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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Schwanengans.
in treuer Ehe lebt, wegnehmen wollte, oder als ob er meine, daß er durch den anderen in seinen
Liebesbewerbungen und Liebesbezeugungen gestört werde. Gelegentlich kommt es zu hartnäckigen
Kämpfen; doch pflegt deren Ausgang für beide Theile gleich günstig zu sein, und beide kehren nach
beendigtem Streite frohlockend zu ihrem Weibchen zurück. Zum Nistorte wählt sich das Paar einen
vom Wasser etwas abliegenden Ort, zwischen dichtem Grase, unter Gebüsch u. s. w.; ausnahmsweise
kommt es auch vor, daß ein Paar auf Bäumen brütet: der Prinz von Wied fand das Nest einer
Schwanengans im Gezweige einer hohen Pappel angelegt, auf welcher höher oben der Horst eines
weißköpfigen Seeadlers stand. Ein zweites Nest, welches dieser Forscher untersuchte, war hinter
einem hohen Treibholzstamme angelegt und bestand blos aus einer seichten Grube im Sande, welche
mit Dunen ausgekleidet worden war. Jn der Regel gebraucht der Vogel größere Sorgfalt bei der
Anlage des Nestes, und zuweilen schichtet er einen ziemlich großen Haufen von strohartigem Grase
und anderen Pflanzenstoffen zusammen. Das Gelege besteht aus drei bis neun Eiern; sechs scheint
die regelmäßige Zahl derselben zu sein; Gefangene legen deren zehn bis elf. Nach achtundzwanzig-
tägiger Bebrütung entschlüpfen die dunigen Jungen dem Eie, werden noch ein oder zwei Tage im
Neste zurückgehalten und folgen dann ihren Eltern ins Wasser, kehren aber gewöhnlich gegen Abend
zum Lande zurück, um sich hier auszuruhen und zu sonnen und verbringen die Nacht unter dem
Gefieder der Mutter, welche alle denkbare Sorge für ihre Behaglichkeit und Sicherheit bekundet und
von dem Vater treulich unterstützt wird. Bei Gefahr vertheidigen die Alten ihre Brut mit
bewunderungswürdigem Muthe; Audubon kannte ein Paar, das mehrere Jahre nach einander
auf demselben Teiche brütete und in Folge der vielen Besuche, welche der Forscher machte, zuletzt so
dreist wurde, daß dieser sich bis auf wenige Schritte nähern konnte. Der Gansert erhob sich zu seiner
vollen Größe, fuhr auch wohl auf den Eindringling los, um ihn zurückzuschrecken und versetzte ihm
einmal im Fliegen einen so heftigen Schlag auf den Arm, daß Audubon meinte, derselbe sei
zerbrochen worden. Nach solchen Angriffen kehrte er jedesmal selbstbewußt zum Neste zurück und
versicherte die Gattin durch Beugen des Kopfes von seiner Willfährigkeit, sie ferner zu vertheidigen.
Um das muthvolle Thier genauer kennen zu lernen, beschloß unser Forscher, es zu fangen. Zu diesem
Zwecke brachte er Körner mit und streute diese in der Nähe des Nestes aus. Nach einigen Tagen
fraßen beide Gänse von den Körnern selbst angesichts des Forschers, und schließlich gewöhnten sie sich
so an den Besucher, daß sie Audubon erlaubten, sich bis wenige Fuß dem Neste zu nähern; doch
duldeten sie nie, daß er die Eier anrührte, und wenn er es versuchte, schoß das Männchen wüthend
auf ihn los und biß ihn heftig in die Finger. Als die Jungen dem Ausschlüpfen nahe waren,
köderte er ein großes Netz mit Korn: der Gansert fraß von demselben und wurde gefangen; als am
nächsten Morgen die Gans ihre ausgeschlüpften Jungen dem Flusse zuführen wollte, fing Audubon
die letzteren, sowie die Mutter ein, sodaß er also die Gesellschaft in seine Gewalt gebracht hatte.
Die Familie wurde nun mit gelähmten Flügeln in einen großen Garten gesetzt; die Eltern waren
aber so eingeschüchtert, daß ihr Pfleger um die Jungen fürchten mußte. Doch gelang es ihm, sie nach
und nach an die Larven von Heuschrecken, ihr Lieblingsfutter, eingeweichtes Gerstenschrot und
dergleichen zu gewöhnen und die Jungen großzuziehen. Bei Eintritt strenger Kälte im Dezember
beobachtete Audubon, daß der Gansert oft seine Flügel breitete und dabei ein lautes Geschrei aus-
stieß. Auf dieses hin antworteten alle Glieder der Familie, zuerst das Weibchen, dann die Jungen,
die ganze Gesellschaft rannte hierauf, soweit sie konnte, in südlicher Richtung durch den Garten und
versuchte aufzufliegen. Drei Jahre lang blieben die Vögel im Besitze unseres Forschers, und mehrere
von den Jungen, nicht aber die Alten, pflanzten sich in der Gefangenschaft fort.

Gegenwärtig sieht man gefangene Schwanengänse auf allen größeren Bauerhöfen Nordamerikas.
Man hat erkannt, daß diese Art noch einen höheren Nutzen gewährt als die Hausgans, und sie zum
wirklichen Hausthiere gemacht. Sie wird jetzt ganz in derselben Weise gehalten wie ihre Verwandte.
Von den Gefangenen paaren sich viele mit anderen Gänsen, insbesondere mit der Hausgans, und die
Nachkommen aus solchen Kreuzungen sollen sich besonders dadurch auszeichnen, daß sie leichter fett

Schwanengans.
in treuer Ehe lebt, wegnehmen wollte, oder als ob er meine, daß er durch den anderen in ſeinen
Liebesbewerbungen und Liebesbezeugungen geſtört werde. Gelegentlich kommt es zu hartnäckigen
Kämpfen; doch pflegt deren Ausgang für beide Theile gleich günſtig zu ſein, und beide kehren nach
beendigtem Streite frohlockend zu ihrem Weibchen zurück. Zum Niſtorte wählt ſich das Paar einen
vom Waſſer etwas abliegenden Ort, zwiſchen dichtem Graſe, unter Gebüſch u. ſ. w.; ausnahmsweiſe
kommt es auch vor, daß ein Paar auf Bäumen brütet: der Prinz von Wied fand das Neſt einer
Schwanengans im Gezweige einer hohen Pappel angelegt, auf welcher höher oben der Horſt eines
weißköpfigen Seeadlers ſtand. Ein zweites Neſt, welches dieſer Forſcher unterſuchte, war hinter
einem hohen Treibholzſtamme angelegt und beſtand blos aus einer ſeichten Grube im Sande, welche
mit Dunen ausgekleidet worden war. Jn der Regel gebraucht der Vogel größere Sorgfalt bei der
Anlage des Neſtes, und zuweilen ſchichtet er einen ziemlich großen Haufen von ſtrohartigem Graſe
und anderen Pflanzenſtoffen zuſammen. Das Gelege beſteht aus drei bis neun Eiern; ſechs ſcheint
die regelmäßige Zahl derſelben zu ſein; Gefangene legen deren zehn bis elf. Nach achtundzwanzig-
tägiger Bebrütung entſchlüpfen die dunigen Jungen dem Eie, werden noch ein oder zwei Tage im
Neſte zurückgehalten und folgen dann ihren Eltern ins Waſſer, kehren aber gewöhnlich gegen Abend
zum Lande zurück, um ſich hier auszuruhen und zu ſonnen und verbringen die Nacht unter dem
Gefieder der Mutter, welche alle denkbare Sorge für ihre Behaglichkeit und Sicherheit bekundet und
von dem Vater treulich unterſtützt wird. Bei Gefahr vertheidigen die Alten ihre Brut mit
bewunderungswürdigem Muthe; Audubon kannte ein Paar, das mehrere Jahre nach einander
auf demſelben Teiche brütete und in Folge der vielen Beſuche, welche der Forſcher machte, zuletzt ſo
dreiſt wurde, daß dieſer ſich bis auf wenige Schritte nähern konnte. Der Ganſert erhob ſich zu ſeiner
vollen Größe, fuhr auch wohl auf den Eindringling los, um ihn zurückzuſchrecken und verſetzte ihm
einmal im Fliegen einen ſo heftigen Schlag auf den Arm, daß Audubon meinte, derſelbe ſei
zerbrochen worden. Nach ſolchen Angriffen kehrte er jedesmal ſelbſtbewußt zum Neſte zurück und
verſicherte die Gattin durch Beugen des Kopfes von ſeiner Willfährigkeit, ſie ferner zu vertheidigen.
Um das muthvolle Thier genauer kennen zu lernen, beſchloß unſer Forſcher, es zu fangen. Zu dieſem
Zwecke brachte er Körner mit und ſtreute dieſe in der Nähe des Neſtes aus. Nach einigen Tagen
fraßen beide Gänſe von den Körnern ſelbſt angeſichts des Forſchers, und ſchließlich gewöhnten ſie ſich
ſo an den Beſucher, daß ſie Audubon erlaubten, ſich bis wenige Fuß dem Neſte zu nähern; doch
duldeten ſie nie, daß er die Eier anrührte, und wenn er es verſuchte, ſchoß das Männchen wüthend
auf ihn los und biß ihn heftig in die Finger. Als die Jungen dem Ausſchlüpfen nahe waren,
köderte er ein großes Netz mit Korn: der Ganſert fraß von demſelben und wurde gefangen; als am
nächſten Morgen die Gans ihre ausgeſchlüpften Jungen dem Fluſſe zuführen wollte, fing Audubon
die letzteren, ſowie die Mutter ein, ſodaß er alſo die Geſellſchaft in ſeine Gewalt gebracht hatte.
Die Familie wurde nun mit gelähmten Flügeln in einen großen Garten geſetzt; die Eltern waren
aber ſo eingeſchüchtert, daß ihr Pfleger um die Jungen fürchten mußte. Doch gelang es ihm, ſie nach
und nach an die Larven von Heuſchrecken, ihr Lieblingsfutter, eingeweichtes Gerſtenſchrot und
dergleichen zu gewöhnen und die Jungen großzuziehen. Bei Eintritt ſtrenger Kälte im Dezember
beobachtete Audubon, daß der Ganſert oft ſeine Flügel breitete und dabei ein lautes Geſchrei aus-
ſtieß. Auf dieſes hin antworteten alle Glieder der Familie, zuerſt das Weibchen, dann die Jungen,
die ganze Geſellſchaft rannte hierauf, ſoweit ſie konnte, in ſüdlicher Richtung durch den Garten und
verſuchte aufzufliegen. Drei Jahre lang blieben die Vögel im Beſitze unſeres Forſchers, und mehrere
von den Jungen, nicht aber die Alten, pflanzten ſich in der Gefangenſchaft fort.

Gegenwärtig ſieht man gefangene Schwanengänſe auf allen größeren Bauerhöfen Nordamerikas.
Man hat erkannt, daß dieſe Art noch einen höheren Nutzen gewährt als die Hausgans, und ſie zum
wirklichen Hausthiere gemacht. Sie wird jetzt ganz in derſelben Weiſe gehalten wie ihre Verwandte.
Von den Gefangenen paaren ſich viele mit anderen Gänſen, insbeſondere mit der Hausgans, und die
Nachkommen aus ſolchen Kreuzungen ſollen ſich beſonders dadurch auszeichnen, daß ſie leichter fett

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[793/0839] Schwanengans. in treuer Ehe lebt, wegnehmen wollte, oder als ob er meine, daß er durch den anderen in ſeinen Liebesbewerbungen und Liebesbezeugungen geſtört werde. Gelegentlich kommt es zu hartnäckigen Kämpfen; doch pflegt deren Ausgang für beide Theile gleich günſtig zu ſein, und beide kehren nach beendigtem Streite frohlockend zu ihrem Weibchen zurück. Zum Niſtorte wählt ſich das Paar einen vom Waſſer etwas abliegenden Ort, zwiſchen dichtem Graſe, unter Gebüſch u. ſ. w.; ausnahmsweiſe kommt es auch vor, daß ein Paar auf Bäumen brütet: der Prinz von Wied fand das Neſt einer Schwanengans im Gezweige einer hohen Pappel angelegt, auf welcher höher oben der Horſt eines weißköpfigen Seeadlers ſtand. Ein zweites Neſt, welches dieſer Forſcher unterſuchte, war hinter einem hohen Treibholzſtamme angelegt und beſtand blos aus einer ſeichten Grube im Sande, welche mit Dunen ausgekleidet worden war. Jn der Regel gebraucht der Vogel größere Sorgfalt bei der Anlage des Neſtes, und zuweilen ſchichtet er einen ziemlich großen Haufen von ſtrohartigem Graſe und anderen Pflanzenſtoffen zuſammen. Das Gelege beſteht aus drei bis neun Eiern; ſechs ſcheint die regelmäßige Zahl derſelben zu ſein; Gefangene legen deren zehn bis elf. Nach achtundzwanzig- tägiger Bebrütung entſchlüpfen die dunigen Jungen dem Eie, werden noch ein oder zwei Tage im Neſte zurückgehalten und folgen dann ihren Eltern ins Waſſer, kehren aber gewöhnlich gegen Abend zum Lande zurück, um ſich hier auszuruhen und zu ſonnen und verbringen die Nacht unter dem Gefieder der Mutter, welche alle denkbare Sorge für ihre Behaglichkeit und Sicherheit bekundet und von dem Vater treulich unterſtützt wird. Bei Gefahr vertheidigen die Alten ihre Brut mit bewunderungswürdigem Muthe; Audubon kannte ein Paar, das mehrere Jahre nach einander auf demſelben Teiche brütete und in Folge der vielen Beſuche, welche der Forſcher machte, zuletzt ſo dreiſt wurde, daß dieſer ſich bis auf wenige Schritte nähern konnte. Der Ganſert erhob ſich zu ſeiner vollen Größe, fuhr auch wohl auf den Eindringling los, um ihn zurückzuſchrecken und verſetzte ihm einmal im Fliegen einen ſo heftigen Schlag auf den Arm, daß Audubon meinte, derſelbe ſei zerbrochen worden. Nach ſolchen Angriffen kehrte er jedesmal ſelbſtbewußt zum Neſte zurück und verſicherte die Gattin durch Beugen des Kopfes von ſeiner Willfährigkeit, ſie ferner zu vertheidigen. Um das muthvolle Thier genauer kennen zu lernen, beſchloß unſer Forſcher, es zu fangen. Zu dieſem Zwecke brachte er Körner mit und ſtreute dieſe in der Nähe des Neſtes aus. Nach einigen Tagen fraßen beide Gänſe von den Körnern ſelbſt angeſichts des Forſchers, und ſchließlich gewöhnten ſie ſich ſo an den Beſucher, daß ſie Audubon erlaubten, ſich bis wenige Fuß dem Neſte zu nähern; doch duldeten ſie nie, daß er die Eier anrührte, und wenn er es verſuchte, ſchoß das Männchen wüthend auf ihn los und biß ihn heftig in die Finger. Als die Jungen dem Ausſchlüpfen nahe waren, köderte er ein großes Netz mit Korn: der Ganſert fraß von demſelben und wurde gefangen; als am nächſten Morgen die Gans ihre ausgeſchlüpften Jungen dem Fluſſe zuführen wollte, fing Audubon die letzteren, ſowie die Mutter ein, ſodaß er alſo die Geſellſchaft in ſeine Gewalt gebracht hatte. Die Familie wurde nun mit gelähmten Flügeln in einen großen Garten geſetzt; die Eltern waren aber ſo eingeſchüchtert, daß ihr Pfleger um die Jungen fürchten mußte. Doch gelang es ihm, ſie nach und nach an die Larven von Heuſchrecken, ihr Lieblingsfutter, eingeweichtes Gerſtenſchrot und dergleichen zu gewöhnen und die Jungen großzuziehen. Bei Eintritt ſtrenger Kälte im Dezember beobachtete Audubon, daß der Ganſert oft ſeine Flügel breitete und dabei ein lautes Geſchrei aus- ſtieß. Auf dieſes hin antworteten alle Glieder der Familie, zuerſt das Weibchen, dann die Jungen, die ganze Geſellſchaft rannte hierauf, ſoweit ſie konnte, in ſüdlicher Richtung durch den Garten und verſuchte aufzufliegen. Drei Jahre lang blieben die Vögel im Beſitze unſeres Forſchers, und mehrere von den Jungen, nicht aber die Alten, pflanzten ſich in der Gefangenſchaft fort. Gegenwärtig ſieht man gefangene Schwanengänſe auf allen größeren Bauerhöfen Nordamerikas. Man hat erkannt, daß dieſe Art noch einen höheren Nutzen gewährt als die Hausgans, und ſie zum wirklichen Hausthiere gemacht. Sie wird jetzt ganz in derſelben Weiſe gehalten wie ihre Verwandte. Von den Gefangenen paaren ſich viele mit anderen Gänſen, insbeſondere mit der Hausgans, und die Nachkommen aus ſolchen Kreuzungen ſollen ſich beſonders dadurch auszeichnen, daß ſie leichter fett

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 793. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/839>, abgerufen am 22.11.2024.