derselbe hauptsächlich als Tastsinn, weniger als Empfindungsvermögen ausspricht. Daß die Kriech- thiere auch gegen äußere Einflüsse empfänglich sind, beweisen sie schon durch ihre Vorliebe für die Sonnenwärme, während sie andererseits eine Gefühllosigkeit bethätigen, welche uns geradezu unbe- greiflich erscheint. Der Tastsinn hingegen kann sehr entwickelt sein und erreicht besonders bei denen, welche die Zunge zum Tasten benutzen, eine hohe Ausbildung. Jn demselben Maße scheint der Geschmackssinn zu verkümmern. Schildkröten und gewisse Eidechsen dürften wohl fähig sein zu schmecken; bei den Krokodilen und Schlangen aber können wir schwerlich annehmen, daß diese Fähig- keit vorhanden ist. Ebenso bleiben wir über die Entwicklung des Geruchsinnes im Zweifel. Die Nasenhöhlen der Kriechthiere sind stets durch knorpelhafte Nasenmuscheln gestützt und öffnen sich im Rachen, können sich bei einzelnen sogar erweitern und zusammenziehen. Die Geruchsnerven sind ausgebildet, und eine mit netzförmiglaufenden Gefäßen durchzogene Schleimhaut ist vorhanden. Jn welchem Grade aber die äußeren Einwirkungen durch diese Werkzeuge zum Bewußtsein kommen, ver- mögen wir nicht zu sagen, weil uns die Beobachtung dafür kaum einen Anhalt bietet.
Alle Kriechthiere entwickeln sich aus Eiern, welche im wesentlichen denen der Vögel gleichen, einen großen, ölreichen Dotter und eine mehr oder minder bedeutende Schicht von Eiweiß haben und in einer lederartigen, gewöhnlich elastischen Schale, auf welche stets nur in geringer Menge Kalkmasse ablagert, eingeschlossen sind. Die Entwicklung der Eier beginnt meist schon vor dem Legen im Eileiter der Mutter; bei einzelnen wird der Keim hier sogar vollständig entwickelt: das Junge durchbricht noch im Eileiter die Schale und wird mithin lebendig geboren. Andere Arten, welche ihre Eier sonst lange vor dieser Zeit ablegen, können dazu gebracht werden, sie ebenfalls bis zur vollständigen Ent- wicklung der Jungen zu behalten, wenn man ihnen die Gelegenheit zum Legen nimmt. Das befruchtete Ei zeigt auf der Oberfläche des Dotters eine rundliche Stelle mit verwischter Begrenzung, welche eine weiße Farbe hat und demjenigen Theile des Hühnereies entspricht, den man im gemeinen Leben mit dem Namen "Hahnentritt" bezeichnet. Dieser Keim besteht aus kleinen Zellen, welche fast farblos sind und so im Gegensatze zum Dotter die lichte Färbung entstehen lassen; er bildet die erste Grundlage der Entwicklung und stellt sich als Mittelpunkt derjenigen Bildungen dar, welche den Aufbau des Embryo vermitteln. Sobald dieser sich zu entwickeln beginnt, verlängert jener sich und bildet nun eine ovale Scheibe, welche in der Mitte durchsichtiger als außen ist. Jn dem mittleren durchsichtigen Theile, dem Fruchthofe, erhebt sich nun die Rückenwulst, welche den vertieften Raum einschließt, der nach und nach durch Zuwölbung der Wulst sich in das Rohr für Gehirn und Rücken- mark umwandelt. Unter der Rückenfurche erscheint die Wirbelsäule in stabförmiger Gestalt. An dem Vordertheile, wo die Rückenfurche sich ausbreitet, lassen sich nach und nach bei der Ueberwölbung der Wulst die einzelnen Hirnabtheilungen unterscheiden, von denen die des Vorderhirns von Anbeginn an die bedeutendste ist; sobald indessen das Kopfende sich deutlicher zu gestalten beginnt, tritt auch jener durchgreifende Unterschied zwischen niederen und höheren Wirbelthieren hervor, den man mit dem Namen der Kopfbeuge bezeichnet. Der bisquitförmige, flache Embryo liegt nämlich mit der mäßig gekrümmten Bauchfläche auf der Oberfläche des Dotters auf und zwar in der Querare des Eies; indem er nun sich erhebt und seitlich abgrenzt, schließt sich sein Kopfende besonders rasch ab, knickt sich aber zugleich nach vornhin gegen den Dotter ein, in ähnlicher Weise, wie wenn man den Kopf so stark als möglich senkt und gegen die Brust drückt. Das Ende der Wirbelsaite und der unmittelbar vor demselben in der Lücke der beiden Schädelbalken sich ablagernde Hirnanhang, welcher indeß erst später erscheinen wird, bilden den Winkelpunkt dieser Einknickung, welcher ein rundlicher Eindruck auf den Dotter entspricht. Diese Kopfbeuge ist so stark, daß es unmöglich ist, die Bauch- fläche des Kopfes und Halses zu untersuchen, ohne den Kopf gewaltsam in die Höhe zu beugen.
Hirn und Sinneswerkzeuge. Entwicklung.
derſelbe hauptſächlich als Taſtſinn, weniger als Empfindungsvermögen ausſpricht. Daß die Kriech- thiere auch gegen äußere Einflüſſe empfänglich ſind, beweiſen ſie ſchon durch ihre Vorliebe für die Sonnenwärme, während ſie andererſeits eine Gefühlloſigkeit bethätigen, welche uns geradezu unbe- greiflich erſcheint. Der Taſtſinn hingegen kann ſehr entwickelt ſein und erreicht beſonders bei denen, welche die Zunge zum Taſten benutzen, eine hohe Ausbildung. Jn demſelben Maße ſcheint der Geſchmacksſinn zu verkümmern. Schildkröten und gewiſſe Eidechſen dürften wohl fähig ſein zu ſchmecken; bei den Krokodilen und Schlangen aber können wir ſchwerlich annehmen, daß dieſe Fähig- keit vorhanden iſt. Ebenſo bleiben wir über die Entwicklung des Geruchſinnes im Zweifel. Die Naſenhöhlen der Kriechthiere ſind ſtets durch knorpelhafte Naſenmuſcheln geſtützt und öffnen ſich im Rachen, können ſich bei einzelnen ſogar erweitern und zuſammenziehen. Die Geruchsnerven ſind ausgebildet, und eine mit netzförmiglaufenden Gefäßen durchzogene Schleimhaut iſt vorhanden. Jn welchem Grade aber die äußeren Einwirkungen durch dieſe Werkzeuge zum Bewußtſein kommen, ver- mögen wir nicht zu ſagen, weil uns die Beobachtung dafür kaum einen Anhalt bietet.
Alle Kriechthiere entwickeln ſich aus Eiern, welche im weſentlichen denen der Vögel gleichen, einen großen, ölreichen Dotter und eine mehr oder minder bedeutende Schicht von Eiweiß haben und in einer lederartigen, gewöhnlich elaſtiſchen Schale, auf welche ſtets nur in geringer Menge Kalkmaſſe ablagert, eingeſchloſſen ſind. Die Entwicklung der Eier beginnt meiſt ſchon vor dem Legen im Eileiter der Mutter; bei einzelnen wird der Keim hier ſogar vollſtändig entwickelt: das Junge durchbricht noch im Eileiter die Schale und wird mithin lebendig geboren. Andere Arten, welche ihre Eier ſonſt lange vor dieſer Zeit ablegen, können dazu gebracht werden, ſie ebenfalls bis zur vollſtändigen Ent- wicklung der Jungen zu behalten, wenn man ihnen die Gelegenheit zum Legen nimmt. Das befruchtete Ei zeigt auf der Oberfläche des Dotters eine rundliche Stelle mit verwiſchter Begrenzung, welche eine weiße Farbe hat und demjenigen Theile des Hühnereies entſpricht, den man im gemeinen Leben mit dem Namen „Hahnentritt“ bezeichnet. Dieſer Keim beſteht aus kleinen Zellen, welche faſt farblos ſind und ſo im Gegenſatze zum Dotter die lichte Färbung entſtehen laſſen; er bildet die erſte Grundlage der Entwicklung und ſtellt ſich als Mittelpunkt derjenigen Bildungen dar, welche den Aufbau des Embryo vermitteln. Sobald dieſer ſich zu entwickeln beginnt, verlängert jener ſich und bildet nun eine ovale Scheibe, welche in der Mitte durchſichtiger als außen iſt. Jn dem mittleren durchſichtigen Theile, dem Fruchthofe, erhebt ſich nun die Rückenwulſt, welche den vertieften Raum einſchließt, der nach und nach durch Zuwölbung der Wulſt ſich in das Rohr für Gehirn und Rücken- mark umwandelt. Unter der Rückenfurche erſcheint die Wirbelſäule in ſtabförmiger Geſtalt. An dem Vordertheile, wo die Rückenfurche ſich ausbreitet, laſſen ſich nach und nach bei der Ueberwölbung der Wulſt die einzelnen Hirnabtheilungen unterſcheiden, von denen die des Vorderhirns von Anbeginn an die bedeutendſte iſt; ſobald indeſſen das Kopfende ſich deutlicher zu geſtalten beginnt, tritt auch jener durchgreifende Unterſchied zwiſchen niederen und höheren Wirbelthieren hervor, den man mit dem Namen der Kopfbeuge bezeichnet. Der bisquitförmige, flache Embryo liegt nämlich mit der mäßig gekrümmten Bauchfläche auf der Oberfläche des Dotters auf und zwar in der Querare des Eies; indem er nun ſich erhebt und ſeitlich abgrenzt, ſchließt ſich ſein Kopfende beſonders raſch ab, knickt ſich aber zugleich nach vornhin gegen den Dotter ein, in ähnlicher Weiſe, wie wenn man den Kopf ſo ſtark als möglich ſenkt und gegen die Bruſt drückt. Das Ende der Wirbelſaite und der unmittelbar vor demſelben in der Lücke der beiden Schädelbalken ſich ablagernde Hirnanhang, welcher indeß erſt ſpäter erſcheinen wird, bilden den Winkelpunkt dieſer Einknickung, welcher ein rundlicher Eindruck auf den Dotter entſpricht. Dieſe Kopfbeuge iſt ſo ſtark, daß es unmöglich iſt, die Bauch- fläche des Kopfes und Halſes zu unterſuchen, ohne den Kopf gewaltſam in die Höhe zu beugen.
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[5/0017]
Hirn und Sinneswerkzeuge. Entwicklung.
derſelbe hauptſächlich als Taſtſinn, weniger als Empfindungsvermögen ausſpricht. Daß die Kriech-
thiere auch gegen äußere Einflüſſe empfänglich ſind, beweiſen ſie ſchon durch ihre Vorliebe für die
Sonnenwärme, während ſie andererſeits eine Gefühlloſigkeit bethätigen, welche uns geradezu unbe-
greiflich erſcheint. Der Taſtſinn hingegen kann ſehr entwickelt ſein und erreicht beſonders bei denen,
welche die Zunge zum Taſten benutzen, eine hohe Ausbildung. Jn demſelben Maße ſcheint der
Geſchmacksſinn zu verkümmern. Schildkröten und gewiſſe Eidechſen dürften wohl fähig ſein zu
ſchmecken; bei den Krokodilen und Schlangen aber können wir ſchwerlich annehmen, daß dieſe Fähig-
keit vorhanden iſt. Ebenſo bleiben wir über die Entwicklung des Geruchſinnes im Zweifel. Die
Naſenhöhlen der Kriechthiere ſind ſtets durch knorpelhafte Naſenmuſcheln geſtützt und öffnen ſich im
Rachen, können ſich bei einzelnen ſogar erweitern und zuſammenziehen. Die Geruchsnerven ſind
ausgebildet, und eine mit netzförmiglaufenden Gefäßen durchzogene Schleimhaut iſt vorhanden. Jn
welchem Grade aber die äußeren Einwirkungen durch dieſe Werkzeuge zum Bewußtſein kommen, ver-
mögen wir nicht zu ſagen, weil uns die Beobachtung dafür kaum einen Anhalt bietet.
Alle Kriechthiere entwickeln ſich aus Eiern, welche im weſentlichen denen der Vögel gleichen,
einen großen, ölreichen Dotter und eine mehr oder minder bedeutende Schicht von Eiweiß haben und
in einer lederartigen, gewöhnlich elaſtiſchen Schale, auf welche ſtets nur in geringer Menge Kalkmaſſe
ablagert, eingeſchloſſen ſind. Die Entwicklung der Eier beginnt meiſt ſchon vor dem Legen im Eileiter
der Mutter; bei einzelnen wird der Keim hier ſogar vollſtändig entwickelt: das Junge durchbricht
noch im Eileiter die Schale und wird mithin lebendig geboren. Andere Arten, welche ihre Eier ſonſt
lange vor dieſer Zeit ablegen, können dazu gebracht werden, ſie ebenfalls bis zur vollſtändigen Ent-
wicklung der Jungen zu behalten, wenn man ihnen die Gelegenheit zum Legen nimmt. Das
befruchtete Ei zeigt auf der Oberfläche des Dotters eine rundliche Stelle mit verwiſchter Begrenzung,
welche eine weiße Farbe hat und demjenigen Theile des Hühnereies entſpricht, den man im gemeinen
Leben mit dem Namen „Hahnentritt“ bezeichnet. Dieſer Keim beſteht aus kleinen Zellen, welche
faſt farblos ſind und ſo im Gegenſatze zum Dotter die lichte Färbung entſtehen laſſen; er bildet die erſte
Grundlage der Entwicklung und ſtellt ſich als Mittelpunkt derjenigen Bildungen dar, welche den
Aufbau des Embryo vermitteln. Sobald dieſer ſich zu entwickeln beginnt, verlängert jener ſich und
bildet nun eine ovale Scheibe, welche in der Mitte durchſichtiger als außen iſt. Jn dem mittleren
durchſichtigen Theile, dem Fruchthofe, erhebt ſich nun die Rückenwulſt, welche den vertieften Raum
einſchließt, der nach und nach durch Zuwölbung der Wulſt ſich in das Rohr für Gehirn und Rücken-
mark umwandelt. Unter der Rückenfurche erſcheint die Wirbelſäule in ſtabförmiger Geſtalt. An
dem Vordertheile, wo die Rückenfurche ſich ausbreitet, laſſen ſich nach und nach bei der Ueberwölbung
der Wulſt die einzelnen Hirnabtheilungen unterſcheiden, von denen die des Vorderhirns von Anbeginn
an die bedeutendſte iſt; ſobald indeſſen das Kopfende ſich deutlicher zu geſtalten beginnt, tritt auch
jener durchgreifende Unterſchied zwiſchen niederen und höheren Wirbelthieren hervor, den man mit
dem Namen der Kopfbeuge bezeichnet. Der bisquitförmige, flache Embryo liegt nämlich mit der
mäßig gekrümmten Bauchfläche auf der Oberfläche des Dotters auf und zwar in der Querare des
Eies; indem er nun ſich erhebt und ſeitlich abgrenzt, ſchließt ſich ſein Kopfende beſonders raſch ab,
knickt ſich aber zugleich nach vornhin gegen den Dotter ein, in ähnlicher Weiſe, wie wenn man den
Kopf ſo ſtark als möglich ſenkt und gegen die Bruſt drückt. Das Ende der Wirbelſaite und der
unmittelbar vor demſelben in der Lücke der beiden Schädelbalken ſich ablagernde Hirnanhang, welcher
indeß erſt ſpäter erſcheinen wird, bilden den Winkelpunkt dieſer Einknickung, welcher ein rundlicher
Eindruck auf den Dotter entſpricht. Dieſe Kopfbeuge iſt ſo ſtark, daß es unmöglich iſt, die Bauch-
fläche des Kopfes und Halſes zu unterſuchen, ohne den Kopf gewaltſam in die Höhe zu beugen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/17>, abgerufen am 21.12.2024.
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