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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Buntspecht.

Mancherlei Kerbthiere und deren Eier, Larven, Puppen, aber auch Nüsse und Beeren bilden die
Nahrung des Buntspechts. Mein Vater und nach ihm Naumann versichern, auf ihre Beobachtungen
gestützt, daß er keine Ameisen fresse und ebensowenig seine Jungen mit den Puppen derselben füttere:
Gloger hingegen erfuhr, daß ein Buntspecht, welchen er bei starkem Froste geschossen hatte, seinen
Magen "lediglich und beinahe vollständig" mit großen Waldameisen gefüllt hatte. Nach meines
Vaters Beobachtung ist er der Hauptfeind des Borkenkäfers, seiner Larven und Eier. Um zu diesen
zu gelangen, spaltet er die Schalenstücke der Fichten ordentlich ab. "Jch habe Dies oft mit Vergnügen
beobachtet. Er läuft an den Stämmen, deren Rinde zersprungen und locker aufsitzt, herum, steckt den
Schnabel und die Zunge unter die Schale und spaltet diese ab, wenn er nicht zu den Kerbthieren
gelangen kann. Jch habe die heruntergefallenen Stücke untersucht und immer gefunden, daß sie von
Borken- und Fichtenkäfern unterwühlt waren. Auch frißt er allerlei Räupchen, welche für die Wald-
bäume nachtheilig sind und füttert damit seine Jungen groß. Er ist ein wahrer Erhalter der
Wälder
und sollte auf alle Weise geschont werden." -- "Wenn er an schwachen Aesten hackt", fügt
Naumann hinzu, "bemerkt man, daß er oft plötzlich auf die andere Seite derselben läuft und nach-
sieht, um auch die durch das Pochen hier aufgescheuchten und entfliehenden Kerbthiere wegfangen zu
können; denn diese machen es gerade wie die Regenwürmer, wenn der Maulwurf die Erde aufwühlt.
Sie kennen die Annäherung ihres Todfeindes so gut wie jene." Ausnahmsweise geschieht es
übrigens doch, daß sich der nützliche Vogel kleine Sünden zu Schulden kommen läßt. So wurde nach
Wiese's Versicherung im Jahre 1844 ein Buntspecht geschossen, um festzustellen, was er in seinem
Schnabel zu seinen Jungen tragen wollte, und man fand bei ihm eine junge, noch ganz nackte Meise,
auf welche er wahrscheinlich zufällig bei seiner Kerbthierjagd gestoßen war. Doch geschehen derartige
Uebelthaten gewiß sehr selten. Viel häufiger nährt er sich von Sämereien und zumal von Hasel-
nüssen und Kiefernsamen. Erstere bricht er ab, trägt sie in den Spalt eines Baumes, den er dazu
vorgerichtet hat und hackt sie auf. An Fichtenzapfen sieht man ihn oft hängen und arbeiten; häufiger
noch beißt er sie ab, trägt sie auf einen Ast und frißt den Samen heraus. Seine Hauptnahrung
scheint jedoch der Kiefernsamen zu sein, obgleich es ihm nicht leicht wird, zu diesem zu gelangen.
"Wenn er Kiefernsamen fressen will", berichtet mein Vater, "hackt er erst auf der oberen Seite eines
gespalteten oder dürren Astes ein Loch, sodaß ein Kiefernzapfen zur Hälfte hineingeht. Einmal habe
ich ein solches Loch auch in der dicken Rinde einer Kiefer nahe am Boden gesehen; es wurde aber
wenig benutzt. Jst das Loch fertig, so fliegt der Buntspecht nach der Krone des Baumes und von
Ast zu Ast, um es bequem zu haben, läuft auch auf einem Zweige vor, faßt ein Zäpfchen mit dem
Schnabel am Stiele und beißt es ab, aber so, daß er es mit dem Schnabel noch halten kann, trägt es
nun zu dem beschriebenen Loche und legt es so in dasselbe, daß die Spitze nach oben zu stehen kommt.
Jetzt faßt er es mit den inneren Vorderzehen und hackt so lange auf die Spitze, bis die Deckelchen zer-
spalten und der Samen herausgeklaubt werden kann. Jst er mit einem Zapfen fertig, was
drei bis vier Minuten Zeit kostet, so holt er einen andern auf dieselbe Art, wirft aber den vorigen nie
eher herab, als bis er den andern in das Loch legen kann. Es scheint mir Dies um deswillen zu
geschehen, damit er den alten noch einmal durchsuchen könne, wenn er keinen neuen fände; denn rein
ausgefressen, wie von den Kreuzschnäbeln, werden die Zapfen nie. Dies Geschäft setzt er oft den
größten Theil des Tages fort und zwar auf ein und demselben Baume. Jch habe in meinem Walde
eine Kiefer, auf welcher ein und derselbe Specht oft viele Wochen lang sein Wesen treibt. Schon
Mitte Augusts beginnt er Kiefernsamen zu fressen, ob dieser gleich noch nicht vollkörnig, geschweige reif
ist, und während des Winters nährt er sich fast lediglich von ihm. Von den Kieferzapfen ist sein
Schnabel zum Theil mit Harz bedeckt, während man an den Schnäbeln anderer Spechte oft
Erde findet."

So geschickt der Buntspecht im Aufhacken der Kieferzapfen ist, so wenig Ausdauer beweist er beim
Anlegen seines Nestes. Er beginnt sehr viele Höhlungen, bevor er eine einzige vollendet, und wenn
irgend möglich, sucht er sich ein Loch wieder auf, in welchem er oder einer seiner Artverwandten früher

Buntſpecht.

Mancherlei Kerbthiere und deren Eier, Larven, Puppen, aber auch Nüſſe und Beeren bilden die
Nahrung des Buntſpechts. Mein Vater und nach ihm Naumann verſichern, auf ihre Beobachtungen
geſtützt, daß er keine Ameiſen freſſe und ebenſowenig ſeine Jungen mit den Puppen derſelben füttere:
Gloger hingegen erfuhr, daß ein Buntſpecht, welchen er bei ſtarkem Froſte geſchoſſen hatte, ſeinen
Magen „lediglich und beinahe vollſtändig“ mit großen Waldameiſen gefüllt hatte. Nach meines
Vaters Beobachtung iſt er der Hauptfeind des Borkenkäfers, ſeiner Larven und Eier. Um zu dieſen
zu gelangen, ſpaltet er die Schalenſtücke der Fichten ordentlich ab. „Jch habe Dies oft mit Vergnügen
beobachtet. Er läuft an den Stämmen, deren Rinde zerſprungen und locker aufſitzt, herum, ſteckt den
Schnabel und die Zunge unter die Schale und ſpaltet dieſe ab, wenn er nicht zu den Kerbthieren
gelangen kann. Jch habe die heruntergefallenen Stücke unterſucht und immer gefunden, daß ſie von
Borken- und Fichtenkäfern unterwühlt waren. Auch frißt er allerlei Räupchen, welche für die Wald-
bäume nachtheilig ſind und füttert damit ſeine Jungen groß. Er iſt ein wahrer Erhalter der
Wälder
und ſollte auf alle Weiſe geſchont werden.“ — „Wenn er an ſchwachen Aeſten hackt“, fügt
Naumann hinzu, „bemerkt man, daß er oft plötzlich auf die andere Seite derſelben läuft und nach-
ſieht, um auch die durch das Pochen hier aufgeſcheuchten und entfliehenden Kerbthiere wegfangen zu
können; denn dieſe machen es gerade wie die Regenwürmer, wenn der Maulwurf die Erde aufwühlt.
Sie kennen die Annäherung ihres Todfeindes ſo gut wie jene.“ Ausnahmsweiſe geſchieht es
übrigens doch, daß ſich der nützliche Vogel kleine Sünden zu Schulden kommen läßt. So wurde nach
Wieſe’s Verſicherung im Jahre 1844 ein Buntſpecht geſchoſſen, um feſtzuſtellen, was er in ſeinem
Schnabel zu ſeinen Jungen tragen wollte, und man fand bei ihm eine junge, noch ganz nackte Meiſe,
auf welche er wahrſcheinlich zufällig bei ſeiner Kerbthierjagd geſtoßen war. Doch geſchehen derartige
Uebelthaten gewiß ſehr ſelten. Viel häufiger nährt er ſich von Sämereien und zumal von Haſel-
nüſſen und Kiefernſamen. Erſtere bricht er ab, trägt ſie in den Spalt eines Baumes, den er dazu
vorgerichtet hat und hackt ſie auf. An Fichtenzapfen ſieht man ihn oft hängen und arbeiten; häufiger
noch beißt er ſie ab, trägt ſie auf einen Aſt und frißt den Samen heraus. Seine Hauptnahrung
ſcheint jedoch der Kiefernſamen zu ſein, obgleich es ihm nicht leicht wird, zu dieſem zu gelangen.
„Wenn er Kiefernſamen freſſen will“, berichtet mein Vater, „hackt er erſt auf der oberen Seite eines
geſpalteten oder dürren Aſtes ein Loch, ſodaß ein Kiefernzapfen zur Hälfte hineingeht. Einmal habe
ich ein ſolches Loch auch in der dicken Rinde einer Kiefer nahe am Boden geſehen; es wurde aber
wenig benutzt. Jſt das Loch fertig, ſo fliegt der Buntſpecht nach der Krone des Baumes und von
Aſt zu Aſt, um es bequem zu haben, läuft auch auf einem Zweige vor, faßt ein Zäpfchen mit dem
Schnabel am Stiele und beißt es ab, aber ſo, daß er es mit dem Schnabel noch halten kann, trägt es
nun zu dem beſchriebenen Loche und legt es ſo in daſſelbe, daß die Spitze nach oben zu ſtehen kommt.
Jetzt faßt er es mit den inneren Vorderzehen und hackt ſo lange auf die Spitze, bis die Deckelchen zer-
ſpalten und der Samen herausgeklaubt werden kann. Jſt er mit einem Zapfen fertig, was
drei bis vier Minuten Zeit koſtet, ſo holt er einen andern auf dieſelbe Art, wirft aber den vorigen nie
eher herab, als bis er den andern in das Loch legen kann. Es ſcheint mir Dies um deswillen zu
geſchehen, damit er den alten noch einmal durchſuchen könne, wenn er keinen neuen fände; denn rein
ausgefreſſen, wie von den Kreuzſchnäbeln, werden die Zapfen nie. Dies Geſchäft ſetzt er oft den
größten Theil des Tages fort und zwar auf ein und demſelben Baume. Jch habe in meinem Walde
eine Kiefer, auf welcher ein und derſelbe Specht oft viele Wochen lang ſein Weſen treibt. Schon
Mitte Auguſts beginnt er Kiefernſamen zu freſſen, ob dieſer gleich noch nicht vollkörnig, geſchweige reif
iſt, und während des Winters nährt er ſich faſt lediglich von ihm. Von den Kieferzapfen iſt ſein
Schnabel zum Theil mit Harz bedeckt, während man an den Schnäbeln anderer Spechte oft
Erde findet.“

So geſchickt der Buntſpecht im Aufhacken der Kieferzapfen iſt, ſo wenig Ausdauer beweiſt er beim
Anlegen ſeines Neſtes. Er beginnt ſehr viele Höhlungen, bevor er eine einzige vollendet, und wenn
irgend möglich, ſucht er ſich ein Loch wieder auf, in welchem er oder einer ſeiner Artverwandten früher

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[73/0087] Buntſpecht. Mancherlei Kerbthiere und deren Eier, Larven, Puppen, aber auch Nüſſe und Beeren bilden die Nahrung des Buntſpechts. Mein Vater und nach ihm Naumann verſichern, auf ihre Beobachtungen geſtützt, daß er keine Ameiſen freſſe und ebenſowenig ſeine Jungen mit den Puppen derſelben füttere: Gloger hingegen erfuhr, daß ein Buntſpecht, welchen er bei ſtarkem Froſte geſchoſſen hatte, ſeinen Magen „lediglich und beinahe vollſtändig“ mit großen Waldameiſen gefüllt hatte. Nach meines Vaters Beobachtung iſt er der Hauptfeind des Borkenkäfers, ſeiner Larven und Eier. Um zu dieſen zu gelangen, ſpaltet er die Schalenſtücke der Fichten ordentlich ab. „Jch habe Dies oft mit Vergnügen beobachtet. Er läuft an den Stämmen, deren Rinde zerſprungen und locker aufſitzt, herum, ſteckt den Schnabel und die Zunge unter die Schale und ſpaltet dieſe ab, wenn er nicht zu den Kerbthieren gelangen kann. Jch habe die heruntergefallenen Stücke unterſucht und immer gefunden, daß ſie von Borken- und Fichtenkäfern unterwühlt waren. Auch frißt er allerlei Räupchen, welche für die Wald- bäume nachtheilig ſind und füttert damit ſeine Jungen groß. Er iſt ein wahrer Erhalter der Wälder und ſollte auf alle Weiſe geſchont werden.“ — „Wenn er an ſchwachen Aeſten hackt“, fügt Naumann hinzu, „bemerkt man, daß er oft plötzlich auf die andere Seite derſelben läuft und nach- ſieht, um auch die durch das Pochen hier aufgeſcheuchten und entfliehenden Kerbthiere wegfangen zu können; denn dieſe machen es gerade wie die Regenwürmer, wenn der Maulwurf die Erde aufwühlt. Sie kennen die Annäherung ihres Todfeindes ſo gut wie jene.“ Ausnahmsweiſe geſchieht es übrigens doch, daß ſich der nützliche Vogel kleine Sünden zu Schulden kommen läßt. So wurde nach Wieſe’s Verſicherung im Jahre 1844 ein Buntſpecht geſchoſſen, um feſtzuſtellen, was er in ſeinem Schnabel zu ſeinen Jungen tragen wollte, und man fand bei ihm eine junge, noch ganz nackte Meiſe, auf welche er wahrſcheinlich zufällig bei ſeiner Kerbthierjagd geſtoßen war. Doch geſchehen derartige Uebelthaten gewiß ſehr ſelten. Viel häufiger nährt er ſich von Sämereien und zumal von Haſel- nüſſen und Kiefernſamen. Erſtere bricht er ab, trägt ſie in den Spalt eines Baumes, den er dazu vorgerichtet hat und hackt ſie auf. An Fichtenzapfen ſieht man ihn oft hängen und arbeiten; häufiger noch beißt er ſie ab, trägt ſie auf einen Aſt und frißt den Samen heraus. Seine Hauptnahrung ſcheint jedoch der Kiefernſamen zu ſein, obgleich es ihm nicht leicht wird, zu dieſem zu gelangen. „Wenn er Kiefernſamen freſſen will“, berichtet mein Vater, „hackt er erſt auf der oberen Seite eines geſpalteten oder dürren Aſtes ein Loch, ſodaß ein Kiefernzapfen zur Hälfte hineingeht. Einmal habe ich ein ſolches Loch auch in der dicken Rinde einer Kiefer nahe am Boden geſehen; es wurde aber wenig benutzt. Jſt das Loch fertig, ſo fliegt der Buntſpecht nach der Krone des Baumes und von Aſt zu Aſt, um es bequem zu haben, läuft auch auf einem Zweige vor, faßt ein Zäpfchen mit dem Schnabel am Stiele und beißt es ab, aber ſo, daß er es mit dem Schnabel noch halten kann, trägt es nun zu dem beſchriebenen Loche und legt es ſo in daſſelbe, daß die Spitze nach oben zu ſtehen kommt. Jetzt faßt er es mit den inneren Vorderzehen und hackt ſo lange auf die Spitze, bis die Deckelchen zer- ſpalten und der Samen herausgeklaubt werden kann. Jſt er mit einem Zapfen fertig, was drei bis vier Minuten Zeit koſtet, ſo holt er einen andern auf dieſelbe Art, wirft aber den vorigen nie eher herab, als bis er den andern in das Loch legen kann. Es ſcheint mir Dies um deswillen zu geſchehen, damit er den alten noch einmal durchſuchen könne, wenn er keinen neuen fände; denn rein ausgefreſſen, wie von den Kreuzſchnäbeln, werden die Zapfen nie. Dies Geſchäft ſetzt er oft den größten Theil des Tages fort und zwar auf ein und demſelben Baume. Jch habe in meinem Walde eine Kiefer, auf welcher ein und derſelbe Specht oft viele Wochen lang ſein Weſen treibt. Schon Mitte Auguſts beginnt er Kiefernſamen zu freſſen, ob dieſer gleich noch nicht vollkörnig, geſchweige reif iſt, und während des Winters nährt er ſich faſt lediglich von ihm. Von den Kieferzapfen iſt ſein Schnabel zum Theil mit Harz bedeckt, während man an den Schnäbeln anderer Spechte oft Erde findet.“ So geſchickt der Buntſpecht im Aufhacken der Kieferzapfen iſt, ſo wenig Ausdauer beweiſt er beim Anlegen ſeines Neſtes. Er beginnt ſehr viele Höhlungen, bevor er eine einzige vollendet, und wenn irgend möglich, ſucht er ſich ein Loch wieder auf, in welchem er oder einer ſeiner Artverwandten früher

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/87>, abgerufen am 25.11.2024.