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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Späher. Klettervögel. Grünspechte. Kukuksspechte.
meiselte, kehrt auch, wenn er nicht gestört wurde, im nächsten Jahre wieder zu derselben zurück. Das
Gelege besteht aus sechs bis acht Eiern. Sie sind länglich, glattschalig und auswendig glänzend weiß.
Beide Gatten brüten wechselweise sechszehn bis achtzehn Tage lang, das Männchen von zehn Uhr
Morgens bis drei oder vier Uhr Nachmittags, das Weibchen während der übrigen Zeit des Tags;
beide erwärmen auch die zarten Jungen abwechselnd, und beide tragen denselben eifrig Nahrung zu.
Die Jungen sind ebenso häßlich, wie anderer Spechte Kinder, entwickeln sich aber auch ebenso rasch
und schauen schon in der dritten Woche ihres eigentlichen Lebens aus dem Nestloche heraus. Später
beklettern sie vonhieraus den ganzen Baum, und endlich durchstreifen sie mit ihren Eltern das Wohn-
gebiet, kehren aber noch eine Zeit lang allabendlich zu der Bruthöhle zurück. Die Streifzüge werden
nun weiter und weiter ausgedehnt, und schließlich sucht die Familie, welche noch immer zusammenhält,
nicht mehr die Bruthöhle auf, sondern übernachtet irgendwo in einer andern. Vom Oktober an
vereinzelt sich die Gesellschaft: die Jungen sind selbständig geworden, und jeder einzelne sucht sich nun-
mehr, ohne Rücksicht auf die andern, sein tägliches Brot.

Der Grünspecht ist schwer zu fangen. Jn Sprenkeln oder auf dem Vogelherde wird blos zufällig
einer berückt: eher noch gelingt Dies, wenn man seine Schlafhöhlung ausgekundschaftet hat und vor
dem Eingange Schlingen anbringt. "Jn meinem Wäldchen", erzählt Naumann, "hatte sich einst
ein Grünspecht eine Höhle zu seiner Nachtruhe in eine alte, hohe, graue Espe gezimmert. Jch erstieg
den Baum mit einer langen Leiter, schlug ein Stiftchen dicht über das zirkelrunde Loch und hing einen
dünnen Bügel mit Schlingen lose daran, sodaß diese den Eingang bestellten. Aus einer alten Laub-
hütte beobachtete ich nun ungesehen den schlauen Specht, welcher erst im Düstern ankam, die Anstalten
scheu betrachtete und einigemal vom Baum abflog, ehe er den Muth hatte, sich dem verfänglichen Loche
zu nähern. Endlich hing er sich vor dasselbe, guckte ein-, zweimal hinein, fühlte die Schlinge um den
Hals, wollte entfliehen, kam aber mit gräßlichem Geschrei, den Bügel am Halse, herabgeflattert und
war gefangen. Jch behielt ihn nur einen Tag lang und ließ ihn dann wieder fliegen. Er scheute
nun den verhängnißvollen Baum auf lange Zeit, ging aber doch nach Verlauf von mehreren Wochen
allabendlich wieder in seiner Höhle zur Ruhe...."

"Der Grünspecht ist ein so stürmischer, unbändiger Vogel, daß man an Zähmung eines Alten
gar nicht denken darf. Man hat es versucht und ihn an ein Kettchen gelegt; aber der Erfolg war
immer ein baldiger Tod des ungestümen Gefangenen. Aus einem hölzernen Vogelbauer helfen ihm
seine kräftigen Schnabelhiebe sehr bald, und läßt man ihn in die Stube, so klammert er sich an Allem
an und zermeiselt das Holzwerk. Daß sie sich jung aufgezogen leichter zähmen lassen, mag sein; mir
ist aber kein Fall derart bekannt geworden." Jch meinestheils zweifle nicht im geringsten, daß sich
der Grünspecht ebenso leicht wird an ein passendes Futter gewöhnen lassen, als der Schwarzspecht; und
denke schon in diesem Frühjahre meine Ansicht durch den Versuch bestätigen zu können.



Kukuksspechte (Colapti) hat man diejenigen Arten genannt, deren Schnabel deutlich
gebogen und deren Gefieder mehr oder weniger gesperbert ist. Eins der bekanntesten Mitglieder dieser
Gruppe ist der Goldspecht oder Flicker (Colaptes auratus). Der am Grunde breite Schnabel ist
gestreckt, gegen die Spitze zusammengedrückt, auf der Firste und an den Schneiden seicht gebogen; der
Lauf ist anderthalbmal so lang, als die äußere Vorderzehe; im Fittig sind die vierte und fünfte
Schwinge die längsten; die Schäfte der Schwingen und Schwanzfedern sind hochgelb oder roth. Das
Gefieder ist auf der Oberseite röthlichgraubraun, schwarz gebändert, der Oberkopf und das Genick sind
aschgrau; ein halbmondförmiges Band am Hinterkopf ist scharlachroth; der Bürzel ist weiß; die Ober-
schwanzdeckfedern sind fahlweiß, die Kopfseiten und die Gurgel grauröthlich, der Zügel und ein breiter
Gürtel am Unterhalse schwarz; die übrige Unterseite ist auf weißem Grunde schwarz getüpfelt, weil

Die Späher. Klettervögel. Grünſpechte. Kukuksſpechte.
meiſelte, kehrt auch, wenn er nicht geſtört wurde, im nächſten Jahre wieder zu derſelben zurück. Das
Gelege beſteht aus ſechs bis acht Eiern. Sie ſind länglich, glattſchalig und auswendig glänzend weiß.
Beide Gatten brüten wechſelweiſe ſechszehn bis achtzehn Tage lang, das Männchen von zehn Uhr
Morgens bis drei oder vier Uhr Nachmittags, das Weibchen während der übrigen Zeit des Tags;
beide erwärmen auch die zarten Jungen abwechſelnd, und beide tragen denſelben eifrig Nahrung zu.
Die Jungen ſind ebenſo häßlich, wie anderer Spechte Kinder, entwickeln ſich aber auch ebenſo raſch
und ſchauen ſchon in der dritten Woche ihres eigentlichen Lebens aus dem Neſtloche heraus. Später
beklettern ſie vonhieraus den ganzen Baum, und endlich durchſtreifen ſie mit ihren Eltern das Wohn-
gebiet, kehren aber noch eine Zeit lang allabendlich zu der Bruthöhle zurück. Die Streifzüge werden
nun weiter und weiter ausgedehnt, und ſchließlich ſucht die Familie, welche noch immer zuſammenhält,
nicht mehr die Bruthöhle auf, ſondern übernachtet irgendwo in einer andern. Vom Oktober an
vereinzelt ſich die Geſellſchaft: die Jungen ſind ſelbſtändig geworden, und jeder einzelne ſucht ſich nun-
mehr, ohne Rückſicht auf die andern, ſein tägliches Brot.

Der Grünſpecht iſt ſchwer zu fangen. Jn Sprenkeln oder auf dem Vogelherde wird blos zufällig
einer berückt: eher noch gelingt Dies, wenn man ſeine Schlafhöhlung ausgekundſchaftet hat und vor
dem Eingange Schlingen anbringt. „Jn meinem Wäldchen“, erzählt Naumann, „hatte ſich einſt
ein Grünſpecht eine Höhle zu ſeiner Nachtruhe in eine alte, hohe, graue Eſpe gezimmert. Jch erſtieg
den Baum mit einer langen Leiter, ſchlug ein Stiftchen dicht über das zirkelrunde Loch und hing einen
dünnen Bügel mit Schlingen loſe daran, ſodaß dieſe den Eingang beſtellten. Aus einer alten Laub-
hütte beobachtete ich nun ungeſehen den ſchlauen Specht, welcher erſt im Düſtern ankam, die Anſtalten
ſcheu betrachtete und einigemal vom Baum abflog, ehe er den Muth hatte, ſich dem verfänglichen Loche
zu nähern. Endlich hing er ſich vor daſſelbe, guckte ein-, zweimal hinein, fühlte die Schlinge um den
Hals, wollte entfliehen, kam aber mit gräßlichem Geſchrei, den Bügel am Halſe, herabgeflattert und
war gefangen. Jch behielt ihn nur einen Tag lang und ließ ihn dann wieder fliegen. Er ſcheute
nun den verhängnißvollen Baum auf lange Zeit, ging aber doch nach Verlauf von mehreren Wochen
allabendlich wieder in ſeiner Höhle zur Ruhe....“

„Der Grünſpecht iſt ein ſo ſtürmiſcher, unbändiger Vogel, daß man an Zähmung eines Alten
gar nicht denken darf. Man hat es verſucht und ihn an ein Kettchen gelegt; aber der Erfolg war
immer ein baldiger Tod des ungeſtümen Gefangenen. Aus einem hölzernen Vogelbauer helfen ihm
ſeine kräftigen Schnabelhiebe ſehr bald, und läßt man ihn in die Stube, ſo klammert er ſich an Allem
an und zermeiſelt das Holzwerk. Daß ſie ſich jung aufgezogen leichter zähmen laſſen, mag ſein; mir
iſt aber kein Fall derart bekannt geworden.“ Jch meinestheils zweifle nicht im geringſten, daß ſich
der Grünſpecht ebenſo leicht wird an ein paſſendes Futter gewöhnen laſſen, als der Schwarzſpecht; und
denke ſchon in dieſem Frühjahre meine Anſicht durch den Verſuch beſtätigen zu können.



Kukuksſpechte (Colapti) hat man diejenigen Arten genannt, deren Schnabel deutlich
gebogen und deren Gefieder mehr oder weniger geſperbert iſt. Eins der bekannteſten Mitglieder dieſer
Gruppe iſt der Goldſpecht oder Flicker (Colaptes auratus). Der am Grunde breite Schnabel iſt
geſtreckt, gegen die Spitze zuſammengedrückt, auf der Firſte und an den Schneiden ſeicht gebogen; der
Lauf iſt anderthalbmal ſo lang, als die äußere Vorderzehe; im Fittig ſind die vierte und fünfte
Schwinge die längſten; die Schäfte der Schwingen und Schwanzfedern ſind hochgelb oder roth. Das
Gefieder iſt auf der Oberſeite röthlichgraubraun, ſchwarz gebändert, der Oberkopf und das Genick ſind
aſchgrau; ein halbmondförmiges Band am Hinterkopf iſt ſcharlachroth; der Bürzel iſt weiß; die Ober-
ſchwanzdeckfedern ſind fahlweiß, die Kopfſeiten und die Gurgel grauröthlich, der Zügel und ein breiter
Gürtel am Unterhalſe ſchwarz; die übrige Unterſeite iſt auf weißem Grunde ſchwarz getüpfelt, weil

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[80/0094] Die Späher. Klettervögel. Grünſpechte. Kukuksſpechte. meiſelte, kehrt auch, wenn er nicht geſtört wurde, im nächſten Jahre wieder zu derſelben zurück. Das Gelege beſteht aus ſechs bis acht Eiern. Sie ſind länglich, glattſchalig und auswendig glänzend weiß. Beide Gatten brüten wechſelweiſe ſechszehn bis achtzehn Tage lang, das Männchen von zehn Uhr Morgens bis drei oder vier Uhr Nachmittags, das Weibchen während der übrigen Zeit des Tags; beide erwärmen auch die zarten Jungen abwechſelnd, und beide tragen denſelben eifrig Nahrung zu. Die Jungen ſind ebenſo häßlich, wie anderer Spechte Kinder, entwickeln ſich aber auch ebenſo raſch und ſchauen ſchon in der dritten Woche ihres eigentlichen Lebens aus dem Neſtloche heraus. Später beklettern ſie vonhieraus den ganzen Baum, und endlich durchſtreifen ſie mit ihren Eltern das Wohn- gebiet, kehren aber noch eine Zeit lang allabendlich zu der Bruthöhle zurück. Die Streifzüge werden nun weiter und weiter ausgedehnt, und ſchließlich ſucht die Familie, welche noch immer zuſammenhält, nicht mehr die Bruthöhle auf, ſondern übernachtet irgendwo in einer andern. Vom Oktober an vereinzelt ſich die Geſellſchaft: die Jungen ſind ſelbſtändig geworden, und jeder einzelne ſucht ſich nun- mehr, ohne Rückſicht auf die andern, ſein tägliches Brot. Der Grünſpecht iſt ſchwer zu fangen. Jn Sprenkeln oder auf dem Vogelherde wird blos zufällig einer berückt: eher noch gelingt Dies, wenn man ſeine Schlafhöhlung ausgekundſchaftet hat und vor dem Eingange Schlingen anbringt. „Jn meinem Wäldchen“, erzählt Naumann, „hatte ſich einſt ein Grünſpecht eine Höhle zu ſeiner Nachtruhe in eine alte, hohe, graue Eſpe gezimmert. Jch erſtieg den Baum mit einer langen Leiter, ſchlug ein Stiftchen dicht über das zirkelrunde Loch und hing einen dünnen Bügel mit Schlingen loſe daran, ſodaß dieſe den Eingang beſtellten. Aus einer alten Laub- hütte beobachtete ich nun ungeſehen den ſchlauen Specht, welcher erſt im Düſtern ankam, die Anſtalten ſcheu betrachtete und einigemal vom Baum abflog, ehe er den Muth hatte, ſich dem verfänglichen Loche zu nähern. Endlich hing er ſich vor daſſelbe, guckte ein-, zweimal hinein, fühlte die Schlinge um den Hals, wollte entfliehen, kam aber mit gräßlichem Geſchrei, den Bügel am Halſe, herabgeflattert und war gefangen. Jch behielt ihn nur einen Tag lang und ließ ihn dann wieder fliegen. Er ſcheute nun den verhängnißvollen Baum auf lange Zeit, ging aber doch nach Verlauf von mehreren Wochen allabendlich wieder in ſeiner Höhle zur Ruhe....“ „Der Grünſpecht iſt ein ſo ſtürmiſcher, unbändiger Vogel, daß man an Zähmung eines Alten gar nicht denken darf. Man hat es verſucht und ihn an ein Kettchen gelegt; aber der Erfolg war immer ein baldiger Tod des ungeſtümen Gefangenen. Aus einem hölzernen Vogelbauer helfen ihm ſeine kräftigen Schnabelhiebe ſehr bald, und läßt man ihn in die Stube, ſo klammert er ſich an Allem an und zermeiſelt das Holzwerk. Daß ſie ſich jung aufgezogen leichter zähmen laſſen, mag ſein; mir iſt aber kein Fall derart bekannt geworden.“ Jch meinestheils zweifle nicht im geringſten, daß ſich der Grünſpecht ebenſo leicht wird an ein paſſendes Futter gewöhnen laſſen, als der Schwarzſpecht; und denke ſchon in dieſem Frühjahre meine Anſicht durch den Verſuch beſtätigen zu können. Kukuksſpechte (Colapti) hat man diejenigen Arten genannt, deren Schnabel deutlich gebogen und deren Gefieder mehr oder weniger geſperbert iſt. Eins der bekannteſten Mitglieder dieſer Gruppe iſt der Goldſpecht oder Flicker (Colaptes auratus). Der am Grunde breite Schnabel iſt geſtreckt, gegen die Spitze zuſammengedrückt, auf der Firſte und an den Schneiden ſeicht gebogen; der Lauf iſt anderthalbmal ſo lang, als die äußere Vorderzehe; im Fittig ſind die vierte und fünfte Schwinge die längſten; die Schäfte der Schwingen und Schwanzfedern ſind hochgelb oder roth. Das Gefieder iſt auf der Oberſeite röthlichgraubraun, ſchwarz gebändert, der Oberkopf und das Genick ſind aſchgrau; ein halbmondförmiges Band am Hinterkopf iſt ſcharlachroth; der Bürzel iſt weiß; die Ober- ſchwanzdeckfedern ſind fahlweiß, die Kopfſeiten und die Gurgel grauröthlich, der Zügel und ein breiter Gürtel am Unterhalſe ſchwarz; die übrige Unterſeite iſt auf weißem Grunde ſchwarz getüpfelt, weil

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/94>, abgerufen am 24.11.2024.