sie sind vollendete Seevögel und entfernen sich bei gewöhnlichem Verlaufe der Dinge wohl niemals von der Küste.
Die Eigenschaften der Ringelgans sprechen uns lebhaft an. Vor den meisten Verwandten zeichnet sie sich aus durch die Zierlichkeit und Anmuth der Bewegung, durch Geselligkeit und Fried- fertigkeit, ohne jenen an Sinnesschärfe nachzustehen. Sie gehen gut auf festem, wie auf schlammigem Boden, schwimmen leicht und schön, tauchen vortrefflich, jedenfalls besser, fliegen auch leichter und gewandter als alle übrigen Gänse, nehmen aber selten oder doch nicht so regelmäßig wie diese im Fluge die Keilordnung an, sondern ziehen meist in wirren Haufen durch die Luft. Beim Auf- stehen größerer Scharen vernimmt man ein Gepolter, welches fernem Donner gleicht, bei geradem Fluge in höheren Luftschichten ein deutlich hörbares Sausen, welches schärfer als das der größeren Gänse, aber dumpfer als das der Enten klingt. Die Stimme ist sehr einfach: der Lockton besteht aus einem schwer wiederzugebenden Rufe, welcher etwa "Knäng" klingt; der Unterhaltungslaut ist ein rauhes und heiseres "Kroch", der Ausdruck des Zornes, wie gewöhnlich, ein leises Zischen. Nach Art ihrer Verwandten leben sie nur unter einander gesellig und halten sich, wenn sie gezwungen mit anderen vereinigt werden, stets in geschlossenen Haufen zusammen. Eine von diesen zufällig abgekommene Ringelgans fliegt ängstlich umher, bis sie wieder andere ihrer Art findet und fühlt sich nicht einmal unter anderen Meergänsen behaglich. Bringt man sie mit Verwandten zusammen, so zeigt sie sich gegen diese äußerst friedfertig, hauptsächlich wohl deshalb, weil sie sich ihrer Schwäche bewußt ist und ein Gefühl von Furcht nicht los werden kann. Dem Menschen gegenüber bekundet sie sich als ein Kind des hohen Nordens, welches selten von dem Erzfeinde der Thiere heim- gesucht wird. Sie ist weit weniger scheu als die übrigen Gänse und wird erst nach längerer Ver- folgung vorsichtig. Es wird behauptet, daß man sie zuweilen mit Steinen oder Knütteln erlegen oder eine ganze Familie nach und nach aufreiben könne, und es ist gewiß, daß sie sich leichter als jede andere Art durch Fanganstalten bethören läßt. Jn der Gefangenschaft beträgt sie sich anfänglich sehr schüchtern, fügt sich aber bald in die veränderten Verhältnisse und gewinnt nach und nach zu ihrem Pfleger eine warme Zuneigung, kommt auf dessen Ruf herbei, bettelt um Futter und kann, wenn man sich mit ihr abgibt, dahin gebracht werden, daß sie wie ein Hund auf dem Fuße folgt. Jeden- falls gereicht sie einem größeren Gehöfte oder einem Weiher zu hoher Zierde und verdient weit mehr berücksichtigt zu werden, als es bis jetzt geschieht, zumal ihre Erwerbung nicht die geringsten Schwierigkeiten verursacht und sie zu einem kaum nennenswerthen Preise von Thierhändlern oder aus Thiergärten, beispielsweise aus dem zu Köln, jederzeit bezogen werden kann.
Hinsichtlich der Nahrung unterscheiden sich die Meergänse insofern von den unserigen, daß sie neben Gras und Seepflanzen auch viele Kerb- und Weichthiere fressen. Jm hohen Norden werden sie wahrscheinlich alle dort wachsenden Pflanzen weiden; bei uns bevorzugen sie frisches Wiesengras ähnlichen Stoffen. Die Gefangenen gewöhnen sich an Körnerfutter, müssen aber, wenn sie sich länger erhalten sollen, auch andere Pflanzenstoffe, namentlich Grünzeug verschiedener Art, mit erhalten.
Schon die älteren Seefahrer erwähnen, daß die Ringelgänse häufig auf Spitzbergen nisten; neuerdings hat Malmgren ihre Angabe bestätigt. "Diese häufigsten Gänse Spitzbergens brüten sehr zahlreich auf der West- und Nordküste der Jnsel, ebensowohl auf dem Festlande als auf den Scheren, vorzugsweise auf solchen, wo Eidergänse in größeren Mengen nisten. Das aus Wasser- pflanzen und deren Blättern sehr unkünstlich zusammengebaute Nest wird oft dicht neben dem der Eiderente angelegt und von dieser sehr häufig beraubt. Das Gelege enthält sechs bis acht kleine, dünnschalige, glanzlose Eier von trübgrünlichweißer Färbung. Middendorf traf Mitte Juli's eben ausgekrochene Junge an. Ausführliches über die Fortpflanzungsgeschichte ist mir nicht bekannt.
An allen südlicheren Küsten wird die Ringelgans im Herbste und Frühlinge zu Tausenden erlegt und in Holland mit Hilfe ausgestellter Lockgänse in noch größerer Anzahl gefangen. Das Wildpret gilt als wohlschmeckend, hat jedoch oft einen ranzigen Beigeschmack, welcher nicht Jedermann
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Ringelgans.
ſie ſind vollendete Seevögel und entfernen ſich bei gewöhnlichem Verlaufe der Dinge wohl niemals von der Küſte.
Die Eigenſchaften der Ringelgans ſprechen uns lebhaft an. Vor den meiſten Verwandten zeichnet ſie ſich aus durch die Zierlichkeit und Anmuth der Bewegung, durch Geſelligkeit und Fried- fertigkeit, ohne jenen an Sinnesſchärfe nachzuſtehen. Sie gehen gut auf feſtem, wie auf ſchlammigem Boden, ſchwimmen leicht und ſchön, tauchen vortrefflich, jedenfalls beſſer, fliegen auch leichter und gewandter als alle übrigen Gänſe, nehmen aber ſelten oder doch nicht ſo regelmäßig wie dieſe im Fluge die Keilordnung an, ſondern ziehen meiſt in wirren Haufen durch die Luft. Beim Auf- ſtehen größerer Scharen vernimmt man ein Gepolter, welches fernem Donner gleicht, bei geradem Fluge in höheren Luftſchichten ein deutlich hörbares Sauſen, welches ſchärfer als das der größeren Gänſe, aber dumpfer als das der Enten klingt. Die Stimme iſt ſehr einfach: der Lockton beſteht aus einem ſchwer wiederzugebenden Rufe, welcher etwa „Knäng“ klingt; der Unterhaltungslaut iſt ein rauhes und heiſeres „Kroch“, der Ausdruck des Zornes, wie gewöhnlich, ein leiſes Ziſchen. Nach Art ihrer Verwandten leben ſie nur unter einander geſellig und halten ſich, wenn ſie gezwungen mit anderen vereinigt werden, ſtets in geſchloſſenen Haufen zuſammen. Eine von dieſen zufällig abgekommene Ringelgans fliegt ängſtlich umher, bis ſie wieder andere ihrer Art findet und fühlt ſich nicht einmal unter anderen Meergänſen behaglich. Bringt man ſie mit Verwandten zuſammen, ſo zeigt ſie ſich gegen dieſe äußerſt friedfertig, hauptſächlich wohl deshalb, weil ſie ſich ihrer Schwäche bewußt iſt und ein Gefühl von Furcht nicht los werden kann. Dem Menſchen gegenüber bekundet ſie ſich als ein Kind des hohen Nordens, welches ſelten von dem Erzfeinde der Thiere heim- geſucht wird. Sie iſt weit weniger ſcheu als die übrigen Gänſe und wird erſt nach längerer Ver- folgung vorſichtig. Es wird behauptet, daß man ſie zuweilen mit Steinen oder Knütteln erlegen oder eine ganze Familie nach und nach aufreiben könne, und es iſt gewiß, daß ſie ſich leichter als jede andere Art durch Fanganſtalten bethören läßt. Jn der Gefangenſchaft beträgt ſie ſich anfänglich ſehr ſchüchtern, fügt ſich aber bald in die veränderten Verhältniſſe und gewinnt nach und nach zu ihrem Pfleger eine warme Zuneigung, kommt auf deſſen Ruf herbei, bettelt um Futter und kann, wenn man ſich mit ihr abgibt, dahin gebracht werden, daß ſie wie ein Hund auf dem Fuße folgt. Jeden- falls gereicht ſie einem größeren Gehöfte oder einem Weiher zu hoher Zierde und verdient weit mehr berückſichtigt zu werden, als es bis jetzt geſchieht, zumal ihre Erwerbung nicht die geringſten Schwierigkeiten verurſacht und ſie zu einem kaum nennenswerthen Preiſe von Thierhändlern oder aus Thiergärten, beiſpielsweiſe aus dem zu Köln, jederzeit bezogen werden kann.
Hinſichtlich der Nahrung unterſcheiden ſich die Meergänſe inſofern von den unſerigen, daß ſie neben Gras und Seepflanzen auch viele Kerb- und Weichthiere freſſen. Jm hohen Norden werden ſie wahrſcheinlich alle dort wachſenden Pflanzen weiden; bei uns bevorzugen ſie friſches Wieſengras ähnlichen Stoffen. Die Gefangenen gewöhnen ſich an Körnerfutter, müſſen aber, wenn ſie ſich länger erhalten ſollen, auch andere Pflanzenſtoffe, namentlich Grünzeug verſchiedener Art, mit erhalten.
Schon die älteren Seefahrer erwähnen, daß die Ringelgänſe häufig auf Spitzbergen niſten; neuerdings hat Malmgren ihre Angabe beſtätigt. „Dieſe häufigſten Gänſe Spitzbergens brüten ſehr zahlreich auf der Weſt- und Nordküſte der Jnſel, ebenſowohl auf dem Feſtlande als auf den Scheren, vorzugsweiſe auf ſolchen, wo Eidergänſe in größeren Mengen niſten. Das aus Waſſer- pflanzen und deren Blättern ſehr unkünſtlich zuſammengebaute Neſt wird oft dicht neben dem der Eiderente angelegt und von dieſer ſehr häufig beraubt. Das Gelege enthält ſechs bis acht kleine, dünnſchalige, glanzloſe Eier von trübgrünlichweißer Färbung. Middendorf traf Mitte Juli’s eben ausgekrochene Junge an. Ausführliches über die Fortpflanzungsgeſchichte iſt mir nicht bekannt.
An allen ſüdlicheren Küſten wird die Ringelgans im Herbſte und Frühlinge zu Tauſenden erlegt und in Holland mit Hilfe ausgeſtellter Lockgänſe in noch größerer Anzahl gefangen. Das Wildpret gilt als wohlſchmeckend, hat jedoch oft einen ranzigen Beigeſchmack, welcher nicht Jedermann
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Ringelgans.
ſie ſind vollendete Seevögel und entfernen ſich bei gewöhnlichem Verlaufe der Dinge wohl niemals
von der Küſte.
Die Eigenſchaften der Ringelgans ſprechen uns lebhaft an. Vor den meiſten Verwandten
zeichnet ſie ſich aus durch die Zierlichkeit und Anmuth der Bewegung, durch Geſelligkeit und Fried-
fertigkeit, ohne jenen an Sinnesſchärfe nachzuſtehen. Sie gehen gut auf feſtem, wie auf ſchlammigem
Boden, ſchwimmen leicht und ſchön, tauchen vortrefflich, jedenfalls beſſer, fliegen auch leichter und
gewandter als alle übrigen Gänſe, nehmen aber ſelten oder doch nicht ſo regelmäßig wie dieſe im
Fluge die Keilordnung an, ſondern ziehen meiſt in wirren Haufen durch die Luft. Beim Auf-
ſtehen größerer Scharen vernimmt man ein Gepolter, welches fernem Donner gleicht, bei geradem
Fluge in höheren Luftſchichten ein deutlich hörbares Sauſen, welches ſchärfer als das der größeren
Gänſe, aber dumpfer als das der Enten klingt. Die Stimme iſt ſehr einfach: der Lockton beſteht
aus einem ſchwer wiederzugebenden Rufe, welcher etwa „Knäng“ klingt; der Unterhaltungslaut iſt
ein rauhes und heiſeres „Kroch“, der Ausdruck des Zornes, wie gewöhnlich, ein leiſes Ziſchen.
Nach Art ihrer Verwandten leben ſie nur unter einander geſellig und halten ſich, wenn ſie gezwungen
mit anderen vereinigt werden, ſtets in geſchloſſenen Haufen zuſammen. Eine von dieſen zufällig
abgekommene Ringelgans fliegt ängſtlich umher, bis ſie wieder andere ihrer Art findet und fühlt ſich
nicht einmal unter anderen Meergänſen behaglich. Bringt man ſie mit Verwandten zuſammen, ſo
zeigt ſie ſich gegen dieſe äußerſt friedfertig, hauptſächlich wohl deshalb, weil ſie ſich ihrer
Schwäche bewußt iſt und ein Gefühl von Furcht nicht los werden kann. Dem Menſchen gegenüber
bekundet ſie ſich als ein Kind des hohen Nordens, welches ſelten von dem Erzfeinde der Thiere heim-
geſucht wird. Sie iſt weit weniger ſcheu als die übrigen Gänſe und wird erſt nach längerer Ver-
folgung vorſichtig. Es wird behauptet, daß man ſie zuweilen mit Steinen oder Knütteln erlegen
oder eine ganze Familie nach und nach aufreiben könne, und es iſt gewiß, daß ſie ſich leichter als jede
andere Art durch Fanganſtalten bethören läßt. Jn der Gefangenſchaft beträgt ſie ſich anfänglich ſehr
ſchüchtern, fügt ſich aber bald in die veränderten Verhältniſſe und gewinnt nach und nach zu ihrem
Pfleger eine warme Zuneigung, kommt auf deſſen Ruf herbei, bettelt um Futter und kann, wenn
man ſich mit ihr abgibt, dahin gebracht werden, daß ſie wie ein Hund auf dem Fuße folgt. Jeden-
falls gereicht ſie einem größeren Gehöfte oder einem Weiher zu hoher Zierde und verdient weit mehr
berückſichtigt zu werden, als es bis jetzt geſchieht, zumal ihre Erwerbung nicht die geringſten
Schwierigkeiten verurſacht und ſie zu einem kaum nennenswerthen Preiſe von Thierhändlern oder
aus Thiergärten, beiſpielsweiſe aus dem zu Köln, jederzeit bezogen werden kann.
Hinſichtlich der Nahrung unterſcheiden ſich die Meergänſe inſofern von den unſerigen, daß ſie
neben Gras und Seepflanzen auch viele Kerb- und Weichthiere freſſen. Jm hohen Norden werden
ſie wahrſcheinlich alle dort wachſenden Pflanzen weiden; bei uns bevorzugen ſie friſches Wieſengras
ähnlichen Stoffen. Die Gefangenen gewöhnen ſich an Körnerfutter, müſſen aber, wenn ſie ſich länger
erhalten ſollen, auch andere Pflanzenſtoffe, namentlich Grünzeug verſchiedener Art, mit erhalten.
Schon die älteren Seefahrer erwähnen, daß die Ringelgänſe häufig auf Spitzbergen niſten;
neuerdings hat Malmgren ihre Angabe beſtätigt. „Dieſe häufigſten Gänſe Spitzbergens brüten
ſehr zahlreich auf der Weſt- und Nordküſte der Jnſel, ebenſowohl auf dem Feſtlande als auf den
Scheren, vorzugsweiſe auf ſolchen, wo Eidergänſe in größeren Mengen niſten. Das aus Waſſer-
pflanzen und deren Blättern ſehr unkünſtlich zuſammengebaute Neſt wird oft dicht neben dem der
Eiderente angelegt und von dieſer ſehr häufig beraubt. Das Gelege enthält ſechs bis acht kleine,
dünnſchalige, glanzloſe Eier von trübgrünlichweißer Färbung. Middendorf traf Mitte Juli’s eben
ausgekrochene Junge an. Ausführliches über die Fortpflanzungsgeſchichte iſt mir nicht bekannt.
An allen ſüdlicheren Küſten wird die Ringelgans im Herbſte und Frühlinge zu Tauſenden
erlegt und in Holland mit Hilfe ausgeſtellter Lockgänſe in noch größerer Anzahl gefangen. Das
Wildpret gilt als wohlſchmeckend, hat jedoch oft einen ranzigen Beigeſchmack, welcher nicht Jedermann
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 803. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/851>, abgerufen am 22.11.2024.
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