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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Späher. Klettervögel. Buntspechte.
schon brütete. Das Eingangsloch zum Neste ist so klein, daß der Vogel eben hinein- und heraus-
kriechen kann; die innere Höhlung ist, von der unteren Seite des Eingangs gemessen, gewöhnlich
einen Fuß tief und hält dabei einen halben Zoll im Durchmesser; die Nestkammer ist inwendig
ebenso glatt ausgearbeitet, wie die anderer Spechte und unten ebenfalls mit feinen Spänen belegt.
Vor der Paarung geht es sehr lebhaft zu; denn gewöhnlich werben zwei Männchen um ein Weibchen.
"Sie schwirren", erzählt mein Vater, "hoch über den Bäumen weg und fliegen oft im Kreise herum.
Hat eins das Fliegen satt, so setzt es sich auf einen dürren Ast und schnurrt ihm zum Possen. Dies
bemerkt man deutlich daran, daß, sobald ein Männchen aufgehört hat, das andere anfängt. So
währt das Spiel stundenlang fort. Erblickt ein Buntspecht während dieser Zeit das Weibchen, welches
sich immer in der Nähe aufhält, so verläßt er seinen Platz sogleich und fliegt ihm nach. Beide jagen
sich dann herum und schreien sehr stark "Käck käck käck und kick kick". Hört Das der andere Specht, so
kommt auch er herbei, und dann wird das Geschrei noch ärger; beide verfolgen das Weibchen oder
beißen einander. Dieses Spiel dauert bis sieben, höchstens bis acht Uhr Morgens und wird so lange
getrieben, bis ein Männchen den Sieg errungen und das andere vollkommen vertrieben hat." Das
Gelege besteht aus vier bis fünf, selten sechs kleinen, länglich gestalteten Eiern, welche sehr zartschalig,
feinkörnig und glänzendweiß von Farbe sind. Beide Gatten brüten abwechselnd, zeitigen die Eier in
vierzehn bis sechszehn Tagen und füttern die anfangs höchst unbehilflichen, häßlichen, weil unförmlichen
Jungen mit Aufopferung groß. Sie lieben ihre Brut ungemein, schreien ängstlich, wenn sie bedroht
wird und weichen nicht vom Neste. Auch nach dem Ausfliegen führen und füttern sie ihre Kinder
lange Zeit, bis diese wirklich selbständig geworden und im Stande sind, ohne jegliche Anleitung ihre
Nahrung sich zu erwerben.

Gefangene Buntspechte sind höchst unterhaltend. Es ist gar nicht schwer, sie an ein Ersatzfutter
zu gewöhnen. Jch habe sie monatelang bei gewöhnlichem Drosselfutter erhalten und würde sie wahr-
scheinlich noch besitzen, hätte ich ihnen mehr Sämereien reichen lassen. Sie vertragen sich sehr gut mit
andern ihrer Verwandtschaft, aber auch mit dem verschiedensten Kleingeflügel, welches man zu ihnen
bringt und erfreuen durch die Anmuth und Rastlosigkeit ihrer Bewegung, durch ihre muntere, helle
Stimme und ihr schmuckes Aussehen. Doch darf man sie dem Wetter nicht rücksichtslos preisgeben,
selbst wenn genügend für Schlupfwinkel im Käfige gesorgt ist; denn Zug tödtet auch sie.

Die Buntspechte werden von dem Hühnerhabicht und Sperber zuweilen gefangen, entgehen diesen
furchtbaren Feinden im Walde aber regelmäßig durch die Gewandtheit, mit welcher sie Bäume zu
umkreisen oder sich in Schlupfwinkel zu bergen wissen. Jhre Brut wird von Wieseln und Eich-
hörnchen zerstört. Den Letzteren sind sie, wie Naumann versichert, sehr abhold und verfolgen sie
mit ängstlichem Geschrei, wenn sie in die Nähe ihres Nestes kommen.



Jn den Laubwaldungen der Ebene wird der Buntspecht durch den etwas kleineren und schöneren
Mittelspecht (Picus medius) vertreten oder theilweise ersetzt; außerdem aber kommt hier noch eine
dritte Art der Familie hinzu: der Kleinspecht oder Gras-, Sperlings- und Harlekinspecht
(Piculus minor), einer der Zwerge der Gesammtheit und der kleinste aller europäischen Spechte. Er
unterscheidet sich von seinen Verwandten durch den kurzen, wenig keilförmigen Schnabel und den
zugerundeten Schwanz, dessen Federn stumpfspitzig sind, sowie durch die Eigenthümlichkeit der Zeich-
nung. Beim Männchen ist die Stirn gelbgrau, der Oberkopf karminroth, der Oberrücken
schwarz, der ganze Flügel einschließlich der Schulter- und Deckfedern schwarz und weiß gebändert
oder der Unterrücken auf weißem Grunde schwarz gebändert, die Wangengegend weiß, durch einen
schwarzen Streifen, welcher an den Halsseiten herabläuft, von der Unterseite getrennt, diese grau,
seitlich schwarz in die Länge gestreift; die Mittelfedern des Schwanzes sind schwarz, die seitlichen

Die Späher. Klettervögel. Buntſpechte.
ſchon brütete. Das Eingangsloch zum Neſte iſt ſo klein, daß der Vogel eben hinein- und heraus-
kriechen kann; die innere Höhlung iſt, von der unteren Seite des Eingangs gemeſſen, gewöhnlich
einen Fuß tief und hält dabei einen halben Zoll im Durchmeſſer; die Neſtkammer iſt inwendig
ebenſo glatt ausgearbeitet, wie die anderer Spechte und unten ebenfalls mit feinen Spänen belegt.
Vor der Paarung geht es ſehr lebhaft zu; denn gewöhnlich werben zwei Männchen um ein Weibchen.
„Sie ſchwirren“, erzählt mein Vater, „hoch über den Bäumen weg und fliegen oft im Kreiſe herum.
Hat eins das Fliegen ſatt, ſo ſetzt es ſich auf einen dürren Aſt und ſchnurrt ihm zum Poſſen. Dies
bemerkt man deutlich daran, daß, ſobald ein Männchen aufgehört hat, das andere anfängt. So
währt das Spiel ſtundenlang fort. Erblickt ein Buntſpecht während dieſer Zeit das Weibchen, welches
ſich immer in der Nähe aufhält, ſo verläßt er ſeinen Platz ſogleich und fliegt ihm nach. Beide jagen
ſich dann herum und ſchreien ſehr ſtark „Käck käck käck und kick kick“. Hört Das der andere Specht, ſo
kommt auch er herbei, und dann wird das Geſchrei noch ärger; beide verfolgen das Weibchen oder
beißen einander. Dieſes Spiel dauert bis ſieben, höchſtens bis acht Uhr Morgens und wird ſo lange
getrieben, bis ein Männchen den Sieg errungen und das andere vollkommen vertrieben hat.“ Das
Gelege beſteht aus vier bis fünf, ſelten ſechs kleinen, länglich geſtalteten Eiern, welche ſehr zartſchalig,
feinkörnig und glänzendweiß von Farbe ſind. Beide Gatten brüten abwechſelnd, zeitigen die Eier in
vierzehn bis ſechszehn Tagen und füttern die anfangs höchſt unbehilflichen, häßlichen, weil unförmlichen
Jungen mit Aufopferung groß. Sie lieben ihre Brut ungemein, ſchreien ängſtlich, wenn ſie bedroht
wird und weichen nicht vom Neſte. Auch nach dem Ausfliegen führen und füttern ſie ihre Kinder
lange Zeit, bis dieſe wirklich ſelbſtändig geworden und im Stande ſind, ohne jegliche Anleitung ihre
Nahrung ſich zu erwerben.

Gefangene Buntſpechte ſind höchſt unterhaltend. Es iſt gar nicht ſchwer, ſie an ein Erſatzfutter
zu gewöhnen. Jch habe ſie monatelang bei gewöhnlichem Droſſelfutter erhalten und würde ſie wahr-
ſcheinlich noch beſitzen, hätte ich ihnen mehr Sämereien reichen laſſen. Sie vertragen ſich ſehr gut mit
andern ihrer Verwandtſchaft, aber auch mit dem verſchiedenſten Kleingeflügel, welches man zu ihnen
bringt und erfreuen durch die Anmuth und Raſtloſigkeit ihrer Bewegung, durch ihre muntere, helle
Stimme und ihr ſchmuckes Ausſehen. Doch darf man ſie dem Wetter nicht rückſichtslos preisgeben,
ſelbſt wenn genügend für Schlupfwinkel im Käfige geſorgt iſt; denn Zug tödtet auch ſie.

Die Buntſpechte werden von dem Hühnerhabicht und Sperber zuweilen gefangen, entgehen dieſen
furchtbaren Feinden im Walde aber regelmäßig durch die Gewandtheit, mit welcher ſie Bäume zu
umkreiſen oder ſich in Schlupfwinkel zu bergen wiſſen. Jhre Brut wird von Wieſeln und Eich-
hörnchen zerſtört. Den Letzteren ſind ſie, wie Naumann verſichert, ſehr abhold und verfolgen ſie
mit ängſtlichem Geſchrei, wenn ſie in die Nähe ihres Neſtes kommen.



Jn den Laubwaldungen der Ebene wird der Buntſpecht durch den etwas kleineren und ſchöneren
Mittelſpecht (Picus medius) vertreten oder theilweiſe erſetzt; außerdem aber kommt hier noch eine
dritte Art der Familie hinzu: der Kleinſpecht oder Gras-, Sperlings- und Harlekinſpecht
(Piculus minor), einer der Zwerge der Geſammtheit und der kleinſte aller europäiſchen Spechte. Er
unterſcheidet ſich von ſeinen Verwandten durch den kurzen, wenig keilförmigen Schnabel und den
zugerundeten Schwanz, deſſen Federn ſtumpfſpitzig ſind, ſowie durch die Eigenthümlichkeit der Zeich-
nung. Beim Männchen iſt die Stirn gelbgrau, der Oberkopf karminroth, der Oberrücken
ſchwarz, der ganze Flügel einſchließlich der Schulter- und Deckfedern ſchwarz und weiß gebändert
oder der Unterrücken auf weißem Grunde ſchwarz gebändert, die Wangengegend weiß, durch einen
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[74/0088] Die Späher. Klettervögel. Buntſpechte. ſchon brütete. Das Eingangsloch zum Neſte iſt ſo klein, daß der Vogel eben hinein- und heraus- kriechen kann; die innere Höhlung iſt, von der unteren Seite des Eingangs gemeſſen, gewöhnlich einen Fuß tief und hält dabei einen halben Zoll im Durchmeſſer; die Neſtkammer iſt inwendig ebenſo glatt ausgearbeitet, wie die anderer Spechte und unten ebenfalls mit feinen Spänen belegt. Vor der Paarung geht es ſehr lebhaft zu; denn gewöhnlich werben zwei Männchen um ein Weibchen. „Sie ſchwirren“, erzählt mein Vater, „hoch über den Bäumen weg und fliegen oft im Kreiſe herum. Hat eins das Fliegen ſatt, ſo ſetzt es ſich auf einen dürren Aſt und ſchnurrt ihm zum Poſſen. Dies bemerkt man deutlich daran, daß, ſobald ein Männchen aufgehört hat, das andere anfängt. So währt das Spiel ſtundenlang fort. Erblickt ein Buntſpecht während dieſer Zeit das Weibchen, welches ſich immer in der Nähe aufhält, ſo verläßt er ſeinen Platz ſogleich und fliegt ihm nach. Beide jagen ſich dann herum und ſchreien ſehr ſtark „Käck käck käck und kick kick“. Hört Das der andere Specht, ſo kommt auch er herbei, und dann wird das Geſchrei noch ärger; beide verfolgen das Weibchen oder beißen einander. Dieſes Spiel dauert bis ſieben, höchſtens bis acht Uhr Morgens und wird ſo lange getrieben, bis ein Männchen den Sieg errungen und das andere vollkommen vertrieben hat.“ Das Gelege beſteht aus vier bis fünf, ſelten ſechs kleinen, länglich geſtalteten Eiern, welche ſehr zartſchalig, feinkörnig und glänzendweiß von Farbe ſind. Beide Gatten brüten abwechſelnd, zeitigen die Eier in vierzehn bis ſechszehn Tagen und füttern die anfangs höchſt unbehilflichen, häßlichen, weil unförmlichen Jungen mit Aufopferung groß. Sie lieben ihre Brut ungemein, ſchreien ängſtlich, wenn ſie bedroht wird und weichen nicht vom Neſte. Auch nach dem Ausfliegen führen und füttern ſie ihre Kinder lange Zeit, bis dieſe wirklich ſelbſtändig geworden und im Stande ſind, ohne jegliche Anleitung ihre Nahrung ſich zu erwerben. Gefangene Buntſpechte ſind höchſt unterhaltend. Es iſt gar nicht ſchwer, ſie an ein Erſatzfutter zu gewöhnen. Jch habe ſie monatelang bei gewöhnlichem Droſſelfutter erhalten und würde ſie wahr- ſcheinlich noch beſitzen, hätte ich ihnen mehr Sämereien reichen laſſen. Sie vertragen ſich ſehr gut mit andern ihrer Verwandtſchaft, aber auch mit dem verſchiedenſten Kleingeflügel, welches man zu ihnen bringt und erfreuen durch die Anmuth und Raſtloſigkeit ihrer Bewegung, durch ihre muntere, helle Stimme und ihr ſchmuckes Ausſehen. Doch darf man ſie dem Wetter nicht rückſichtslos preisgeben, ſelbſt wenn genügend für Schlupfwinkel im Käfige geſorgt iſt; denn Zug tödtet auch ſie. Die Buntſpechte werden von dem Hühnerhabicht und Sperber zuweilen gefangen, entgehen dieſen furchtbaren Feinden im Walde aber regelmäßig durch die Gewandtheit, mit welcher ſie Bäume zu umkreiſen oder ſich in Schlupfwinkel zu bergen wiſſen. Jhre Brut wird von Wieſeln und Eich- hörnchen zerſtört. Den Letzteren ſind ſie, wie Naumann verſichert, ſehr abhold und verfolgen ſie mit ängſtlichem Geſchrei, wenn ſie in die Nähe ihres Neſtes kommen. Jn den Laubwaldungen der Ebene wird der Buntſpecht durch den etwas kleineren und ſchöneren Mittelſpecht (Picus medius) vertreten oder theilweiſe erſetzt; außerdem aber kommt hier noch eine dritte Art der Familie hinzu: der Kleinſpecht oder Gras-, Sperlings- und Harlekinſpecht (Piculus minor), einer der Zwerge der Geſammtheit und der kleinſte aller europäiſchen Spechte. Er unterſcheidet ſich von ſeinen Verwandten durch den kurzen, wenig keilförmigen Schnabel und den zugerundeten Schwanz, deſſen Federn ſtumpfſpitzig ſind, ſowie durch die Eigenthümlichkeit der Zeich- nung. Beim Männchen iſt die Stirn gelbgrau, der Oberkopf karminroth, der Oberrücken ſchwarz, der ganze Flügel einſchließlich der Schulter- und Deckfedern ſchwarz und weiß gebändert oder der Unterrücken auf weißem Grunde ſchwarz gebändert, die Wangengegend weiß, durch einen ſchwarzen Streifen, welcher an den Halsſeiten herabläuft, von der Unterſeite getrennt, dieſe grau, ſeitlich ſchwarz in die Länge geſtreift; die Mittelfedern des Schwanzes ſind ſchwarz, die ſeitlichen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/88>, abgerufen am 24.11.2024.