und auch den Schnabel als Stütze gebrauchen muß. Der Flug ähnelt dem der Scharben so, daß man beide Vögel verwechseln kann; er hat den Anschein, als ob er ermüden müsse, fördert aber sehr rasch und wird auch lange Zeit in einem Zuge fortgesetzt. Ungestört pflegt der Schlangenhalsvogel ziemlich niedrig über dem Wasser dahin zu streichen, möglichst denselben Abstand einhaltend. Will er sich dann auf einem Baume niederlassen, so steigt er von unten in einem jähen Bogen bis zur Höhe des Baumes empor, umkreist diesen einige Male und bäumt sodann auf. Will er von einem Gewässer zum anderen ziehen, so erhebt er sich mit fortwährenden Flügelschlägen bis in eine ziemlich bedeutende Höhe, beginnt schwebend zu kreisen, benutzt die herrschende Windströmung so geschickt, daß er bald in die erwünschte Höhe getragen wird und fliegt nun in dieser weiter. Während der Paarungszeit soll er, wie Audubon uns belehrt, oft zu bedeutenden Höhen emporfliegen, zuweilen sogar den Blicken entschwinden und stundenlang spielend kreisen. Jn den Mittagsstunden setzt er sich ganz nach Art der Scharben auf dürren Zweigen oder felsigen Jnseln im Strome nieder, breitet die Flügel und fächelt von Zeit zu Zeit mit ihnen, gleichsam, als ob er sich Kühlung zuwehen müsse. Jeder Schlangenhalsvogel, welcher einen Artgenossen in dieser Stellung sitzen sieht, wird nicht verfehlen, sich zu ihm zu gesellen, und so geschieht es, daß ein beliebter Sitzplatz im Strome zur geeigneten Zeit gewöhnlich mit mehreren Schlangenhalsvögeln bedeckt und durch sie von Weitem kenntlich gemacht ist. An solchen Stellen hängen sie mit ebenso viel Hartnäckigkeit wie an den einmal gewählten Schlafplätzen, zu welchen sie auch nach wiederholter Störung immer und immer wieder zurückkehren.
Auch hinsichtlich der übrigen Eigenschaften lassen sich die Schlangenhalsvögel nur mit den Scharben vergleichen. Das geistige Wesen ist mehr oder weniger dasselbe bei allen Mitgliedern der beiden Sippen. Gesellig zeigen sich die Schlangenhalsvögel nur anderen ihrer Art gegenüber; denn wenn sie sich auch zuweilen unter Pelekane und Scharben und in Amerika vielleicht auch unter Fregattvögel, oder während der Brutzeit unter Reiher mischen, halten sie sich doch stets ein wenig getrennt von diesen unter sich zusammen und nehmen auf das Thun und Treiben jener Gesell- schaften keine Rücksicht. Unter sich scheinen die Glieder eines Trupps in Frieden zu leben; der bei ihnen sehr ausgeprägte Neid mag aber wohl zuweilen Kämpfe oder wenigstens Neckereien herbeiführen. Vor dem Menschen und anderen gefährlichen Geschöpfen nehmen sie sich sehr in Acht: sie sind von Hause aus sehr vorsichtig und werden, wenn sie sich verfolgt sehen, bald außerordentlich scheu, bekunden also viel Urtheilsfähigkeit.
Die Schlangenhalsvögel fischen nach Art der Scharben, indem sie von der Oberfläche des Wassers aus in die Tiefe tauchen, durch schnelles Rudern unter dem Wasser Fische einholen und mit einem raschen Vorstoßen ihres Halses sie fassen. Auf der hohen See sollen sie sich, wie Tschudi sagt, mit der größten Schnelligkeit auf die Fische stürzen, sich aber äußerst selten auf die Wellen setzen, sondern sich mit ihrer Beute sogleich wieder erheben und diese im Fluge verschlingen. Jn wie weit diese Angabe genau ist, vermag ich nicht zu sagen. Das Eine ist richtig, daß sie mit der gefangenen Beute regelmäßig zur Oberfläche des Wassers emporkommen und sie hier verschlingen. Sie bedürfen sehr viel Nahrung, denn ihre Gefräßigkeit ist außerordentlich groß. Allerdings können auch sie wie die übrigen Raub- und Fischervögel tagelang ohne Nahrung aushalten, gewöhnlich aber brauchen sie sich solche Kasteiungen nicht aufzuerlegen und können ihrer Gefräßigkeit volle Genüge thun. Audubon's Freund, Bachman, beobachtete an seinen Gefangenen, daß ein Fisch von neun Zoll Länge und zwei Zoll im Durchmesser, welchen der Schlangenhalsvogel kaum verschlingen konnte, bereits nach anderthalb Stunden verdaut war, und daß der gefräßige Ruderfüßler an dem- selben Vormittage noch drei andere Fische von beinah derselben Größe verschlang. Wenn ihm kleinere, ungefähr drei Zoll lange Fische gereicht wurden, nahm er ihrer vierzig und mehr mit einem Male zu sich. Zwischen den verschiedenen Fischarten scheinen die Schlangenhalsvögel keinen Unterschied zu machen, und wahrscheinlich werden sie ebenso wie die Scharben kleine Wirbelthiere, junge Vögel und mancherlei Lurche, vielleicht auch verschiedene wirbellose Thiere auch nicht verschmähen.
Lebensweiſe der Schlangenhalsvögel.
und auch den Schnabel als Stütze gebrauchen muß. Der Flug ähnelt dem der Scharben ſo, daß man beide Vögel verwechſeln kann; er hat den Anſchein, als ob er ermüden müſſe, fördert aber ſehr raſch und wird auch lange Zeit in einem Zuge fortgeſetzt. Ungeſtört pflegt der Schlangenhalsvogel ziemlich niedrig über dem Waſſer dahin zu ſtreichen, möglichſt denſelben Abſtand einhaltend. Will er ſich dann auf einem Baume niederlaſſen, ſo ſteigt er von unten in einem jähen Bogen bis zur Höhe des Baumes empor, umkreiſt dieſen einige Male und bäumt ſodann auf. Will er von einem Gewäſſer zum anderen ziehen, ſo erhebt er ſich mit fortwährenden Flügelſchlägen bis in eine ziemlich bedeutende Höhe, beginnt ſchwebend zu kreiſen, benutzt die herrſchende Windſtrömung ſo geſchickt, daß er bald in die erwünſchte Höhe getragen wird und fliegt nun in dieſer weiter. Während der Paarungszeit ſoll er, wie Audubon uns belehrt, oft zu bedeutenden Höhen emporfliegen, zuweilen ſogar den Blicken entſchwinden und ſtundenlang ſpielend kreiſen. Jn den Mittagsſtunden ſetzt er ſich ganz nach Art der Scharben auf dürren Zweigen oder felſigen Jnſeln im Strome nieder, breitet die Flügel und fächelt von Zeit zu Zeit mit ihnen, gleichſam, als ob er ſich Kühlung zuwehen müſſe. Jeder Schlangenhalsvogel, welcher einen Artgenoſſen in dieſer Stellung ſitzen ſieht, wird nicht verfehlen, ſich zu ihm zu geſellen, und ſo geſchieht es, daß ein beliebter Sitzplatz im Strome zur geeigneten Zeit gewöhnlich mit mehreren Schlangenhalsvögeln bedeckt und durch ſie von Weitem kenntlich gemacht iſt. An ſolchen Stellen hängen ſie mit ebenſo viel Hartnäckigkeit wie an den einmal gewählten Schlafplätzen, zu welchen ſie auch nach wiederholter Störung immer und immer wieder zurückkehren.
Auch hinſichtlich der übrigen Eigenſchaften laſſen ſich die Schlangenhalsvögel nur mit den Scharben vergleichen. Das geiſtige Weſen iſt mehr oder weniger daſſelbe bei allen Mitgliedern der beiden Sippen. Geſellig zeigen ſich die Schlangenhalsvögel nur anderen ihrer Art gegenüber; denn wenn ſie ſich auch zuweilen unter Pelekane und Scharben und in Amerika vielleicht auch unter Fregattvögel, oder während der Brutzeit unter Reiher miſchen, halten ſie ſich doch ſtets ein wenig getrennt von dieſen unter ſich zuſammen und nehmen auf das Thun und Treiben jener Geſell- ſchaften keine Rückſicht. Unter ſich ſcheinen die Glieder eines Trupps in Frieden zu leben; der bei ihnen ſehr ausgeprägte Neid mag aber wohl zuweilen Kämpfe oder wenigſtens Neckereien herbeiführen. Vor dem Menſchen und anderen gefährlichen Geſchöpfen nehmen ſie ſich ſehr in Acht: ſie ſind von Hauſe aus ſehr vorſichtig und werden, wenn ſie ſich verfolgt ſehen, bald außerordentlich ſcheu, bekunden alſo viel Urtheilsfähigkeit.
Die Schlangenhalsvögel fiſchen nach Art der Scharben, indem ſie von der Oberfläche des Waſſers aus in die Tiefe tauchen, durch ſchnelles Rudern unter dem Waſſer Fiſche einholen und mit einem raſchen Vorſtoßen ihres Halſes ſie faſſen. Auf der hohen See ſollen ſie ſich, wie Tſchudi ſagt, mit der größten Schnelligkeit auf die Fiſche ſtürzen, ſich aber äußerſt ſelten auf die Wellen ſetzen, ſondern ſich mit ihrer Beute ſogleich wieder erheben und dieſe im Fluge verſchlingen. Jn wie weit dieſe Angabe genau iſt, vermag ich nicht zu ſagen. Das Eine iſt richtig, daß ſie mit der gefangenen Beute regelmäßig zur Oberfläche des Waſſers emporkommen und ſie hier verſchlingen. Sie bedürfen ſehr viel Nahrung, denn ihre Gefräßigkeit iſt außerordentlich groß. Allerdings können auch ſie wie die übrigen Raub- und Fiſchervögel tagelang ohne Nahrung aushalten, gewöhnlich aber brauchen ſie ſich ſolche Kaſteiungen nicht aufzuerlegen und können ihrer Gefräßigkeit volle Genüge thun. Audubon’s Freund, Bachman, beobachtete an ſeinen Gefangenen, daß ein Fiſch von neun Zoll Länge und zwei Zoll im Durchmeſſer, welchen der Schlangenhalsvogel kaum verſchlingen konnte, bereits nach anderthalb Stunden verdaut war, und daß der gefräßige Ruderfüßler an dem- ſelben Vormittage noch drei andere Fiſche von beinah derſelben Größe verſchlang. Wenn ihm kleinere, ungefähr drei Zoll lange Fiſche gereicht wurden, nahm er ihrer vierzig und mehr mit einem Male zu ſich. Zwiſchen den verſchiedenen Fiſcharten ſcheinen die Schlangenhalsvögel keinen Unterſchied zu machen, und wahrſcheinlich werden ſie ebenſo wie die Scharben kleine Wirbelthiere, junge Vögel und mancherlei Lurche, vielleicht auch verſchiedene wirbelloſe Thiere auch nicht verſchmähen.
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Lebensweiſe der Schlangenhalsvögel.
und auch den Schnabel als Stütze gebrauchen muß. Der Flug ähnelt dem der Scharben ſo, daß man
beide Vögel verwechſeln kann; er hat den Anſchein, als ob er ermüden müſſe, fördert aber ſehr raſch
und wird auch lange Zeit in einem Zuge fortgeſetzt. Ungeſtört pflegt der Schlangenhalsvogel ziemlich
niedrig über dem Waſſer dahin zu ſtreichen, möglichſt denſelben Abſtand einhaltend. Will er ſich
dann auf einem Baume niederlaſſen, ſo ſteigt er von unten in einem jähen Bogen bis zur Höhe des
Baumes empor, umkreiſt dieſen einige Male und bäumt ſodann auf. Will er von einem Gewäſſer
zum anderen ziehen, ſo erhebt er ſich mit fortwährenden Flügelſchlägen bis in eine ziemlich bedeutende
Höhe, beginnt ſchwebend zu kreiſen, benutzt die herrſchende Windſtrömung ſo geſchickt, daß er bald in
die erwünſchte Höhe getragen wird und fliegt nun in dieſer weiter. Während der Paarungszeit ſoll
er, wie Audubon uns belehrt, oft zu bedeutenden Höhen emporfliegen, zuweilen ſogar den Blicken
entſchwinden und ſtundenlang ſpielend kreiſen. Jn den Mittagsſtunden ſetzt er ſich ganz nach Art
der Scharben auf dürren Zweigen oder felſigen Jnſeln im Strome nieder, breitet die Flügel und
fächelt von Zeit zu Zeit mit ihnen, gleichſam, als ob er ſich Kühlung zuwehen müſſe. Jeder
Schlangenhalsvogel, welcher einen Artgenoſſen in dieſer Stellung ſitzen ſieht, wird nicht verfehlen,
ſich zu ihm zu geſellen, und ſo geſchieht es, daß ein beliebter Sitzplatz im Strome zur geeigneten
Zeit gewöhnlich mit mehreren Schlangenhalsvögeln bedeckt und durch ſie von Weitem kenntlich
gemacht iſt. An ſolchen Stellen hängen ſie mit ebenſo viel Hartnäckigkeit wie an den einmal
gewählten Schlafplätzen, zu welchen ſie auch nach wiederholter Störung immer und immer wieder
zurückkehren.
Auch hinſichtlich der übrigen Eigenſchaften laſſen ſich die Schlangenhalsvögel nur mit den
Scharben vergleichen. Das geiſtige Weſen iſt mehr oder weniger daſſelbe bei allen Mitgliedern der
beiden Sippen. Geſellig zeigen ſich die Schlangenhalsvögel nur anderen ihrer Art gegenüber; denn
wenn ſie ſich auch zuweilen unter Pelekane und Scharben und in Amerika vielleicht auch unter
Fregattvögel, oder während der Brutzeit unter Reiher miſchen, halten ſie ſich doch ſtets ein
wenig getrennt von dieſen unter ſich zuſammen und nehmen auf das Thun und Treiben jener Geſell-
ſchaften keine Rückſicht. Unter ſich ſcheinen die Glieder eines Trupps in Frieden zu leben; der bei
ihnen ſehr ausgeprägte Neid mag aber wohl zuweilen Kämpfe oder wenigſtens Neckereien herbeiführen.
Vor dem Menſchen und anderen gefährlichen Geſchöpfen nehmen ſie ſich ſehr in Acht: ſie ſind von
Hauſe aus ſehr vorſichtig und werden, wenn ſie ſich verfolgt ſehen, bald außerordentlich ſcheu,
bekunden alſo viel Urtheilsfähigkeit.
Die Schlangenhalsvögel fiſchen nach Art der Scharben, indem ſie von der Oberfläche des
Waſſers aus in die Tiefe tauchen, durch ſchnelles Rudern unter dem Waſſer Fiſche einholen und mit
einem raſchen Vorſtoßen ihres Halſes ſie faſſen. Auf der hohen See ſollen ſie ſich, wie Tſchudi
ſagt, mit der größten Schnelligkeit auf die Fiſche ſtürzen, ſich aber äußerſt ſelten auf die Wellen
ſetzen, ſondern ſich mit ihrer Beute ſogleich wieder erheben und dieſe im Fluge verſchlingen. Jn wie
weit dieſe Angabe genau iſt, vermag ich nicht zu ſagen. Das Eine iſt richtig, daß ſie mit der
gefangenen Beute regelmäßig zur Oberfläche des Waſſers emporkommen und ſie hier verſchlingen.
Sie bedürfen ſehr viel Nahrung, denn ihre Gefräßigkeit iſt außerordentlich groß. Allerdings können
auch ſie wie die übrigen Raub- und Fiſchervögel tagelang ohne Nahrung aushalten, gewöhnlich aber
brauchen ſie ſich ſolche Kaſteiungen nicht aufzuerlegen und können ihrer Gefräßigkeit volle Genüge
thun. Audubon’s Freund, Bachman, beobachtete an ſeinen Gefangenen, daß ein Fiſch von
neun Zoll Länge und zwei Zoll im Durchmeſſer, welchen der Schlangenhalsvogel kaum verſchlingen
konnte, bereits nach anderthalb Stunden verdaut war, und daß der gefräßige Ruderfüßler an dem-
ſelben Vormittage noch drei andere Fiſche von beinah derſelben Größe verſchlang. Wenn ihm kleinere,
ungefähr drei Zoll lange Fiſche gereicht wurden, nahm er ihrer vierzig und mehr mit einem Male zu
ſich. Zwiſchen den verſchiedenen Fiſcharten ſcheinen die Schlangenhalsvögel keinen Unterſchied zu
machen, und wahrſcheinlich werden ſie ebenſo wie die Scharben kleine Wirbelthiere, junge Vögel und
mancherlei Lurche, vielleicht auch verſchiedene wirbelloſe Thiere auch nicht verſchmähen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 921. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/973>, abgerufen am 16.07.2024.
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