist den Teutschen landen vnbekannt, wirt in Griechenland vnd
insonders in der Jnsel Lemno gefunden, behalt derhalben bey anderen Nationen allein den
Griechischen nammen, den sy vom schleychen bekommen hat.... Der mertheil der alten seribenten,
haben diser schlang zwen köpff zugeschriben vnd zugeeignet, den einen vornen, den anderen hinden
woh der schwantz stehn sollte, gleych den schiffen die zu beyden orten geschnablet oder zwen grausen
haben, vnd vermeint weyl sie jetz disen, bald den anderen kopff brauchen vnd abwechslen können,
schleiche sie darumb beid wäg, daß ist für vnd hinder sich. Disen irrigen wohn aber widerlegt vnd
stürtzt der hochgelehrt Mathiolus. Denn so jemals schlangen oder andere geburten mit zweyen
köpffen sind gesehen worden, hat sich solicher alle zeyt wunderbarlich vnd vnnatürlicher weyß begeben
vnd zugetragen. Es ist zwar nit vnmüglich, insonders so vil junge zumal gebären, mißgeburten von
zweyen köpffen oder vil füssen, oder andern dergleychen vngestalten herfürbringen. Es beschicht aber
solchs (wie zuuor gemeldet) vnnatürlicherweyß auch selten vnd nit allzeyt. Vnd darumb soll man
diser jrrigen meinnung kein glauben geben.

"Die alten aber haben disen wohn daher gefasset, dieweyl die Amphisbäna von leyb gleich dick
bey dem kopff vnd schwantz zügespitzt, gleych wie die mettel oder regenwürm, also daß der kopff dem
schwantz gar änlich, vnd nit leichtlich zu entscheiden, insonders weyl sie für vnd hinder sich schleicht,
gleych den schiffen so beid wäg gefürt vnd geleitet werden. Gleichs bezeügen Hesichius vnd
Aetius, da sie sagen: dise schlang seye nit beym kopff dick vnd gegem schwantz gespitzt wie andere

Die Schlangen. Wurmſchlangen.
verfolgen ſie nachdrücklichſt Schlangen- und Schreiadler, Buſſarde, Raben, Elſtern und Heher,
Störche und andere Sumpfvögel, ſowie die betreſſenden Vertreter dieſer Vögel in heißen Ländern.
Als der ausgezeichnetſte aller Schlangenvertilger gilt der Schlangengeier oder Sekretär; doch leiſten
auch andere Ordnungsverwandte: Edel-, Zahn-, Sing- und Schlangenhabicht, Sperberadler,
Gaukler, Geierfalk, Königs- und Rabengeier Erkleckliches, ganz abgeſehen noch von manchen Leich-
ſchnäblern, Scharr- und Stelzvögeln, deren Wirkſamkeit wir bereits kennen gelernt haben. Sie alle
verdienen die Beachtung und den Schutz der Verſtändigen; denn der größte Theil von ihnen ver-
nichtet nicht allein die Schlangen, ſondern erſetzt auch ihre Leiſtungen vollſtändig. Und nochmals
ſei es geſagt: eine einzige Buſſardart nützt uns mehr als alle Kreuzottern und mäuſefreſſenden
Schlangen überhaupt!

Die meiſten Schlangen gewöhnen ſich leicht an die Gefangenſchaft und halten in derſelben Jahre
oder doch wenigſtens Monate aus. Altgefangene Vipern gehen nicht immer aus Futter, wahr-
ſcheinlich jedoch blos deshalb, weil man ihnen ihren Aufenthalt nicht entſprechend herrichtet. Zu
ihrer Behaglichkeit iſt Wärme, und zwar feuchte Wärme unbedingtes Erforderniß; namentlich darf
ihrem Käfig ein Waſſerbehälter zum Baden nicht fehlen. Um ſie ans Futter zu gewöhnen, muß
man ihnen zuerſt lebende Thiere reichen; haben ſie ſich einmal herbeigelaſſen, dieſe zu ergreifen und
zu verſchlingen, ſo kann man dann auch zu todten und ſpäter ſelbſt zu Fleiſchſtückchen übergehen.
Nach und nach treten die Gefangenen in ein gewiſſes Freundſchaftsverhältniß zu ihrem Pfleger,
nehmen ihnen vorgehaltene Nahrung aus deſſen Händen oder aus einer Zange, laſſen ſich berühren,
aufnehmen, umhertragen, ſelbſt bis zu einem gewiſſen Grade abrichten u. ſ. w.: der Umgang mit
den Giftſchlangen aber bleibt unter allen Umſtänden gefährlich und erfordert ſo große Vorſicht, daß
man meiner Anſicht nach Niemand anrathen darf, ſich mit ihnen abzugeben.



Unter dem Namen „Amphisbäna“, welcher ſchon zu Geßner’s Zeiten mit „Doppel-
ſchleicher“
überſetzt, von Wieland aber ſchwerlich begriffen wurde, verſtanden die Alten keines-
wegs die uns bekannte Ringelechſe, ſondern eine Wurmſchlange, welche mit jener ſo große
Aehnlichkeit hat, daß die ſpätere Verwechſelung leicht erklärlich wird.

„Diſe ſchlang“, ſagt Geßner, „iſt den Teutſchen landen vnbekannt, wirt in Griechenland vnd
inſonders in der Jnſel Lemno gefunden, behalt derhalben bey anderen Nationen allein den
Griechiſchen nammen, den ſy vom ſchleychen bekommen hat.... Der mertheil der alten ſeribenten,
haben diſer ſchlang zwen köpff zugeſchriben vnd zugeeignet, den einen vornen, den anderen hinden
woh der ſchwantz ſtehn ſollte, gleych den ſchiffen die zu beyden orten geſchnablet oder zwen grauſen
haben, vnd vermeint weyl ſie jetz diſen, bald den anderen kopff brauchen vnd abwechslen können,
ſchleiche ſie darumb beid wäg, daß iſt für vnd hinder ſich. Diſen irrigen wohn aber widerlegt vnd
ſtürtzt der hochgelehrt Mathiolus. Denn ſo jemals ſchlangen oder andere geburten mit zweyen
köpffen ſind geſehen worden, hat ſich ſolicher alle zeyt wunderbarlich vnd vnnatürlicher weyß begeben
vnd zugetragen. Es iſt zwar nit vnmüglich, inſonders ſo vil junge zumal gebären, mißgeburten von
zweyen köpffen oder vil füſſen, oder andern dergleychen vngeſtalten herfürbringen. Es beſchicht aber
ſolchs (wie zuuor gemeldet) vnnatürlicherweyß auch ſelten vnd nit allzeyt. Vnd darumb ſoll man
diſer jrrigen meinnung kein glauben geben.

„Die alten aber haben diſen wohn daher gefaſſet, dieweyl die Amphisbäna von leyb gleich dick
bey dem kopff vnd ſchwantz zügeſpitzt, gleych wie die mettel oder regenwürm, alſo daß der kopff dem
ſchwantz gar änlich, vnd nit leichtlich zu entſcheiden, inſonders weyl ſie für vnd hinder ſich ſchleicht,
gleych den ſchiffen ſo beid wäg gefürt vnd geleitet werden. Gleichs bezeügen Heſichius vnd
Aetius, da ſie ſagen: diſe ſchlang ſeye nit beym kopff dick vnd gegem ſchwantz geſpitzt wie andere

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[188/0208] Die Schlangen. Wurmſchlangen. verfolgen ſie nachdrücklichſt Schlangen- und Schreiadler, Buſſarde, Raben, Elſtern und Heher, Störche und andere Sumpfvögel, ſowie die betreſſenden Vertreter dieſer Vögel in heißen Ländern. Als der ausgezeichnetſte aller Schlangenvertilger gilt der Schlangengeier oder Sekretär; doch leiſten auch andere Ordnungsverwandte: Edel-, Zahn-, Sing- und Schlangenhabicht, Sperberadler, Gaukler, Geierfalk, Königs- und Rabengeier Erkleckliches, ganz abgeſehen noch von manchen Leich- ſchnäblern, Scharr- und Stelzvögeln, deren Wirkſamkeit wir bereits kennen gelernt haben. Sie alle verdienen die Beachtung und den Schutz der Verſtändigen; denn der größte Theil von ihnen ver- nichtet nicht allein die Schlangen, ſondern erſetzt auch ihre Leiſtungen vollſtändig. Und nochmals ſei es geſagt: eine einzige Buſſardart nützt uns mehr als alle Kreuzottern und mäuſefreſſenden Schlangen überhaupt! Die meiſten Schlangen gewöhnen ſich leicht an die Gefangenſchaft und halten in derſelben Jahre oder doch wenigſtens Monate aus. Altgefangene Vipern gehen nicht immer aus Futter, wahr- ſcheinlich jedoch blos deshalb, weil man ihnen ihren Aufenthalt nicht entſprechend herrichtet. Zu ihrer Behaglichkeit iſt Wärme, und zwar feuchte Wärme unbedingtes Erforderniß; namentlich darf ihrem Käfig ein Waſſerbehälter zum Baden nicht fehlen. Um ſie ans Futter zu gewöhnen, muß man ihnen zuerſt lebende Thiere reichen; haben ſie ſich einmal herbeigelaſſen, dieſe zu ergreifen und zu verſchlingen, ſo kann man dann auch zu todten und ſpäter ſelbſt zu Fleiſchſtückchen übergehen. Nach und nach treten die Gefangenen in ein gewiſſes Freundſchaftsverhältniß zu ihrem Pfleger, nehmen ihnen vorgehaltene Nahrung aus deſſen Händen oder aus einer Zange, laſſen ſich berühren, aufnehmen, umhertragen, ſelbſt bis zu einem gewiſſen Grade abrichten u. ſ. w.: der Umgang mit den Giftſchlangen aber bleibt unter allen Umſtänden gefährlich und erfordert ſo große Vorſicht, daß man meiner Anſicht nach Niemand anrathen darf, ſich mit ihnen abzugeben. Unter dem Namen „Amphisbäna“, welcher ſchon zu Geßner’s Zeiten mit „Doppel- ſchleicher“ überſetzt, von Wieland aber ſchwerlich begriffen wurde, verſtanden die Alten keines- wegs die uns bekannte Ringelechſe, ſondern eine Wurmſchlange, welche mit jener ſo große Aehnlichkeit hat, daß die ſpätere Verwechſelung leicht erklärlich wird. „Diſe ſchlang“, ſagt Geßner, „iſt den Teutſchen landen vnbekannt, wirt in Griechenland vnd inſonders in der Jnſel Lemno gefunden, behalt derhalben bey anderen Nationen allein den Griechiſchen nammen, den ſy vom ſchleychen bekommen hat.... Der mertheil der alten ſeribenten, haben diſer ſchlang zwen köpff zugeſchriben vnd zugeeignet, den einen vornen, den anderen hinden woh der ſchwantz ſtehn ſollte, gleych den ſchiffen die zu beyden orten geſchnablet oder zwen grauſen haben, vnd vermeint weyl ſie jetz diſen, bald den anderen kopff brauchen vnd abwechslen können, ſchleiche ſie darumb beid wäg, daß iſt für vnd hinder ſich. Diſen irrigen wohn aber widerlegt vnd ſtürtzt der hochgelehrt Mathiolus. Denn ſo jemals ſchlangen oder andere geburten mit zweyen köpffen ſind geſehen worden, hat ſich ſolicher alle zeyt wunderbarlich vnd vnnatürlicher weyß begeben vnd zugetragen. Es iſt zwar nit vnmüglich, inſonders ſo vil junge zumal gebären, mißgeburten von zweyen köpffen oder vil füſſen, oder andern dergleychen vngeſtalten herfürbringen. Es beſchicht aber ſolchs (wie zuuor gemeldet) vnnatürlicherweyß auch ſelten vnd nit allzeyt. Vnd darumb ſoll man diſer jrrigen meinnung kein glauben geben. „Die alten aber haben diſen wohn daher gefaſſet, dieweyl die Amphisbäna von leyb gleich dick bey dem kopff vnd ſchwantz zügeſpitzt, gleych wie die mettel oder regenwürm, alſo daß der kopff dem ſchwantz gar änlich, vnd nit leichtlich zu entſcheiden, inſonders weyl ſie für vnd hinder ſich ſchleicht, gleych den ſchiffen ſo beid wäg gefürt vnd geleitet werden. Gleichs bezeügen Heſichius vnd Aetius, da ſie ſagen: diſe ſchlang ſeye nit beym kopff dick vnd gegem ſchwantz geſpitzt wie andere

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/208>, abgerufen am 21.12.2024.