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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Lachmöve.
Beschäftigt man sich eingehend mit ihnen, so werden sie bald außerordentlich zahm, laufen dem Pfleger
wie ein Hund auf dem Fuße nach, begrüßen ihn freudig, wenn er sich zeigt, und folgen ihm später
fliegend durch das Gehöft und den Garten, auch wohl bis in das Feld hinaus. Bis gegen den Spät-
herbst hin verlassen solche Gefangene den Wohnplatz, welchen man ihnen angewiesen, nicht. Sie
entfernen sich wohl zeitweilig und treiben sich auch meilenweit in der Umgegend umher, kehren aber
immer wieder rechtzeitig zurück, namentlich wenn man sie an eine bestimmte Fütterungsstunde
gewöhnte. Finden sie unterwegs Artgenossen, so versuchen sie diese mitzubringen und wissen in der
Regel deren Mißtrauen so vollständig zu beseitigen, daß die Wildlinge scheinbar alle Scheu vor dem
Menschen ablegen und sich wenigstens eine Zeitlang in dem Gehege ihrer gezähmten Schwestern auf-
halten; ungestört kehren sie dann gern wieder zurück und schließlich kann man, Dank seinen Pfleglingen,
tagtäglich so viele Besucher erhalten, daß besondere Vorkehrungen nöthig werden, sie auch entsprechend
zu bewirthen.



Gestalt und Färbung der Raubmöven (Lestres) berechtigen uns, sie als besondere Familie
aufzufassen. Die wenigen Arten derselben, welche man kennt, ähneln den Möven, unterscheiden sich
aber durch die Bildung des Schnabels und der Füße, durch die eigenthümliche Färbung des Gefieders
und die sehr verschiedene Lebensweise. Der Leib ist kräftig, der Hals kurz, der Kopf klein, der hinten
mit einer Wachshaut bekleidete Schnabel verhältnißmäßig kurz, aber stark, dick, blos vorn seitlich
zusammengedrückt, auf der Oberfirste starkhakig übergewölbt, an der unteren Kinnlade eckig ausge-
bogen, der Fuß, dessen verhältnißmäßig kurze Zehen durch volle Schwimmhäute verbunden und mit
starkgekrümmten, spitzen, scharfrandigen Nägeln bewehrt sind, mittelhoch, der Flügel groß, lang,
schmal und spitzig, unter den Handschwingen die erste die längste, der aus zwölf Federn bestehende
Schwanz mittellang, mit verlängerten Mittelfedern, das Gefieder reich und dicht, auf der Unterseite
pelzartig, seine vorherrschende Färbung ein düsteres Braun, welches bei den Alten selten, bei den
Jungen öfterer lichtere Färbung zeigt.

Der Schädel ist breit und kräftig; die Schläfenfortsätze zeichnen sich aus durch ihre Stärke; die
Wirbelsäule besteht aus dreizehn Hals-, acht Rücken-, zwölf Kreuzbein- und sieben Schwanzwirbeln;
das Brustbein ist in der Mitte und hinten verhältnißmäßig schmal, zeigt nur einen Fortsatz und eine
Bucht. Die Zunge ist schmal, vorn lanzettförmig, der Schlund mittelweit und faltig, der Drüsen-
magen von ihm äußerlich nicht abgesetzt, der Muskelmagen derb und häutig etc.

Die Raubmöven sind vorzugsweise im nördlichen kalten Gürtel der Erde heimisch, leben meist
auf offenen Meeren, während der Fortpflanzungszeit die Nähe der Jnseln und Küsten suchend.
Gelegentlich wenden sie sich nach Süden und unter Umständen zeigen sie sich im Jnneren des Binnen-
landes. Sie gehören zu den bewegungsfähigsten Gliedern ihrer Zunft, gehen mit wagerecht getragenem
Leibe rasch und geschickt, einzelne Arten fast ebenso gewandt wie Stelzvögel, schwimmen gut, fliegen
aber mehr als sie schwimmen, gehen oder stehen, und zwar in einer von allen übrigen Seefliegern
verschiedenen Weise, kühne, manchfach abwechselnde, oft wunderliche Schwenkungen ausführend oder,
so zu sagen, hüpfend sich bewegend. Jhre Stimme ist ein unangenehmes Gekrächz, die der Jungen
ein leises Piepen. An Sinnesschärfe übertreffen sie die Verwandten in eben demselben Grade, wie
sie ihnen an Muth und Kühnheit vorausstehen. Sie sind gewissermaßen Mittelglieder zwischen den Raub-
vögeln und den Möven; denn wie jene greifen sie alle Thiere an, welche sie bewältigen können,
und wie die Schmarotzer unter den Räubern peinigen sie andere Vögel solange, bis sie ihnen die
gemachte Beute zuwerfen. Früher nahm man an, daß sie sich blos als Schmarotzer zu ernähren
wüßten und zu selbständiger Jagd unfähig wären; die neueren Beobachtungen haben diese Meinung
widerlegt. Allerdings gehören die Raubmöven nicht zu den besseren Stoßtauchern und können nur
dann Fische erbeuten, wenn letztere dicht unter der Oberfläche des Wassers dahin schwimmen: aber

Lachmöve.
Beſchäftigt man ſich eingehend mit ihnen, ſo werden ſie bald außerordentlich zahm, laufen dem Pfleger
wie ein Hund auf dem Fuße nach, begrüßen ihn freudig, wenn er ſich zeigt, und folgen ihm ſpäter
fliegend durch das Gehöft und den Garten, auch wohl bis in das Feld hinaus. Bis gegen den Spät-
herbſt hin verlaſſen ſolche Gefangene den Wohnplatz, welchen man ihnen angewieſen, nicht. Sie
entfernen ſich wohl zeitweilig und treiben ſich auch meilenweit in der Umgegend umher, kehren aber
immer wieder rechtzeitig zurück, namentlich wenn man ſie an eine beſtimmte Fütterungsſtunde
gewöhnte. Finden ſie unterwegs Artgenoſſen, ſo verſuchen ſie dieſe mitzubringen und wiſſen in der
Regel deren Mißtrauen ſo vollſtändig zu beſeitigen, daß die Wildlinge ſcheinbar alle Scheu vor dem
Menſchen ablegen und ſich wenigſtens eine Zeitlang in dem Gehege ihrer gezähmten Schweſtern auf-
halten; ungeſtört kehren ſie dann gern wieder zurück und ſchließlich kann man, Dank ſeinen Pfleglingen,
tagtäglich ſo viele Beſucher erhalten, daß beſondere Vorkehrungen nöthig werden, ſie auch entſprechend
zu bewirthen.



Geſtalt und Färbung der Raubmöven (Lestres) berechtigen uns, ſie als beſondere Familie
aufzufaſſen. Die wenigen Arten derſelben, welche man kennt, ähneln den Möven, unterſcheiden ſich
aber durch die Bildung des Schnabels und der Füße, durch die eigenthümliche Färbung des Gefieders
und die ſehr verſchiedene Lebensweiſe. Der Leib iſt kräftig, der Hals kurz, der Kopf klein, der hinten
mit einer Wachshaut bekleidete Schnabel verhältnißmäßig kurz, aber ſtark, dick, blos vorn ſeitlich
zuſammengedrückt, auf der Oberfirſte ſtarkhakig übergewölbt, an der unteren Kinnlade eckig ausge-
bogen, der Fuß, deſſen verhältnißmäßig kurze Zehen durch volle Schwimmhäute verbunden und mit
ſtarkgekrümmten, ſpitzen, ſcharfrandigen Nägeln bewehrt ſind, mittelhoch, der Flügel groß, lang,
ſchmal und ſpitzig, unter den Handſchwingen die erſte die längſte, der aus zwölf Federn beſtehende
Schwanz mittellang, mit verlängerten Mittelfedern, das Gefieder reich und dicht, auf der Unterſeite
pelzartig, ſeine vorherrſchende Färbung ein düſteres Braun, welches bei den Alten ſelten, bei den
Jungen öfterer lichtere Färbung zeigt.

Der Schädel iſt breit und kräftig; die Schläfenfortſätze zeichnen ſich aus durch ihre Stärke; die
Wirbelſäule beſteht aus dreizehn Hals-, acht Rücken-, zwölf Kreuzbein- und ſieben Schwanzwirbeln;
das Bruſtbein iſt in der Mitte und hinten verhältnißmäßig ſchmal, zeigt nur einen Fortſatz und eine
Bucht. Die Zunge iſt ſchmal, vorn lanzettförmig, der Schlund mittelweit und faltig, der Drüſen-
magen von ihm äußerlich nicht abgeſetzt, der Muskelmagen derb und häutig ꝛc.

Die Raubmöven ſind vorzugsweiſe im nördlichen kalten Gürtel der Erde heimiſch, leben meiſt
auf offenen Meeren, während der Fortpflanzungszeit die Nähe der Jnſeln und Küſten ſuchend.
Gelegentlich wenden ſie ſich nach Süden und unter Umſtänden zeigen ſie ſich im Jnneren des Binnen-
landes. Sie gehören zu den bewegungsfähigſten Gliedern ihrer Zunft, gehen mit wagerecht getragenem
Leibe raſch und geſchickt, einzelne Arten faſt ebenſo gewandt wie Stelzvögel, ſchwimmen gut, fliegen
aber mehr als ſie ſchwimmen, gehen oder ſtehen, und zwar in einer von allen übrigen Seefliegern
verſchiedenen Weiſe, kühne, manchfach abwechſelnde, oft wunderliche Schwenkungen ausführend oder,
ſo zu ſagen, hüpfend ſich bewegend. Jhre Stimme iſt ein unangenehmes Gekrächz, die der Jungen
ein leiſes Piepen. An Sinnesſchärfe übertreffen ſie die Verwandten in eben demſelben Grade, wie
ſie ihnen an Muth und Kühnheit vorausſtehen. Sie ſind gewiſſermaßen Mittelglieder zwiſchen den Raub-
vögeln und den Möven; denn wie jene greifen ſie alle Thiere an, welche ſie bewältigen können,
und wie die Schmarotzer unter den Räubern peinigen ſie andere Vögel ſolange, bis ſie ihnen die
gemachte Beute zuwerfen. Früher nahm man an, daß ſie ſich blos als Schmarotzer zu ernähren
wüßten und zu ſelbſtändiger Jagd unfähig wären; die neueren Beobachtungen haben dieſe Meinung
widerlegt. Allerdings gehören die Raubmöven nicht zu den beſſeren Stoßtauchern und können nur
dann Fiſche erbeuten, wenn letztere dicht unter der Oberfläche des Waſſers dahin ſchwimmen: aber

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[879/0931] Lachmöve. Beſchäftigt man ſich eingehend mit ihnen, ſo werden ſie bald außerordentlich zahm, laufen dem Pfleger wie ein Hund auf dem Fuße nach, begrüßen ihn freudig, wenn er ſich zeigt, und folgen ihm ſpäter fliegend durch das Gehöft und den Garten, auch wohl bis in das Feld hinaus. Bis gegen den Spät- herbſt hin verlaſſen ſolche Gefangene den Wohnplatz, welchen man ihnen angewieſen, nicht. Sie entfernen ſich wohl zeitweilig und treiben ſich auch meilenweit in der Umgegend umher, kehren aber immer wieder rechtzeitig zurück, namentlich wenn man ſie an eine beſtimmte Fütterungsſtunde gewöhnte. Finden ſie unterwegs Artgenoſſen, ſo verſuchen ſie dieſe mitzubringen und wiſſen in der Regel deren Mißtrauen ſo vollſtändig zu beſeitigen, daß die Wildlinge ſcheinbar alle Scheu vor dem Menſchen ablegen und ſich wenigſtens eine Zeitlang in dem Gehege ihrer gezähmten Schweſtern auf- halten; ungeſtört kehren ſie dann gern wieder zurück und ſchließlich kann man, Dank ſeinen Pfleglingen, tagtäglich ſo viele Beſucher erhalten, daß beſondere Vorkehrungen nöthig werden, ſie auch entſprechend zu bewirthen. Geſtalt und Färbung der Raubmöven (Lestres) berechtigen uns, ſie als beſondere Familie aufzufaſſen. Die wenigen Arten derſelben, welche man kennt, ähneln den Möven, unterſcheiden ſich aber durch die Bildung des Schnabels und der Füße, durch die eigenthümliche Färbung des Gefieders und die ſehr verſchiedene Lebensweiſe. Der Leib iſt kräftig, der Hals kurz, der Kopf klein, der hinten mit einer Wachshaut bekleidete Schnabel verhältnißmäßig kurz, aber ſtark, dick, blos vorn ſeitlich zuſammengedrückt, auf der Oberfirſte ſtarkhakig übergewölbt, an der unteren Kinnlade eckig ausge- bogen, der Fuß, deſſen verhältnißmäßig kurze Zehen durch volle Schwimmhäute verbunden und mit ſtarkgekrümmten, ſpitzen, ſcharfrandigen Nägeln bewehrt ſind, mittelhoch, der Flügel groß, lang, ſchmal und ſpitzig, unter den Handſchwingen die erſte die längſte, der aus zwölf Federn beſtehende Schwanz mittellang, mit verlängerten Mittelfedern, das Gefieder reich und dicht, auf der Unterſeite pelzartig, ſeine vorherrſchende Färbung ein düſteres Braun, welches bei den Alten ſelten, bei den Jungen öfterer lichtere Färbung zeigt. Der Schädel iſt breit und kräftig; die Schläfenfortſätze zeichnen ſich aus durch ihre Stärke; die Wirbelſäule beſteht aus dreizehn Hals-, acht Rücken-, zwölf Kreuzbein- und ſieben Schwanzwirbeln; das Bruſtbein iſt in der Mitte und hinten verhältnißmäßig ſchmal, zeigt nur einen Fortſatz und eine Bucht. Die Zunge iſt ſchmal, vorn lanzettförmig, der Schlund mittelweit und faltig, der Drüſen- magen von ihm äußerlich nicht abgeſetzt, der Muskelmagen derb und häutig ꝛc. Die Raubmöven ſind vorzugsweiſe im nördlichen kalten Gürtel der Erde heimiſch, leben meiſt auf offenen Meeren, während der Fortpflanzungszeit die Nähe der Jnſeln und Küſten ſuchend. Gelegentlich wenden ſie ſich nach Süden und unter Umſtänden zeigen ſie ſich im Jnneren des Binnen- landes. Sie gehören zu den bewegungsfähigſten Gliedern ihrer Zunft, gehen mit wagerecht getragenem Leibe raſch und geſchickt, einzelne Arten faſt ebenſo gewandt wie Stelzvögel, ſchwimmen gut, fliegen aber mehr als ſie ſchwimmen, gehen oder ſtehen, und zwar in einer von allen übrigen Seefliegern verſchiedenen Weiſe, kühne, manchfach abwechſelnde, oft wunderliche Schwenkungen ausführend oder, ſo zu ſagen, hüpfend ſich bewegend. Jhre Stimme iſt ein unangenehmes Gekrächz, die der Jungen ein leiſes Piepen. An Sinnesſchärfe übertreffen ſie die Verwandten in eben demſelben Grade, wie ſie ihnen an Muth und Kühnheit vorausſtehen. Sie ſind gewiſſermaßen Mittelglieder zwiſchen den Raub- vögeln und den Möven; denn wie jene greifen ſie alle Thiere an, welche ſie bewältigen können, und wie die Schmarotzer unter den Räubern peinigen ſie andere Vögel ſolange, bis ſie ihnen die gemachte Beute zuwerfen. Früher nahm man an, daß ſie ſich blos als Schmarotzer zu ernähren wüßten und zu ſelbſtändiger Jagd unfähig wären; die neueren Beobachtungen haben dieſe Meinung widerlegt. Allerdings gehören die Raubmöven nicht zu den beſſeren Stoßtauchern und können nur dann Fiſche erbeuten, wenn letztere dicht unter der Oberfläche des Waſſers dahin ſchwimmen: aber

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 879. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/931>, abgerufen am 22.11.2024.