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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Allgemeines.
So z. B. laufen sie wie unbesonnen auf einen sich still verhalten den Menschen los und fliehen erst,
wenn er sich bewegt. Steckt man sie mit einem Feinde in eine große Kiste, so nähern sie sich ihm oft
ohne Weiteres und kriechen, wenn es geht, auf ihm herum; rührt er sich aber und versetzt ihnen
vielleicht gar einige Hiebe oder Bisse, so nehmen sie, wenn sie nicht gerade zur Gegenwehr geneigt
sind, Reißaus, kehren aber doch, wenn er sich ruhig verhält, oft bald zu ihm zurück und fliehen dann
wieder, wenn es nochmals Hiebe gibt. Wüthende Schlangen, giftige und giftlose, beißen sogar nach
einem Schatten und sehr oft an dem Gegenstande, wonach sie zielen, wenn er nicht groß ist, vorbei;
doch kann man einwenden, in solchen Fällen mache die Wuth sie blind. Bevor die Häutung statt-
sindet, ist das Auge gleichsam mit einem weißlichen Schleier überzogen, welcher von dem sich später
ablösenden Oberhäutchen herrührt; sie sehen in dieser Zeit noch schlechter." Es liegen keine Beob-
achtungen vor, welche diesen Angaben des schlangenkundigen Lenz widersprechen, und was für unsere
einheimischen Arten gilt, Das gilt auch für die übrigen. Nur in einer Hinsicht scheint Lenz falsch
gefolgert zu haben. Er hebt hervor, daß sich der Augenstern der Schlangen in der Dunkelheit sehr
erweitern und im Sonnenscheine zu einem kaum merkbaren Ritzchen zusammenziehen kann, erwähnt,
daß man bei einer Schlange, welche man in eine Lage bringt, in der das eine Auge geraume Zeit
hellerem Lichte, das andere aber der Dunkelheit ausgesetzt ist, den Augenstern des dem Lichte aus-
gesetzten Auges sehr verengert, den des anderen verhältnißmäßig erweitert sieht, knüpft aber daran
den Ausspruch, daß man sich nicht zu dem allgemeinen Glauben verleiten lassen dürfe, als ob ein
Thier durch einen gespaltenen Stern als Nachtthier, durch einen runden als Tagthier bezeichnet würde.
Dieser allgemeine Glaube ist doch richtig. Alle Schlangen mit gespaltenem Sterne führen gewiß
ein nächtliches Leben, obwohl sie wie andere Nachtthiere auch bei Tage einigermaßen sehen können.
Gerade hierüber haben wir neuerdings Beobachtungen angestellt, welche die allgemeine Regel voll-
kommen bestätigen.

Von dem sogenannten geistigen Ausdrucke des Schlangenauges hat man, meiner Ansicht nach, mehr
Rühmens oder doch Wesens gemacht, als die Sache verdient. "Sprechend, wie selten ein Thierauge",
meint Linck, "spiegelt es nicht nur den Charakter, sondern selbst die Stimmung des Augenblicks
wieder. Ruhig, mild und poetisch, doch nicht glanzlos erscheint es an den friedfertigen Gliedern der
Ordnung, unheimlich an denen, die zu verwunden, doch nicht zu tödten gerüstet sind, drohend in der
Wuth, d. h. furchtbar glüht das Auge der Otter, die den Tod auf der Spitze ihres Zahnes trägt.
Etwas Fremdartiges aber gibt die glasige Haut, die sich darüber herwölbt, sowie die Starrheit des
Augapfels, der sich nur schwer und in sichtbar gewaltsamen Rucken bewegt, auch den Blicken der
frömmsten Schlange." Letzteres ist gewiß vollkommen richtig, Ersteres von dem Beobachter wohl nur
dem Schlangenauge beigelegt. Abgesehen von dem Glasigen, hat dieses nichts Auffallendes, das
Drohende und Unheimliche aber seinen Grund weniger in der Bildung des Auges selbst, als vielmehr
in der Lage unter den es überwölbenden Schuppen, welche bei den nächtlich lebenden Giftschlangen
besonders entwickelt sind und denselben Eindruck hervorbringen, wie z. B. der vorgezogene Brauen-
knochen eines Raubvogels.

Soweit wir zu urtheilen vermögen, folgt auf den Gesichtssinn hinsichtlich seiner Schärfe der des
Gehörs, obgleich dessen Werkzeug uns in höherem Grade verkümmert erscheint als das des Geruchs.
Die Stumpfgeistigkeit der Schlangen macht sich bei Versuchen zur Prüfung der Sinnesschärfe sehr
bemerklich und eben deshalb dem Beobachter es schwer, schlüssig zu werden. Versuche, welche Lenz
und Andere anstellten, ergaben nur, daß sich die Schlangen an die verschiedenen Töne wenig oder gar
nicht kehrten, wenn dieselben nicht die Luft oder den Boden stark erschüttern. Dagegen haben nun
alle Reisenden, vor denen die Schlangenbeschwörer Jndiens und Egyptens ihre Gaukeleien ausführten,
beobachtet, daß die Schlangen nach den Tönen einer Pfeife eigenthümliche Bewegungen ausführen.
Jch selbst habe in Egypten sehr oft gedachten Schaustellungen beigewohnt und bin ebenfalls zu der-
selben Ansicht gekommen, wie andere Beobachter: auch ich glaube, daß sich die Schlangen wirklich
einigermaßen an die gellenden Töne der von den Schlangenbeschwörern gehandhabten Blaswerkzeuge

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Allgemeines.
So z. B. laufen ſie wie unbeſonnen auf einen ſich ſtill verhalten den Menſchen los und fliehen erſt,
wenn er ſich bewegt. Steckt man ſie mit einem Feinde in eine große Kiſte, ſo nähern ſie ſich ihm oft
ohne Weiteres und kriechen, wenn es geht, auf ihm herum; rührt er ſich aber und verſetzt ihnen
vielleicht gar einige Hiebe oder Biſſe, ſo nehmen ſie, wenn ſie nicht gerade zur Gegenwehr geneigt
ſind, Reißaus, kehren aber doch, wenn er ſich ruhig verhält, oft bald zu ihm zurück und fliehen dann
wieder, wenn es nochmals Hiebe gibt. Wüthende Schlangen, giftige und giftloſe, beißen ſogar nach
einem Schatten und ſehr oft an dem Gegenſtande, wonach ſie zielen, wenn er nicht groß iſt, vorbei;
doch kann man einwenden, in ſolchen Fällen mache die Wuth ſie blind. Bevor die Häutung ſtatt-
ſindet, iſt das Auge gleichſam mit einem weißlichen Schleier überzogen, welcher von dem ſich ſpäter
ablöſenden Oberhäutchen herrührt; ſie ſehen in dieſer Zeit noch ſchlechter.“ Es liegen keine Beob-
achtungen vor, welche dieſen Angaben des ſchlangenkundigen Lenz widerſprechen, und was für unſere
einheimiſchen Arten gilt, Das gilt auch für die übrigen. Nur in einer Hinſicht ſcheint Lenz falſch
gefolgert zu haben. Er hebt hervor, daß ſich der Augenſtern der Schlangen in der Dunkelheit ſehr
erweitern und im Sonnenſcheine zu einem kaum merkbaren Ritzchen zuſammenziehen kann, erwähnt,
daß man bei einer Schlange, welche man in eine Lage bringt, in der das eine Auge geraume Zeit
hellerem Lichte, das andere aber der Dunkelheit ausgeſetzt iſt, den Augenſtern des dem Lichte aus-
geſetzten Auges ſehr verengert, den des anderen verhältnißmäßig erweitert ſieht, knüpft aber daran
den Ausſpruch, daß man ſich nicht zu dem allgemeinen Glauben verleiten laſſen dürfe, als ob ein
Thier durch einen geſpaltenen Stern als Nachtthier, durch einen runden als Tagthier bezeichnet würde.
Dieſer allgemeine Glaube iſt doch richtig. Alle Schlangen mit geſpaltenem Sterne führen gewiß
ein nächtliches Leben, obwohl ſie wie andere Nachtthiere auch bei Tage einigermaßen ſehen können.
Gerade hierüber haben wir neuerdings Beobachtungen angeſtellt, welche die allgemeine Regel voll-
kommen beſtätigen.

Von dem ſogenannten geiſtigen Ausdrucke des Schlangenauges hat man, meiner Anſicht nach, mehr
Rühmens oder doch Weſens gemacht, als die Sache verdient. „Sprechend, wie ſelten ein Thierauge“,
meint Linck, „ſpiegelt es nicht nur den Charakter, ſondern ſelbſt die Stimmung des Augenblicks
wieder. Ruhig, mild und poetiſch, doch nicht glanzlos erſcheint es an den friedfertigen Gliedern der
Ordnung, unheimlich an denen, die zu verwunden, doch nicht zu tödten gerüſtet ſind, drohend in der
Wuth, d. h. furchtbar glüht das Auge der Otter, die den Tod auf der Spitze ihres Zahnes trägt.
Etwas Fremdartiges aber gibt die glaſige Haut, die ſich darüber herwölbt, ſowie die Starrheit des
Augapfels, der ſich nur ſchwer und in ſichtbar gewaltſamen Rucken bewegt, auch den Blicken der
frömmſten Schlange.“ Letzteres iſt gewiß vollkommen richtig, Erſteres von dem Beobachter wohl nur
dem Schlangenauge beigelegt. Abgeſehen von dem Glaſigen, hat dieſes nichts Auffallendes, das
Drohende und Unheimliche aber ſeinen Grund weniger in der Bildung des Auges ſelbſt, als vielmehr
in der Lage unter den es überwölbenden Schuppen, welche bei den nächtlich lebenden Giftſchlangen
beſonders entwickelt ſind und denſelben Eindruck hervorbringen, wie z. B. der vorgezogene Brauen-
knochen eines Raubvogels.

Soweit wir zu urtheilen vermögen, folgt auf den Geſichtsſinn hinſichtlich ſeiner Schärfe der des
Gehörs, obgleich deſſen Werkzeug uns in höherem Grade verkümmert erſcheint als das des Geruchs.
Die Stumpfgeiſtigkeit der Schlangen macht ſich bei Verſuchen zur Prüfung der Sinnesſchärfe ſehr
bemerklich und eben deshalb dem Beobachter es ſchwer, ſchlüſſig zu werden. Verſuche, welche Lenz
und Andere anſtellten, ergaben nur, daß ſich die Schlangen an die verſchiedenen Töne wenig oder gar
nicht kehrten, wenn dieſelben nicht die Luft oder den Boden ſtark erſchüttern. Dagegen haben nun
alle Reiſenden, vor denen die Schlangenbeſchwörer Jndiens und Egyptens ihre Gaukeleien ausführten,
beobachtet, daß die Schlangen nach den Tönen einer Pfeife eigenthümliche Bewegungen ausführen.
Jch ſelbſt habe in Egypten ſehr oft gedachten Schauſtellungen beigewohnt und bin ebenfalls zu der-
ſelben Anſicht gekommen, wie andere Beobachter: auch ich glaube, daß ſich die Schlangen wirklich
einigermaßen an die gellenden Töne der von den Schlangenbeſchwörern gehandhabten Blaswerkzeuge

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[179/0199] Allgemeines. So z. B. laufen ſie wie unbeſonnen auf einen ſich ſtill verhalten den Menſchen los und fliehen erſt, wenn er ſich bewegt. Steckt man ſie mit einem Feinde in eine große Kiſte, ſo nähern ſie ſich ihm oft ohne Weiteres und kriechen, wenn es geht, auf ihm herum; rührt er ſich aber und verſetzt ihnen vielleicht gar einige Hiebe oder Biſſe, ſo nehmen ſie, wenn ſie nicht gerade zur Gegenwehr geneigt ſind, Reißaus, kehren aber doch, wenn er ſich ruhig verhält, oft bald zu ihm zurück und fliehen dann wieder, wenn es nochmals Hiebe gibt. Wüthende Schlangen, giftige und giftloſe, beißen ſogar nach einem Schatten und ſehr oft an dem Gegenſtande, wonach ſie zielen, wenn er nicht groß iſt, vorbei; doch kann man einwenden, in ſolchen Fällen mache die Wuth ſie blind. Bevor die Häutung ſtatt- ſindet, iſt das Auge gleichſam mit einem weißlichen Schleier überzogen, welcher von dem ſich ſpäter ablöſenden Oberhäutchen herrührt; ſie ſehen in dieſer Zeit noch ſchlechter.“ Es liegen keine Beob- achtungen vor, welche dieſen Angaben des ſchlangenkundigen Lenz widerſprechen, und was für unſere einheimiſchen Arten gilt, Das gilt auch für die übrigen. Nur in einer Hinſicht ſcheint Lenz falſch gefolgert zu haben. Er hebt hervor, daß ſich der Augenſtern der Schlangen in der Dunkelheit ſehr erweitern und im Sonnenſcheine zu einem kaum merkbaren Ritzchen zuſammenziehen kann, erwähnt, daß man bei einer Schlange, welche man in eine Lage bringt, in der das eine Auge geraume Zeit hellerem Lichte, das andere aber der Dunkelheit ausgeſetzt iſt, den Augenſtern des dem Lichte aus- geſetzten Auges ſehr verengert, den des anderen verhältnißmäßig erweitert ſieht, knüpft aber daran den Ausſpruch, daß man ſich nicht zu dem allgemeinen Glauben verleiten laſſen dürfe, als ob ein Thier durch einen geſpaltenen Stern als Nachtthier, durch einen runden als Tagthier bezeichnet würde. Dieſer allgemeine Glaube iſt doch richtig. Alle Schlangen mit geſpaltenem Sterne führen gewiß ein nächtliches Leben, obwohl ſie wie andere Nachtthiere auch bei Tage einigermaßen ſehen können. Gerade hierüber haben wir neuerdings Beobachtungen angeſtellt, welche die allgemeine Regel voll- kommen beſtätigen. Von dem ſogenannten geiſtigen Ausdrucke des Schlangenauges hat man, meiner Anſicht nach, mehr Rühmens oder doch Weſens gemacht, als die Sache verdient. „Sprechend, wie ſelten ein Thierauge“, meint Linck, „ſpiegelt es nicht nur den Charakter, ſondern ſelbſt die Stimmung des Augenblicks wieder. Ruhig, mild und poetiſch, doch nicht glanzlos erſcheint es an den friedfertigen Gliedern der Ordnung, unheimlich an denen, die zu verwunden, doch nicht zu tödten gerüſtet ſind, drohend in der Wuth, d. h. furchtbar glüht das Auge der Otter, die den Tod auf der Spitze ihres Zahnes trägt. Etwas Fremdartiges aber gibt die glaſige Haut, die ſich darüber herwölbt, ſowie die Starrheit des Augapfels, der ſich nur ſchwer und in ſichtbar gewaltſamen Rucken bewegt, auch den Blicken der frömmſten Schlange.“ Letzteres iſt gewiß vollkommen richtig, Erſteres von dem Beobachter wohl nur dem Schlangenauge beigelegt. Abgeſehen von dem Glaſigen, hat dieſes nichts Auffallendes, das Drohende und Unheimliche aber ſeinen Grund weniger in der Bildung des Auges ſelbſt, als vielmehr in der Lage unter den es überwölbenden Schuppen, welche bei den nächtlich lebenden Giftſchlangen beſonders entwickelt ſind und denſelben Eindruck hervorbringen, wie z. B. der vorgezogene Brauen- knochen eines Raubvogels. Soweit wir zu urtheilen vermögen, folgt auf den Geſichtsſinn hinſichtlich ſeiner Schärfe der des Gehörs, obgleich deſſen Werkzeug uns in höherem Grade verkümmert erſcheint als das des Geruchs. Die Stumpfgeiſtigkeit der Schlangen macht ſich bei Verſuchen zur Prüfung der Sinnesſchärfe ſehr bemerklich und eben deshalb dem Beobachter es ſchwer, ſchlüſſig zu werden. Verſuche, welche Lenz und Andere anſtellten, ergaben nur, daß ſich die Schlangen an die verſchiedenen Töne wenig oder gar nicht kehrten, wenn dieſelben nicht die Luft oder den Boden ſtark erſchüttern. Dagegen haben nun alle Reiſenden, vor denen die Schlangenbeſchwörer Jndiens und Egyptens ihre Gaukeleien ausführten, beobachtet, daß die Schlangen nach den Tönen einer Pfeife eigenthümliche Bewegungen ausführen. Jch ſelbſt habe in Egypten ſehr oft gedachten Schauſtellungen beigewohnt und bin ebenfalls zu der- ſelben Anſicht gekommen, wie andere Beobachter: auch ich glaube, daß ſich die Schlangen wirklich einigermaßen an die gellenden Töne der von den Schlangenbeſchwörern gehandhabten Blaswerkzeuge 12 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/199>, abgerufen am 22.12.2024.