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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Rothkopf.
sich beglückwünschen über den Erfolg seiner List. Nähert man sich ihm, so fliegt er zu dem nächsten oder
zweitnächsten Pfahl, hängt sich dort an, trommelt wieder und scheint so seinen Gegner förmlich heraus-
zufordern. Gar nicht selten erscheint er bei und auf den Häusern, klettert an ihnen herum, klopft auf
die Schindeln, stößt einen Schrei aus und senkt sich dann nach dem Garten hinab, um dort die besten
Beeren zu plündern, welche er entdecken kann."

"Jch wollte Niemand rathen, dem Nothkopf irgend einen Obstgarten preiszugeben; denn er
nährt sich nicht blos von allen Arten der Früchte, sondern zerstört auch nebenbei noch eine große Menge
derselben. Die Kirschen sind kaum geröthet, so sind auch schon diese Vögel da: sie kommen von allen Seiten
meilenweit herbei und leeren einen Baum auf das Gründlichste ab. Wenn einmal einer erschienen ist
und die erste Kirsche ausgespürt hat, stößt er seinen Lockton aus, wippt mit dem Schwanze, nickt mit
dem Kopfe und hat sich ihrer im nächsten Augenblick bemächtigt. Hat er genug, so beladet er seinen

[Abbildung] Der Rothkopf (Melanerpes erythrocephalus). 1/2 der nat. Größe.
Schnabel noch mit einer oder zweien und fliegt dem Neste zu, um seinen Jungen auch Etwas
zu bringen."

"Es ist geradezu unmöglich, die Zahl der Rothköpfe, welche man in einem Sommer sieht, zu
schätzen: so viel kann ich aber bestimmt versichern, daß ihrer hundert an einem Tage von einem
einzigen Kirschbaum herunter geschossen wurden. Nach den Kirschen werden Birnen, Pfirsiche, Aepfel,
Feigen, Maulbeeren und selbst Erbsen angegangen, und von den Verwüstungen, welche die Rothköpfe
in dem Korn anrichten, will ich gar nicht reden, aus Furcht, Thiere, welche zwar in dieser Hinsicht schuldig
sind, andererseits aber auch überaus gute Eigenschaften besitzen, noch mehr anzuklagen.... Die
Aepfel, welche sie verzehren, pflegen sie in einer sonderbaren Weise wegzutragen. Sie stoßen nämlich
ihren geöffneten Schnabel mit aller Gewalt in die Frucht, reißen sie ab, fliegen dann mit ihr auf einen
Zaunpfahl oder Baum und zerstückeln sie dort mit Muße. Auch noch eine andere schlechte Sitte
haben sie: sie saugen die Eier kleiner Vögel aus. Zu diesem Zweck besuchen sie sehr fleißig die Nist-

Rothkopf.
ſich beglückwünſchen über den Erfolg ſeiner Liſt. Nähert man ſich ihm, ſo fliegt er zu dem nächſten oder
zweitnächſten Pfahl, hängt ſich dort an, trommelt wieder und ſcheint ſo ſeinen Gegner förmlich heraus-
zufordern. Gar nicht ſelten erſcheint er bei und auf den Häuſern, klettert an ihnen herum, klopft auf
die Schindeln, ſtößt einen Schrei aus und ſenkt ſich dann nach dem Garten hinab, um dort die beſten
Beeren zu plündern, welche er entdecken kann.“

„Jch wollte Niemand rathen, dem Nothkopf irgend einen Obſtgarten preiszugeben; denn er
nährt ſich nicht blos von allen Arten der Früchte, ſondern zerſtört auch nebenbei noch eine große Menge
derſelben. Die Kirſchen ſind kaum geröthet, ſo ſind auch ſchon dieſe Vögel da: ſie kommen von allen Seiten
meilenweit herbei und leeren einen Baum auf das Gründlichſte ab. Wenn einmal einer erſchienen iſt
und die erſte Kirſche ausgeſpürt hat, ſtößt er ſeinen Lockton aus, wippt mit dem Schwanze, nickt mit
dem Kopfe und hat ſich ihrer im nächſten Augenblick bemächtigt. Hat er genug, ſo beladet er ſeinen

[Abbildung] Der Rothkopf (Melanerpes erythrocephalus). ½ der nat. Größe.
Schnabel noch mit einer oder zweien und fliegt dem Neſte zu, um ſeinen Jungen auch Etwas
zu bringen.“

„Es iſt geradezu unmöglich, die Zahl der Rothköpfe, welche man in einem Sommer ſieht, zu
ſchätzen: ſo viel kann ich aber beſtimmt verſichern, daß ihrer hundert an einem Tage von einem
einzigen Kirſchbaum herunter geſchoſſen wurden. Nach den Kirſchen werden Birnen, Pfirſiche, Aepfel,
Feigen, Maulbeeren und ſelbſt Erbſen angegangen, und von den Verwüſtungen, welche die Rothköpfe
in dem Korn anrichten, will ich gar nicht reden, aus Furcht, Thiere, welche zwar in dieſer Hinſicht ſchuldig
ſind, andererſeits aber auch überaus gute Eigenſchaften beſitzen, noch mehr anzuklagen.... Die
Aepfel, welche ſie verzehren, pflegen ſie in einer ſonderbaren Weiſe wegzutragen. Sie ſtoßen nämlich
ihren geöffneten Schnabel mit aller Gewalt in die Frucht, reißen ſie ab, fliegen dann mit ihr auf einen
Zaunpfahl oder Baum und zerſtückeln ſie dort mit Muße. Auch noch eine andere ſchlechte Sitte
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[69/0083] Rothkopf. ſich beglückwünſchen über den Erfolg ſeiner Liſt. Nähert man ſich ihm, ſo fliegt er zu dem nächſten oder zweitnächſten Pfahl, hängt ſich dort an, trommelt wieder und ſcheint ſo ſeinen Gegner förmlich heraus- zufordern. Gar nicht ſelten erſcheint er bei und auf den Häuſern, klettert an ihnen herum, klopft auf die Schindeln, ſtößt einen Schrei aus und ſenkt ſich dann nach dem Garten hinab, um dort die beſten Beeren zu plündern, welche er entdecken kann.“ „Jch wollte Niemand rathen, dem Nothkopf irgend einen Obſtgarten preiszugeben; denn er nährt ſich nicht blos von allen Arten der Früchte, ſondern zerſtört auch nebenbei noch eine große Menge derſelben. Die Kirſchen ſind kaum geröthet, ſo ſind auch ſchon dieſe Vögel da: ſie kommen von allen Seiten meilenweit herbei und leeren einen Baum auf das Gründlichſte ab. Wenn einmal einer erſchienen iſt und die erſte Kirſche ausgeſpürt hat, ſtößt er ſeinen Lockton aus, wippt mit dem Schwanze, nickt mit dem Kopfe und hat ſich ihrer im nächſten Augenblick bemächtigt. Hat er genug, ſo beladet er ſeinen [Abbildung Der Rothkopf (Melanerpes erythrocephalus). ½ der nat. Größe.] Schnabel noch mit einer oder zweien und fliegt dem Neſte zu, um ſeinen Jungen auch Etwas zu bringen.“ „Es iſt geradezu unmöglich, die Zahl der Rothköpfe, welche man in einem Sommer ſieht, zu ſchätzen: ſo viel kann ich aber beſtimmt verſichern, daß ihrer hundert an einem Tage von einem einzigen Kirſchbaum herunter geſchoſſen wurden. Nach den Kirſchen werden Birnen, Pfirſiche, Aepfel, Feigen, Maulbeeren und ſelbſt Erbſen angegangen, und von den Verwüſtungen, welche die Rothköpfe in dem Korn anrichten, will ich gar nicht reden, aus Furcht, Thiere, welche zwar in dieſer Hinſicht ſchuldig ſind, andererſeits aber auch überaus gute Eigenſchaften beſitzen, noch mehr anzuklagen.... Die Aepfel, welche ſie verzehren, pflegen ſie in einer ſonderbaren Weiſe wegzutragen. Sie ſtoßen nämlich ihren geöffneten Schnabel mit aller Gewalt in die Frucht, reißen ſie ab, fliegen dann mit ihr auf einen Zaunpfahl oder Baum und zerſtückeln ſie dort mit Muße. Auch noch eine andere ſchlechte Sitte haben ſie: ſie ſaugen die Eier kleiner Vögel aus. Zu dieſem Zweck beſuchen ſie ſehr fleißig die Niſt-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/83>, abgerufen am 25.11.2024.